S. Suckut u.a. (Hgg.): Stasi-Akten zwischen Politik und Zeitgeschichte

Cover
Titel
Stasi-Akten zwischen Politik und Zeitgeschichte. Eine Zwischenbilanz


Herausgeber
Suckut, Siegfried; Weber, Jürgen
Erschienen
München 2003: OLZOG Verlag
Anzahl Seiten
338 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Jander, Berlin

Als die DDR im Herbst 1989 zusammenbrach, war die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit und die Öffnung seiner Akten eine der wichtigsten Forderungen der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Der heute in vielfältiger Weise mögliche Zugang zu den Akten, die juristische Aburteilung der wesentlichen Verbrechen, die Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer und nicht zuletzt die wissenschaftliche und publizistische Aufarbeitung der SED-Diktatur ist zu ganz wesentlichen Teilen den Aktivitäten der DDR-Opposition zu verdanken.

Seit dem 4. Dezember 1989 besetzten „Bürgerkomitees“ landauf und landab die Schaltstellen des ostdeutschen Geheimdienstes um die bereits begonnene Vernichtung der Akten zu stoppen. Der Interimsministerpräsident Modrow wollte „anrüchiges“ Material vernichten und die Stasi in einen „normalen“ Verfassungsschutz umbauen. Den neuen Namen der Behörde schrieben die Stasi-Mitarbeiter in der Jahreswende 1989/90 bereits auf ihre Briefbögen: „Amt für Nationale Sicherheit“. Die DDR-Bürgerrechtsbewegung jedoch blockierte dieses Vorhaben und setzte im Prozess der Vereinigung beider deutscher Staaten – gegen viele Widerstände aus der Ex-DDR und der alten Bundesrepublik - ihre Vorstellung einer Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit und einer weitestgehenden Öffnung der Akten für die Opfer des Regimes letztlich durch.

Das vorliegende Buch trägt die entscheidenden Fakten dieses Prozesses zusammen und macht einige davon – gut brauchbar für die politische Bildung – rasch und übersichtlich verfügbar. Joachim Gauck, der erste Leiter der Behörde mit dem langen Namen – „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ und heimlicher Namensgeber („Gauck-Behörde“) beschreibt den Beginn der Arbeit; seine Nachfolgerin, Marianne Birthler, schildert die „Akteneinsicht“ als eine der fundamentalen Voraussetzungen politischer und mentaler Demokratisierung nach dem Umbruch. David Gill skizziert den Weg von den Bürgerkomitees zur Behörde, Wolfgang Ullmann und Roger Engelmann zeichnen die Entstehung des „Stasi-Unterlagen-Gesetzes“ (StUG) nach.

Sehr erfreulich ist, dass zumindest einige Autoren dabei kein Blatt vor den Mund nehmen und damit den noch immer anhaltenden Charakter der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit deutlich machen. Wolfgang Ullmann z.B. benennt aus seiner Sicht Defizite und Weiterungen, die sich durch die genaue Kenntnis der Akten mittlerweile ergeben haben. Ullmann benennt (1) die „Frage nach der demokratischen Legitimität und Effektivität von Geheimdiensten überhaupt“, (2) die Fragen einer angemessenen Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer (3) und die angemessene Aufarbeitung von Themen wie Menschenrechtsverletzungen im Namen und Auftrag von kommunistischen Opfern des deutschen Nationalsozialismus. Man muss mit Ullmanns Auffassungen nicht übereinstimmen, er hat jedoch zweifellos einen der interessantesten Beiträge zu diesem Band beigesteuert.

Ein – leider etwas kurz geratener – Abschnitt des Buches resümiert die verschiedenen Kontroversen über das Spannungsverhältnis von Datenschutz und Aufarbeitung (Johannes Beleites, Jörg Pietrkiewicz). Ebenfalls ziemlich kurz kommt die Darstellung der Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit und die Darstellung der juristischen Aufarbeitung der SED-Herrschaft (Harald Both, Bernhard Jahntz).

Den größten Teil nehmen Aufsätze ein, die sich um das Thema der persönlichen und historischen Aufarbeitung der SED-Diktatur ranken. Die bearbeiteten Themen z.B. „Oppositionelle im Visier des MfS“ (Ehrhart Neubert) oder „Forschung im Behördenauftrag“ (Siegfried Suckut) sind selbstverständlich zentral, ihre Auswahl jedoch erschließt sich dem Leser nicht so ganz. Vieles, was hier angesprochen werden müsste – z.B. die Debatte um den totalitären, spättotalitären oder nur diktatorischen Charakter der DDR oder das Thema der Entschädigung bzw. Rehabilitierung der Opfer – fehlt vollkommen. Sehr ärgerlich fällt außerdem auf, dass einige Aufsätze schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches (2003) einen eher veralteten Kenntnisstand vermittelten. Dies ist insbesondere bei dem Artikel von Bernhard Jahntz „Die juristische Aufarbeitung der SED-Herrschaft“ der Fall, der die Untersuchungen und das Resümee von Klaus Marxen und Gerhard Werle zur juristischen Aufarbeitung der SED-Herrschaft in seine Darstellung nicht einbezieht.

Vielleicht ist es ja für ein Resümee der verschiedenen Aspekte der Aufarbeitung der SED-Herrschaft und der Rolle und Bedeutung der Akten des MfS in diesem Prozess noch zu früh. Nicht umsonst beanspruchen die Herausgeber des Bandes auch nur, eine „Zwischenbilanz“ zu präsentieren.

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