H. Beck u.a. (Hgg.): Gleichung "germanisch - deutsch"

Titel
Zur Geschichte der Gleichung "germanisch - deutsch". Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen


Herausgeber
Beck, Heinrich; Geuenich, Dieter; Steuer, Heiko; Hakelberg, Dietrich
Reihe
Reallexikon der German. Altertumskunde, Erg. Bd. 34
Erschienen
Berlin 2004: de Gruyter
Anzahl Seiten
XXI, 711 S.
Preis
€ 158,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Vom 1. bis 3. Dezember 2000 trafen sich in Freiburg im Rahmen einer interdisziplinären Tagung Wissenschaftler der Fachbereiche Germanistik, Geschichte und Archäologie, um der Begriffsgeschichte ‚germanisch‘ und ‚deutsch‘ nachzugehen und damit auch der eigenen Wissenschaftsgeschichte zu ihren Anfängen zu folgen.

Im Zentrum der Tagung stand die Frage, wie und warum es möglich war, dass die Deutschen spätestens seit Beginn des 16. Jahrhunderts zumeist vorbehaltlos mit den antiken Germanen gleichgesetzt wurden. Diese Frage ist umso aktueller, da in einem bestimmten politischen Milieu Deutschlands noch heute die Kontinuität des deutschen Volkes bis in die Römerzeit und darüber hinaus konsequent behauptet wird. Ein weiterer Grund für eine eingehende Beschäftigung mit der Gleichung ‚germanisch-deutsch‘ liegt auf der Hand. Auch wenn sich die Wissenschaftler darüber einig sind, dass die konstruierten Kontinuität deutscher Identität heute als unhaltbar und irreführend betrachtet werden muss, bleibt sie doch auch in Zukunft ein fester Bestandteil unseres Gesellschaft. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Im Englischen heißt Deutschland kurz ‚Germany’ und die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft kennt man zumeist unter dem Namen Germanistik. Das ein solcher Band in Anbetracht dieser Tatsache dennoch sinnvoll und wichtig ist, ergibt sich aus der Notwendigkeit, nicht nur die Denkstrukturen des 19. und 20. Jahrhunderts zu hinterfragen und zu analysieren, sondern auch der neuen Forschung verlässlichere Erkenntnisse zukommen zu lassen.

Der nun vorliegende Tagungsband beinhaltet 21 Beiträge, die die komplexen Begleitumstände und Motive der Gleichsetzung von ‚germanisch-deutsch’ und die daran gebundenen politischen Folgen in drei inhaltlichen Schwerpunkten untersuchen.

Der erste Schwerpunkt gilt der Definition der Begriffe ‚germanisch‘ und ‚deutsch‘. Neben Benennungsmotiven für Völkernamen in der Antike und neben mittelalterlichen Germanenbegriffen werden Instrumentalisierungen der ‚Germania’ des Tacitus untersucht. Denn die im 16. Jahrhundert wieder entdeckte ‚Germania’ gehörte zur Grundlage deutscher Humanisten, auf deren Basis diese eine ungebrochene Kontinuität nationaler Vergangenheit reklamierten. Auch die Germanenideologie als fester Bestandteil der völkischen Weltanschauung am Beginn des 20. Jahrhunderts basierte zu weiten Teilen auf dieser Tradition.

Der zweiter Schwerpunkt beschäftigt sich mit Rezeption und Instrumentalisierung der Gleichung ‚germanisch-deutsch‘ vor dem Hintergrund des aufsteigenden modernen Nationalismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts bis in die jüngste Zeitgeschichte, die schließlich vom rassebiologischen Germanen-Begriff der völkischen Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich geprägt wurde. Besondere Beachtung finden hierbei Sprachforschung und Philologie, die das 19. Jahrhundert in Bezug auf Deutsch- und Germanenkunde dominierten und die Konzepte der ‚Erneuerung des deutschen Volksgeistes’ beherrschten. Daneben wird auch die Dreiheit ‚Germanen, Deutsche und Teutonen’ in der englischsprachigen Geistesgeschichte und die ‚Teutonische’ Rassenideologie im Amerika des 19. Jahrhunderts eingehend beleuchtet. Einen mit mehr als 160 Seiten Umfang schon fast monografischen Beitrag liefert in diesem Zusammenhang der Mitherausgeber des Bandes Heiko Steuer über das „völkisch“ Germanische in der deutschen Ur- und Frühgeschichte. Steuer gab bereits 2001 mit Dietrich Hakelberg den Sammelband „Eine hervorragende nationale Wissenschaft“ heraus, der das Wirken deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995 behandelte. Die hier gebotene Studie komplettiert nun nicht nur den von ihm herausgegebenen Sammelband, sondern liefert neben Heinz Grünerts 2003 erschienener Kossinna-Biografie einen weiteren wichtigen Baustein für die Kossinna-Forschung und die Wissenschaftsgeschichte der Archäologie.

Der dritte Teil beschäftigt sich mit Entstehung und Werdegang wissenschaftlicher Institutionen, deren Benennung auf der Gleichsetzung von ‚germanisch‘ und ‚deutsch‘ beruhte, wie etwa der ‚Monumenta Germaniae Historica’ oder des Germanischen Nationalmuseums. Besondere Aufmerksamkeit erhält hierbei die ‚deutsche Altertumskunde’ mit ihrer Rolle bei der Etablierung und Diskussion der Gleichung ‚germanisch-deutsch‘.

Trotz der inhaltlich und quantitativ stark unterschiedlichen Artikel, erfüllt der Band den gestellten Anspruch, sich der Begriffsgeschichte von ‚germanisch’ und ‚deutsch’ über drei Disziplinen anzunähern. Tatsächlich bieten die Darstellungen zumeist einen breiten Überblick über das behandelte Thema und bleiben selbst in Detailanalysen für Fachfremde stets nachvollziehbar. Die Fülle des gebotenen Materials, die gelungen Darstellungen des Forschungsstandes und der Aktualitätsbezug der angegebenen Literatur lassen zudem kaum Wünsche offen. So bleibt zu hoffen, dass der vorliegende Band so manche Unsicherheiten beseitigen hilft und für die Zukunft zum Standard und Wegweiser bei der Behandlung der Begriffsgeschichte ‚germanisch‘ und ‚deutsch‘ wird, selbst wenn die Gleichung ‚germanisch-deutsch‘, wie oben angedeutet, damit nicht aufgehoben werden kann.