C. Lenz: Haushaltspflicht und Widerstand

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Titel
Haushaltspflicht und Widerstand. Erzählungen norwegischer Frauen über die deutsche Besatzung 1940-1945 im Lichte nationaler Vergangenheitskonstruktionen


Autor(en)
Lenz, Claudia
Reihe
Studien zum Nationalsozialismus in der edition diskord 7
Erschienen
Tübingen 2003: edition diskord
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anette Storeide, Institut für Germanistik, Universität Oslo

In den letzten Jahren sind Themen wie Erinnerung, Tradierung von Erinnerung und Erinnerungskultur populäre Forschungsgegenstände geworden und resultierten in einer Welle von Publikationen unterschiedlicher Art. Claudia Lenz – auch Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Vergleichende Tradierungsforschung“ und für den Bereich Norwegen zuständig – widmet sich in ihrer Untersuchung des norwegischen Erinnerungsdiskurses über die Zeit der deutschen Okkupation den Erinnerungen norwegischer Frauen.

Eine wichtige Grundannahme der Untersuchung bildet die als dynamisch angesehene Verkettung der Kategorien Nation, Geschlecht und Widerstand. Erinnerung wird als soziales Konstrukt verstanden. Das, was erinnert werden soll, durchläuft im historischen, politischen und sozialen Kontext stattfindende Transformationsprozesse – konstruierende, de- und re-konstruierende. Einer der in diesen Transformationsprozessen wirksamen Faktoren ist das Geschlecht. Es geht Lenz bei ihrer Untersuchung nicht um die Darstellung des Widerstands norwegischer Frauen an sich. Die Okkupationszeit wird als „nationale[r] Ausnahmezustand“ (S. 34) verstanden, in dem alle Aspekte des Nationalen in Frage gestellt und umkämpft waren, so auch die Geschlechterordnung. Lenz weist in ihrer Studie zwar nach, dass norwegische Frauen im Widerstand gegen die Okkupation einen erheblichen Einsatz leisteten, fragt aber vor allem nach der Bewertung ihrer Rolle in der offiziellen Erinnerung an die Okkupationszeit und nach der Tradierung ihrer Erinnerungen.

Auf der Ebene der offiziellen – nationalen – Erinnerung an Vergangenheit führt Lenz den Begriff der „Basisnarration“ ein (S. 10, Anm. 9). Die Autorin zeigt, dass die Erinnerung als politisches Instrument zur Identitätsstiftung einer Nation bzw. eines Staates dienen und politische Hegemonie durch die Festschreibung von Erinnerung konstituiert und stabilisiert werden kann. Dabei ist für Lenz eine zentrale Frage, wer wann welche Erinnerung politisch autorisiert (hat). In der norwegischen „Basiserzählung“ über die deutsche Okkupation steht der norwegische Widerstand im Zentrum und wurde/wird in narrativer, ikonischer und ritueller Weise artikuliert und befestigt. Diese mit einem „Archiv“ von Symbolen und Ausdrucksweisen versehene Erzählung wurde Referenzpunkt nationaler Identitätsbildung (S. 34), die schließlich auch mit der Entwicklung des nachkriegszeitlichen Wohlfahrtsstaatskonzeptes verknüpft war (S. 256).

Im theoretischen Exkurs zu den Komplexen Nation, Geschlecht und Politik werden die komplementär verknüpften Dichotomien der Subjekt-Objekt-Konstruktion dargelegt (wie Nation/Staat – Familie, Rationalität – Emotionalität, Kultur – Natur, Öffentlichkeit – Privatsphäre sowie Mann – Frau), und es wird eine Verbindung zwischen Krieg, Nation und Männlichkeit hergestellt. Dieser Erläuterung zufolge, so zeigt Lenz, fallen im Krieg bzw. in der Ausnahmesituation, wie die Okkupation eine darstellt, den Geschlechtern unterschiedliche Rollen zu. Die Männer sind die aktiv kämpfenden Verteidiger der nationalen Ordnung, die Frauen hingegen die passiven bzw. von den Männern zu verteidigenden tugendhaften Hausfrauen. Weiter stellt Lenz fest, dass sich diese traditionelle dichotomische Sichtweise auf Frauen und Männer bei der Betrachtung der norwegischen Widerstandsbewegung während der deutschen Okkupation von 1940 bis 1945 nicht aufrechterhalten lässt. Lenz bezieht sich dabei auf die Materialsammlung und Forschungsergebnisse von Elisabeth Sveri und zeigt, dass Frauen in vielfältiger Weise am militärischen und zivilen Widerstand teilnahmen (S. 70f.). Die faktische Teilnahme der Frauen spiegelt sich in der Erinnerung an den Widerstand allerdings nicht wider, die auf die heroischen (männlichen) Widerstandskämpfer fokussiert ist.

Lenz’ Befunde widersprechen zum einen der „Basiserzählung“ von den Frauen als passiven Helferinnen der männlichen Widerstandskämpfer; zum anderen wird mit der Studie gegen die Reduktion der „Basiserzählung“ angeschrieben, die den Einsatz der Frauen auf die Haushaltspflicht festlegt. Die Ausblendung der Aktivitäten der Frauen aus der „Basiserzählung“ über die Widerstandsarbeit begründet Lenz auf komplexe Weise. Die norwegische Nachkriegsgesellschaft sei zunächst von der traditionellen Geschlechterordnung geprägt gewesen, d.h. durch die Überlegenheit und positionelle Vorherrschaft des Mannes. Der Widerstandseinsatz der Frauen sei als „patriotische Pflicht“ und Haushaltspflicht definiert worden. Dabei spielt der Einsatz der Frauen vorwiegend im zivilen Widerstand eine Rolle. Letztere wurde eher als Pflicht interpretiert, während der militärische als der eigentliche Widerstand galt. Darüber hinaus ist die geringe Wahrnehmung auch „weiblicher Bescheidenheit“ geschuldet, indem die Frauen häufig auch selbst ihren Einsatz als Pflicht und/oder „nicht der Rede wert“ (S. 79f.) wahrgenommen haben.

Des Weiteren diskutiert Lenz die Vermittlungsprozesse zwischen Erinnerung, politischer Autorisierung und Geschichtspolitik. Dabei wird untersucht, wie es zu jenem gegensätzlichen Bild von Norwegen kommen konnte, das einerseits Norwegen als Widerstandsnation betont, andererseits aber die Widerstandsleistung der Frauen kaum bzw. entpolitisiert bewertet. Der Begriff der „Basiserzählung“ wird in Anlehnung an Roland Barthes (S. 78) als mythische Version der Erinnerung betrachtet. Wie Lenz erläutert, entstanden in Norwegen „Helden-Mythen“ über männliche Widerstandskämpfer, die der „weiblichen Bescheidenheit“ und fehlendem Subjektbewusstsein der Frauen gegenüberstanden. Exemplarisch gezeigt wird anhand eines Romans sowie eines Films – die beide von Heroismus, nationalromantischen Naturdarstellungen und traditioneller Geschlechterrollenverteilung gekennzeichnet sind –, dass sie „als direkte Übersetzungen der Grundversion der norwegischen Widerstandserzählung und ihrer mythischen Grundstruktur gelesen werden können“ (S. 99). Als ein Gegenüber stellt Lenz die Geschichte einer als Heldin wahrzunehmenden, jedoch ignorierten Widerstandskämpferin dar und illustriert, dass der Tatbestand, welche Erinnerung wann und wie erzählt wurde, sowohl vom jeweiligen Zeitkontext als auch von der jeweils gültigen „Geschichtsversion“ abhängt. Die „Widerstandsversion“ der Erinnerung ist, wie Lenz schreibt, eine hegemoniale und autorisierte Konsensversion der Vergangenheit (gewesen), die die Erinnerungen an andere, auch weniger rühmliche Seiten des norwegischen Verhaltens in der Okkupationszeit weitgehend verdrängt, tabuisiert und negiert hat.

Eine solche Darstellung der norwegischen Erinnerungskultur weist keine neuen Erkenntnisse auf, sondern ist lediglich – wie auch an den Quellenangaben deutlich wird – eine Wiedergabe der Forschungsergebnisse unter anderem von Anne Eriksen und Stein Ugelvik Larsen.1 Das Innovative der Studie ist vor allem die exemplarisch dargestellte Analyse der Erzählungen von „Veteraninnen“ und der Tradierung ihrer Erinnerungen, die vor der Folie der offiziellen Erinnerungskultur diskutiert wird. So zeigt Lenz unter anderem die veränderte Wahrnehmung und Bewertung der Widerstandskämpferin Lise Børsum, die im Kontext der jeweils gültigen „Geschichtsversion“ betrachtet wird. Anhand vier zwischen 1946 und 1980 entstandener Versionen von Børsums Erzählung und zwei Interviews wird ihre gewachsene Position als handelndes Subjekt deutlich. In der frühesten Erzählung stellte Børsum sich noch als ängstliches Instrument männlicher Planung dar, in der letzten Version nimmt sie sich dagegen als bewusste und handlungsfähige Widerstandskämpferin wahr. Die veränderte historische und politische Situation ermöglicht die Identifikation als historisches Subjekt.

In dieser gründlichen, wichtigen und illustrativen Studie irritieren allerdings einige elementare Fehler und Ungenauigkeiten – beispielsweise erhielt Norwegen nicht 1903 (S. 16 und S. 62), sondern 1905 seine Unabhängigkeit (richtig auf S. 138); und als Befreiungstag von der deutschen Okkupation gilt nicht der 5. Mai (S. 92), sondern der 8. Mai. Auch war das Gefangenenlager Grini kein Konzentrationslager (S. 238, Anm. 14), sondern ein Polizeihäftlingslager.2 Für die Schlussfolgerungen sind die Mängel jedoch unbedeutend. Lenz weist in ihrer Studie anhand breiter Quellen überzeugend die Missachtung und Unterbewertung der bisher wenig erforschten Rolle der Frauen im Widerstand nach und legt dar, wie sich die Tradierung der Erinnerung der Frauen im Verhältnis zur „Basiserzählung“ über den norwegischen Widerstand und die Geschichtspolitik verhalten hat. Es bleibt zu hoffen, dass das Buch ins Norwegische übersetzt und somit für ein breiteres norwegisches Publikum zugänglich gemacht wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. Eriksen, Anne, Det var noe annet under krigen [Während des Krieges war es anders], Oslo 1995; Dies., Historie. Minne og myte [Geschichte. Erinnerung und Mythos], Oslo 1999; Larsen, Stein Ugelvik (Hg.), I krigens kjølvann [Im Kielwasser des Krieges], Oslo 1999.
2 Schwarz, Gudrun, Die nationalsozialistischen Lager, Frankfurt am Main 1996.

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