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Titel
Olympia. Kult und Spiele in der Antike


Autor(en)
Günther, Rosmarie
Erschienen
Darmstadt 2004: Primus Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Udo Hartmann, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Olympischen Spiele in Athen haben auch ein verstärktes Interesse an der Geschichte des antiken Olympia hervorgerufen. Die Wissenschaftsverlage reagierten darauf mit einer Reihe von Publikationen.1 Die Mannheimer Althistorikerin Rosmarie Günther wendet sich mit ihrer Einführung zu Kult und Spielen im antiken Olympia an eine breitere Leserschicht. In knapper und prägnanter Form werden die wichtigsten Bauten, der Kult, die Spiele, die Sportarten, die Rolle der Sportler und die politischen Implikationen Olympias vorgestellt. Günther bleibt dabei immer nah an den Quellen: Der "Reiseleiter" Pausanias kommt in allen Kapiteln ausgiebig zu Wort, neue Abschnitte beginnen vielfach mit einem langen Zitat aus seiner Beschreibung Olympias. Günther orientiert sich zudem vielfach an der Struktur seines Textes. Die Autorin berücksichtigt die neuesten Ergebnisse der archäologischen Forschung und weist auf umstrittene Fragen hin. Einige Anmerkungen (S. 161-165) verweisen auf weiterführende Literatur und unterschiedliche Positionen in der Forschung. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der archaischen und der klassischen Zeit, doch werden auch einzelne Beispiele aus späteren Perioden angesprochen. Vergleiche zur Moderne verdeutlichen die Besonderheiten der antiken Spiele. Ein detaillierter und genauer Plan Olympias, auf dem die Bauten von der mykenischen Zeit bis in die Spätantike mit ihren Entstehungsdaten verzeichnet sind, veranschaulicht das Gesagte. Die Fülle der Details verwirrt indes ein wenig, hier wären wohl mehrere Karten mit dem jeweiligen Bauzustand der einzelnen Epochen sinnvoller gewesen. Auch vermisst man vielfach Detailgrundrisse besprochener Gebäude oder Anlagen sowie Rekonstruktionszeichnungen, so etwa beim Hera-Tempel oder beim Stadion. Die in schwarz-weiß gehaltenen Abbildungen sind nicht immer von guter Qualität. Das verspielte Layout der Seiten soll wohl die Übersichtlichkeit erhöhen, wirkt m.E. aber doch ein wenig überladen.

Im ersten Kapitel stellt Günther den "Reiseleiter Pausanias" (S. 9-15) vor, wobei seine große Bedeutung für das Verständnis der Ruinen Olympias betont wird. Sein Werk habe sich an Griechenlandreisende aus der Oberschicht gewandt, er habe damit "auch ein Stück Pionierarbeit für den Tourismus geleistet" (S. 15). Das "Reiseziel" ist Gegenstand des zweiten Kapitels (S. 17-42), in dem eine Vielzahl an Themen erörtert wird: die geografische Lage Olympias, die Ursprungsmythen, die Geschichte der Wettkämpfe, die einzelnen Sportarten, das Programm in Olympia und die Beamten der Spiele. Der Ursprung des Kultorts habe bei einer Erdspalte am Gaionhügel mit einem Orakel gelegen, dieses Orakel sei später an den Zeusaltar verlegt worden. In den Mythen zum Ursprung Olympias unterscheidet Günther eine mykenische Schicht um Pelops und Oinomaos, eine dorische Schicht um Herakles und schließlich eine elische Schicht mit den sagenhaften Königen von Elis, den Begründern der Spiele, eine Legendentradition aus der Feder des Hippias von Elis. Überzeugend streicht Günther die Geschichtsfälschung des Hippias heraus, der die elischen Ansprüche auf Olympia mit seinen Siegerlisten unterstreichen wollte. Hippias hätte hier aber genauer in den historischen Kontext eingeordnet werden können, zumindest wäre die Angabe seiner Lebenszeit notwendig gewesen. Problematisch ist es zudem, dass Günther zwar zu Recht Hippias' Siegerlisten kritisiert und den Beginn der Spiele im Jahr 776 v.Chr. für "verdächtig" (S. 26) hält, dann aber doch Hippias' Legenden über das frühe Olympia im 8. und 7. Jahrhundert v.Chr. kritiklos übernimmt: Dies betrifft sowohl den ersten Sieger im Stadion, Koroibos von Elis (S. 30), als auch die Daten für die Einführung der einzelnen Wettkämpfe, die auf Hippias zurückgehen.2 Die Angabe, die Athleten seien seit der 15. Olympiade nackt gerannt (S. 30), stammt ebenfalls aus diesen Siegerlisten und widerspricht der von Günther an späterer Stelle (S. 106) zitierten Passage aus Thukydides, es sei noch nicht viele Jahre her, dass man in Olympia ohne Schamgürtel kämpfe (1,6,5). Die Einführung der Nacktheit sollte daher wohl eher um 500 v.Chr. datiert werden.3

Sehr kurz gerät dann der Abriss zur Geschichte Olympias vom 3. Jahrtausend v.Chr. bis zum 5. Jahrhundert n.Chr. auf zwei Seiten (S. 26f.). Hier wäre in Anbetracht der Tatsache, dass in späteren Abschnitten immer wieder einzelne Episoden aus der archaischen und klassischen Periode (etwa aus dem Peloponnesischen Krieg), aber auch aus der hellenistischen und römischen Zeit erwähnt werden, ein breitere Darstellung besser gewesen. Diese hätte neben den Eckdaten auch die historischen Veränderungen skizzieren und vor allem die wichtigsten Bauten der einzelnen Epochen erwähnen können. Die Abfolge der Baugeschichte Olympias erschließt sich daher dem Leser im Folgenden nicht immer. Die einzelnen Sportarten, Laufen, Ringen, Pentathlon, Faustkampf, Pankration und die hippischen Agone, werden dann treffend charakterisiert. Den Ablauf des Pentathlon gibt Günther in der von Ebert vorgeschlagenen Reihenfolge: Diskuswurf, Weitsprung, Speerwurf, Lauf und Ringkampf (S. 34).4 Schließlich erläutert Günther noch die Aufgaben der Hellanodiken.

Der Kult in Olympia wird im dritten Kapitel thematisiert ("Rundgang durch das Heiligtum - die Altis", S. 43-114). Günther stellt hier zuerst den Zeuskult vor und beschreibt danach den Tempel, das Kultbild des Phidias und die Weihgeschenke für Zeus.5 Ausführlich werden die Darstellungen an Ost- und Westgiebel besprochen. Für die Mittelgruppe des Ostgiebels gibt Günther vier unterschiedliche Varianten der Rekonstruktion an, entscheidet sich aber für die mittlerweile weitgehend anerkannte: Zeus steht zwischen Oinomaos und der Böses ahnenden Sterope auf der rechten sowie Pelops und der nach dem Schleier greifenden Hippodameia auf der linken Seite. Während Günther für den Westgiebel eine Rekonstruktionszeichnung der ganzen Figurengruppe bringt, verzichtet sie darauf leider für den Ostgiebel. Dann widmet sie sich dem Pelopion, dem Zeusaltar und den übrigen Altären. In einem Einschub zu "Frauen im Heiligtum" betont sie, dass es lediglich verheirateten Frauen verboten war, das Heiligtum zu betreten (S. 63f.). Kurz erwähnt wird auch das Kultpersonal.

Sehr ausführlich untersucht Günther dann die Muttergöttinnen und den Herakult in Olympia. Der Hera-Tempel und seine Ausstattung werden ausgiebig vorgestellt. Die jüngst erneut von Sinn vertretene These, der Hera-Tempel sei der um 600 v.Chr. von den triphylischen Pisaten errichtete erste Zeus-Tempel, der nach der Weihung des neuen, elischen Zeus-Tempels zum Heiligtum der Hera umbenannt worden sei, wird von Günther ebenso abgelehnt wie die Überlegung, die Heräen, die Mädchenwettkämpfe, seien erst im Zuge dieser Umwandlung eingeführt worden.6 Günther streicht vielmehr die große Bedeutung der alten weiblichen Gottheiten Ge, Eileithyia und Demeter im frühen Olympia heraus, hier lägen die Ursprünge des Kultorts. Erst später, mit der Eroberung Olympias durch Elis, habe Zeus die Herrschaft im Heiligtum übernommen. Der heilige Hochzeitslauf der Demeter sei der eigentliche Ursprung der Olympischen Spiele: Damit lasse sich die besondere Bedeutung des Laufes im Festprogramm und die Teilnahme der Priesterin der Demeter Chamyne als einziger Frau im Stadion erklären. Unter der Herrschaft Pisas seien Hera und Zeus in Olympia gleichrangige Herren der Altis gewesen, der Jungfrauenlauf der Heräen habe die gleiche Bedeutung wie die Spiele der Männer gehabt, Hellanodiken seien den 16 Frauen der Hera gleichgestellt gewesen. Der Bau des Hera-Tempels um 600 v.Chr. durch die Triphylier habe in den Augen der Eleer aber die Gleichrangigkeit von Hera und Zeus, den sie besonders verehrten, gestört; sie hätten daher die Pisaten überfallen und Olympia um 580 v.Chr. unter ihre Kontrolle gebracht. Erst die elische Dominanz und der damit einhergehende Siegeszug des Zeuskults hätten die weiblichen Gottheiten und die Frauenläufe spätestens ab 472 v.Chr. an den Rand gedrängt. Diese ursprüngliche Gleichrangigkeit von Hera und Zeus und die große Bedeutung der Heräen wird von Günther allerdings mehr behauptet als belegt, Pausanias weiß davon nichts.

In "Geld regiert die olympische Welt?" (S. 95-101) werden die hohe Bedeutung des Olympiasieges unterstrichen, der Olympische Eid vorgestellt sowie die Zanes und die mit ihnen verbundenen Regelverstöße der Sportler besprochen. Betrug habe es letztlich in Olympia aber nur in seltenen Fällen gegeben. Den Abschluss dieses Kapitels bildet ein Abschnitt zu den Weihgeschenken in Olympia ("Weihgeschenke oder Wie erwirbt man internationale Reputation?", S. 102-114). Sie bieten für Günther einen Anknüpfungspunkt, um die Bedeutung einzelner Poleis für Olympia in archaischer und klassischer Zeit zu besprechen. Die Beziehungen Spartas, Großgriechenlands und Athens zu Olympia werden dabei vorgestellt, Fallbeispiele sind etwa die Konflikte zwischen Sparta und Elis im Peloponnesischen Krieg, das Monument der Messenier und Naupaktier mit der Nike des Paionios und die Zeusstatue der Griechen nach dem Sieg bei Plataiai.

Das vierte Kapitel ("Das profane Olympia", S. 115-142) widmet sich den Olympioniken und ihren Siegerstatuen, einigen besonders herausragenden Sportstars, dem Athener Alkibiades als Beispiel eines Politikers, der den Olympiasieg für seine politischen Ziele instrumentalisierte, und den Künstlern in Olympia, den Bronzebildnern, Dichtern und dem Historiker Herodot. Geistesgrößen, Philosophen und Rhetoren, kommen hier wohl ein wenig zu kurz. Warum im Kapitel zum profanen Olympia auch die Schatzhäuser, tempelartige Aufbewahrungsorte für Weihgeschenke, behandelt werden (S. 140-142), ist dem Rezensenten nicht einsichtig. In den letzten beiden kurzen Kapiteln erläutert Günther die "Sportstätten Olympias" (S. 143-152), das Stadion, das heute verlorene Hippodrom und das Gymnasion, sowie die "touristische Infrastruktur" (S. 153-160), die Versorgung der Besucher, die Unterkünfte, die Badeanlagen und das Nymphäum des Herodes Atticus. Ein Anhang (S. 161-175) mit Anmerkungen, wichtigen Literaturhinweisen7, einem Register und einem Bildnachweis beschließen den Band.

Günther hat eine gut lesbare Einführung zum antiken Olympia, zu den Kulten und den Spielen vorgelegt. Die Angaben beruhen durchweg auf neuestem Forschungsstand. Das Buch ermöglicht einen Überblick über die Thematik, liefert Anregungen zum Weiterlesen und kann andere Arbeiten, die sich stärker auf die Baugeschichte konzentrieren, hervorragend ergänzen. Zahlreiche Quellenzitate aus dem antiken "Baedeker" des Pausanias lockern den Stoff auf. Günthers in einer leicht verständlichen und anschaulichen Sprache verfasster Text bietet so eine kurzweilige Lektüre. Wer sich schnell und zuverlässig über Olympia informieren möchte, dem sei dieses Buch empfohlen.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Siebler, Michael, Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter, Stuttgart 2004; Sinn, Ulrich, Das antike Olympia. Götter, Spiel und Kunst, München 2004.
2 Vgl. Weiler, Ingomar; Ulf, Christoph, Der Sport bei den Völkern der Alten Welt. Eine Einführung, Darmstadt 1981, S. 110. Günther übernimmt die Daten aus Pausanias (S. 29ff.). Da die Siegerlisten mehrfach angesprochen werden, hätte ihre Edition in der Fassung des Iulius Africanus (in: Schoene, Alfred (Hg.), Eusebi chronicorum liber prior, 1875, S. 88ff.) ins Quellenverzeichnis aufgenommen werden können; ebenso Moretti, Luigi, Olympionikai. I vincitori negli antichi agoni olimpici, Roma 1957.
3 Vgl. dazu Weiler (wie Anm. 2), S. 199; Crowther, Nigel B., Athletic dress and nudity in Greek athletics, Eranos 80 (1982), S. 163-183 (nach den Perserkriegen); vgl. aber Golden, Mark, Sport and society in Ancient Greece, Cambridge 1998, S. 65f.
4 Zu den unterschiedlichen Theorien über den Ablauf vgl. Weiler (wie Anm. 2), S. 191f.
5 Die Inschrift der Kyniska zitiert Günther nach Drees; sie kam in der Form allerdings nicht bei Ausgrabungen "zu Tage" (S. 55). Die Kalksteinrundbasis aus Olympia bringt nur einen Teil des Epigramms (Inschriften von Olympia 160), vollständig ist es in der Anthologia Palatina (13,16) erhalten.
6 Vgl. z.B. Sinn (wie Anm. 1), S. 80ff.
7 Als grundlegende Literatur zu Olympia könnte noch ergänzt werden: Ebert, Joachim (Hg.), Olympia von den Anfängen bis zu Coubertin, Leipzig 1980; Finley, Moses I.; Pleket, Henri W., The olympic games. The first thousand years, London 1976 (deutsch: Die Olympischen Spiele der Antike, Tübingen 1976). Der RE-Artikel ist nicht nur von Wiesner verfasst (S. 169): Ziehen, Ludwig; Wiesner, J., Art. "Olympia", in: RE XVII 2 (1937), Sp. 2520-2536 und RE XVIII 1 (1939), Sp. 1-174.

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