P. Kaulicke: Memoria y muerte en el Peru antiguo

Cover
Titel
Memoria y muerte en el Peru antiguo.


Autor(en)
Kaulicke, Peter
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
$11.59
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Otto Danwerth, Museum für Völkerkunde Hamburg

Die spektakuläre Entdeckung des so genannten “Señor de Sipán“ hat Ende der 1980er-Jahre nicht nur in der Fachwelt für Furore gesorgt. Leider sind die wenigsten Grabfunde so umfassend dokumentiert wie dieses nordperuanische „Fürstengrab“ aus der Zeit der Mochica. Die Nordküste Perus ist eine der an archäologischen Stätten reichsten Regionen Amerikas, in der seit Max Uhle auch viele deutsche Archäologen aktiv gewesen sind.

Seit Beginn der 1980er-Jahre lehrt der in Bonn promovierte Archäologe Peter Kaulicke in Lima an der Pontificia Universidad Católica del Perú, in deren Verlag auch das hier besprochene Buch erschienen ist. Es sollte nicht als eine Einführung in die Archäologie der Anden gelesen werden. Ihre regionale Vielfalt und die zeitliche Abfolge der zahlreichen andinen Kulturen werden vorausgesetzt. 1 Ebenso wenig hält der Leser ein Werk „purer Archäologie“ in Händen, denn ethnohistorische und -linguistische Methoden ergänzen das Instrumentarium dieser Untersuchung, die quasi eine Zwischenbilanz nach Kaulickes 20-jähriger Arbeit in Peru darstellt. Unter dem großen Thema „Erinnerung und Tod im Alten Peru“ werden eigene Artikel eingearbeitet und mit neueren Studien in fünf Kapiteln präsentiert.

Im „Prolog“ erläutert der Autor seine Methodologie, mit der die Wahrnehmung von Tod, Zeit und Erinnerung in vorspanischer Zeit erforscht werden soll. Er geht aus von der „Gräberkunde“, die er um eine anthropologische Perspektive erweitern möchte. Denn der Tod ist nicht nur ein biologisches, sondern auch ein kulturelles Phänomen. Kaulicke betont zudem die Notwendigkeit einer exakten Chronologie und argumentiert vehement gegen eine indigenistische „Geschichts-Negation“, die ein Modell „des“ unveränderlichen „andinen Menschen“ propagiere. Seine methodische Herangehensweise auf der Suche nach einem sicheren chronologischen Rahmen konzentriert sich auf Gräberkontexte („contextos funerarios“), die sich aus mehreren Gründen anbieten: Hier zeigen sich die „Protagonisten“ der Bestattung neben den beigegebenen Objekten in einem geschlossenen Rahmen.

Im ersten Kapitel (S. 1-54) konzentriert sich Kaulicke bei seiner Untersuchung der Formen von Erinnerung und Tod auf inkaische Eliten in der Hauptstadt Cuzco. Dass die Erinnerung von fundamentaler Bedeutung für die Gesellschaft war, zeigt sich im Ahnenkult der verstorbenen Inkaherrscher. Der ritualisierte Tod des Herrschers erst machte diesen zu einem Ahnen. Für die Klärung des Begriffs „memoria“ zieht Kaulicke hauptsächlich die frühen Chronisten Cieza de León und Juan de Betanzos sowie die einschlägigen Wörterbücher der frühen Kolonialzeit heran. Andere wichtige zeitgenössische Autoren werden dagegen nur marginal (z.B. Polo de Ondegardo, S. 22) oder gar nicht berücksichtigt. An materiellen Zeugnissen der Erinnerung - schriftliche Zeugnisse aus der Zeit vor 1532 sind unbekannt - werden zunächst Quipus diskutiert. Diese Knotenschnüre hielten in der frühen Kolonialzeit sowohl Verwaltungsdaten als auch Informationen zur inkaischen Geschichte fest. Daneben finden Textil-Muster, orale Traditionen und inkaische Monumentalarchitektur Erwähnung.

Nach einer schematischen Auflistung der lexikalischen Bedeutungen von „Tod“ (auf Quechua und Aymara) werden die erwähnten chronistischen Quellen hinsichtlich des inkaischen Todes ausgewertet. Betanzos zufolge hatten die anlässlich des Todes von Inka Pachacuti durchgeführten Riten paradigmatischen Charakter, dem die späteren Inkas folgten. Mit dem Tod Viracochas habe die Erneuerung des inkaischen Ahnenkultes eingesetzt: Seither waren die verstorbenen Herrscher integraler Bestandteil des religiösen und politischen Lebens. Das Wort, mit dem sich frühe Chronisten auf die Repräsentationen des verstorbenen Inkaherrschers bezogen („bulto“) bezeichnete sowohl die mumifizierten Inkas als auch verschiedene Figuren, die ihn darstellten (S. 35-39). Daraus lässt sich aber nicht - wie Kaulicke es tut - ableiten, dass nur die Vertreter der Mumien in öffentlichen Ritualen präsent gewesen seien. Für das Verständnis der Dualität postmortaler Herrscher-Repräsentationen wäre die Analyse des Begriffs „guauqui“ (d. h. Bruder) sinnvoll gewesen.

Das inkaische Geschichtsverständnis ist nicht mit dem diachronistischen Konzept spanischer Historiografie des 16. Jahrhunderts in Einklang zu bringen. Statt diesem Gegensatz nachzugehen, vergleicht Kaulicke die inkaische Konzeption mit einer anderen „archetypischen Logik“: der ägyptischen aus der Zeit der Pharaonen. Hier seien ebenfalls zyklische mit linearen Konzepten verwoben gewesen. Am Ende des Kapitels werden Parallelen zwischen dem ägyptischen Pharao und dem Inka aufgezeigt. In diesem komparatistischen Exkurs kommt die ägyptologische Erinnerungs-Debatte allerdings ein wenig zu kurz. 2

Das zweite Kapitel (S. 55-101) stellt Kaulickes methodologische „Chronologie des Todes“ vor. Bei der Behandlung der inkaischen Chronologie wird das klassische Schema von J.H. Rowe zugrunde gelegt. Es fehlt in diesem Zusammenhang die Debatte um die inkaische Herrschaftsform. Denn ob es sich bei der Herrscher-Abfolge („capaccuna“) um eine Monarchie oder eine Dyarchie handelte, hat nicht nur Auswirkungen auf den chronologischen Rahmen, sondern auch auf das Geschichtsverständnis der Inka. 3

Der erste Versuch, eine archäologische Chronologie für die Anden zu erstellen, geht auf die Arbeiten Max Uhles am Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Von 1952 an studierte Rowe die Funde in amerikanischen Sammlungen, führte neue Grabungen durch und entwickelte die Methode der „Berkeley School“. Mittels gleicher und unterschiedlicher „features“ der Fundstücke ließen sich stilprägende „Phasen“ innerhalb von „Horizonten“ rekonstruieren. Die Interpretation dieser Phasen lasse Rückschlüsse auf kulturelle Prozesse zu. Aus seiner „absoluten Chronologie“ schloss Rowe, dass sich die inkaische Eroberung der Nordküste um 1470 ereignet habe.

Kaulicke ergänzt Rowes Methodologie um die Berücksichtigung des jeweiligen Grab-Kontexts. Nur so könnten zusammenhängende Sequenzen und somit gesicherte Chronologien erstellt werden. Der zentrale Begriff „contexto funerario“ bezeichnet ein Konzept, das sich aus folgenden Aspekten zusammensetzt: Grabstruktur, Behandlung des Individuums und „asociaciones“ (besonders Grabbeigaben).

Im dritten und längsten Kapitel (S. 103-246) wendet Kaulicke seine Methode auf die von der Mochica-Kultur beeinflussten Orte der peruanischen Nordküste an. Er diskutiert detailliert die jüngsten Erkenntnisse und versucht, über lokale Sequenzen zu einer „Mochica-Geschichte“ zu finden. Der Referenzautor zur archäologischen Chronologie dieser Region ist noch immer Rafael Larco Hoyle. Gestützt auf stilistische Untersuchungen von Keramiken hatte dieser peruanische Forscher 1948 drei Mochica-Perioden mit insgesamt fünf Phasen (I-V) unterschieden.

Kaulicke stellt zunächst lokale Sequenzen aus der Mochica-Region vor: von Piura im Norden bis zum südlichen Huarmey. Dann vergleicht er diese Abfolgen mit solchen aus dem gleichen Tal und aus anderen Tälern. Um die Geschichte der Mochica-Gesellschaft(en) zu rekonstruieren, geht Kaulicke von drei Phasen aus. Die Kenntnis über den Ursprung des Mochica-Stils hat sich seit Larcos Studien nicht wesentlich verbessert: man geht davon aus, dass verschiedene Stile wie Gallinazo oder Virú in die Mochica-Frühzeit (100 v. Chr. - 100 n. Chr.) hineinreichen. Auch der letzte Mochica-Stil koexistiert zeitlich mit verschiedenen Stilen des mittleren Horizonts, so dass kein abruptes Ende anzunehmen ist.

Viele Archäologen interpretieren elitäre Gräber-Kontexte, Monumentalarchitektur und urbane Zentren sowie die häufigen Kampfszenen auf Keramiken als Hinweise auf einen Mochica-Staat mit expansiven Zügen. Dagegen setzt Kaulicke die aus den einzelnen Tälern stammenden lokalen Sequenzen, die dieses Bild relativieren: Im Tal von Piura lassen sich interethnische Kontakte und eine Mochica-Elite neben anderen vermuten; der rege Warenaustausch in dieser dynamischen Zone widerspreche Eroberungstheorien. Ergebnisse aus anderen Tälern deuteten eher auf eine politische Fragmentierung als auf einen stark hierarchisierten Mochica-Staat mit aggressiven Eliten hin.

Leider fehlt hier der Raum, um die faktengesättigten Ausführungen - das Kapitel enthält immerhin 636 Endnoten - im Detail nachzeichnen zu können. Zusammenfassend soll nur so viel festgehalten werden. Kaulickes Überlegungen „hin zu einer Mochica-Geschichte“ (S. 239ff.) stellen eine originelle Kritik an dominierenden Forschungsmeinungen dar, doch bedürfen diese alternativen Deutungen der breiteren Bestätigung. Die synthetische Verdichtung einer Vielzahl von Studien ist verdienstvoll; sie führt aber bisweilen - wie Kaulicke zugibt - zu stilistischer Zähflüssigkeit. Leider findet der nicht-spezialisierte Leser keine Synopsen der chronologischen Sequenzen, keine guten Übersichtskarten und kein (Orts-)Register.

Im vierten Kapitel (S. 247-285) werden narrative Sequenzen auf Grabbeigaben der Mochica-Zeit analysiert. Kaulicke referiert zunächst die wichtigsten ikonografischen Studien von Mochica-Kunst. Auf dieser Art von Keramik findet sich bisweilen die Repräsentation von Toten als tanzenden, sexuell aktiven Skeletten oder als Menschenopfer. Daneben lassen sich anthropomorphe mythische Wesen erkennen, die sterben und offenbar wiedergeboren werden. Während Hocquenghem von verschiedenen rituellen Zyklen ausgeht, deren Ziel die (landwirtschaftliche) Regeneration sei, interessieren sich Lieske, Golte und Makowski mehr für die Rekonstruktion der Sequenzen und die Identifizierung der „Akteure“.

Kaulicke schlägt statt solch „politisch-ideologischer“ Interpretationen eine „thanatologische“ Deutung der Bilder-Zyklen vor. Zu diesem Zweck bringt er Objekte aus elitären Gräber-Kontexten (Sipán) mit ikonografischen Elementen auf Mochica-Keramik in Verbindung. Nach Kaulickes Deutung visualisieren die ikonografischen Sequenzen die Transformation in einen Ahnen: Danach identifiziert sich ein Toter mit den Göttern, stirbt wie sie, kämpft mit im Meer lebenden Monstern, bevor er zum Himmel auf einer Spinnen-Leiter aufsteigt. Wie Kaulicke zugibt (S. 284), bleibt diese Interpretation hypothetisch. Sie soll die Existenz einer Elite belegen, deren Macht auf ihrem göttlichen Status beruht; dieser wiederum werde durch die postmortale Ahn-Werdung erworben. Ein großes Problem besteht freilich darin, dass in Sipán keine Keramik mit solcher Ikonografie gefunden wurde.

Das letzte Kapitel (S. 287-321) skizziert in einer „tour d’horizon“ eine „Geschichte“ von Ahnen-Konzepten („ancestralidad“) in den vorspanischen Anden. Seit dem mittleren Archaicum, vor etwa 8.000 Jahren, sind erste Formen einer „Kulturisierung“ des Todes zu beobachten (Chinchorro, Ayacucho). Seither werden Verstorbene mittels einer Vielzahl von Techniken präpariert. Wann jedoch aus mumifizierten Toten „Ahnen“ wurden, kann nicht genau geklärt werden; in jedem Fall betraf diese Transformation nur ausgewählte Individuen. Kaulicke betont zu Recht den lokalen Charakter eines jeden Ahnen, der von einer konkreten Gesellschaft geschaffen wurde. Umso mehr verwundert, dass das andine Konzept des „ayllu“ nicht ausreichend diskutiert wird. Denn viele „ancestros“ sind ohne diese sozialen Einheiten gar nicht zu denken.

In einem abschließenden Abriss beschreibt Kaulicke die sich wandelnde Umgebung der Ahnen: von den als „chullpas“ bekannten Begräbnistürmen über die großen Gräberfelder von Ancón oder Pachacamac und die Höhlen-Gräber von Chachapoyas bis zu den Grab-Plattformen der Nordküste. Der eigentliche Ahnenkult ist dagegen schwerer zu fassen. Vom späten Archaicum an tauchen immer mehr „Zentren“ auf, mit denen Ahnen identifiziert werden. Dabei wird die Ahnwerdung nicht mehr körperlich, sondern vor allem über schmückende Objekte ausgedrückt. Gegen Ende des Formativum kommt es bei der Ahnwerdung immer häufiger zu einer Identifikation mit Gottheiten. Während des mittleren Horizonts wird der Ahnenkult komplizierter und findet in großen architektonischen Komplexen mit zahlreichen Opfern statt (z. B. Chan Chan). Der Leichnam des Ahnen wird nun von einem „Bündel“ umhüllt, das eine Maske trägt. Kaulicke vermutet, dass die inkaischen „bultos“ ähnlich ausgesehen haben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Peter Kaulicke in diesem Buch über das komplexe Verhältnis von Erinnerung und Tod neben der Darstellung seiner Methodologie zwei zeitlich-regionale Schwerpunkte setzt: das Cuzco der Inkazeit und besonders die peruanische Nordküste zur Mochica-Zeit. Es handelt sich also nicht um eine Gesamtdarstellung der andinen Archäologie unter thanatologischen Gesichtspunkten, wie der Titel vermuten ließe. Gleichwohl hat Kaulicke die große Bedeutung des Todes in vorspanischer Zeit herausgearbeitet, und zwar auf eine die Archäologie „historisierende“ Weise. Er hat aufgezeigt, dass sich die Untersuchung materialisierter Erinnerung, in denen sich Ahnen verkörpern, durch die Erstellung von Sequenzen und ein systematisches Studium von Gräber-Befunden präzisieren lässt.

Wertvoll wird die argumentationsstarke Arbeit über die pointierten, bisweilen aber hypothetischen Interpretationen hinaus durch ihre materialreiche Synthese oft schwer zugänglicher Studien und die souveräne Diskussion der Forschungsliteratur. Sie ist in flüssigem Spanisch verfasst, so dass ihr in der einschlägigen „comunidad científica“ eine hohe Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. An der Sprachbarriere nämlich scheitert(e) die Rezeption so manch innovativer deutschsprachiger Studie zur lateinamerikanischen Archäologie und Geschichte.

Anmerkungen:
1 Kaulicke benutzt, ohne dies eigens zu erwähnen, folgendes Schema: Archaische Zeit (10000-1500 v. Chr.), formative Zeit (1500-200 v. Chr.), frühe Zwischenzeit (200 v. Chr.-600 n. Chr.), Mittlerer Horizont (600-1000), späte Zwischenzeit (1000-1400) und später Horizont (1400-1532). Vgl. Kaulicke, Peter, „La muerte en el Antiguo Perú. Contextos y conceptos funerarios: una introducción”, in: Boletín de Arqueología PUCP (Lima), (1997)1, S. 7-54, hier S. 28.
2 Vgl. unter anderem Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Außerdem wäre für den andinen Kontext folgende historisch-anthropologische Arbeit einschlägig gewesen: Abercrombie, Thomas, Pathways of Memory and Power. Ethnography and History among an Andean People, Madison 1998.
3 Vgl. Duviols, Pierre, “Algunas reflexiones acerca de la tesis de la estructura dual del poder incaico”, in: Histórica (Lima) 4(1980)2, S. 183-196.

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