C. Schank: Das katholische Milieu in Köln

Cover
Titel
'Kölsch-katholisch'. Das katholische Milieu in Köln 1871-1933


Autor(en)
Schank, Christoph
Reihe
Kölner Veröffentlichungen zur Religions-Geschichte 34
Erschienen
Köln 2004: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
494 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hirschfeld, Institut für Geschichte und Historische Landesforschung, Hochschule Vechta

“Wie in einem fernen Land”, so lautet die Überschrift, unter welche Martin Stankowski sein Geleitwort (S. IX-XI) für diese Studie gestellt hat. Damit klingt bereits als Grundtenor die Darstellung einer fast schon ins Reich des Märchenhaften gehörenden Welt des Katholizismus an, in die Christoph Schanks Buch entführen soll. Diesem Anspruch, die nahezu geschlossen katholische Lebenswelt in einer Großstadt zwischen Reichsgründung und „Machtergreifung“ zu einem Mythos auszugestalten, bleibt der Verfasser dann auch treu. Um es schon gleich vorwegzunehmen: Schank memoriert zum einen in weiten Teilen Handbuchwissen über katholisches Glaubens- und Gemeinschaftsleben und lässt dabei zum anderen weitgehend offen, was denn nun eigentlich spezifisch „kölsch-katholisch“ ist.

Dabei liegt der Kölner Dissertation eine solide Konzeption zugrunde: Eingangs erläutert Schank unter Rückgriff auf die aktuelle Forschungslage zum katholischen Milieu seine Intention, in Anlehnung an die Ergebnisse seines akademischen Lehrers Michael Klöcker sowie des Münsteraner Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte (AKKZG) das Kölner katholische Leben von der Basis aus zu rekonstruieren (vgl. S. 4ff.). Der weitere Aufbau der Arbeit, der über Seelsorgestrukturen (S. 19-99) und Seelsorgemittel (S. 100-131) die Schneise zur religiösen Lebenswelt (S. 132-185) sowie zur religiösen Erziehung und Bildung und zum Vereinswesen (S. 186-209 bzw. 210-291) schlägt, lässt durchaus methodisches Geschick erahnen. Sinnvollerweise greift Schank anschließend das Verhältnis zu anderen religiösen Gemeinschaften und politischen Gruppen (S. 292-324) und nicht zuletzt Mischehen und Karneval als vordringliche Aspekte der Konfrontation von Kirche und Gesellschaft auf, um über die Behandlung pfarreiinterner Konfliktfälle zu einem breit angelegten Resümee (S. 353-372) zu gelangen. Ausdrucksstarke Fotografien und ein mehr als 50 Seiten umfassender Statistikteil sowie ein Dokumentenanhang runden den Band ab und verstärken den auf den ersten Blick guten Eindruck.

Im Kontext des in der Katholizismusforschung der vergangenen Jahre immer wieder geäußerten Postulats nach Milieustudien auf der Mikroebene 1 bieten Aufbau und Gestalt somit alle Chancen für ergebnisreiche Einblicke in das katholische Milieu auf der Mikroebene von gut zwei Dutzend Kölner Innenstadtpfarreien, zumal auch ein reichhaltiger Fundus von Generalvikariats- und Pfarrarchivakten aus dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln herangezogen werden konnte.

Leider versteht es Schank kaum, diese Chancen für sein Thema gewinnbringend zu nutzen. Unbestritten ist ihm zwar ein repräsentativer Querschnitt aller sozialen Schichten innerhalb des urbanen katholischen Milieus – vom Adeligen mit Zweitwohnsitz in der Großstadt über den Beamten bis hin zum Arbeiter – gelungen. Jedoch leiden fast alle Kapitel der Dissertation an Schanks Manie, den Leser mit Allgemeinplätzen zu langweilen. Sich darüber zu verbreiten, dass Ostern „seit Papst Leo I. das höchste Fest der christlichen Kirche“ (S. 140) sei oder über die Stellung der Frau im Untersuchungszeitraum gar zu resümieren, dass Mädchen damals nicht Messdiener werden konnten (vgl. S. 355), erscheint in einem wissenschaftlichen Beitrag zur Katholizismusforschung nun wirklich überflüssig, und ähnliche Beispiele ließen sich noch zahlreich anführen. Dass beispielsweise die Pfarrer an der Ausschmückung ihrer Kirchen interessiert sind (vgl. S. 35), leuchtet selbst einem mit kirchlichen Strukturen nicht mehr ohne weiteres vertrauten Leser des 21. Jahrhunderts ein. Leider durchzieht diese rein deskriptive Ebene große Teile des Bandes und evoziert zudem den Eindruck, als sei das katholische Milieu im gesamten Zeitraum von 1871 bis 1933 ein monolithischer Block gewesen, der kaum Veränderungen unterlag. Stattdessen hätte Schank gut daran getan, seine Darstellung stärker in die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit einzubetten und Zäsuren – wie etwa den Übergang von der Monarchie zur Republik nach dem Ersten Weltkrieg – zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund hätten sich möglicherweise die in der vorliegenden Monografie blass bleibenden Konturen des Kölner Katholizismus dezidierter abgehoben. Was Schank beispielsweise über Herrgottswinkel, Maialtärchen (vgl. S. 132) oder auch über die Borromäusbibliotheken (vgl. S. 259ff.) berichtet, ist beliebig austauschbar und könnte auch auf jede andere katholische Region des Deutschen Reiches zutreffen. Von der Anlage her hätte eine vergleichende Studie wohl den Rahmen einer solchen Arbeit gesprengt. Dennoch wäre Schank gut beraten gewesen, wenn er zumindest ansatzweise den spezifischen Stellenwert des Kölner respektive rheinischen Katholizismus in Abgrenzung etwa zum westfälischen, oberschlesischen oder bayerischen Katholizismus herausgearbeitet hätte. Wäre nicht dem Karneval ein eigener Abschnitt gewidmet, so ließe sich für Köln in dieser Untersuchung beinahe beliebig der Name anderer katholischer deutscher Großstädte wie München oder Düsseldorf einsetzen. Mit Erstaunen wird man auch die marginale Berücksichtigung des politischen Katholizismus (S. 272-274) zur Kenntnis nehmen, zumal er doch gerade in Köln überregional bedeutsame Exponenten, wie etwa Konrad Adenauer, hervorgebracht hat.

Wenig glücklich wirkt zudem die Einbeziehung der „oral history“, in die quellengesättigte Studie. Die Aussagen von 15 Interviewpartnern unterbrechen nicht nur immer wieder den Lesefluss, sondern sind auch vor allem hinsichtlich ihrer Repräsentativität für das katholische Milieu einer Großstadt in Frage zu stellen. Zudem machen die Geburtsjahrgänge der Zeitzeugen (1908-1923) deutlich, dass sie ebenso wenig wie weitere 40 schriftlich befragte Personen lediglich den Erfahrungsraum der Weimarer Republik, nicht aber den des Kaiserreiches, abdecken.

Angesichts dieser Monita legt man Schanks Dissertation mit dem Ausdruck des Bedauerns aus der Hand, ein zwar konzentriert formuliertes und stringent aufgebautes Werk gelesen zu haben, welches der Katholizismusforschung jedoch kaum nachhaltige Impulse zu verleihen vermag. Angesichts des erheblichen Erkenntnisgewinns, den Mikrostudien zum katholischen Milieu leisten können 2, erscheint es doppelt schade, dass Schank das ihm offerierte Potenzial großteils verschenkt hat und wenn auch nicht das kirchliche Leben der Katholiken in Kaiserreich und Weimarer Republik, so doch dessen eigentlich zu fokussierende lokale Ebene letztlich nebulös „wie in einem fernen Land“ bleibt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Klöcker, Michael, Das katholische Milieu. Grundüberlegungen – in besonderer Hinsicht auf das Deutsche Kaiserreich von 1871, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 44 (1992), S. 241-262.
2 Vgl. z.B. die bahnbrechende Arbeit von Rauh-Kühne, Cornelia, Katholisches Milieu und Kleinstadtgesellschaft. Ettlingen 1918-1939, Sigmaringen 1991.

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