C. Hecht: Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer Republik

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Titel
Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer Republik.


Autor(en)
Hecht, Cornelia
Reihe
Politik- und Gesellschaftsgeschichte 62
Erschienen
Anzahl Seiten
427 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carsten Dams, Dokumentations- und Forschungsstelle für Polizei- und Verwaltungsgeschichte, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW

In den vergangenen Jahren hat die Forschung zum Antisemitismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zahlreiche neue Impulse erhalten. Zu nennen sind hier die Studien von Nonn und Walser Smiths über einen vermeintlichen jüdischen Ritualmord im westpreußischen Konitz im Jahr 1900 oder die Untersuchung von Bajohr zum Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert.1 Diese Studien belegen erneut, wie tief verwurzelt der Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs war. In der Weimarer Republik nahmen dann die antisemitischen Gewalttaten zu. Mit diesem Aspekt hat sich Walter befasst.2

Die Studie von Hecht, eine preisgekrönte Tübinger Dissertation von 2001, untersucht hingegen nicht Bedingungen oder Formen des Antisemitismus, sondern geht der Frage nach, wie die deutschen Juden auf den Antisemitismus reagiert haben. Trotz einer Vielzahl von Studien zum Antisemitismus wurde dieser Aspekt bisher vernachlässigt und nicht systematisch analysiert. Dies liegt zum Teil daran, dass die Weimarer Republik lange Zeit als die goldene Ära der deutsch-jüdischen Symbiose galt. Hecht macht jedoch bereits in ihrer Einleitung deutlich, dass dieses Bild einer verzerrten Wahrnehmung entspricht. Ebenso darf man jedoch nicht der Versuchung erliegen, die Zeit der Weimarer Republik als bloße Vorgeschichte des Holocaust zu interpretieren. Es waren die „Widersprüchlichkeiten [...], die deutsch-jüdisches Leben in der Weimarer Republik prägten“ (S. 8). Festhalten lässt sich: Der Antisemitismus erfuhr eine qualitative Wandlung und beeinflusste in den verschiedenen Formen den Alltag der deutschen Juden. Die Wahrnehmung diesen Wandels durch die deutschen Juden untersucht Hecht hauptsächlich anhand einer Reihe ausgewählter Zeitungen des deutschen Judentums. Durch eine gezielte Auswahl versucht Hecht die unterschiedlichen religiösen und politischen Einstellungen des deutschen Judentums angemessen zu berücksichtigen. Anzumerken ist, dass Hecht auf eine Analyse der liberalen Tagespresse verzichtet hat. Gerade aber das Berliner Tageblatt und die Frankfurter Zeitung waren die Zeitungen, die vom großstädtischen deutsch-jüdischen Bürgertum gelesen wurden, was von Hecht nicht verschwiegen wird (S. 390).

In fünf Kapiteln, die weitgehend chronologisch aufgebaut sind, geht Hecht ihrer Fragestellung nach. Das erste ist angemessen knapp und behandelt die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg. Trotz der Emanzipation der Juden durch die preußischen Reformen gehörte die Judenfeindschaft zum Alltagsleben der meisten deutschen Juden. Im zweiten Teil widmet sich Hecht dem Ersten Weltkrieg und der Frühphase der Weimarer Republik, die sie treffend als „Wendezeit“ beschreibt. Insbesondere die so genannte Judenzählung des Jahres 1916 zeigt, dass der viel beschworene Geist von 1914 längst verflogen war. In der Revolution von 1918/19 äußerte sich der Antisemitismus geradezu in einer Welle und „war wider Erwarten zu einem politischen Faktor ersten Ranges geworden.“ (S. 97)

Der dritte Hauptteil stellt den Kern des Buches dar. Hier analysiert Hecht den Antisemitismus im Alltag der deutschen Juden. Sie unterscheidet hierbei zwischen dem gewaltsamen, dem gesellschaftlichen und dem wirtschaftlichen Antisemitismus, wobei sie der Analyse der Wirkung des gewaltsamen Antisemitismus den größten Platz einräumt. In der Frühphase der Weimarer Republik nahmen die Übergriffe gegen Juden zu. Pogromartige Ausschreitungen fanden jedoch nicht statt. Im Krisenjahr 1923 kam es dann zu mehreren Pogromen, die im oberschlesischen Beuthen im Oktober ihren Anfang nahmen. In der deutsch-jüdischen Presse wurden diese Gewaltexzesse mit großer Bestürzung wahrgenommen. Die Jüdische Rundschau sprach von der „Schicksalsstunde des deutschen Judentums.“ (S. 180) Allerdings lehnten nationaldeutsche Juden diese Sichtweise entschieden ab. Auch an dieser Stelle macht Hecht deutlich, dass es sich bei den deutschen Juden der Weimarer Republik nicht um einen einheitlichen Block handelte.

Im Zeitraum zwischen 1924 und 1929, die gerne als die stabile Phase der Weimarer Republik gesehen wird, vermittelt die Analyse der deutsch-jüdischen Presse nicht den Eindruck, der Antisemitismus sei rückläufig gewesen. Man war durch die Ereignisse des Jahres 1923 sensibilisiert. Mit umso größerer Bestürzung wurde dann das Wahlergebnis der NSDAP bei den Reichstagswahlen im September 1930 zur Kenntnis genommen, schließlich hatten 6 ½ Millionen Deutsche eine dezidiert antisemitische Partei gewählt. Die Judenfeindschaft der Nationalsozialisten zeigte sich in vielen einzelnen Aktionen. Ausführlich analysiert Hecht die Wirkung des Kurfürstendammkrawalls vom September 1931, der in der deutsch-jüdischen Presse einen breiten Raum einnahm. Zwar waren sich alle Strömungen des deutschen Judentums in der Verurteilung des Antisemitismus einig, aber in der Wahrnehmung und Deutung gab es gravierende Unterschiede, z.B. zwischen Zionisten und Nichtzionisten. Diese blieben bis zum Ende der Weimarer Republik bestehen.

Doch es waren nicht nur die Gewaltexzesse unter denen die deutschen Juden zu leiden hatten. Zwar waren sie juristisch gleichgestellt, aber faktisch gab es eine zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden. Hierbei sind regionale Unterschiede zu beachten. Ebenso war es von Bedeutung, ob man in einer Großstadt, einer Kleinstadt oder auf dem Lande wohnte. In der Kleinstadt und auf dem Lande wurde der Antisemitismus offenbar deutlicher wahrgenommen. Dieser gesellschaftliche Antisemitismus wurde ebenso verstärkt in der deutsch-jüdischen Presse Beachtung geschenkt, wie dem wirtschaftlichen Antisemitismus und den Friedhofsschändungen, die seit Mitte der 20er-Jahre an Häufigkeit zunahmen.

Alles in allem hat Hecht eine lesenswerte und anregende Studie vorgelegt, die unsere Kenntnis über die Wahrnehmung des Antisemitismus durch die deutschen Juden in der Weimarer Republik beträchtlich erweitert. Kritisch wäre anzumerken, dass der Abschnitt über jüdische Verhaltensnormen den Charakter eines Exkurses hat (S. 345-367). Die Frage, warum viele Juden den Antisemitismus anscheinend nicht oder kaum wahrnahmen, wird zwar thematisiert, aber nicht abschließend beantwortet (S. 376-391). Doch dies wäre wohl ein Thema für eine eigene Untersuchung und kann von Hecht nicht geleistet werden. So überwiegt nach der Lektüre eindeutig das Positive.

Anmerkungen:
1 Nonn, Christoph, Eine Stadt sucht einen Mörder. Gerücht, Gewalt und Antisemitismus im Kaiserreich, Göttingen; Walser Smiths, Helmut, Die Geschichte des Schlachters. Mord und Antisemitismus in einer deutschen Kleinstadt, Göttingen 2002; Bajohr, Frank, „Unser Hotel ist judenfrei“. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002.
2 Walter, Dirk, Antisemitische Kriminalität und Gewalt. Judenfeindschaft in der Weimarer Republik, Bonn 1999.

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