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Titel
Colonialist Photography. Imag(in)ing Race and Place


Autor(en)
Hight, Eleanor M.; Sampson, Gary D.
Reihe
Documenting Theimage 9
Erschienen
London 2002: Routledge
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
£65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angela Schwarz, Fach Geschichte, Universität Duisburg-Essen

Längst ist die Fotografie als ein vielschichtiges Medium erkannt, das nicht bloß Abbild, nicht bloß Wiedergabe einer vorübergehend existierenden Realität bietet. In jedem Bild steckt ein komplexer Diskurs, der eine Verbindung herstellt zwischen den dargestellten Personen und/oder Objekten, dem Produzenten (und Auftraggeber) und den Konsumenten bzw. Betrachtern. Für alle drei Gruppen, obschon nicht für jede in gleichem Umfang, lässt sich aus einem Foto bzw. seiner Rezeption etwas erfahren, über Ansichten, Motive, Bilder. Je komplexer der jeweilige Zusammenhang, um so mehr fasziniert das Bemühen, die verschiedenen Ebenen des Diskurses und seine Elemente zu entschlüsseln.

Zu den facettenreichsten dieser Zusammenhänge zählt zweifellos die Zeit der Kolonialherrschaft der Europäer und US-Amerikaner über die Völker Afrikas, Asiens und des Pazifischen Raums. Nach Erfindung der Fotografie wurde sie festgehalten in einer unüberschaubaren Flut von fotografischen Ablichtungen der außereuropäischen Landschaften und ihrer Bewohner oder genauer des Bildes, das sich die Fotografen von ihnen machen wollten oder schon hatten und vertieften. Seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts befassen sich vermehrt die Kunstgeschichte, Fotografiegeschichte und die Geschichtswissenschaft mit diesem Material, doch warten noch immer viele der erhaltenen Fotos darauf, das ihre Botschaften mit Hilfe von Ansätzen verschiedener Disziplinen in differenzierter Weise freigelegt werden. Dieser Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag dazu, indem er weniger bekannte Themen, weniger bekannte Fotos bekannter Fotografen, weniger bekannte Dokumentationsprojekte mittels Fotografie und, besonders bemerkenswert, zumindest in zwei Beiträgen eingehender zugleich die zeitgenössischen Rezipienten in den Blick nimmt. Er zeigt neue Aspekte auf, stellt die Bedeutung vertrauter Aspekte heraus, die nun mit neuen Augen gesehen werden können, und stellt Blickachsen wieder her, die lange Zeit verstellt waren. Mit anderen Worten: Seine Lektüre schult den Blick für die Bedeutungsebenen kolonialer Fotografie.

Ursprünglich ein Sektionsthema auf der Konferenz der Annual Art College Association in Toronto 1998 mündete der Versuch, die Fotografie in den Kontext der Etablierung und Stützung des Kolonialismus zwischen 1840 und 1940 einzuordnen, rasch in ein umfangreicheres Unternehmen. Die vier Vorträge der Sektion wurden folglich für den Band nicht nur erweitert, sondern um weitere acht Beiträge ergänzt. Jeder Abschnitt konzentriert sich auf eine Reihe von Fotografien bestimmter Europäer und/oder US-Amerikaner, die einzelne Orte und Episoden kolonialer Geschichte auf diese Weise bewahrten, um aus ihnen die Entstehung und Vermittlung von Elementen einer kolonialen Ideologie und Kultur abzulesen.

Das fotografische Dokumentationsprojekt „The People of India“ aus den späten 60er und frühen 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts (Kapitel 4) bietet in diesem Rahmen ein anschauliches Beispiel für den Konnex von Wissenschaft und Herrschaftsausübung bzw. –stabilisierung. Demgegenüber tritt in der Analyse einer Gruppe von bislang weniger beachteten Fotos Samuel Bournes von Barrackpore Park in der Nähe von Kalkutta mehr das kommerzielle Motiv, ein am Schönheitsempfinden der Adressaten orientierte Vorgehen hervor (Kapitel 5). Denn Bourne, ein professioneller Fotograf außerhalb von Verwaltung und Wissenschaft, verstand es ausgezeichnet, in diesen Bildern sowohl dem Bedürfnis nach Exotik als auch dem nach vertrauten, stabilisierenden Elementen, etwa im Blick auf großartige Architektur oder auf eine gestaltete Natur in der Tradition des Pittoresken aus dem 18. Jahrhundert, zu entsprechen. Das potentiell Bedrohliche wurde durch die Anpassung an den europäischen Geschmack gezähmt. Der Analogieschluss zur Kolonie und ihren Bewohnern lag darin angelegt. Die Betrachter der Fotos hatten viel mit den Touristen und ihrem Blick auf die Fremde gemein. Sie stehen im Mittelpunkt eines späteren Abschnitts, der die fotografische Produktion der ersten kommerziellen Kreuzfahrten im Südpazifik ab 1884 untersucht (Kapitel 9). Der fotografierende Tourist erscheint hier in erster Linie als mächtiger Vertreter kolonialer Herrscher, der sich als Entdecker unberührter Regionen fühlt. Die Technik (Kamera) stützte das Gefühl der Überlegenheit.

Auf den ersten Blick ungewöhnlich muten die Ausführungen über Fotos an, mit denen Anthropologen außereuropäische Soldaten während des Ersten Weltkrieges in deutschen Kriegsgefangenenlagern erfassten (Kapitel 11). Der Ort ist ein anderer als der sonst übliche, nicht die für den Europäer räumlich und kulturell weit entfernte Welt der überseeischen Kolonien. Und doch kommt auch in diesen Fotos das gleiche Bemühen zum Ausdruck, Differenz herauszustellen, mit Hilfe der Fotografie Überlegenheit zu demonstrieren. Dabei beschränkt sich das Bild des Fremden auf die negativen Züge. Der Fremde erscheint als Feind, Projektionsfläche von europäischen – im geschilderten Fall bedeutet das deutschen – Ängsten und Gefühlen des Abscheus vor dem anderen. Obschon nicht Thema des Beitrags wäre es interessant zu erfahren, ob und inwieweit es zeitgleich Vergleichbares in Fotografien französischer, belgischer oder britischer Fotografen gab. Die Ausweitung in ein weiteres Medium erfolgt in den Ausführungen über Germaine Krulls Arbeit in Französisch-Äquatorialafrika während des Zweiten Weltkriegs, die sich sowohl in Fotografien als auch in Filmmaterial niederschlug (Kapitel 12). Foto und Film bringen gleichermaßen die Problematik des dokumentarischen Ethos zu Bewusstsein, das von Krull überdehnt wurde, um den Anforderungen der Kriegsmobilisierung zu dienen.

Die Herausgeber verzichteten darauf, alle Beiträge in ein homogenes theoretisches Korsett zu zwängen. Manche mögen kritisieren, es sei als Bindeglied für den Sammelband nicht ausreichend, die Art und Weise zu rekonstruieren, wie sich kulturelle Einstellungen, darunter ethnische Vorurteile, in einzelne Fotografien einschrieben. Die Beiträge und ihre Ergebnisse belegen dagegen, was durch diese Freiheit in der Perspektivwahl möglich wird: Der Blick der Leserschaft ist nun geschärft, vielleicht nicht, um alle, aber doch um viele Facetten einer Fotografie mit kolonialem Hintergrund wahrzunehmen und kritisch zu betrachten. Eine, die ausgeblendet war, weil sie nicht zum Erkenntnisinteresse zählte, liegt in den „Gegenbildern“, den Fotografien der Beherrschten von ihren Land und den Vertretern der Kolonialmacht – zweifellos ein Thema für einen künftigen Band.

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