U. Oppelt: Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg

Cover
Titel
Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Propaganda als Medienrealität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm


Autor(en)
Oppelt, Ulrike
Reihe
Beiträge zur Kommunikunikationsgeschichte 10
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
408 S., 1 CD-ROM
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Stiasny, Akademischer Senat, Humboldt-Universität zu Berlin

Kein anderes Ereignis hat die Geschichte des Mediums Film, seiner Technik und Ästhetik, Vermarktung, Indienstnahme und Rezeption so nachhaltig geprägt wie der Erste Weltkrieg. Das Medium Film wiederum hat – organisiert und massenhaft eingesetzt - dazu beigetragen, den Ersten Weltkrieg zu einem neuartigen und beinahe total geführten Krieg zu machen und als einen solchen in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern. Damals fand jene bereits von Zeitgenossen diagnostizierte umfassende „Mobilmachung des Bildes“ statt, die seither anhält. 1 Gleichwohl ist das prekäre Verhältnis zwischen Weltkrieg und Kino mit Blick auf Deutschland nur ausschnitthaft erforscht worden. 2 Grund dafür ist neben einer gewissen methodischen Scheu deutscher Historiker gegenüber dem Film auch eine anscheinend ziemlich miserable Quellenüberlieferung. Dass sich Ulrike Oppelt in ihrer Berliner Dissertation dem Thema Film und Propaganda 1914-1918 dennoch zuwendet, weckt Hoffnungen und gespanntes Interesse. Umso bedauerlicher ist ihr Scheitern.

Zwei Thesen leiten Ulrike Oppelt: Erstens sei durch den Weltkrieg die Ausbildung des „propagandistischen Dokumentarfilms“ gefördert worden, und zweitens sei der Film „nicht konsequent dazu genutzt [worden], um der deutschen Bevölkerung propagandistisch die ‚Richtigkeit’ der Regierungspolitik zu vermitteln“. Die Filme hätten, selbst da, wo eine Authentizität angestrebt worden sei, die „Kriegsrealität [...] fast ausnahmslos verschleiert“ und in ihrer Gestaltung „eine gezielte politische Beeinflussung des Publikums nur in Ansätzen erkennen“ (S.29) lassen. Bei Propaganda handle es sich dabei um „keine rational argumentierende Kommunikationstechnik“ (S.28); Propaganda ziele lediglich darauf, „eine kollektive, homogene Ausrichtung des Bewusstseins des Rezipienten durchzusetzen“ (ebd.).

Zunächst spannt Oppelt auf den ersten 200 Seiten einen weiten Bogen von der Frühgeschichte des Films, den Theoriedebatten über den Dokumentarfilm, der Kriegsdarstellung im Film vor 1914, der institutionellen und produktionstechnischen Organisation der Filmpropaganda im Krieg, dem Einsatz von Stars für die nationale Sache bis hin zu Fragen der Aufnahmetechnik, Regie und Montage (Kap. 1-5). Über lange Strecken referiert die Autorin hier die insgesamt magere und auf relativ wenige Felder beschränkte Forschungsliteratur, deren Ergebnisse sie stellenweise durch eigene Archivrecherchen ergänzt. Dieser Teil richtet sich offenbar vor allem an Leser, die sich für filmwissenschaftliche Fragestellungen im Allgemeinen und die Geschichte des frühen Films im Speziellen bislang nicht interessierten.

Im anschließenden 150-seitigen Hauptteil über die filmische „Darstellung und Wahrnehmung des Kriegsgeschehens“ unterzieht Oppelt 33 deutsche und zwei britische dokumentarische Filme, die sämtlich im Bundesarchiv-Filmarchiv (Berlin) liegen und zwischen fünf und 50 Minten lang sind, einer „interdisziplinären Filmanalyse auf der Grundlage von Filmtranskriptionen“. Bei den deutschen Filmen handelt es sich fast ausnahmslos um Filme aus der Produktion des Bild- und Filmamtes (BUFA) aus der Zeit ab 1916. Die nach Kriegsbeginn massenhaft hergestellten und in nicht geringer Anzahl überlieferten Kriegswochenschauen der Firmen Messter und Eiko bleiben dagegen ausgeklammert, so dass das Untersuchungskorpus eine Schieflage aufweist.

In tabellarischer Form zerlegt Oppelt die Filme nach Stichworten wie Intention, Aktualität und Relevanz für das Publikum und Filmästhetik. Zusätzlich ordnet Oppelt die Filme nach Gattungszugehörigkeit (Aktualitätenfilm, Dokumentarfilm, Lehrfilm, Werbefilm) und Themengruppen (Front und Heimat, Waffengattung, Invalidenversorgung, Auslandspropaganda). Jeweils im Anschluss an die Tabellen zu den Filmen, die vor allem Erläuterungen zu den Zwischentiteln liefern, stellt Oppelt den historischen Filminformationen jüngere Kontextinformationen aus der Forschungsliteratur gegenüber. Dieses kontrastierende Verfahren mit dem Verzicht auf herkömmliche Interpretationen soll die propagandistischen Verzerrungen als Teil einer neuen, gelenkten „Medienrealität“ enthüllen. Fragen nach der Konstruktion von Wirklichkeit im Spannungsfeld von propagandistischer Absicht und Authentizitätsanspruch, technischen Beschränkungen und sich wandelnden dramaturgischen Konzepten stehen hier im Zentrum.

Der Vergleich deutscher Filme mit dem britischen Film „The Battle of the Somme“ (1916), der den Anspruch auf dokumentarische Wahrheit mit Schockeffekten und einer narrativen Strategie verbindet, macht dabei einerseits dessen Vorbildfunktion deutlich. Andererseits zeigt er, dass die hohen Erwartungen an die deutschen Propagandaanstrengungen enttäuscht wurden. Oppelt resümiert: „Da der Krieg länger dauerte als erwartet, [sic] und die Ententefilme in ihrer propagandistischen Verhetzung immer aggressiver wurden, war die Schaffung einer deutschen Filmpropaganda nicht mehr zu umgehen. Dies geschah jedoch zu spät, denn als 1917 die oberste Heeresleitung das BUFA einrichtete, konnten die wissenschaftlichen und geistigen Ressourcen zu einer starken Filmpropaganda nicht mehr ausgenutzt werden.“ (S.359) Aufgrund mangelnder Publikumsorientierung sei schließlich „der deutschen Propaganda bei fehlender Innovation der Erfolg versagt“ geblieben (ebd.).

Dieses Fazit befriedigt so wenig wie die gesamte Arbeit, die in inhaltlicher, methodischer und struktureller Hinsicht unausgegoren wirkt. Ohne Begründung verengt Oppelt ihren Untersuchungsgegenstand im Hauptteil auf dokumentarische Filme aus deutscher Produktion, nachdem sie in den ersten fünf Kapiteln zu Recht eine vergleichende Perspektive vertreten hatte. Hingewiesen hatte sie hier auch auf die Bedeutung propagandistischer Fictionfilme im Ausland, die zu dem Eindruck einer unfairen und diffamierenden, auf Hass- und Rachegefühle zielenden „Hetzpropaganda“ erheblich beitrugen.

Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang eine genauere Betrachtung der tatsächlichen oder nur vermeintlichen Unterschiede zwischen nichtfiktionalen und fiktionalen Propagandafilmen und ihren jeweiligen Authentifizierungsstrategien gewesen. Denn beide Filmgattungen versprachen Authentizität, etwa durch die Inszenierung quasidokumentarischer Aufnahmen hier und die Verwendung von dokumentarischem Material dort. Die Grenzen zwischen dokumentarischen und fiktionalen Erzählweisen erscheinen nicht selten als durchlässig. Das bestätigen im übrigen Oppelts Beobachtungen zu den Kriegsanleihe-Werbefilmen von Julius Pinschewer, die Dokumentaraufnahmen, Spielszenen und trickanimierte Sequenzen einsetzen. Die Autorin durchbricht an dieser Stelle die selbst auferlegte und zu mechanische Beschränkung auf dokumentarische Filme.

Grundsätzlich zuzustimmen ist Oppelt darin, dass der Kriegseinsatz des Films und seine Instrumentalisierung durch staatliche Behörden die Herausbildung des Dokumentarfilms als eigenständige Gattung förderte. Gewöhnlich wird dieser Prozess mit John Grierson auf das Jahr 1926 datiert. Allerdings hat Martin Loiperdinger schon seit der Mitte der 1990er in Vorträgen eine Revision dieser Forschungsmeinung gefordert und am Beispiel des oben erwähnten britischen Films „The Battle of the Somme“ (1916) die „Erfindung des Dokumentarfilms“ während des Krieges beschrieben. 3 Oppelts These ist also nicht mehr ganz neu.

Was den Versuch angeht, eine propagandistische Einflussnahme auf zeitgenössische Betrachter nachzuweisen bzw. das Scheitern einer Einflussnahme, so macht sich hier die sehr unscharfe Bestimmung des zentralen Begriffs Propaganda bemerkbar. Wo nach Prägungen von Rezipienten gefragt wird, reichen die so genannten Filmtranskriptionen und beigefügten Kontextinformationen nicht aus. Sie sind allenfalls ein erster Schritt. Die Informationen hängen auf irritierende Weise in der Luft und sind vom Gegenstand, dem jeweiligen Film, losgelöst. Es mangelt am Versuch einer Rezeptionsanalyse mit der Frage nach angepeiltem und erreichtem Publikum, nach Vorführorten und Rezeptionsgewohnheiten; die reichhaltige Berichterstattung in der Fachpresse könnte hier Anhaltspunkte liefern. Die Vernachlässigung der Rezeption lässt die oft praktizierte und zirkelschlussartige retrospektive Identifizierung von Absicht und Wirkung befürchten. Definitive Aussagen über die historischen Wirkungen von Propaganda sind freilich kaum möglich, wie Oppelt zu Recht feststellt. 4 Dass die Dokumentation historischer Rezeptionsweisen dennoch erkenntnisfördernd sein kann, hat etwa Nicholas Reeves am Fall von „The Battle of the Somme“ eindrucksvoll gezeigt. 5

Wenn Oppelt im Fazit ihrer Arbeit von einer unterlegenen deutschen Propaganda spricht, bestätigt sie im Kern einen Mythos, der im Krieg entstand und nach 1918 das Denken der Rechtsextremisten und deren Idee vom „Totalen Krieg“ beherrschte. Die größte Wirkung entfaltete dieser Mythos wohl durch Adolf Hitler, der in „Mein Kampf“ allerdings besonders vom Versagen der Propaganda unter Soldaten sprach und daraus seine Schlüsse zog. 6 Bei Oppelt bleiben die Maßstäbe des Urteils unklar, und das liegt nicht zuletzt an einem schwammigen Propagandabegriff. Den erklärungsbedürftigen Widerspruch zwischen einer als misslungen bewerteten Propaganda und einer „Medienrealität“, in der die Not leidende Bevölkerung über die militärische Situation im unklaren war und trotz gegnerischer Überlegenheit bis zuletzt „durchhielt“, löst sie nicht auf. Die daraus folgenden methodischen Probleme artikuliert sie nicht.

Filmhistoriker mögen durch Oppelts genaue Auflistungen der verwendeten filmischen Mittel (Einstellungsgrößen, Schnittfrequenzen, Montagearten etc.) Bausteine bekommen für eine Art Grammatik der hier angewandten dokumentarischen Filmsprache. Sicherlich werden hierzu die auf einer CD im Anhang versammelten Protokolle und Zensurkarten der untersuchten Filme zukünftige Arbeiten erleichtern. Dennoch fällt die Kritik aufgrund der verfehlten Gesamtkonzeption und der fragwürdigen Auswahl und Bewertung des Materials am Ende harsch aus. Zu diesen Einwänden kommen eine oft verkrampfte Sprache und die sich durchziehenden formalen, logischen und grammatikalischen Fehler und Unzulänglichkeiten, die die Lektüre beschweren und den Rezensenten mal ratlos machten, mal verärgerten. 7 Erwähnt sei noch, dass Oppelt passagenweise einen auffallend laxen Umgang mit den Regeln des wissenschaftlichen Zitierens pflegt und damit die Grenze des Plagiats streift. 8 Dass auf veranschaulichende Abbildungen – es handelt sich immerhin auch um die Untersuchung eines Bildmediums - und auf ein Register verzichtet wurde und dass der Preis von 98 Euro schlicht horrend ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht.

Anmerkungen:
1 My, Die Mobilmachung des Bildes, in: Vossische Zeitung, Nr. 214, 28.4.1917.
2 David Welchs umstrittene Studie zur Weltkriegspropaganda hält etwa die Ankündigung, den Einsatz des Films gebührend zu berücksichtigen, nicht ein; vgl. Welch, David, Germany, propaganda and total war, 1914-1918: the sins of omission, London 2000. Eine Auseinandersetzung mit Welch findet bei Oppelt nicht statt. Für zwei knappe, erst nach Oppelts Buch erschienene Überblicksdarstellungen siehe Rother, Rainer, Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der deutsche Film, in: Thoß, Bruno; Volkmann, Hans-Erich (Hgg.), Erster Weltkrieg – Zweiter Weltkrieg. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland. Ein Vergleich, Paderborn 2002, S. 821-838, bes. S. 821-826 und Bauermeister, Martin, „L’effet de réel“. Zum Verhältnis von Krieg und Film 1914 bis 1918, in: Chiari, Bernhard; Rogg, Matthias; Schmidt, Wolfgang (Hgg.), Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts, München 2003, S. 245-268. Mit Blick auf Deutschland auch Brandt, Susanne, Film (1914-18), in: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2003, S. 477-479.
3 Vgl. Loiperdinger, Martin, Die Erfindung des Dokumentarfilms durch die Filmpropaganda im Ersten Weltkrieg, in: von Keitz, Ursula; Hoffmann, Kay (Hgg.), Die Einübung des dokumentarischen Blicks. Fiction Film und Non Fiction Film zwischen Wahrheitsanspruch und expressiver Sachlichkeit 1895-1945, Marburg 2001, S. 71-79 (Der Aufsatz erschien zuerst auf englisch 1998).
4 Freilich widerspricht sich Oppelt hier sogleich: „Es ist empirisch kaum möglich, den tatsächlichen Einfluß der Film- und Bildpropaganda auf die Filmtheater besuchende Zivilbevölkerung und die Soldaten des Deutschen Reiches zu erfassen. Dennoch läßt sich festhalten, dass dieses Medium die zuversichtliche Stimmung innerhalb der Bevölkerung gefördert und die Moral der Soldaten durch erfolgreiche Bilder von anderen Kampfabschnitten gestärkt hat.“ (S. 129)
5 Vgl. Reeves, Nicholas, Cinema, Spectatorship and Propaganda: ‘Battle of the Somme’ (1916) and its contemporary audience, in: Historical Journal of Film, Radio and Television, Bd. 17 (1997), Nr. 1, S. 5-28.
6 Vgl. Hitler, Adolf, Mein Kampf, Bd. 1, München 1925, Kapitel 6: Kriegspropaganda.
7 Was ist etwa von solchen Sätzen zu halten: „Der Quellenwert audiovisueller Medien ist in der Lage, die Situationen und deren Auswirkungen in bestimmten Regimen besser begreiflich zu machen als nur anhand der überlieferten Tagespresse oder von Akten.“ (S. 26); „Der Film vergaß in seinem Bemühen, von den etablierten Künsten als gleichberechtigt anerkannt zu werden, dass er als Medium technisch erzeugter Bilder mehr die Nähe zur Bildtelegraphie, zum Bildfunk und zum Fernsehen hätte suchen sollen.“ (S. 65); „Die hinter und im Text stehende dominante Ideologie und die narrative Strategie ihrer Umsetzung muss stets in Relativität zur Wahrheit, zum Verständnis und auch zur Rezeptionserfahrung gesehen werden. Heutige Analysen können über eine damalige Rezeption nur bedingt Aufschluss geben, da der historische Kontext in Nachkriegszeiten unterschiedlich zu Kriegszeiten strukturiert ist.“ (S. 359). Die Lektorin, der in der Vorbemerkung für ihr „engagiertes Lektorat“ gedankt wird, hat ihre Arbeit nicht gut gemacht.
8 Dieser Vorwurf bezieht sich darauf, wie sich ganze Sätze aus dem Katalogband: Rother, Rainer (Hg.), Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges, Berlin 1994, ohne Zitatnachweis bei Oppelt wörtlich oder leicht verfremdet wieder finden lassen – z.B. S. 142-147 und S. 320-325. Auf eine vergleichbare Beobachtung weist Benjamin Ziemann in seiner Rezension hin, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 62 (2003), Heft 2, S. 585-587.

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