V. Pollmann: Untermieter im christlichen Haus

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Titel
Untermieter im christlichen Haus. Die Kirche und die 'jüdische Frage' in Polen anhand der Bistumspresse der Metropolie Krakau 1926-1939


Autor(en)
Pollmann, Viktoria
Reihe
Jüdische Kultur 9
Erschienen
Wiesbaden 2001: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
459 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heidemarie Petersen, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig

In einem viel zitierten Fastenhirtenbrief aus dem Jahr 1936 fasste Kardinal Augustyn Hlond, Primas von Polen, die Haltung des polnischen Episkopats zur „jüdischen Frage“ in die folgenden, an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Worte: „Eine jüdische Frage existiert und es wird so lange eine jüdische Frage geben, wie die Juden Juden bleiben. Es ist ein Faktum, daß die Juden die katholische Kirche bekämpfen, die Freidenkerei blühen lassen, die Avantgarde der Gottlosigkeit, des Bolschewismus und aller umstürzlerischen Bewegungen bilden. Es ist ein Faktum, daß der Einfluß der Juden auf die Sitten verderblich ist und ihre Verlage Pornographie vertreiben. Es ist wahr, daß die Juden Betrug, Wucher, und Menschenhandel betreiben. Es ist wahr, daß der Einfluß der jüdischen Jugend auf die katholische in den Schulen unter religiösem und ethischem Gesichtspunkt im allgemeinen negativ ist“ (S. 174). Der Frage, in welcher Weise „Inhalte, Argumentations- und Begründungsmuster“ (S. 2) dieser judenfeindlichen Haltung durch die polnische Bistumspresse an die Gläubigen vermittelt wurden, geht die in der Reihe „Jüdische Kultur“ des Harrassowitz Verlages erschienene Dissertation von Viktoria Pollmann nach. Als Fallbeispiel hat sie die Metropolie Krakau gewählt und fünf dort erschienene Wochenblätter sowie eine Tageszeitung ausgewertet.

Entgegen ihrer ausgeprägten Skepsis gegenüber dem genuin modernen Medium hatte die katholische Kirche die Presse bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert als überaus effektive Möglichkeit entdeckt, um die eigene Weltanschauung zu verbreiten. In den folgenden Jahrzehnten wurden katholische Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren als gezielte „arma veritatis“ gegen eine „schlechte“, als „jüdisch“ apostrophierte Presse in Stellung gebracht. Vor diesem Hintergrund, den Pollmann in einem der interessantesten Kapitel ihres Buches („Die katholische Presse – Waffe der Wahrheit“, 141-158) ausleuchtet, erscheint die polnische Bistumspresse als zentrale Vermittlungsinstanz zwischen dem Episkopat und der Masse der Gläubigen. Um jedoch Missverständnissen vorzubeugen: nicht das Medium Presse und seine Spezifika stehen im Mittelpunkt der Untersuchung; Pollmann argumentiert an keiner Stelle medienanalytisch. Ihr Thema ist die katholische Kirche Polens und deren „Anteil am innergesellschaftlichen Diskurs der ‚jüdischen Frage’“ (S. 2), ihr Ansatz mithin ein kirchenhistorischer, dem die Bistumspresse als Quelle, nicht aber als Gegenstand der Analyse dient.

Folgerichtig ist die Studie in zwei analytische Blöcke unter dem Leitthema "Weltbild und Selbstbild der katholischen Kirche in Polen" gegliedert: Den ersten Teil widmet Pollmann der katholischen Kirche Polens im Kontext der Universalkirche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei sie sinnvollerweise auch in das ausgehende 19. Jahrhundert zurückgreift. Als zentralen Topos arbeitet sie den Ultramontanismus als eine Abwehrbewegung gegen die gesellschaftliche Modernisierung und Säkularisierung und den damit einhergehenden Bedeutungsverlust der Kirchen heraus. Diese an sich transnationale Ideologie erhielt in Polen eine besondere Brisanz durch die zentrale Rolle, die der Katholizismus im polnischen Nationsbildungsprozess schon seit der Frühen Neuzeit gespielt hatte, und die in der Gleichsetzung Pole=Katholik gipfelte.

Im zweiten Teil geht Pollmann der Frage nach, welchen Stellenwert in diesem spezifischen Koordinatensystem von Kirche und Nation die „jüdische Frage“ einnahm. In mehreren Unterkapiteln werden verschiedene Topoi ausgeleuchtet – vom Juden als dem Fremden schlechthin bis zum Juden als Sittenverderber, vom Juden als Feind der Kirche Jesu Christi bis zum Juden als Ausbeuter christlicher Wirtschaftskraft. Mit ausgiebigen Zitaten aus den von ihr ausgewählten Zeitungen sowie ergänzenden kirchlichen Quellen zeigt die Autorin, dass „der Jude“ in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gleichsam als negative Generalchiffre der polnisch-nationalen Spielart des Ultramontanismus erschien, als sozusagen popularisierter, leicht fasslicher Inbegriff all jener Zumutungen der Moderne, gegen die sich die katholische Kirche stemmte.

Die kirchlichen Blätter bedienten sich dabei keineswegs nur traditionell religiöser Argumentationsmuster, sondern verwoben diese auf das Engste mit rassistischen Motiven. Auch die in der Bistumspresse sowie von kirchlichen Würdenträgern unterbreiteten Vorschläge zu einer „Lösung der jüdischen Frage“ deckten das ganze Spektrum traditioneller und zeitgenössischer antisemitischer Vorstellungen ab. Sie reichten von Aufforderungen zum wirtschaftlichen Boykott über den Ruf nach einer Aufhebung der bürgerlichen Rechte der Juden bis zur Forderung nach ihrer – freiwilligen oder erzwungenen - Emigration. Als es in den 1930er-Jahren auch in Polen immer häufiger zu antisemitischen Gewaltausbrüchen kam, war die Haltung der Kirche demgegenüber nicht eindeutig: Einerseits verurteilte man Gewalt als Mittel zur Lösung der „jüdischen Frage“, andererseits neigte man dazu, Gewalttaten als lediglich übersteigerten Ausdruck eines grundsätzlich berechtigten Zorns gegen die Juden herunterzuspielen. Angesichts der Entwicklungen in Deutschland war man indes um Abgrenzung bemüht und konstruierte daher eine Dichotomie zwischen dem „gerechten“ Antisemitismus der Polen und dem „gottlosen“ Judenhass der Deutschen.

Der eigentlichen Untersuchung hat Pollmann einen Abriss der Geschichte Polens in der Zwischenkriegszeit vorangestellt. Hier wird deutlich, dass die Rekonstituierung von Staat und Gesellschaft nach 1918 von einer ganzen Reihe von „Fragen“ – der agrarischen, der sozialen, der nationalen – begleitet wurde, die auch retrospektiv mit der „jüdischen Frage“ zusammengedacht werden müssen. Genau hierin tritt freilich ein Mangel des Buches zu Tage: Die angekündigte Einbettung des Themas in den soziopolitischen Kontext der II. Polnischen Republik wird letztlich nicht realisiert. Zwar werden die verschiedenen Facetten des judenfeindlichen Diskurses der polnischen katholischen Kirche überaus material- und aufschlussreich dargestellt; doch statt diesen konsequent als integralen Teil eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses zu analysieren, wird lediglich eine „Wechselwirkung mit dem Antisemitismus der Gesellschaft“ (S. 393) konstatiert – eine nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich problematische Trennung. Wenn die katholische Kirche, wie Pollmann überzeugend darstellt, ein so zentraler Bestandteil des polnischen Gesellschaftsgefüges war, dann kann man den kirchlichen Antisemitismus sinnvollerweise nicht dem der „Gesellschaft“ gegenüberstellen, sondern muss ihn als ein konstitutives Element (unter mehreren) desselben betrachten.

Ungeachtet dieser methodischen Schwäche ist Pollmann am polnischen Beispiel ein eindrücklicher Nachweis dessen gelungen, was Olaf Blaschke 1 bereits für den deutschen Katholizismus an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeigen konnte: dass die (in der Regel in apologetischer Absicht vollzogene) Trennung von traditionell religiösem Antijudaismus und modernem, rassistisch grundiertem und politisch motiviertem Antisemitismus bei genauerem Hinsehen nicht zu halten ist. Zum einen modernisierten und erweiterten auch die katholischen Kirchen ihr Repertoire antijüdischer Argumentationsmuster um rassistische Motive; zum anderen erfüllten diese nicht „nur“ eine theologische, sondern – im Zusammenhang der modernefeindlichen Ideologie des Ultramontanismus – auch eine eminent politische Funktion.

Anmerkung:
1 Blaschke, Olaf, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1997.

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