A. C. Vogt: Hamburger Beitrag zur Entwicklung des Welthandels

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Titel
Ein Hamburger Beitrag zur Entwicklung des Welthandels im 19. Jahrhundert. Die Kaufmannsreederei Wappäus im internationalen Handel Venezuelas und der dänischen sowie niederländischen Antillen


Autor(en)
Vogt, Annette Christine
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 17
Erschienen
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
453 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin

Etablierung und Behauptung hanseatisch-hamburgischer Kaufmannshäuser und Reedereien im Welthandel des 18.-20. Jahrhunderts verbinden sich landläufig wohl am ehesten mit Namen wie Amsinck, Ballin, Godeffroy oder Sloman. Hingegen sind die Firmen Georg Heinrich und Adolph Heinrich Wappäus allenfalls Insidern bekannt1, obwohl etwa der Erstgenannte „zu einem der größten Unternehmer Hamburgs aufsteigen [sollte]“ (S. 33) und 1830 Inhaber der mindestens zweitgrößten Reederei der Hansestadt war. (S. 116) Der unterschiedliche Bekanntheitsgrad spiegelt also vielleicht mehr das (Miss-)Verhältnis zwischen literarischer Überlieferung und archivalischer Überlieferung bzw. deren wissenschaftliche Auswertung wider, als dass er der historischen Realität gerecht wird. Ohne Leistung und Bedeutung der erstgenannten Häuser in Zweifel ziehen zu wollen, muss also an jedwede Unternehmensgeschichte die Frage gestellt werden, ob eine Jubiläums- bzw. Propagandaschrift oder eine wissenschaftlich fundierte historische Darstellung vorliegt? Letztere liefert Annette Christine Vogt mit ihrer quellensatten Studie über den Lateinamerikahandel der beiden Kaufmannsreedereien Wappäus ab. Die Arbeit verdient sich das Attribut nicht nur aufgrund der an sich bereits hervorhebenswerten Auswertung deutscher, dänischer, niederländischer und südamerikanischer Quellen, sondern vor allem aufgrund der breit angelegten und miteinander verzahnten Analysen von Unternehmensstrategien, Firmengeschäften, Schiffsbewegungen, Warenpaletten, Handelspartnern und Aspekten des privaten Lebens. Sie ist neben der obligatorischen Einleitung zu Forschungsstand und Quellenlage sowie der zusammenfassenden Schlussbetrachtung in vier weitere Kapitel unterteilt, hinzukommen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein umfänglicher Anhang.

Kapitel 2 „Der Hamburger Karibikhandel im 19. Jahrhundert“ steht vornehmlich unter der Zielstellung, die Integration des Hamburger Außenhandels in den sich formierenden Weltmarkt zu untersuchen und dabei den internationalen Kontext aus einer multilateralen Perspektive zu betrachten. Der erste Schritt besteht in einer Analyse der Interessenkonstellationen in Lateinamerika, ein zweiter Schritt geht mit der Darstellung des Hamburger Handels in den niederländischen und dänischen Westindien-Kolonien weiter ins Detail. Die Hamburger konnten trotz unterschiedlicher Prämissen in der Kolonialpolitik beider Staaten profitieren – unerwünscht und unbeabsichtigt als politisch neutrale Konkurrenz in der konfliktgeladenen Beziehung zwischen den Niederlanden und Venezuela, nahezu zwangsläufig in Konsequenz der bewussten Freihandelspolitik Dänemarks in der Karibik. Die im dritten Schritt mittels detaillierter statistischer Hafendaten untersuchte Bedeutung der Häfen Willemstad/Curaçao, La Guaira/Caracas und Charlotte Amalie/St. Thomas mag da kaum überraschen: Die erstgenannte niederländische Kolonie war für Hamburgs Handel und Schifffahrt eher belanglos, während die letztgenannte dänische Kolonie aufgrund ihrer geografischen Vorteile und günstigeren Gesamtbedingungen die größte Rolle spielte. Insgesamt aber hatte keiner der drei Häfen eine wirkliche Dimension für die Hamburger Partizipation am Welthandel, wie insbesondere die systematische Auswertung der lokalen Quellen verdeutlicht. Insofern reicht der Ertrag des diesbezüglich betriebenen Aufwandes weit über die Geschichte der Hansestadt hinaus. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine Analyse der Waren des Hamburger Karibikhandels dieses Kapitel abschließt.

Kapitel 3 „Die Firmengründung: Georg Heinrich Wappäus. Die Anfänge des hamburgischen Karibikhandels im 19. Jahrhundert (1805-1836)“ widmet sich ganz der ersten der beiden Familienfirmen und ihrem Gründer. An den familiären Hintergrund schließt sich die Etablierung und Entwicklung des Geschäftes an: Es nahm in der schwierigen ‘Franzosenzeit’ seinen Ausgang, begann mit der 1818 aufgenommenen Westindien- bzw. Südamerikafahrt endgültig in erfolgreiche Bahnen zu steuern und fiel insgesamt in die „für den Erfolg hamburgischer Kaufleute im Venezuelahandel“ entscheidenden Jahre 1815 bis 1825 (S. 133). Allerdings muss es Vogt hier aufgrund der lückenhaften Quellenlage bei zahlreichen Hypothesen wie der belassen, dass G.H. Wappäus seine ersten Gewinne wohl mit Waffenschmuggel nach Venezuela machte (S. 123ff.). Fakt ist hingegen, dass er schon aufgrund der Größe seiner Reederei sowohl eigene als auch fremde Waren beförderte und damit ein Protagonist des Ablösungsprozesses der Kaufmannsreederei durch Transportunternehmen war. Darüber hinaus ist die von ihm verfolgte Form der Netzwerkstrategie von Bedeutung, im Zielgebiet seiner Handelsaktivitäten Zweigfirmen unter der Leitung von Familienmitgliedern zu installieren. Der interessanten Randbemerkung, dass G.H. Wappäus mit seiner auswärtigen ländlichen Herkunft in der Hamburger Gesellschaft nicht Fuß gefasst haben dürfte und kein Engagement in der Hamburger Politik erkennen ließ (S. 115), geht Vogt leider nicht weiter nach.

Kapitel 4 „Die Interimsjahre: Kaufmännische Aktivitäten Angehöriger der Familie Wappäus im Ausland (1836-1857)“ untersucht vor allem die Bildung und Erhaltung von Netzwerken und damit jene Strategien, mit denen sich Kaufleute zu etablieren und zu behaupten suchten. Im Unterschied zu hierarchischen Organisationen bauen Netzwerke auf informelle Normen wie Routine, Brauchtum oder Gewohnheit und sind in hohem Maße von sozialen Kontakten bestimmt. Vogt widmet sich drei Komponenten der Positionierung in Händlernetzwerken: Verbindungen zu deutschen Kaufleuten im karibischen Raum, Verbindungen zu Kaufleuten anderer Nationen, Funktion und Bedeutung von Konsulaten. Familiäre Herkunft und ‘Leumund’ bildeten die Basis aller Verbindungen, Ansehen und Vertrauen begründeten voneinander nicht zu trennende kaufmännische und soziale Netzwerke, die der Pflege bedurften und Reputation und Kredit sicherten. Die diesbezügliche Lebens- und Arbeitsweise der deutschen Kaufmannschaft charakterisierte Eugene H. Plumacher, Ende des 19. Jahrhunderts amerikanischer Konsul in Maracaibo, als „deutsches System“. Trotzdem das erfolgreiche Funktionieren desselben der privaten, gesellschaftlichen und geschäftlichen Offenheit sowohl gegenüber dem Gastland als auch gegenüber anderen Nationen bedurfte, hegten die Auslandshanseaten offensichtlich eine überhebliche Einschätzung der eigenen Kultur – „Hanseaten waren nicht im Ausland, um Ideale zu verfolgen, sondern einzig und allein um persönlichen Profit zu erlangen“ (S. 153). Die Bedeutung des dritten Netzwerkes ist in der Darstellung nicht ganz so überzeugend, weil Vogt die ebenso komplexe wie unzureichend erforschte Materie mit falschen Prämissen – Konsuln sind keine Diplomaten und gehören demzufolge in keine der vier auf dem Aachener Kongress (1818) vereinbarten Klassen ausländischer Repräsentanten, so dass Konsulate eben kein Ausdruck diplomatischer und nicht-kaufmännischer Strukturen sind (S. 183) – angeht und den richtig geschlussfolgerten Quellenwert der Konsulatskorrespondenzen (S. 198) nicht ansatzweise ausschöpft.

Kapitel 5 „Die Neugründung: Das Reeder- und Handelshaus Adolph Heinrich Wappäus (1857-1904)“ knüpft an die vorangegangenen Kapitel an und bündelt deren Erkenntnisse in gewissem Sinne – „die Säulen [...] der Neugründung [...] wurden seine Vorfahren, seine Familie, Mitglieder seines kaufmännischen Netzwerkes“ (S. 205). Die offenbar günstigere Quellenlage ermöglicht es, tiefer als in Kapitel 3 in Details wie etwa die Netzwerkbildung mittels persönlicher und auf den Adressaten abgestimmter Schreiben oder die Unternehmensstrategie einzudringen, die in der bisherigen Forschung vernachlässigte Verzahnung von Geschäfts- und Privatsphäre deutlicher zu konturieren. Der dritte Unterabschnitt „Eigner und Fahrtrouten im Karibikhandel des 19. Jahrhunderts“ schließt gleichsam den Kreis zu Kapitel 2 und rundet die Gesamtuntersuchung ab, wobei eine der zentralen Schlussfolgerungen nicht mehr als eine – trotzdem einleuchtende – Wiederholung ist: „Hamburgische Archivalien allein [sind] nicht geeignet, den Karibikhandel im 19. Jahrhundert zu erforschen“ (S. 250).

Daran kann unmittelbar die kritisierende Feststellung einer gewissen Neigung zu Redundanzen in Details und in Sachaussagen anschließen, die nationenbezogene Aufschlüsselung der 41 ausländischen im Jahre 1839 auf St. Thomas bestehenden Importhäuser (S. 62, 104) beispielsweise hätte trotz der offenbar unterschiedlichen Quellenbasis auch im Zusammenhang mit der namentlichen Aufführung der sechs dazugehörigen deutschen Firmen (S. 81) erfolgen können. Hinzu kommen gewisse Nachlässigkeiten, die eine wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit eigentlich nicht aufweisen sollte – gemeinhin wird verwendete Literatur bei ihrer Erst- und nicht bei einer Folgezitation mit den vollständigen bibliografischen Angaben aufgeführt (S. 32, Anm. 64, Anm. 65) und in einer Anmerkung aus sowohl räumlichen als auch inhaltlichen Gründen nur stichwortartig erwähnte Publikationen sollten sich wenigstens im Literaturverzeichnis widerspiegeln. 2 Schließlich wäre es bei der – im Übrigen mit einigem Recht – vorgebrachten Kritik einer in Dänemark „fast inexistent[en]“ Forschung zur Kolonialgeschichte des Landes bzw. einer geringen Zahl von Veröffentlichungen zu Dänisch-Westindien (S. 31) wohl angebracht, die wenigen vorhandenen Arbeiten komplett zu reflektieren. 3 Und zumindest erklärungsbedürftig bleibt angesichts sogar publizierter Findhilfsmittel 4 die Aussage, „die einschlägigen Quellen im Rigsarkivet København sind großenteils unbearbeitet“ (S. 31). Am schwersten wiegt jedoch gerade bei der Vielzahl von erwähnten Handelspartnern (und auch -orten) der Firmen Wappäus das Fehlen eines Personen- (und Orts-)Registers.

Letztlich sei eine Frage zumindest in den Raum gestellt. Auf der einen Seite stehen 260 Druckseiten Darstellung den – ohne Quellen- und Literaturverzeichnis – 166 Druckseiten der diversen Anhänge etwa der in Curaçao, La Guaira und St. Thomas in bestimmten Zeiträumen ein- oder der aus Hamburg Richtung Karibik auslaufenden Hamburger Schiffe gegenüber, die sicherlich mit Fleiß und Aufwand erstellt wurden. Auf der anderen Seite werden die Geschäfte der Firmen Wappäus in Afrika, Asien und Australien nur marginal erwähnt bzw. auf den Vorbehalt späterer Studien reduziert. (S. 33, S. 118 Anm. 25, S. 119 Anm. 28) Ohne Zweifel hat die Konzentration auf das südamerikanische Haupthandelsgebiet ihre Berechtigung, ohne Zweifel wäre „der Rahmen der Untersuchung angesichts der gewählten Methode“ (S. 33) – Einbeziehung von archivalischen Quellen aus den Zielgebieten (S. 35) – gesprengt worden (Was spricht eigentlich gegen einen Methodenwechsel?): Aber hätte die Berücksichtigung aller Zielgebiete der Firmen Wappäus ihre wirtschaftlichen Aktivitäten nicht stärker konturiert bzw. die Bedeutung ihrer Südamerikageschäfte besser akzentuiert und erst so – trotz eines nicht ausschließlich geografisch definierten Begriffs von „Welt“ (S. 18) – den Anspruch, einen Hamburger Beitrag zur Entwicklung des Welthandel darzustellen, gerechtfertigt?

Anmerkungen:
1 Broeze, Frank, Unternehmertum und Liebhaberei. Der Hamburger Reeder A.H. Wappäus (1814-1904), in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 76 (1990), S. 41-81.
2 S. 27, Anm. 49 listet eine Auswahl Hamburger Familien und Firmen auf, über die Maria Möring gearbeitet hat. Diese Publikationen sind – so zumindest der Kontext (S. 27f.) – „veraltet oder minderer Qualität“ und fehlen im Literaturverzeichnis.
3 Es fehlen z.B. Hornby, Ove, Kolonierne i Vestindien (Danmarks Historie 2), København 1980; Jensen, Peter Hoxcer (Hg.), Dansk kolonihistorie. Indføring og studier, Århus 1983; sowie die personengeschichtlichen Arbeiten von: Lawaetz, Hermann C.J., Peter von Scholten. West Indian Period Images from the Days of the Last Governor General, Herning 1999; Gregersen, Hans, Peter von Scholten. En biografi, Ørbæk 1995.
4 Joergensen, Jens-Olav, Rasch, Aa (Bearb.), Asiatiske, vestindiske og guineiske handelskompagnier (Vejledende Arkivregistrature 14), København 1969; Hvidtfeldt, Johan (Bearb.), Koloniernes Centralbestyrelse (Vejledende Arkivregistraturer 20), København 1975.

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