St. Jersch-Wenzel: Quellen zur Geschichte der Juden

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Titel
Quellen zur Geschichte der Juden in polnischen Archiven 1: Ehemalige preußische Provinzen. Pommern, Westpreußen, Ostpreußen, Preußen, Posen, Grenzmark Posen-Westpreußen, Süd- und Neuostpreußen


Herausgeber
Jersch-Wenzel, Stefi; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Erschienen
München 2003: K.G. Saur
Anzahl Seiten
XLIV, 632 S.
Preis
€ 138,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Panwitz, Institut für Geschichtswissenschaften, Universität Potsdam

Bei diesem Quellenverzeichnis handelt es sich um den ersten Anschlussband zur sechsteiligen Reihe “Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer“, die 1996-2001 erschien.1 Ermöglicht wurde er durch den liberalisierten Zugang zu polnischen Archiven nach 1990. Der zweite und letzte Band der neuen Reihe befindet sich bereits in der Drucklegung und wird die ehemalige preußische Provinz Schlesien umfassen.

Auch diese Reihe versteht sich als Grundlage für weiterführende Forschung zur preußisch-jüdischen und – ab 1871 – deutsch-jüdischen Geschichte. Deutlich wird das an der Entscheidung, nur Archivalien jener Epochen zu verzeichnen, in denen die heute polnischen und russischen Regionen unter der Verwaltung des preußischen Staates standen. Wie wichtig die in diesem Band behandelten preußischen Ostprovinzen für die deutsch-jüdische Geschichte waren, zeigt die Tatsache, dass hier fast 60 Prozent aller preußischen und ein Drittel aller deutschen Juden lebten. Vor allem die Provinzen Westpreußen und Südpreußen/Posen zeichneten sich durch einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil aus.

Das Quellenverzeichnis gliedert sich in drei Teile. Im Hauptteil (Teil A) werden die Akten der Archive in den einzelnen ehemaligen Provinzen – Pommern, Ost- und Westpreußen/Preußen, Posen/Grenzmark Posen-Westpreußen, Süd- und Neuostpreußen – aufgelistet. Grundlage für diesen Teil bilden die Findhilfsmittel der Archive, die in ihrer Struktur und Erschließungstiefe allerdings sehr heterogen sind.

Ein die archivalische Forschung erschwerendes Charakteristikum der preußischen Ostprovinzen ist die häufige territoriale und verwaltungsmäßige Umstrukturierung, die teilweise auf Herrschaftsveränderungen (polnische Teilungen, napoleonische Kriege, Weltkriege), teilweise auf innerstaatliche Neugliederungen zurückzuführen sind. Die historischen, provenienzbildenden Behörden und die heutigen Archive mit ihren Einzugsbereichen sind meist nicht deckungsgleich. Sehr hilfreich sind deshalb die historischen Einleitungstexte, die die Bearbeiter den einzelnen Territorien, Archiven und Bestandsgruppen voranstellen. Hierin wird auch auf verwaltungs- und bestandsgeschichtliche Besonderheiten eingegangen.

Zusätzlich geben die Bearbeiter kurze Einführungen in die Aufgabengebiete der verschiedenen preußischen Verwaltungseinheiten – Regierung (S. 1f.), Landratsamt (S. 3), Oberpräsidium (S. 12f.), Land- und Amtsgericht (S. 24), Domänenrentamt und Provinzialschulkollegium (S. 27), Evangelisches Konsistorium (S. 36), Personenstandsregister (S. 43), Kriegs- und Domänenkammer (S. 54), Provinziallandtag (S. 73), Polizeipräsidium (S. 120), Patrimonialgericht (S. 138). Allerdings sind diese Erläuterungen ungünstigerweise nur dort eingefügt, wo die entsprechende Verwaltungseinheit zum ersten Mal erwähnt wird. Praktischer wäre es gewesen, eine Art Verwaltungsglossar ans Ende des Buches zu stellen.

Archivfindbücher, wie sie für die Erstellung von Teil A dieses Bandes verwendet wurden, weisen nicht immer nach, dass eine Akte wichtige Informationen zur jüdischen Geschichte enthält. Daher wurden für Teil B beispielhaft die Akten ausgewählter Bestände des Staatsarchivs Posen einzeln durchgesehen. Dieses Vorgehen erwies sich als ausgesprochen ergiebig, Teil B umfasst 25 Prozent des Quelleninventars. Hier wird deutlich, dass für Spezialstudien durch systematische Akteneinsicht auch in anderen Archiven noch weit umfangreichere Bestände zur jüdischen Geschichte erschlossen werden können.

Den dritten Teil des Bandes – „Exkurs“ – bildet der „Versuch einer Rekonstruktion des Gemeindearchivs der Jüdischen Gemeinde Bromberg (Bydgoszcz)“. Die Akten dieser Gemeinde liegen im Staatsarchiv Bromberg, im Archiv des Berliner Centrum Judaicum, im Jüdischen Historischen Institut Warschau, im Zentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen („Sonderarchiv“) des Russischen Staatlichen Militärarchivs Moskau und in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem. Die virtuelle Wiedervereinigung der Bestände bietet nicht nur eine ausgezeichnete Grundlage für die Erforschung der Bromberger Juden. Sie belegt auch die Zerrissenheit der Quellengeschichte, als deren Resultat ein ursprünglich zusammengehöriger Aktenbestand heute auf vier Staaten und fünf Archive verteilt ist. Erfreulicherweise berücksichtigt die Rekonstruktion des Gemeindearchivs auch die Akten der Jahre ab 1919, als das im Posenschen liegende Bromberg zum neugebildeten polnischen Staat gehörte.

Die Bestände des Jüdischen Historischen Instituts Warschau wurden – mit der Ausnahme Brombergs – in diesem Band nicht erfasst. Da ihr Schwerpunkt auf Archivalien zur Provinz Schlesien liegt, wird ein vollständiges Inventar zu dieser Institution im Band 2 der Reihe folgen. Wie bei den Bänden des Vorgängerprojekts wird auch dieses Quellenverzeichnis mit einem Personenregister, einem Ortsregister und einem Institutionen-, Organisations- und Unternehmensregister abgeschlossen. Eine Konkordanz polnischer und deutscher Ortsnamen erleichtert zudem die topografische Orientierung.

Mit dem vorliegenden Band wird dem Forscher ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Erforschung sowohl der preußisch-jüdischen, als auch der jüdischen Regionalgeschichte in den preußischen Ostprovinzen an die Hand gegeben. Einziger Wermutstropfen ist der beim Saur-Verlag leider übliche ausgesprochen hohe Preis von 138 Euro, der die Anschaffung des Buchs vermutlich nur Bibliotheken erlauben wird. Für die Zukunft ist der Wunsch der Herausgeberin zu unterstützen, dass als nächstes ähnliche Verzeichnisse auch für die vom 18. bis zum 20. Jahrhundert dem Habsburgerreich zugehörigen polnischen Gebiete, vor allem für Galizien, erstellt werden.

Anmerkung:
1 Siehe zu Band 5: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3661 und zu Band 6: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=884.

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