F. d' Almeida u.a.:Histoire des médias en France

Titel
Histoire des médias en France de la Grande Guerre à nos jours.


Autor(en)
d'Almeida, Fabrice; Delporte, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
434 S.
Preis
€ 11,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Siemens, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Mit ihrem neuen Buch legen die französischen Historiker Fabrice d’Almeida und Christian Deporte eine als Überblick konzipierte Geschichte der französischen Massenmedien im 20. Jahrhunderts vor. Sie betreten damit weitgehend Neuland, was umso erstaunlicher ist, wenn man die überragende Bedeutung der Medien für das Verständnis des vergangenen Jahrhunderts bedenkt. Zwar existieren eine Reihe von Einzeluntersuchungen, aber an Gesamtdarstellungen mangelt es bislang. So stammt das Standardwerk zur französischen Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts aus den 1970er-Jahren, und auch neuere Darstellungen beschäftigen sich vorzugsweise mit dem langen 19. Jahrhundert oder dem Zeitraum ab 1945.1

Ziel der Autoren ist es, über die historische Synthese hinaus auf die weit reichenden Wechselwirkungen zwischen Medien und Gesellschaft hinzuweisen, konstituieren doch die Medien – so die Autoren in ihrer Einleitung – einen autonomen Raum, in dem dann gesellschaftliche Normen und Standards, kurz eine eigene „Kultur“, entsteht, die wiederum das Verhalten von Einzelnen oder Gruppen beeinflusst (S. 10). Aus Sicht des Rezensenten orientieren sich d’Almeida und Delporte jedoch weniger an einem kulturgeschichtlichen Ansatz als vielmehr an der historischen Sozialwissenschaft, gekoppelt mit klassischer Politikgeschichte. Beispielsweise werden Statistiken zur Medienrezeption regelmäßig herangezogen, und auch die Verknüpfungen zwischen Wirtschaft und Politik werden detailliert geschildert. Bei der traditionell engen Bindung zwischen Politik und Medien in Frankreich scheint ein solches Vorgehen nahe zu liegen, es geht jedoch bisweilen zu Lasten anderer Aspekte wie der Selbstreferenzialiät der Medien, die trotz des selbstgesteckten methodischen Rahmens kaum untersucht wird.

Die Darstellung ist chronologisch aufgebaut und orientiert sich besonders für die Zeit bis in die 1970er-Jahre an den klassischen politikgeschichtlichen Zäsuren. Das erste Kapitel „Medien, Propaganda und Patriotismus“ beschreibt die Rolle der französischen Medien während des Ersten Weltkrieges, wobei besonderer Wert auf die Ausgestaltung der weit reichenden Zensurbestimmungen gelegt wird. Gezielt gestreute Gerüchte oder schlichte Falschmeldungen waren an der Tagesordnung, und nur vereinzelt gelang es Neugründungen wie der Satirezeitung „Le Canard enchaîné“ eine Form der Gegenöffentlichkeit zu realisieren. Als direkte Folge war es den Zeitungen (als der mit Abstand wichtigsten Informationsquelle jener Zeit) schlichtweg unmöglich, wahrheitsgetreu zu berichten, was die Glaubwürdigkeit der Medien auch nach Kriegsende auf lange Sicht erschütterte.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Medien in der Zwischenkriegszeit. Das Augenmerk der Autoren liegt auf dem Professionalisierungsschub im Journalismus, dem Aufstieg des Radios und dem Einsetzen der Werbung. Delporte und d’Almeida fragen insbesondere nach den Veränderungen im Selbstbild der Journalisten. Sie halten fest, dass das französische Ideal eines „engagierten“ Journalisten, der sich selbst als Teil der Politik sah und oftmals zwischen den beiden Bereichen Medien und Politik changierte – wie es der erfolgreiche Journalist und spätere „président du Conseil“ Georges Clemenceau beispielhaft verkörperte -, in der Realität zunehmend durch einen Journalisten neuen Typs verdrängt wurde, der seinen Beruf weniger als „Berufung“ denn im technisch-rationalen Sinne verstand.

Im dritten und vierten Kapitel zu den Medien im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit zeigen die Autoren, bis zu welchem Grade die Kollaboration, aber auch die Restfreiheit der französischen Massenmedien reichte. Die „offiziellen“ Medien des besetzen Frankreichs verloren jedoch trotz dieses „Spielraums“ rasch an Glaubwürdigkeit, was der Verbreitung und Akzeptanz von Äußerungen der Résistance, sei es in der Form von illegalen Zeitungen oder des Radioprogramms aus London, zugute kam.

Die Befreiung des Jahres 1944 markierte für die französische Medienlandschaft eine einschneidende Zäsur. Fast alle bisherigen Medienorgane – sofern sie nicht bereits unter deutscher Besetzung die Arbeit eingestellt hatten – wurden durch Neugründungen ersetzt. Delporte und d’Almeida fragen in diesem Zusammenhang kritisch, ob damit zugleich ein neues „goldenes Zeitalter des engagierten Journalismus“ eingeleitet worden sei. Dass die Zweifel der Autoren an einer solchen Einschätzung begründet sind, zeigt z.B. ein Blick auf die insgesamt sehr restriktive Medienpolitik der IV. Republik. Sie wurde in der starken und lang anhaltenden Kontrolle des sich im internationalen Vergleich relativ langsam ausbreitenden Fernsehens ebenso deutlich wie in Versuchen, Pressekartelle oder eine große Einflussnahme der Industrie gesetzlich zu verhindern. Diese Mischung aus staatlichem Protektionismus und inhaltlicher Bevormundung wurde jedoch spätestens in den 1960er-Jahren problematisch, als die Medienlenkung unter de Gaulle verhinderte, dass die sich zunehmend öffentlich manifestierenden Spannungen in der französischen Gesellschaft von den Medien adäquat thematisiert werden konnten (fünftes Kapitel).

In den 1970er-Jahren lockerte sich die direkte Einflussnahme von staatlich-politischer Seite. Ein einschneidendes Ereignis war 1974 unter Präsident Giscard d’Estaing die Zerschlagung der seit Ende der 1970er-Jahre stark umstrittenen ORTF (Office de radiotélévision française), der nahezu allmächtigen staatlichen Kontrollbehörde, die 1964 mit dem Zweck gegründet wurde, die politische Einflussnahme auf die offiziellen Medien nach außen zu verschleiern, um in Wahrheit deren Abhängigkeit nur umso stärker zu verankern (S. 193). Diese Phase des Liberalismus führte im Bereich der Medien zu einer größeren Formenvielfalt und insbesondere dem Vordringen von Privatradios und Privatfernsehen. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markierte die Privatisierung des ehemals staatlichen ersten Programms TF1 im Jahr 1987.

In den beiden abschließenden Kapiteln beschäftigen sich die Autoren stärker mit medientheoretischen Fragen der Gegenwart. Welche Auswirkungen hat die zunehmend unschärfer werdende Grenze zwischen Information und Werbung auf das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Akzeptanz der Journalismus? Wie verändert der zunehmende Zeit- und Konkurrenzdruck im Medienbereich und die starke Abhängigkeit des Journalisten von Agenturen und Internet, und damit von kaum verifizierbaren Informationen aus zweiter Hand, die gesellschaftliche Rolle der Medien? Ist die Medienkritik der letzten Jahre, die sich an der unausgewogene Berichterstattung über den ersten Golfkrieg oder aus dem Kosovo ebenso entzündete wie an dem Buch „La Face cachée du Monde. Du contre-pouvoir aux abus de pouvoir“ von Pierre Péan und Phillipe Cohen, das die Glaubwürdigkeit der meinungsprägenden französischen Tageszeitung schwer erschütterte, Anzeichen einer systematisch zunehmenden Medienskepsis, die gar in einer Welt der global verfügbaren Informationen via Internet das Ende des klassischen Journalismus ankündigen könnte?

Diese und andere Fragen erörtern die beiden Autoren kompetent und weit blickend. Ihre Position ist dabei konstatierend-sachlich und hält die Balance zwischen Ablehnung eines allzu aufgeladenen Idealbildes öffentlicher Kommunikation à la Habermas einerseits und einem postmodernen Zynismus andererseits. Eine grundlegende Erfahrung im Umgang mit Medien im 20. Jahrhundert sei: „Chacun sait [...] que communication ne rime pas obligatoirement avec démocratie et information“ (S. 304).

Den Autoren gelingt es, den immensen Stoff kompakt zu bündeln und eingängig zu präsentieren, ohne dass – wenn man von den beiden Schlusskapiteln absieht – die großen Traditionslinien oder radikalen Brüche zum Anlass vertiefender Analyse genommen werden. Charakteristisch ist, dass einzelne Kapitel ohne zusammenfassendes Resümee enden und so zuweilen der Eindruck einer Aneinanderreihung von Fakten entsteht. Auch von eventuell bestehenden Forschungskontroversen oder -lücken erfährt man nichts. Statt einer „Geschichte der Medien in Frankreich“ liegt zudem eher eine „Geschichte der französischen Medien“ vor, denn nicht-francophone Medienerzeugnisse oder die französischsprachige Medienkultur der verschiedenen Immigrantengruppen wird nicht erwähnt.

Das Buch ist als universitäres „Lehrbuch“ konzipiert, was sich in der didaktischen Gestaltung widerspiegelt. So wird die eigentliche Darstellung des „Stoffes“ ergänzt durch ein Glossar wichtiger Begriffe, Institutionen oder Personen. Das umfangreiche Literaturverzeichnis ist thematisch geordnet, und auch ein Register fehlt nicht. Positiv ist weiterhin die Aktualität des Buches, dass selbst noch Entwicklungen nach dem Jahr 2000 berücksichtigt, sowie der bewusst weit verstandene Medienbegriff, der auch den großen Bereich des Marketings bzw. der Public Relations mit ihren zahlreichen Überschneidungen zum klassischen Journalismus berücksichtigt. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt sich diese Mediengeschichte als kompetente und preiswerte Einführung oder als Nachschlagewerk, ohne jedoch den selbst gesteckten Anspruch einlösen zu können, einen „neuen Schlüssel zur Erschließung des Jahrhunderts der Medien“ (S. 10) zu liefern.

Anmerkung:
1 Das Standardwerk ist Bellanger, Claude u.a. (Hgg.), Histoire générale de la presse française, 5 Bde., Paris 1972-1976. Zu den neueren Darstellungen zur Mediengeschichte des 20. Jarhunderts gehören Delporte, Christian, Les journalistes en France (1880-1950). Naissance et construction d’und profession, Paris 1999; Feyel, Gilles, La Presse en France des origines à 1945. Histoire politique et matérielle, Paris 1999; Eveno, Patrick, Le Monde, 1944-1995. Histoire d’une entreprise de presse, Paris 1996; sowie Bertho-Lavenir, Catherine, Les Démocraties et les médias au XXème siècle, Paris 2000.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension