Himmel Heilige [Hyperlinks]

Cover
Titel
Himmel Heilige [Hyperlinks]. Die barocke Bilderwelt - entschlüsselt in der Basilika Ottobeuren


Herausgeber
Scheule, Rupert M.
Erschienen
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Katholische Kirchen sind mit ihrem reichen Schmuck nicht nur interessante Kunstwerke. Sie stellen auch ein Bildprogramm dar, das über den bloßen Kunstgenuss hinaus theologische Aussagen enthält. Kirchen kann man daher nicht nur betrachten und besichtigen, man kann sie auch „lesen“. Das freilich setzt eine besondere Literalität voraus, ein Verstehen der mitunter komplexen Bildersprache und Ikonografie. Die Fähigkeit, eine Kirche zu lesen, aber schwindet mit dem Nachlassen religiöser Praxis und Erziehung mehr und mehr. Es besteht die Gefahr, dass viele, vor allem jüngere Menschen die sakrale Bildersprache nicht mehr verstehen und ihr ähnlich vertraut gegenüber stehen wie einem buddhistischen Tempel. An diesem Punkt setzt die zu besprechende CD-ROM ein.

Sie ist ein Projekt der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Ihr Thema ist die reich ausgestattete Rokoko-Basilika der Benediktiner-Abtei Ottobeuren. Dabei wird die Kirche in vier Dimensionen erschlossen: theologisch, historisch, kunstgeschichtlich und praktisch. Der gesamte Kirchenraum wurde mit 200 Einstiegspunkten (HotSpots) versehen, die einen Zugriff auf die einzelnen Kunstwerke ermöglichen.

Die CD-ROM bietet rund 500 Bilder und 1.300 Seiten Text, der von 60 Autoren (vom Professor bis zum Studenten) verfasst wurde. Nach dem Einlegen der CD-ROM wird bei Bedarf Quick-Time installiert, um Filmsequenzen anschauen zu können. Man kann diesen Schritt auch überspringen und ohne zusätzliche Installationen die übrigen Inhalte betrachten. Ausgangspunkt für die Arbeit mit der CD-ROM ist ein ansprechend gestalteter Menü-Bildschirm. Der Punkt „Suche“ ermöglicht eine Volltextsuche, darüber hinaus kann man Stichworte als „Motive“, „Themen“ oder „Hintergründe“ aus einer Liste auswählen. Über den Punkt „Grundriss“ kann man gezielt einzelne Regionen in der Kirche ansteuern und von dort aus durch Verweise weiterkommen. Die einzelnen Punkte/Kunstwerke werden jeweils auf einem übersichtlichen Bildschirm präsentiert. Dabei ist auf der linken Seite stets eine Abbildung zu finden, die per Mausklick vergrößert werden kann. Unter der Abbildung hat der Leser die Wahl zwischen den Buttons „Kunst“, „Glaube“, „Geschichte“ und „Praxis“. Die entsprechenden Inhalte erscheinen dann auf der rechten Bildschirmhälfte. Leider stehen nicht bei allen Darstellungen alle vier Aspekte zur Auswahl. Bei jedem Kunstwerk kann man sich auch den Standort auf dem Grundriss anzeigen lassen und von dort weitere Punkte ansteuern. Links und Literaturhinweise vermittelt der Button „Siehe auch“. Es besteht durchgängig die Möglichkeit, sich unbekannte Begriffe durch ein Glossar erklären zu lassen, das als kleines Fenster eingeblendet wird. Insgesamt sind Aufbau und Funktionen leicht zu erfassen. Nach wenigen Minuten fühlt man sich heimisch und kann sich auf Entdeckungsreise durch die Ottobeurener Basilika begeben.

Im Rahmen einer kurzen Rezension können unmöglich alle Artikel inhaltlich gewürdigt werden. Beispielhaft seien zwei Beiträge herausgegriffen, nämlich der Heilige Joseph, viel verehrter Heiliger, und der Hochaltar als Herzstück der Kirche. Deshalb soll der Hl. Joseph als Beispiel dienen. Wenn man als Einstieg „Altar des Joseph“ wählt, erhält man eine schöne Abbildung, die sich vergrößern lässt, und einen ausführlichen, namentlich gezeichneten Erläuterungstext. Die verschiedenen Aspekte wie Kunst oder Glaube werden als Button nicht angeboten. Verlinkungen gibt es im Text und unter dem Button „Siehe auch“. Ein eigener Link zum Heiligen selbst ist nicht ersichtlich. Man muss hier schon auf die Idee kommen, den Link „Altarstatue“ anzuklicken. Dann erst erhält man die gewünschten Informationen. Es ist aber auch möglich, gezielt nach „Joseph“ zu suchen, wobei die Indizierung die abweichende Schreibweise „Josef“ korrekt verarbeitet. Der Bildschirm „Altarstatue“ oder besser „Heiliger Joseph“ bietet eine Fülle von Informationen zu allen vier Aspekten. In der Rubrik „Siehe auch“ finden sich zudem Literaturhinweise. Diese können allerdings nicht befriedigen. So fehlen Standardwerke der Josefologie ebenso, wie präzisere Angaben zu den zitierten Lexika. Allein der Hinweise auf das Lexikon des Mittelalters Band 5 ist doch etwas dürftig. Zum Vergleich: bei den „Engeln“ werden immerhin einzelne Lemmata zitiert, etwa das zur Angelologie von Karl Rahner im Lexikon für Theologie und Kirche. Unklar bleibt hier aber, warum die zweite und nicht die aktuelle dritte Auflage angeführt wird. Für den Hl. Joseph hätte sich übrigens das mehrbändige Marienlexikon als Nachschlagewerk angeboten, ein zwar frommes, doch sehr solides Werk mit vielen, gerade für die (Volks-)Frömmigkeit relevanten Literaturnachweisen.

Die inhaltliche Qualität der CD-ROM lässt sich besonders gut am Thema des Hochaltars festmachen. Ist der Altar als Herzstück der Kirche doch zugleich Schnitt- und Kulminationspunkt aller theologischen, historischen und künstlerischen Aspekte. Auf der CD-ROM lässt sich der Hochaltar sehr leicht über den Grundriss auf dem Startbildschirm finden. Allerdings wird hier nur das Bildprogramm des Altarbildes erläutert, einen Hinweis zu seiner liturgischen Funktion findet man zunächst nicht. Hier muss man die „Suche“ bemühen. Schnell findet man den Einstieg über „Themen“ unter dem Punkt „Altar“. Alle vier Aspekte werden bedient, allerdings sind die Beiträge hier nicht namentlich gezeichnet, im Unterschied zu den Beiträgen über den Heiligen Joseph. Unter dem Punkt „Glaube“ wird ein sehr spezielles Kapitel der kirchlichen Zeitgeschichte berührt, nämlich die traditionalistische Kritik an der im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils durchgeführten Liturgiereform. Der Leser erfährt hier Einzelheiten über die unerlaubten Bischofsweihen von Erzbischof Marcel Lefebvre und die nach dieser schismatischen Handlung gegründete Priesterbruderschaft St. Petrus mit Sitz in Wigratzbad. Im Zusammenhang mit den hinter diesen Vorgängen steckenden theologischen Fragen wird auch der Mahl- und Opfercharakter der Messfeier diskutiert. Spätestens hier kann ein Durchschnittsleser nicht mehr folgen. Nun zeigt es sich, inwieweit die CD-ROM eine interaktive Hilfestellung bietet. Im Glossar wird man enttäuscht. Unter dem Stichwort „Eucharistiefeier“ muss wohl ein Verweisungsfehler vorliegen, denn es finden sich nur verwirrende Begriffserklärungen ohne Bezug zum Thema versammelt. Geht man auf den „Suche“-Button der Hauptseite kann man sowohl in der Kategorie „Motive“, als auch in der Kategorie „Hintergründe“ einen Hinweis zur Eucharistie finden. Der Hinweis bei „Motive“ führt zu einem Fresko über ein Hostienwunder, der Hinweis bei „Hintergrund“ zu einer theologischen Erklärung, hier wieder namentlich gezeichnet. Diese liest sich allerdings wie aus einem Fachlehrbuch. Es darf bezweifelt werden, ob derartige Erläuterungen dem Ziel der CD-ROM gerecht werden, auch kirchenfernen Menschen einen fachlich fundierten Zugang zur künstlerischen und theologischen Botschaft des Sakralbaus zu bieten. Man fragt sich, was vor allem der Exkurs über den Traditionalismus mit der Basilika in Ottobeuren zu tun hat. Viel sinnvoller wäre es gewesen, die einzelnen Ausstattungsstücke des Altars näher zu erklären, etwa die prächtigen, nicht zu übersehenden Kanontafeln. Diesen Begriff freilich sucht man auf der CD-ROM vergeblich.

Insgesamt ist die vorliegende CD-ROM zwiespältig zu beurteilen. Die technische Umsetzung ist überzeugend. Dennoch dürfen darüber die inhaltlichen Mängel nicht übersehen werden. Die Herausgeber hätten die Artikel stärker vereinheitlichen sollen, vor allem mit Blick auf die dort gebotene Informationstiefe. In ihrer vorliegenden Form hinterlässt die CD-ROM den Eindruck eines unverbindlichen Infotainments anstatt einer soliden, didaktisch gut durchdachten Information. Die Uneinheitlichkeit in den Literaturangaben ist demgegenüber nur eine lässliche Sünde. Die CD-ROM will Beispiel und Muster sein, nach dem auch andere Kirchen erschlossen werden sollen. Man kann dazu nur ermuntern! Herauskommen kann eine völlig neue Dimension von Kirchenführer. Allerdings, und das sei deutlich gesagt, muss bei solchen Projekten größere Sorgfalt auf die Auswahl und Präsentation der Inhalte verwandt werden.

Kommentare

Von Hafner, Johann01.04.2004

Replik auf die Rezension zur CD ROM Himmel Heilige Hyperlinks

Sehr geehrter Herr Steinhauer, liebes H-Soz-u-Kult-Redaktionsteam,

wir, Rupert Scheule und Johann Hafner, waren schon sehr gespannt auf Herrn Steinhauers Rezension, die ja schon geraume Zeit auf seiner Homepage angekündigt war, was uns hoffen ließ, er würde sich intensiv mit unserer CD-ROM beschäftigen. Vorab und ganz grundsätzlich danken wir Ihnen für Ihr Interesse an unserer Arbeit.

Johann Hafner:
Ihre Kritik an der Textgestalt ist zutreffend (Auflagenangaben, Bibliografierung, an einigen Punkten umständliche Benutzerführung, uneinheitliche Endredaktion, namentliche Kennzeichnung), Ihre Kritik an der inhaltlichen Mängeln ist schlicht unsachgemäß. Wenn Sie in einer Stichprobe 2 Artikel aus der Vielzahl herausgreifen, möchte ich kurz die dort genannten Punkte reagieren.

1. Bei den Engeln werden nicht nur "immerhin einzelne Lemmata" zitiert, sondern die ganze Bandbreite der maßgeblichen Angelologien, von Origenes bis zum postmodernen Deutungen wie Serres. Wenn sie verschiedene Objekte lesen, werden Sie darauf stoßen.

2. Bei ihrer Stichprobe zum Hochaltar haben Sie zu früh weggeklickt und sind dann - über die Suchfunktion - auf den Artikel zum "Altar" gelangt. Dort - bei der Altarmensa selber - haben wir die Texte zu liturgischen Funktion und der Liturgiereform untergebracht. Das, was Sie gesucht hätten - nämlich die theologischen, ikonographischen etc Bezüge des Hochaltarblattes zum Gesamt der Kirche befinden auch dort. Sie hätten es nur anzuklicken brauchen.

Aus dem Hintergrundartikel "Programm der Kirche" geht zudem hervor, dass der Hochaltar keineswegs "der Schnitt- und Kulminationspunkt aller theologischen, historischen und künstlerischen Aspekte" bildet, sondern ein Element eines größeren Zusammenhangs ist. Wie kommen Sie auf diese Behauptung angesichts einer Rokoko-Kirche, die ja gerade Konzentrationen in ein gefächertes Programm auflösen möchte? Weiterhin ist der optische und theologische Mitte der Kirche der Kreuzaltar, nicht der Hochaltar. Aber auch das wird an vielen Stellen gesagt.

3. Wie der Titel sagt, ist diese CD als Hypertext angelegt, dh. man flaniert durch die Kirche und lässt sich vom einen auf das andere verweisen. Sie haben das selbst ausprobiert und haben sich auch - wie der reale Kirchenbesucher - in den vielen Bezügen verlaufen. Das war unsere Absicht. Ihr Urteil, hier handle es sich um "unverbindliches Infotainment" steht im Widerspruch zu ihrer Bemerkung einige Zeilen darüber, die die theologische Erklärung zur Eucharistie sei zu fachintern.

Insgesamt nehmen wir Ihre Bemerkungen zu Textgestalt ernst und werden bei einer Neuauflage nachbessern. Ihr Urteil zum Inhalt jedoch trifft uns nicht, weil Sie oberflächlich recherchiert haben.

Rupert Scheule :
Einige Anmerkungen zur Rezension sind auch von meiner Seite aus fällig:
Zunächst unterstütze ich alles, was Sie bereits von Prof. Hafner lesen konnten. Darüber hinaus möchte ich noch meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass Sie behaupten, bei den Literaturhinweisen zum Hl. Joseph würde sich lediglich ein vager Hinweis aufs Lexikon des Mittelalters Bd. 5 finden. Referenzpublikation für den Beitrag zum Hl. Joseph ist aber, wie Sie beim Lesen bemerkt haben dürften, der Aufsehen erregende Essay des Leibniz-Preisträgers A. Koschorke über die Hl. Familie. Dieser undeinige andere einschlägige Werke wurden natürlich angegeben. Dass Sie am Ende des Artikels ausgerechnet den Hinweis auf ein mariologisches Lexikon vermissen, kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. So war der Text einfach nicht gestrickt.

Im Übrigen wissen aber auch Prof. Hafner und ich, dass die bibliograf. Angaben da und dort eine wünschenswerte Vollständigkeit vermissen lassen. Bei den netto gut 1200 Textseiten, die wir durchzuackern hatten, können wir nicht ausschließen, dass wir dort, wo reine Formalia verhandelt wurden, gelegentlich ein bisschen schneller lasen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Rupert Scheule und Johann Hafner


Von Steinhauer, Eric02.04.2004

Replik von Eric Steinhauer auf die Anmerkungen von Rupert Scheule und Johann Hafner:

"Sie haben das selbst ausprobiert und haben sich auch - wie der reale Kirchenbesucher - in den vielen Bezügen verlaufen. Das war unsere Absicht." Ich finde, das ist ein merkwürdiges Selbstverständnis für ein Multimedia-Produkt. Meiner Auffassung nach sollten multimediale Anwendungen veranschaulichen, verdeutlichen und nicht verunklaren. Das genau meine ich mit im Wortsinn "unverbindlichem Infotainment". Man erfährt vieles, stellt aber nicht immer zutreffende oder vollständige Zusammenhänge her. Die Information steht isoliert, eben "unverbunden" da. Infotainment bedeutet im übrigen nicht einfach oberflächliche Information, sondern vor allem unzusammenhängende Information. Man pickt hier und da etwas auf, manchmal auch etwas sehr Spezielles. Doch alles bleibt Stückwerk, wenn das verbindende Band fehlt. Dann wird durch die Information kein Wissen aufgebaut, sondern im besten Fall "nur" unterhalten. Voilà: Infotainment. Zur Josefsliteratur: Die genannte Arbeit von Koschorke ist sicher kein geeigneter Schlüsseltext, um den Josefskult einer Rokoko-Kirche zu verstehen. Koschorke selbst schreibt in seinem Buch "Die Heilige Familie und ihre Folgen" auf S. 7, seine Arbeit sei "in dem Bewusstsein niedergeschrieben, dass die Reichweite ihres Themas die sachliche Kompetenz des Verfassers bei weitem überschreitet ... auf fast allen Gebieten: Theologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Psychohistorie, Familienforschung, Anthropologie". Empfiehlt sich ein solcher Text? Man sollte Literatur anführen, die das weite Feld der Volksfrömmigkeit beachtet und nicht vor dem Hintergrund der Bibel kulturphilosophische Spekulationen bietet. Im deutschen Sprachraum ist hier am besten das Marienlexikon geeignet, immerhin ein sechsbändiges Nachschlagewerk, das wegen seiner theologischen Position von Theologen vielleicht als marginal empfunden, von Nicht-Theologen aber wegen seiner Materialfülle in den Realien sehr geschätzt wird. Die geistige Welt des Marienlexikons jedenfalls entspricht der Bildersprache der Basilika eher als der vor dem Hintergrund der Freudschen Psychoanalyse geschriebene Essay des Konstanzer Germanisten. Damit sei abschließend eine ganz allgemeine Bemerkung zu den Literaturhinweisen für eine derartige CD-ROM gemacht: Man sollte sich, wenn ein breiteres Publikum angezielt wird, auf Werke beschränken, die ihrerseits Referenzcharakter haben und den interessieren Leser auf weitere Literatur aufmerksam machen, also vor allem auf gute Lexika und Handbücher. Die Kritik der beiden Autoren an meiner Rezension bekräftigt nur mein Urteil, daß die vorliegende CD-ROM vor allem mit Blick auf die Zielgruppe und in didaktischer Hinsicht überarbeitungsbedürftig ist. Dann liegt ein sehr guter digitaler Kirchenführer vor.


Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
rda_languageOfExpression_redig