C. Metzger: L'empire colonial francais

Titel
L'empire colonial francais dans la strategie du troisieme Reich: (1936-1945).


Autor(en)
Metzger, Chantal
Erschienen
Anzahl Seiten
1. Bd. 753 S., 2. Bd. 370 S.
Preis
€ 56,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Dass Deutschland in seinen Kolonialabenteuern wenig glücklich war, hat lange Zeit dazu geführt, dass eine unmittelbar nach dem Versailler Vertragsschluss befestigte Gedankenführung die deutsche Historiografie und die politische Haltung in der Bundesrepublik zum Problem des Kolonialismus bestimmte, wonach die (erzwungene) Abstinenz sich im Laufe des 20. Jahrhunderts als vorteilhaft erwiesen habe, da die Erfahrungen der Emanzipation und des Postkolonialismus das Verhältnis zu den ehemals von europäischen Metropolen abhängigen Territorien nicht belastete. In den 1960er-Jahren erlebte das Thema deutscher Kolonialgeschichte eine kurze Konjunktur, als ostdeutsche Historiker und ihre Kollegen aus afrikanischen und arabischen Staaten den Vorteil der Verfügung über einschlägige Archivbestände des Reiches, Preußens und der Kolonialgesellschaften in Merseburg und Potsdam nutzten, um eine Linie von den Verbrechen der kolonialen „Schutztruppen“ um 1900 über die Gelüste der Nazis, das 1919 Verlorene zurückzuerobern bis zu einer neokolonialen Politik der Bundesrepublik in den Nachkriegsjahren zu ziehen. Dies geschah sowohl vor dem Hintergrund einer Methodologie, die außenpolitische Vorgänge von Staaten auf die dahinter liegenden ökonomischen Interessen der Banken und Industrieunternehmen zurückzuführen suchte, als auch im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Kolonialgeschichte bekam auf diese Weise ihren Platz im Wettstreit zweier Großerzählungen deutscher Geschichte, denen sich mannigfache Detailforschung zuordnete, darunter auch Arbeiten zum Umgang des NS-Regimes mit den Ambitionen auf überseeische Besitzungen. Neben den (durch das Verschwinden zahlreicher Nazigrößen in Paraguay und Brasilien zusätzlich interessierenden) Bemühungen, in Lateinamerika Fünfte Kolonnen aufzubauen, bildete die deutsche Afrikapolitik und der Umgang mit Frankreichs Kolonialreich nach der Besetzung des Landes 1940 den Schwerpunkt entsprechender Forschungen. Klaus Hildebrand widmete seine Dissertation dem Nachweis kontinuierlicher Lobbyarbeit der Kolonialgesellschaften von der Weimarer Republik bis in die späten Dreißiger-Jahre, verneinte aber eine zentrale Rolle der Kolonialfrage im Konzept Hitlers und in der Strategie der Wehrmachtsführung. Dagegen veröffentlichte Alexandre Kum’a N’Dumbe III seine am Lyoner Zentrum für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1974 abgeschlossenen Recherchen zum gleichen Thema 1980 unter dem reißerischen Titel „Hitler voulait l’Afrique“. Aus der Perspektive eines frankophonen Afrikaners war der Griff nach den Rohstoffen durchaus ernst gemeint und lag keineswegs im Schatten der Ostexpansion und der Vernichtungspolitik gegenüber den Juden. In den 1980er-Jahren sank die Kolonialproblematik dagegen zu einem Nebenaspekt der zwischen Funktionalisten und Intentionalisten heiß umkämpften Erklärung nationalsozialistischer Außenpolitik ab.

Die vorliegende Thèse, die Chantal Metzger an der Sorbonne verteidigt hat, greift nun die Frage nach dem Platz des französischen Kolonialempire in der Politik des Dritten Reiches auf breitester Front wieder auf. Sie hat das verfügbare Quellenmaterial für eine außerordentlich detailreiche Arbeit herangezogen. Naturgemäß hat sich durch die Freigabe von Akten der zu berücksichtigende Aktenbestand gegenüber den Diskussionen in den 1960er-Jahren erheblich vergrößert: von Bonn über Koblenz und Freiburg zieht sich die Spur nach Berlin, von den Quellen der Diplomaten und Militärs in Paris und Aix-en-Provence bis zur Hinterlassenschaft des französischen Wirtschafts- und Finanzministeriums (vgl. das bis zum einzelnen Aktentitel aufgeschlüsselte Verzeichnis S. 997-1026 nebst der Bibliografie von zeitgenössischen und aktuellen Schriften S. 1027-1976). Auf der Grundlage dieser beeindruckenden Gelehrsamkeit zeichnet die Verfasserin die Entwicklung des Interesses an den Kolonien von 1936 bis zur deutschen Kapitulation im Mai 1945 nach. Für den Einsatz mit dem Jahr 1936 führt sie neben den vorliegenden Studien zur Kolonialpropaganda, denen aus dem hier bearbeiteten Quellenmaterial wenig Neues hinzuzufügen wäre, vor allem die Rede Hitlers vor dem Reichstag vom 7. März 1936 an, in der er sich für die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der Kolonialmächte aussprach und damit auch in diesem Punkt die Revision des Versailler Vertrages verlangte.

Nach einer Rekonstruktion der Diskurse, die diese prokoloniale Richtung unterstützen sollten, wendet sich Chantal Metzger im zweiten Kapitel der ökonomischen Bedeutung der Kolonien zu – ein Thema, das in der neueren französischen Literatur zur Kolonialgeschichte ausführlich behandelt worden ist und zu einer sehr skeptischen Betrachtung der möglichen Gewinne aus den kolonialen Beziehungen geführt hat. Das neu erwachte Interesse der Deutschen an kolonialen Besitzungen und die unverkennbare Ermutigung der Koloniallobby durch Hitler beunruhigte die übrigen europäischen Mächte, hatte aber vorerst nur geringe Konsequenzen nachdem sich Deutschland zunächst mit Verhandlungen über ökonomische Zugänge zu den überseeischen Kolonien der Alliierten zufrieden zu geben schien. Hieran schließt die Autorin eine ausführliche Darstellung der Personen an, die sich in der deutschen Wirtschaft, Politik, in den Geheimdiensten und in den Universitäten mit Aspekten der Kolonialfrage beschäftigten (S. 137-196), um von hier aus die Konkretisierung der Planungen für ein mögliches Engagement bei der Verwaltung von Kolonien nachzuzeichnen (S. 197-242).

Der zweiten Teil, der gewissermaßen die Ereignisgeschichte des Kontaktes der Deutschen mit dem französischen Kolonialreich zwischen 1940 und 1943 liefert, steht unter dem bezeichnenden Titel „la guerre de Hitler: une guerre sans objectif colonial“, denn tatsächlich lassen sich zwar zahlreiche Aktivitäten bei der Besetzung Nordafrikas und im Irakkrieg ausmachen, die auf eine langfristige Verwaltung der eroberten Gebiete und ihre Nutzung für deutsche Zwecke deuten, aber ein Gesamtplan ergibt sich aus diesen vielfältigen Interventionen, bei denen die Deutschen auf ihren italienischen Verbündeten und die Interessen des Pétain-Regimes in Vichy Rücksicht nahmen, nicht. In einem abschließenden Exkurs geht die Verfasserin allerdings auf Handels-, Rohstoff- und Infrastrukturinteressen der Deutschen ein, die ein nachhaltiges Engagement und die gute Planung belegen.

Der dritte Teil schließlich behandelt den Zusammenbruch der deutschen Träume von Kolonien, für die schon ein Kolonialpolitisches Amt im Aufbau war. Chantal Metzger erklärt die heftige Ablehnung, die diesen Versuchen, ein „Kolonialamt ohne Kolonien“ zu gründen, entgegenschlug mit der tiefen Abneigung, unter der die alte Wilhelminischen Garde im Verhältnis zu den führenden Paladinen des NS-Staates, vorweg Bormann und Himmler, litt, die schließlich auch Hitler auf dem Kurs eines prioritären Interesses am Osten Europas halten konnten. Der Leiter der Kolonialverwaltung, Reichsstatthalter von Epp, sah sich schon im Januar 1943, also vor der endgültigen Niederlage der deutschen Truppen in Nordafrika, mit einem Abwicklungsbescheid konfrontiert, nachdem Hitler die Einstellung aller Tätigkeiten, die einer künftigen Kolonialverwaltung zur Grundlage dienen sollten, verfügt hatte. Für die Haushaltsverhandlungen mit dem Reichsfinanzminister hatte von Epp nun eine Aufstellung zu liefern, welche Personen und welche Gebäude nebst Materialien für die Abwicklung als unbedingt nötig zu gelten hatten, und musste damit das böse Erwachen aus den Großmachtträumen selbst protokollieren (vgl. den Abdruck des Dokuments im Anhang, S. 988f.).

Mit dem militärisch unvermeidlichen Rückzug aus Tunesien im Mai 1943 endet die Geschichte jedoch noch nicht ganz. Vielmehr lassen sich in einem Schlusskapitel die Spuren der geheimen Emissäre, die die vordem Verbündeten im arabischen Raum für neue deutsche Vorstöße bei der Stange zu halten und nationalistischen Erhebungen Unterstützung zu geben versuchten, verfolgen. Ihre Lage wurde mit dem Kriegsverlauf immer verzweifelter und endete in „missions ponctuelles“.

Auf die zentrale Frage, inwieweit der Aufbau eines Kolonialreiches zu den strategischen Zielen Hitlers gehörte, gibt die Verfasserin eine nuancierte Antwort: Der Erwerb außereuropäischer Besitzungen erschien ihm wünschenswert, aber nicht notwendig. Es blieb eine Frage der Zweckmäßigkeit. Allerdings wusste er den Eindruck eines nachhaltigen Interesses an der Kolonialfrage in einem solchen Maße zu erwecken, dass jene, die aus politischen oder ökonomischen Gründen von einem deutschen Kolonialreich träumten, nachhaltig an das NS-Regime gebunden wurden. Während Hitler gegenüber England verschiedentlich zu erkennen gab, dass er keine Übergriffe auf die britischen Kolonien beabsichtige und damit hoffte, selbst freie Hand in Osteuropa zu gewinnen, blieb das Interesse an den französischen Kolonien virulent: zunächst als Gegenstand der Verhandlung mit Frankreich 1938/39 über eine Öffnung seiner kolonialen Märkte, später als Versuch, auf den Trümmern des Empire colonial eigene Kolonialträume zu verwirklichen. Als der Kriegsverlauf diesem Appetit entgegenstand, trat der rein instrumentelle Charakter des Engagements in Nordafrika und im Mittleren Osten wieder hervor. Es ging nun nur noch um die Rohstoffe für eine Fortsetzung des Krieges und eine Verzögerung des alliierten Vormarsches nach Südfrankreich. Die Koloniallobby hatte ihre innenpolitische Schuldigkeit getan, sie bekam das so heftig ersehnte Kolonialpolitische Amt schließlich nicht, sondern musste zusehen, wie bei Stalingrad und in der Normandie auch über ihre Phantasien von einem weltumspannenden deutschen Kolonialreich entschieden wurde.

Der zweite Band dieser minutiösen und ausgewogen argumentierenden Darstellung ist dem Abdruck von Dokumenten, der Bibliografie sowie Namens- und Ortsregister gewidmet.

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