Cover
Titel
Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I.


Autor(en)
Schumann, Jutta
Reihe
Colloquia Augustana 17
Erschienen
Berlin 2003: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
585 S.
Preis
€ 74,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schmidt, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Das Buch fragt nach etwas sehr modern Anmutendem, nach der medialen Aufbereitung und den medienpolitischen Strategien des Wiener Hofes zur Imagepflege eines Kaisers, dessen wichtigster Gegenspieler, König Ludwig XIV. von Frankreich, zumindest in dieser Hinsicht auch sein größtes Vorbild hätte sein können. Peter Burke hat vor Jahren die erfolgreiche Inszenierung des „Sonnenkönigs“ als Erfolgsmodell vorgeführt. Jutta Schumann hat nun ihre materialreiche – allein das Flugschriftenverzeichnis von mehr als hundert Seiten spricht für sich –, umsichtig deutende und gut erzählende Augsburger Dissertation „Die andere Sonne“ betitelt und damit nicht nur den Vergleich gesucht, sondern auch in Kauf genommen, dass Leopold I. als anderer, „zweiter“ und damit als Nachahmer erscheint. In ihren auch ikonografisch kenntnisreichen Ausführungen betont sie einerseits jedoch den legitimen Anspruch des Kaisers auf die Sonnensymbolik, um andererseits zu verdeutlichen, dass Leopold I. sich weniger als militärischer Triumphator und mächtiger Universalmonarch, sondern eher als betender Friedenskaiser (S. 302) darstellen und stilisieren ließ. Ob er sich auch als solcher verstand, oder ob diese Pose nur werbewirksam von ihm oder für ihn „erfunden“ wurde, ist eine Frage, der Schumann aufgrund ihrer Problemstellung einer imagebildenden Mediennutzung verständlicherweise nur geringe Beachtung schenkt, die für eine neue Biografie dieses noch immer unterschätzten Kaisers aber von zentraler Bedeutung sein könnte.

Die Analyse des Kaiserbildes in den Medien zeigt jedenfalls ein beeindruckendes Maß an Zustimmung und Prestigegewinn: War Leopold I. bei seiner Wahl nach einem längeren Interregnum 1658 noch auf viele Vorbehalte gestoßen und galt das Habsburger Kaisertum in Erinnerung an das Verhalten seiner Vorgänger im Dreißigjährigen Krieg bis zu Beginn der 1670er-Jahre als eine Gefahr für die deutsche Freiheit, wurde er danach zu deren Beschützer. Trotz seiner entschiedenen Katholizität und des spanischen Erbfolgekrieges starb Leopold I. 1705 als reichsweit geachteter Integrationskaiser, der das Reich stabilisiert und Deutschland gegen eine Übermacht von Feinden – Türken, Frankreich, Schweden – insgesamt doch recht erfolgreich verteidigt hatte bzw. hatte verteidigen lassen, denn er führte seine Truppen nicht selbst in den Kampf, sondern regierte von Wien aus. Da die Geschichtsschreibung Leopolds I. politische Leistungen eher verhalten gewürdigt hat, könnte man nun leicht auf den Gedanken verfallen, dass sein zeitgenössischer Prestigegewinn das Ergebnis einer höchst erfolgreichen Medienkampagne gewesen sei. Dies ist sicherlich ein bisher nicht genügend beachteter Gesichtspunkt, doch Schumann warnt gleichzeitig vor einer Überschätzung dieses Faktors. Bei der für sie erkenntnisleitenden Fragestellung kommt sie zu einem überraschend eindeutigen, gerade deswegen aber höchst interessanten Befund: Der propagandistische Aufwand des Kaiserhofes, um das Image Leopolds I. zu heben, war vergleichsweise gering. Die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Hofburg – und hier erweist sich der Untersuchungsansatz, alle denkbaren Formen und Medien zu berücksichtigen, als großer Gewinn – beschränkte sich auf Predigten, einige Medaillen, etliche Theaterstücke und größere Festivitäten anlässlich von Hochzeiten, Taufen und Krönungen sowie lancierte Zeitungsmeldungen darüber.

Diese Imagepolitik des Wiener Hofes analysiert Schumann ausführlich in ihrem dritten Kapitel anhand höfischer Feste, Kunst und Architektur sowie der Geschichtsschreibung. Während ihr die Darstellung des Kaiserbildes im zeitgenössischen Theater und auch in den Predigten hier nur exemplarisch möglich war und sicherlich eine eigene Arbeit rechtfertigen würde, bleibt der Anteil der nachweislich vom Kaiserhof in Auftrag gegebenen Flugschriften oder Flugblätter, den auch politisch meinungsbildenden Massenmedien des 17. Jahrhunderts, verschwindend gering. Da der Kaiser jedoch auch in diesen Medien in politischen Kontexten häufig präsent war, bringt die Arbeit eher beiläufig und auf höchst subtile Weise eine wichtige These der auch in Deutschland in den letzten Jahren stark vermehrten Forschungen zum Massenschrifttum ins Wanken: Die politische Publizistik wurde offensichtlich doch nicht in erster Linie von den Höfen oder Regierungen veranlasst. Obwohl Schumann in Wien, an der Schaltzentrale des Reichs, genau danach auch in den einschlägigen Archiven gesucht hat, ist sie kaum fündig geworden. Warum ließ sich der Kaiserhof diese Möglichkeit entgehen? Zur Beantwortung sind sicher weitere Forschungen nötig, doch als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Viele der im politischen Meinungsstreit parteiergreifenden Flugschriften – die Flugblätter spielen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle – sind nicht von den jeweils interessierten Regierungen, sondern ohne entsprechenden Auftrag von ihren Autoren und Verlegern verfasst, gedruckt und verkauft worden. Neben dem Wunsch, politische Werte und Einschätzungen einer lesenden und hörenden Öffentlichkeit zu vermitteln, dürften in vielen Fällen ökonomische Motive eine zentrale Rolle gespielt haben. Das vergleichsweise kurze Kapitel zu den Medaillen ist insofern höchst aufschlussreich, denn Schumann kann auch in diesem Fall nachweisen, dass keineswegs alle Medaillen mit propagandistischen Motiven auf den Wiener Hof zurückgehen. Wieder waren es in erster Linie wirtschaftliche Interessen, die ein positives Kaiserbild generieren halfen.

Das Bedürfnis, das Zeitgeschehen erläutert und kommentiert zu bekommen und dafür Geld auszugeben, war wohl in allen Schichten der Bevölkerung größer und weiter verbreitet als vielfach angenommen. Wenn dieses Schrifttum aber ein Verkaufserfolg werden sollte, durfte es sich von den politischen Wünschen und Vorstellungen der potentiellen Käufergruppen nicht allzu weit entfernen, d.h. es musste die gängigen Weltbilder bestätigen oder diese – wie die politische Kulturforschung gezeigt hat – behutsam zu verändern suchen. Insofern bieten die Flugschriften doch mehr als nur die Meinung ihrer meist anonymen Autoren oder – so Wolfgang Burgdorf – einen abgeschlossenen „intergouvernementalen Diskurs“. Schumann führt dazu das Erklärungsmuster einer „multiplizierenden Imagepflege“ ein, das „alle nicht vom Hof selbst in Auftrag gegebenen imagewerbenden Botschaften umfaßt“ (S. 36). Sie geht davon aus, dass es im 17. Jahrhundert eine öffentliche Meinung gab, unterscheidet aber parallele Öffentlichkeiten – Führungsschicht, Gelehrte, Zeitungsleser –, die sich allerdings überlagerten (S. 26), und warnt davor, die propagandistischen Wirkungsmöglichkeiten zu überschätzen (S. 31).

Das fast 200-seitige Hauptkapitel beschäftigt sich anhand einschneidender Geschehnisse mit dem Bild des Kaisers in der Tagespublizistik, die als Flugschriften, illustrierte Einblattdrucke, Zeitungen und historische Lieder definiert wird. Im Mittelpunkt stehen die Flugschriften zu Wahl und Krönung, den Türkenkriegen 1663/64, der ungarischen Magnatenverschwörung 1671, den Kriegen gegen Ludwig XIV. und erneut gegen die Türken in den 1680er-Jahren sowie der Wahl Josefs I. zum römischen König. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die vielen neuen Einsichten und Einschätzungen aus den zeitgenössischen Kommentaren zu referieren oder gar einordnend zu kommentieren. Seit den 70er-Jahren wurden die friedliche Intentionen, aber auch der Wille des Kaisers, das Reich mit Waffengewalt gegen Übergriffe zu sichern, einhellig gelobt (S. 139). Der friedfertige Kaiser wurde so in Deutschland zum wirkungsvollen Gegenbild des waffenstarrenden Ludwigs XIV., dem nun die ehemals mit den Habsburgern verbundenen universalmonarchischen Absichten unterstellt werden. Während die Publizistik einerseits den Kaiser in der Gefangenschaft der Jesuiten sah (S. 167), und ihm riet, sich von ihnen zu befreien (S. 181), feierte man ihn andererseits als großen Türkensieger. Bildliche Darstellungen zeigen den Kaiser in unübersehbarer Rivalität mit dem französischen König als Sonne, die über den türkischen Halbmond triumphiert hat (S. 179). Da gleichzeitig die französischen Angriffe abgewehrt werden konnten, erscheint Leopold als Sieger über zwei mächtige Gegner. Während er nun einerseits als Sonne und Adler triumphierend dargestellt wird (S. 208), rücken die auf ihn selbst zurückgehenden künstlerischen Inszenierungen eher die sakrale Stellung und den betenden Kaiser in den Mittelpunkt (S. 295, 302).

Die vorliegende Arbeit ist fraglos ein Durchbruch der historischen Imageforschung in Deutschland. Sie analysiert richtungweisend das Zusammenspiel unterschiedlicher Medien sowie einer vom Hof ausgehenden Öffentlichkeitsarbeit und verdeutlicht beispielhaft, dass sich ein positives Kaiserimage besser vermarkten ließ, weil es den Erwartungen und Wünschen der Rezipienten entsprach. Neben dem bereits betonten Verzeichnis der ca. 1.000 ausgewerteten Flugschriften sind die ausgewählten und im Anhang auf 40 Seiten gedruckten Abbildungen illustrierter Flugblätter, Herrscherstiche sowie Münzen und Medaillen höchst aufschlussreich. Dies alles bringt die historische Forschung ein gutes Stück voran, wobei ganz besonders positiv hervorzuheben ist, dass Jutta Schumann sich nicht auf die Auswertung des gedruckten Materials beschränkt, sondern in mühevoller Archivarbeit versucht hat, die Urheber von Imagebildung und gezielter Öffentlichkeitsarbeit zu ermitteln. Medien- und Imagekampagnen – so ihr neues und beeindruckendes Ergebnis – müssen nicht auf die davon profitierenden Regierungen zurückgehen. Die Zukunft der kulturhistorischen Medienforschung ist wieder offen. Sie liegt nicht mehr nur in sprach- und text-, sondern auch in politik- und sozialhistorischen Rekontextualisierungen.

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