R. Bohn u.a.: U-Bootbunker "Kilian"

Titel
U-Bootbunker "Kilian". Kieler Hafen und Rüstung im Nationalsozialismus


Autor(en)
Bohn, Robert; Oddey, Markus
Reihe
IZRG-Schriftenreihe 8, Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 44
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nicole Mehring, Kolleg Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien am Institut Kunst - Textil - Medien, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

Robert Bohn und Markus Oddey, beide Mitarbeiter am Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) der Universität Flensburg, liefern mit ihrer Publikation über den U-Bootbunker „Kilian“ eine umfassende und differenzierte Dokumentation über die Entstehungs- und Baugeschichte des Bunkers im Nationalsozialismus sowie über die Geschichte des späteren Umgangs mit diesem Bauwerk am Ostufer des Kieler Hafens.

Im ersten Teil steht die Geschichte des Bunkers im Kontext des Kieler Hafens als Standort der deutschen Rüstungsindustrie von 1939 bis 1945 im Mittelpunkt. Dargestellt wird, wie die Kaiserliche Marine in Kiel bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts „in jeder Hinsicht das wirtschaftliche, soziale und politische Leben“ bestimmte (S. 32) und wie nach 1933 die Nutzung der Uferflächen „ganz auf die Bedürfnisse der Marine bzw. des Kriegsschiffbaus ausgerichtet“ wurde (S. 42). Detailliert werden auch die Entwicklung des Bombenkrieges über Kiel sowie die Bedeutung des U-Bootkrieges für das nationalsozialistische Deutschland herausgearbeitet.

Der im November 1943 fertig gestellte Kilianbunker auf dem Gelände der Howaldtswerke (einer der Kieler Großwerften) besaß zunächst die Aufgabe, Reparaturen und Restarbeiten an U-Booten zu schützen. Der Baugeschichte und -durchführung widmen Oddey und Bohn das umfangreichste Kapitel ihrer Dokumentation. Die Bedeutung des Kieler Bunkers im Zusammenhang mit den anderen U-Bootbunkern in Deutschland und Frankreich, dem System der Fremd- und Zwangsarbeit bei der Errichtung von „Kilian“, den Luftschutzmaßnahmen der Industrie sowie den technischen Details in der Bauphase und Rüstungsproduktion wird differenziert dargelegt. Bohn und Oddey resümieren, dass die Bombardierungen des Kieler Hafens kaum die in die Bunker verlegten Arbeiten oder Reparaturen beeinträchtigten (S. 146) und dass auch die „Flächenbombardements zu keiner entscheidenden Beeinträchtigung der ‚Kriegsmoral’ führten“ (S. 148).

Abgeschlossen wird der historische Teil durch ein Kapitel über „Besatzungszeit und Demontagepolitik“. Skizziert wird die erste Sprengung des Kilianbunkers 1946, nach der aber – wie auch nach einem späteren zweiten Sprengungsversuch – nicht abgetragene architektonische Überreste vor Ort blieben. Hier wird bereits erwähnt, dass das Gelände mit der Bunkerruine durch neue Möglichkeiten für eine zivilwirtschaftliche Nutzung bald wieder ins Blickfeld der Hafenwirtschaft rückte (vgl. S. 164).

Eben daran knüpft der zweite, unmittelbar zeithistorische Teil der Publikation an, in dem der Meinungsstreit um die Nutzung des ehemaligen Bunkergeländes mit seinen Ruinenresten nachgezeichnet wird. Bohn und Oddey weisen bereits im Vorwort darauf hin, dass es „ausdrücklich nicht die Aufgabe dieser Dokumentation [ist], die unterschiedlichen Positionen der Streitparteien und deren Aktivitäten ausführlich zu bewerten – das gilt sowohl für denkmalsgeschichtliche als auch für betriebswirtschaftliche und wirtschaftliche Fachfragen“ (S. 11). Methodisch stützen sich die Autoren größtenteils auf eine Auswertung der Tagespresse, um die rund 20 Jahre anhaltende Auseinandersetzung bis ins Jahr 2000 um die Nutzung der Bunkerruine „Kilian“ darzustellen. In diesem Streit standen sich Argumente der Wirtschaftlichkeit des Bunkergeländes im Rahmen einer Hafenvergrößerung und Argumente für den Denkmalswert der Überreste unvereinbar gegenüber. Die verschiedenen Streitparteien wie die Stadt Kiel, die Seehafen Kiel GmbH, das Landesamt für Denkmalpflege oder die Bürgerinitiative „Mahnmal Kilian e.V.“ werden ebenso beleuchtet wie die verschiedenen politischen und gerichtlichen Instanzen der Entscheidungsfindung.

Darüber hinaus wird „Kilian“ als Ort der NS-Geschichte mit weiteren Erinnerungsorten der Kieler Förde in Beziehung gesetzt: dem Marine-Ehrenmal Laboe sowie dem U-Boot-Ehrenmal Möltenort. Auch künstlerische Umgangsweisen mit dem Bunker werden vorgestellt. Dabei kommen Bohn und Oddey zu dem Schluss, dass „die künstlerischen Entwürfe für die offizielle Debatte um den Denkmalswert der Bunkerruinen nur eine unbedeutende Rolle gespielt“ hätten (S. 201), immerhin aber die Bemühungen der Denkmalpfleger und Bunkerschützer unterstützt hätten. Dennoch ist die Debatte letztlich zugunsten der Wirtschaftlichkeit und Hafenerweiterung entschieden worden – die Bunkerreste wurden im Jahr 2000 abgetragen. Pläne der Bürgerinitiative für ein Mahnmal bzw. ein Museumsprojekt konzentrieren sich nun ersatzhalber auf einen anderen Bunker, den der Verein ersteigert hat.

Die vorliegende Publikation zeichnet sich durch eine übersichtliche und systematische Gliederung aus. Leider fällt der spannende zweite Teil mit nur ca. 70 Seiten erheblich kürzer aus als der erste, ca. 150-seitige Teil. Die Beschreibung der künstlerischen Rezeptionen im zweiten Abschnitt der sonst sehr detaillierten Untersuchung bleibt eher holzschnittartig. Bohn und Oddey begründen zwar die erst zögerlich entstehende Wahrnehmung des Bunkers und seiner symbolischen Bedeutung durch Veränderungen im öffentlichen Denkmalverständnis wie auch im allgemeinen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (vgl. S. 176ff.), doch sollten die Gründe für die Exterritorialisierung dieser ambivalenten Orte, an denen eindeutige Opfer- und Täterzuschreibungen verschwimmen, noch umfassender analysiert werden. Im Fall des Bunkers „Kilian“ lassen sich wirtschaftliche und/oder kulturelle Belange verhältnismäßig einfach kontrastieren, während an vielen anderen Bunker-Orten die Konflikte nicht so polarisiert verlaufen.1 Die Bunker erscheinen als „schwierige Erinnerungsorte“ einer nicht homogenen deutschen Erinnerungsgeschichte, als Ausdruck eines Geflechts mit „unterschiedliche[n] und gegenstrebige[n] Erinnerungen mit ganz verschiedenen Rhythmen und Richtungen [...]. In diesem Geflecht kreuzen sich die Erinnerungen von Individuen und Generationen, von Siegern und Besiegten, von Opfern und Tätern.“2 Ausgehend von dieser Perspektive wäre auch die Rezeptionsgeschichte des Bunkers „Kilian“ eingehender zu beleuchten.

Insgesamt bildet diese konzentrierte historische Dokumentation eine wichtige Basis für eine interdisziplinär angelegte Forschung. Mit Fragen der Geschichtserinnerung und (auch touristischen) Nutzung von Bunkern beschäftigen sich inzwischen unter anderem ArchitektInnen, GeografInnen, Kunst- und KulturwissenschaftlerInnen. Bereits ein 1999 ausgerichtetes internationales Symposium führte verschiedene Nutzungskonzepte und Erinnerungspraktiken in und an Bunkern aus der Perspektive verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und Initiativen zusammen; daraus ging eine von Bohn und Oddey nicht berücksichtigte Publikation hervor.3

Anzumerken ist schließlich, dass eine Reflexion der Arbeitsbegriffe und der eigenen Bedeutungsproduktion durch diese Form der Dokumentation wünschenswert gewesen wäre. Die Kernbegriffe des „Erinnerns“ und der „Authentizität“ des Ortes werden von Bohn und Oddey für den Rahmen der Untersuchung kritiklos aus den jeweiligen Kontexten übernommen. Die Erkenntnis aber, dass jedes Erinnern Rekonstruktion und die „Authentizität“ des Ortes eine problematische Kategorie ist,4 würde der kritischen Selbstreflexivität – nicht nur der historischen Forschung – zugute kommen.

Anmerkungen:
1 Als Beispiele für vergleichbare Kontroversen seien erwähnt: der 1982 vom Kulturamt Hamburg ausgeschriebene Ideenwettbewerb zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Hochbunkern vgl. dazu: Foedrowitz, Michael, Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland, Berlin 1998, S. 181; zur Diskussionen um den Umgang mit den Gefechtsbunkeranlagen des ehemaligen „Westwalls“ vgl.: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (Hg.), Wir bauen des Reiches Sicherheit. Mythos und Realität des Westwalls 1938–1945, Berlin 1992; zur Diskussion um den Umgang mit den Wiener Flaktürmen vgl.: Mattl, Siegfried, Melancholische Giganten. Die Wiener Flaktürme, in: Wenk, Silke [Hg.], Erinnerungsorte aus Beton: Bunker in Städten und Landschaften, Berlin 2001, S. 71-88.
2 Assmann, Aleida; Frevert, Ute, Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999, S. 12.
3 Wenk (wie Anm. 1).
4 Vgl. Hoffmann, Detlef, Authentische Erinnerungsorte, in: Meier, Hans-Rudolf; Wohlleben, Marion (Hgg.), Bauten und Orte als Träger von Erinnerung. Die Erinnerungsdebatte in der Denkmalpflege, Zürich 2000, S. 31-45.

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