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Titel
"Bonne Police". Frühneuzeitliches Verständnis von der guten Ordnung eines Staates in Frankreich


Autor(en)
Iseli, Andrea
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Landwehr, Philosophische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

In der Rückschau auf die Entwicklung des eigenen Fachs im 20. Jahrhundert beklagt die deutschsprachige Geschichtswissenschaft regelmäßig, dass wichtige methodische und theoretische Neuerungen verpasst worden seien, dass man es versäumt habe, bestimmte Themen zu besetzen und dass innovative Ansätze ihre Heimat mehr oder weniger ausschließlich in der französischen und anglo-amerikanischen Forschung gefunden hätten. Und ohne Zweifel ist es so, dass die deutschsprachige Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich nicht immer glänzend dastand, auch wenn seit den 1960er-Jahren einiges an Boden wieder gut gemacht werden konnte.

Zuweilen möchte man mit Asterix und Obelix jedoch ausrufen. Ganz Gallien? Nein! In einigen kleinen Dörfern der Forschungslandschaft hat sich die innovative Hartnäckigkeit deutschsprachiger Historikerinnen und Historiker einen Weg gebahnt. Zu diesen tapfer Ausharrenden gehört beispielsweise die Erforschung frühneuzeitlicher „guter Policey“, wie sie sowohl an dem mit einem entsprechenden finanziellen Zaubertrank ausgestatteten Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main als auch in dem Berner Policey-Projekt von Peter Blickle betrieben wird. Beide Unternehmungen zusammen genommen haben im Hinblick auf Projektdauer, Publikationen und Tagungen inzwischen solche Dimensionen erreicht, dass andere Länder möglicherweise bereits mit Neid auf die tief schürfende Erforschung dieses Zentralbereichs frühneuzeitlicher Geschichte blicken. Denn, so muss man feststellen, außerhalb deutscher Sprachgrenzen werden entsprechende Projekte schmerzlich vermisst. Allerdings muß das auch die deutschsprachige Policeyforschung beklagen, weil es gerade die vergleichende Perspektive ist, die neue Aufschlüsse ermöglichen kann.

Eine solche Lücke schließt nun Andrea Iseli mit ihrer Dissertation zur „guten Policey“ im frühneuzeitlichen Frankreich, die im Rahmen des Berner Policeyprojekts entstand. Iseli hat dabei diese Lücke keineswegs nur notdürftig, sondern mit dem Mut zur weit greifenden Behandlung des Themas in vorbildlicher Weise geschlossen. Es ist ihr gelungen, einen fast schon handbuchartigen Überblick über die Weite des Themenfeldes mit genau recherchierten Detailstudien zu kombinieren. Der Anspruch der Fragestellung ist sicherlich kein geringer, wenn die französische „bonne police“ in ihrer gesamten Breite zum Thema gemacht werden soll – also sowohl hinsichtlich ihrer Theorie, als auch ihrer Institutionen und Verfahrensweisen. Dieses Ziel verfolgt Iseli in zwei größeren Teilen, von denen sich der eine der Theorie der Policey, der zweite ihrer Praxis zuwendet.

Hinsichtlich der Policeytheorie zeigt sich am französischen Beispiel – ähnlich wie in anderen frühneuzeitlichen Policeydiskussionen – zunächst einmal eine unübersehbare Schwierigkeit beim Policeybegriff selbst. Iseli versteht ihn nicht als Entität, die mit einer eindeutigen Definition wie beispielsweise der weit gehenden Übereinstimmung mit dem Begriff der Verwaltung bestimmt werden könnte, sondern als Handlungsmuster, das sich vor allem hinsichtlich seiner Funktionen, seiner institutionellen Praxis und seiner Umsetzung im Alltag konkretisiert. Policey ist dabei eingespannt in ein Dreieck, das von den Eckpunkten Verwaltung, Regierung und Justiz gebildet wird und bezieht sich konsequenterweise auch als umfassender Begriff gleichzeitig auf politische Ordnung, Institutionen und Gesetzgebung: „Policey war Beschreibung für den wünschbaren Zustand von guter Ordnung. Policey war gleichzeitig aber auch das Instrument, um diese Ordnung zu erhalten, und sie verfügte über entsprechendes Personal, geeignete Mechanismen und Instanzen.“ (S. 167)

Iseli folgt vor diesem Hintergrund zunächst den unterschiedlichen Konzeptionen von Policey zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert. In diesem knapp gehaltenen, aber wirklich gelungenen Überblick behandelt sie die wichtigsten Autoren der französischen Policeytheorie, bei denen es sich vielfach zugleich auch um herausragende Gestalten der politischen Ideengeschichte handelt – wie Claude de Seyssel, Michel de l’Hôpital, Jean Bodin, Mayerne Turquet, Cardin le Bret oder Jean Domat. Während sich, den spätmittelalterlichen Begriffstraditionen folgend, für das 16. und 17. Jahrhundert noch eine klare Verbindung zwischen police und politique nachweisen lässt, die sowohl etymologischer als auch inhaltlicher Art ist, löst sich dieser Konnex im Verlauf des 18. Jahrhunderts allmählich auf. Die Praktiker der Policeyverwaltung, die Policey in stärkerem Maße als Technik und Instrument der Regierungskunst verstehen, erhalten nun in den theoretischen Debatten ein deutliches Übergewicht. In diese Entwicklung fügt sich auch das Aufkommen von speziellen Policeyhandbüchern im 18. Jahrhundert, die sich vornehmlich auf die Anwendung des jeweiligen Instrumentariums konzentrierten.

Im zweiten, deutlich umfangreicheren Teil der Untersuchung widmet sich Iseli der Praxis der französischen Policey in der Frühen Neuzeit, wobei hier die Arbeit der verschiedenen Ebenen der Verwaltung im Mittelpunkt steht. Es geht also weniger, wie man möglicherweise erwarten könnte, um Fragen des Erfolgs oder Misserfolgs policeylicher Maßnahmen in der tatsächlichen Umsetzung, sondern um die Bedingungen und Möglichkeiten, denen das Policeyhandeln der unterschiedlichen administrativen Bereiche unterworfen war. Dazu gehörte beispielsweise die Trennung zwischen Policey und Justiz, die zwar in der Theorie durchaus vorhanden war, im Alltagsgeschäft der Verwaltung allerdings nicht durchgehalten werden konnte, da Policey immer auf die Kompetenzen der Gerichtsbarkeit angewiesen war.

Um den Rahmen dieser Policeypraxis besser abstecken zu können, erläutert Iseli in einem nächsten Schritt den nicht gerade leicht zu durchschauenden Aufbau der frühneuzeitlichen französischen Verwaltung, wobei sie sowohl die königliche als auch die regionale und die städtische Ebene berücksichtigt. In dieser Weise vorbereitet, kann sich Iseli ausgewählten Bereichen der Policeypraxis zuwenden, wobei die Lebensmittelversorgung, der Straßen-, Brücken- und Städtebau sowie die Gesundheitspolicey im Mittelpunkt stehen. Während mit Blick auf die Lebensmittelversorgung (oder „Kornpolicey“) die Sicherung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln im Vordergrund stand – in der Wahrnehmung der Bevölkerung handelte es sich dabei um den wichtigsten Aufgabenbereich der politisch Verantwortlichen überhaupt – konzentrierte sich die Baupolicey auf den Unterhalt eines Straßennetzes, den Kanalbau oder die Stadtplanung, die Gesundheitspolicey auf Sicherungsmaßnahmen vor allem in Zeiten von Seuchen und Pestzügen.

Gerade in vergleichender Perspektive ist dabei die Beobachtung Iselis von Bedeutung, dass sich in Frankreich Policey offenbar auf den öffentlichen Raum beschränkte. Denn für den deutschsprachigen Raum stellte es eine Selbstverständlichkeit dar, dass obrigkeitliche Policey auch in denjenigen Bereich eingriff, der sich im Lauf der Frühen Neuzeit allmählich als privater vom öffentlichen abzutrennen begann – wie der von Ehe und Familie.

Iselis Arbeit eröffnet ohne Zweifel wichtige Einblicke in das weite Feld der frühneuzeitlichen Policey in Frankreich. Auch wenn beispielsweise die Behandlung der Armenpolicey etwas knapp ausgefallen ist, handelt es sich nicht einfach nur um eine hervorragende Ergänzung zu bereits vorliegenden Ergebnissen, sondern um einen grundlegenden Beitrag, welcher der Forschung zahlreiche Aspekte erstmals zugänglich macht. Daher wäre auch ein Export dieser Arbeit in Form einer französischen Übersetzung sicherlich angebracht und wünschenswert.

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