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Titel
Männlichkeitskonstruktionen in der Freiheitlichen Partei Österreichs. Eine Qualitiativ-empirische Untersuchung


Autor(en)
Geden, Oliver
Reihe
Forschung Soziologie 200
Erschienen
Anzahl Seiten
133 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Katerina Kratzmann, Wien

Zum Frühjahr diesen Jahres ist im Verlag Leske + Budrich ein schlaues kleines Buch des Europäischen Ethnologen Oliver Geden erschienen. Unter dem Titel „Männlichkeitskonstruktionen in der Freiheitlichen Partei Österreichs. Eine qualitativ-empirische Untersuchung“ beforscht Geden den gender Aspekt der rechtsorientierten Partei und kommt in seinem ungewöhnlichen Zugang zu fruchtbaren Ergebnissen. Die Forschungen zur Vergeschlechtlichung rechtsextremer Parteien sind in Deutschland relativ mager und widmen sich, wenn überhaupt gender orientiert, meistens den Frauen. Diese Lücke zu schließen und bereits vorliegende Arbeiten um die Analyse der Männlichkeitskonstruktionen in institutionalisierten und alltäglichen Diskursen zu erweitern, ist das engagierte Ziel des Buches.

Die zentrale Frage der Untersuchung ist, warum die FPÖ so überaus attraktiv für Männer ist. Die FPÖ kann als typische Männerpartei gelten, da seit fünfzehn Jahren um die 60 Prozent der Stimmen von Männern stammen und der Männeranteil bei Funktionären noch höher liegt als in anderen Parteien. Um sich dieser Fragestellung anzunähern, konzentriert sich der Autor auf die Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen in zwei diskursiven Quellen: Einerseits die institutionalisierten Diskurse in Form einer Analyse freiheitlicher Periodika (Neue Freie Zeitung und Zur Zeit) und andererseits die Auswertung von Alltagsdiskursen in eigens durchgeführten Gruppendiskussionen mit Funktionären des Rings Freiheitlicher Jugend. Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob die FPÖ als rechtsextreme Partei einzustufen ist, und der Autor weist selbst darauf hin, dass Männlichkeitskonstruktionen im Rechtsextremismus „in ihrem Kern keine genuin rechtsextremen Männlichkeitsideale“ sind (S. 119). Es ist also nicht die Absicht, Männlichkeiten mit dem Label „rechtsextrem“ zu versehen, sondern das Verständnis von politisch rechts orientierten Männern zu ihrer eigenen Männlichkeit zu erforschen und diese in Beziehung zu ihrem politischen Handeln zu setzen.

In fünf Kapitel unterteilt, erfährt der Leser jedoch nicht nur etwas über rechtsextrem orientierte Parteien und deren Männlichkeitskonstruktionen. Es wird vielmehr vermittelt, wie man eine wissenschaftliche ethnologische Untersuchung gestalten und diese theoretisch und methodologisch verankern kann. Das Buch wird zwar unter „Forschung Soziologie“ gehandelt, fühlt sich aber gerade der ethnologischen Forschung als einer Perspektive verpflichtet, „die Politik in ihrem alltäglichen Vollzug in sozialen und kulturellen Praktiken analysiert“ (S. 11).

Dementsprechend findet sich im dritten Kapitel eine ausführliche Beschreibung des Forschungsdesigns, welches sich vor allem dem Feldzugang, der Datenerhebung und der Auswahl des empirischen Materials so wie methodischen Fragen der Auswertung widmet. Hervorragend arbeitet Geden die wesentlichen Faktoren heraus, die seine Forschung beeinflussten, und skizziert sensibel seine Entscheidungsprozesse, welche ihn in der vorliegenden Studie geleitet haben. Das Vorgehen des Forschers wird in ethnologischen Forschungen stets thematisiert und Erfahrungen im Feld, wie die vom Autor beschriebenen „undercover Ermittlungen“ oder das „worst case scenario“, und deren Auswirkungen auf die Ergebnisse liefern eine ausgezeichnete Quelle für methodologische Überlegungen.

In einer dichten Analyse des medialen Diskurses arbeitet der Autor im vierten Kapitel heraus, wie der Männlichkeitsdiskurs als Teil des übergreifenden Geschlechterdiskurses in der FPÖ verhandelt wird. Die klassische konservative Aufteilung der Aufgabenbereiche von Männern und Frauen, in das „was sie nun einmal am besten können“ (S. 113), wie es ein FPÖ Funktionär in den Gruppengesprächen formuliert, bestimmt das Bild. Die Frau ist zuständig für die drei Ks: Kinder, Kirche und Küche, und der Mann gilt als Versorger der Familie und Person des öffentlichen Lebens. Männer werden als biologisch determinierte Wesen betrachtet und über die Biologisierung wird die Funktion von Mann und Frau in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen als „artgerechte Rollenaufteilung“ legitimiert. Fundiert wird die „Natürlichkeit“ dieser Rollenaufteilung vor allem auf demografischen Argumenten, nach denen der „katastrophale Geburtenrückgang“ das „Überleben des österreichischen Volkes“ gefährdet. „Die Rolle des Familienvaters auszufüllen, gilt demgegenüber als Pflichterfüllung des Mannes gegenüber der Zukunft des eigenen Volkes“ (S. 81), schlussfolgert Geden und verweist damit auf die grundlegende leitende Bedeutung des Volksbegriffes und -verständnisses in rechtsextremen Parteien.

Im Alltagsdiskurs kommt jedoch ein leicht verändertes Bild zu tragen. Gedens Zugang zum Feld war wesentlich bestimmt durch die Darstellung seines Forschungsvorhabens „in einem konzeptionell aufeinander abgestimmten Ensemble spezifischer Betonungen, Auslassungen und Falschinformationen“ (S. 85) gegenüber den FPÖ Funktionären, womit er als politisch anders Denkender jederzeit der „Enttarnung“ ausgesetzt war. Die Befürchtungen, dass Gruppendiskussionen eventuell nicht stattfinden könnten, gründeten sich vor allem darauf, dass der Autor bereits vor der Untersuchung ein Sachbuch zum Thema Rechtsextremismus veröffentlicht hatte, welches deutlich seine politische Orientierung erkennbar machte. Daher war Geden stets darum bemüht, möglichst „neutral“ aufzutreten. Es bleibt fraglich, ob dies die „richtige“ oder „korrekte“ Herangehensweise ist, was in einem Unterkapitel über das Verhältnis von Forschungsethik und Forschungspraxis reflektiert wird. Und auch als Leser fragt man sich, ob nicht auch ein Offenlegen der eigenen differenten politischen Überzeugung zu fruchtbaren Diskussionen hätte führen können, ganz zu Schweigen davon, dass der Forscher auf diese Weise sich selbst angreifbar gemacht und damit auf eine Ebene mit seinen Diskutanten gestellt hätte.

Nach der Schilderung des Feldzugangs gibt der Autor seine Erkenntnisse aus drei Gesprächsrunden mit FPÖ Funktionären wieder, was den spannendsten Teil des Buches darstellt. Es werden Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Verständnisses von sich selbst und der Welt hinterfragt und mit größeren Interpretationssystemen in Verbindung gesetzt. So schildert Geden, dass seine Eingangsfrage nach der Bedeutung des Mann-Seins von den Diskussionsteilnehmern als „extrem schwierig“ eingeschätzt wurde, da man sich die Frage „so noch nie gestellt“ hätte (S. 90). Im Gegensatz zum biologistischen Ansatz in den freiheitlichen Periodika gehen die Teilnehmer in den Gesprächen überwiegend davon aus, dass bei der Geschlechterdifferenz kulturelle Einflüsse wirksam sind. In der Erziehung erlernte Werte und Verhaltensweisen würden im Erwachsenenleben aktiv praktiziert, und Männer handeln gemäß vorgegebener gesellschaftlicher Rollen, da dies von ihnen erwartet würde. Das Wissen um die Konstruiertheit bestimmter Männlichkeitsbilder führt jedoch nicht dazu, wie der Autor sehr schön zeigt, diese auch verändern zu wollen. Die Bindung an eine Kultur, als zweite Haut und Natur, wird herangezogen, wenn das „doing masculine“ gerechtfertigt und als positiv bewertet wird.

Allerdings ist das Bild vom Manne im Alltag weniger eindeutig als jenes Bild, welches im medialen Diskurs zum tragen kommt. Als Opfer von Frauenemanzipation und Gleichstellungspolitik fühlen sich die Männer unter Konkurrenzdruck zum schwachen Geschlecht und deutlich benachteiligt durch die Umbrüche im Geschlechterverhältnis. Der Mann habe auch seine Probleme, welche überwiegend durch das Herausfallen aus der alten eindeutigen Rolle begründet seien, und die Bestrebungen der FPÖ, traditionelle Geschlechterarrangements auch für Frauen wieder attraktiver zu machen, wird von den Funktionären deutlich begrüßt. So scheint die Anziehungskraft der Männlichkeitskonstruktionen der FPÖ vor allem auch darin begründet zu sein, dass „die Freiheitlichen die im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse für Männer auftretenden Verunsicherungen aufgreift und ihren politischen Projekten und kulturellen Leitbildern ein die Geschlechterdifferenz deutlich betontes Deutungsmuster zugrunde liegt“. (S. 116ff.)

Bei den Ergebnissen, vor allem der Gesprächsrunden, fällt sofort auf, dass sich hier ein breiter gesellschaftlicher Diskurs wieder findet und die geäußerten Argumentationen auch bei Anhängern anderer politischer Parteien auftauchen könnten und mitnichten spezifisch „rechtsextrem“ sind. Man hätte eventuell auch andere Punkte neben den Männlichkeitskonstruktionen beachten müssen, wenn es um die Frage geht, warum so viele Männer FPÖ wählen und dort aktiv politisch tätig sind. Etwas vernachlässigt erscheint die ideologische Ausrichtung der FPÖ, deren volksnationalen Bekenntnisse und migrationpolitische Orientierung sicherlich viel beiträgt zur Attraktivität der Partei für das männliche Geschlecht.

Dafür ist die Verbindung von institutionalisierten Diskursen und Alltagsdiskursen äußerst gut gelungen. Es wird genau darauf verwiesen, wann im Alltagsdiskurs Teile des medialen Diskurses auftauchen und wie diese durch die eigene Lebenssituation verfremdet, angepasst und umformuliert werden. Das fünfte Kapitel fasst die Ergebnisse noch einmal kurz zusammen und macht weitere Forschungsperspektiven auf. Es wird ganz richtig erläutert, dass dem institutionalisierten Diskurs und den Alltagsdiskursen ein gemeinsames Deutungsmuster zugrunde liegt, welches auf der Vorstellung eines grundlegenden Geschlechterdualismus aufbaut. Dies ist ein ganz wichtiger Bereich in der ethnologischen Forschung, versucht sie doch dem Verhältnis von Mikrostrukturen (als Handlungsspielräumen und soziale Praxis) und Makrostrukturen (als Deutungsrahmen und Interpretationsoptionen) nachzugehen. Der Zugang von Oliver Geden zu lebensweltlichen Aspekten des politischen Handelns ist für die Rechtsextremismusforschung und auch für die Politikwissenschaft insgesamt sehr ungewöhnlich und zeigt, bestärkt durch die Ergebnisse, welch instruktiven Beitrag die Europäische Ethnologie zur Untersuchung politischen Handelns leisten kann.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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