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Titel
Leon Battista Alberti. Baumeister der Renaissance


Autor(en)
Grafton, Anthony
Erschienen
Berlin 2002: Berlin Verlag
Anzahl Seiten
608 S., 28 Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Nur wenige Renaissancekünstler haben einen solchen Bekanntheitsgrad erlangt, wie ihn Leon Battista Alberti (1404-1472) postum für sich verbuchen kann. Dies liegt zum einen wohl an Albertis weit gespanntem Schaffen, das ihn unter anderem als Literaten und Kunsttheoretiker, als Kartografen, Ingenieur, Baumeister und Altertumskundler ausweist, wie auch an der breiten Resonanz seiner Arbeiten in den entsprechenden Fachwissenschaften. Nicht zuletzt hat Jacob Burckhardts Einschätzung Albertis als eines „Allseitigen“, eines uomo universale der Renaissance-Kultur, hier maßgebend gewirkt. Anthony Grafton hat sich für seine neue Biografie nicht nur das hohe Ziel einer strukturierenden Synthese der fast unüberschaubaren Spezialliteratur zu Alberti gesteckt, er lässt auch sogleich erkennen, das er nicht allein dem Künstler- und Gelehrtenindividuum nachspüren will, zumal die Grundlage verlässlicher biografischer Nachrichten schmal ist. Sein Interesse gilt ganz wesentlich – und in der Tradition früherer Werke aus Graftons Feder – auch dem intellektuellen Milieu, in dem Alberti verwurzelt ist.

Dazu behandelt er nacheinander den Humanisten, den Ingenieur, den Künstler am Hofe, den Altertumsforscher sowie schließlich den Architekten und Stadtplaner Alberti. Nicht nur aus chronologischen Gründen steht dabei die humanistische Prägung am Beginn, und ihr ist mehr als nur die Funktion einer biografischen Etappe zugewiesen. In einem mehr als 50-seitigen Kapitel, dessen Titel „Humanismus. Vom Nutzen und Nachteil des Gelehrtentums“ sich an Albertis Schrift De commodis litterarum atque incommodis anlehnt, präpariert Grafton Kenntnisse und Strukturen heraus, die das Schaffen Albertis weit über den literarischen Sektor hinaus entscheidend kennzeichnen: die den Humanisten eigenen Vorlieben für authentische antike Texte, für klassisches Latein und insbesondere für die Rhetorik, vor allem aber ihre soziale Formation als Netzwerk von Insidern; als Schüler Gasparino Barzizzas hatte Alberti eine Eintrittskarte dazu in der Tasche. Hier war man einem sehr pragmatischen antiken Freundschaftsideal verpflichtet, dessen Schlüsselfunktion für das vorliegende Buch die Kritik ist. In den vertrauten, ebenso scharfsichtigen wie scharfzüngigen Humanistenkreisen vorgesichtete und gegebenenfalls entsprechend verbesserte Texte boten eine gewisse Gewähr dafür, dass sie und ihr Autor später in der Öffentlichkeit nicht völlig zerrissen wurden – in einer gelehrten Öffentlichkeit, die mitunter las, um zu töten (S. 81). Diese Technik der Emendation durch entsprechend qualifizierte Freunde durchzieht wie ein roter Faden Albertis Wirken in diesem Buch. Ob als Maler, Bildhauer oder Architekt: Kunst ist Gemeinschaftswerk. Die Kritiker gehören dabei stets zu dieser Gemeinschaft der Schaffenden hinzu, und ihre Tat wird von ihm durchaus im Sinne des Hilfsangebots bewertet und eingesetzt, wenngleich man gut daran tut, sich von jeglicher romantisierenden Vorstellung von wissenschaftlicher Kooperation zu befreien.

Als Alberti sich nach dem Erweis seiner Fähigkeiten auf literarischem Gebiet der Ingenieurskunst zuwandte, brachte er seine humanistische Grundformung dort ein. Grafton zeigt, wie er in der „Malkunst“ den technischen Strang mit der Rhetorik verbindet und so zu einem genaueren Kunstbegriff vordringen kann. Sprachästhetik geht mit der physikalisch-pragmatischen Erläuterung der Zentralperspektive eine glückliche Verbindung ein, die nach Meinung des Verfassers auch zeigt, dass die Humanisten mit ihrem reichen Fundus an mythologischem und historischem Material nicht nur Stichwortgeber für Künstler auf Sujetsuche waren (S. 204). Alberti kultivierte gewohnte Arbeitsweisen auf immer neuen Feldern. So verband er als Altertumskundler die Kenntnis antiker Schriftquellen und materieller Überreste mit den Herausforderungen der Praxis, als er mit der Descriptio urbis Romae in den 1440er-Jahren nicht ein Panorama Roms, sondern eine Anleitung zur kartografischen Erfassung der Stadt entwickelte und damit in Bereiche vordrang, die bislang der praktischen Naturwissenschaft zuzurechnen waren.

Das vermeintlich zentrale Segment aus Albertis Leben, seine Tätigkeit als Baumeister, spart Grafton für den Schluss seiner Darstellung auf. Eingehend setzt er sich mit den Ansichten der Forschung über die Schrift „Die Baukunst“ und mit Alberti zugeschriebenen Bauwerke auseinander, insbesondere mit der Frage, ob Alberti in Diensten Nikolaus’ V. für die Wiederherstellung eines zeremoniell respektablen päpstlichen Rom verantwortlich war. In diesem Zusammenhang zeigt er einmal mehr, dass die Renaissance einen Bedarf an Menschen wie Alberti entwickelt hatte – einen Bedarf an Ratgebern für sprachlich geschliffene Texte, für Altertumskunde, für Kunst und für Architektur, der wesentlich vom Interesse an Inszenierung bestimmt war. Und auch hier schlägt Grafton dabei die Brücke zu Albertis fundamentaler Prägung. Zwar liest sich dessen „Baukunst“ wie ein Kommentar zu Vitruv, ihr Gestaltungsvorbild aber ist Quintilian. Mit einem Autoritätsanspruch, der sich aus Quellenkenntnis und eigenen Zeichnungen antiker Monumente speist, entwirft Alberti darin Architektur nach den Regeln der Rhetorik, eine Baukunst in Gestalt und Methode des Humanismus, als historisch fundierte und bewusste architektonische Inszenierung.

Der Baumeister Alberti als Meister der Inszenierung? Hier schließt sich der Kreis, gehen Graftons Überlegungen zu Alberti als Mensch doch von dessen in den 1430er Jahren verfasster autobiografischer Schrift (vita anonyma) aus. Wenn er Alberti bescheinigt, er verberge sich darin hinter einer brillant geformten Maske, die das spätere Ideal der „sprezzatura“ vorwegnehme (S. 287), so stellt er nicht weniger als die Identität von Person, Werk und einem bedeutenden Wesenszug der Renaissance heraus. Der Untertitel des Buches „Baumeister der Renaissance“ ist deshalb wohl nicht nur als Berufsbezeichnung zu verstehen. Die vorliegende Biografie zeigt Albertis individuelle Methoden, in unterschiedlichsten Künsten erfolgreich zu arbeiten. Sie erlaubt aber zugleich Einblicke in die Bauprinzipien der Renaissance an sich, weil sie der Frage nach den dauerhaften intellektuellen und sozialen Fundamenten mindestens dieselbe Aufmerksamkeit schenkt wie den fachwissenschaftlichen Spezialia der Kunst-, Ingenieurs- und Architekturgeschichte. Grafton steht damit im Resultat durchaus nahe bei Burckhardt, der in Alberti einen Idealmenschen der Renaissance für sich entdeckt hatte, doch hebt er weniger den typischen Individualisten als den auf wechselnde Gruppen bezogenen, durchaus sensiblen und unsicheren Charakter hervor. Die im facettenreichen Schaffen Albertis immer wieder als konstitutiv herausgearbeiteten Elemente Quellenkenntnis, Rhetorik, (Selbst-)Inszenierung und funktional orientierte Pflege wissenschaftlich-feinsinniger Gemeinschaft machen das Buch darüber hinaus zu einem exemplarischen Plädoyer für die zentrale Rolle, die der Humanismus als intellektuelle und ästhetische Elitebewegung in weiten Bereichen der Renaissancekultur spielte.

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