J. Scholtyseck: Die Außenpolitik der DDR

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Titel
Die Außenpolitik der DDR.


Autor(en)
Scholtyseck, Joachim
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 69
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
172 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingrid Muth, Verband für Internationale Politik und Völkerrecht e.V., Berlin

Die ambitionierte Reihe "Enzyklopädie deutscher Geschichte", vom Verlag Oldenbourg mit einem Umfang von rund 100 Bänden konzipiert, beginnt thematisch mit dem Mittelalter und endet vorerst mit dem 20. Jahrhundert. Sie wendet sich an Fachhistoriker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien und versteht sich als ein Arbeitsinstrument, mit dessen Hilfe sich der Leser "rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte" (S. V) informieren kann. Für das 19. und 20. Jahrhundert werden unter dem Stichwort "Staatensystem, internationale Beziehungen" folgende Titel aufgelistet: "Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871" (Anselm Doering-Manteufel, 2. Aufl. 2001), "Deutsche Außenpolitik 1871-1918" (Klaus Hildebrand, 2. Aufl. 1994), "Die Außenpolitik der Weimarer Republik" (Gottfried Niedhart, 1999), "Die Außenpolitik des Dritten Reiches" (Marie-Luise Recker, 1990). Ein Band zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (Hermann Graml) befindet sich in Vorbereitung. Joachim Scholtysecks Arbeit "Die Außenpolitik der DDR" rundet nunmehr diesen Schwerpunkt ab.

Zur rechten Zeit und am rechten Ort, möchte man erleichtert feststellen. Zur rechten Zeit, weil noch zur Mitte des Jahres 2003 in einer umfassenden Bilanz mehr als zehnjähriger DDR-Forschung 1 für das Sachgebiet Außenpolitik eingeschätzt werden musste, dass Gesamtdarstellungen zum Thema noch immer eine Rarität sind.2 Neben Helga Haftendorns Analyse, die sie als ein eigenständiges Kapitel in ihre umfassende Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik 3 einfügte, steht nun mit Scholtysecks Beitrag eine weitere Gesamtdarstellung zur Verfügung. Beide Arbeiten ergänzen einander und bieten, da sie jeweils einen anderen Zugang zum Thema wählten, sowohl einen Überblick auf die historischen Entwicklungslinien der Außenpolitik in ihrer Wechselwirkung von internen und externen Wirkungsfaktoren und der weltpolitischen Konstellation der Bipolarität als auch aufschlussreiche Einblicke in Grundprobleme und Tendenzen der Forschung. Am rechten Ort bezieht sich auf die hier wohl eher formale Einordnung der Geschichte der DDR-Außenpolitik in die Kontinuität deutscher Nationalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, eine Tatsache, die nicht nur unter Historikern noch immer heftig umstritten ist. Der Platz der DDR in der Geschichte der deutschen Nation und des deutschen Nationalstaates ist noch lange nicht ausdiskutiert, ein besonders schwieriges Feld dürfte dabei die Außenpolitik belegen. Licht in das Dunkel könnte vielleicht ein Versuch bringen, die DDR-Außenpolitik "der wilhelminischen Zeit, der Weimarer Republik, der bundesrepublikanischen und nicht zuletzt der Außenpolitik des 'Dritten Reiches' gegenüberzustellen, um Gleichartiges ebenso herauszuarbeiten wie Unterschiede deutlich zu machen" (S. 139), zu dem Scholtyseck am Schluss seiner Untersuchung anregt.

Die logisch aufgebaute Gliederung des Buches enthält drei Kapitel und folgt damit dem Gliederungsschema, das der Konzeption der Gesamtreihe zugrunde liegt. Das zwingt deren Autoren zur Konzentration, zu einem hohen Grad an Verallgemeinerung und logischer Konsequenz. Dies als Benutzer in dem zu besprechenden Band als gelungen zu konstatieren und zu akzeptieren, schließt nicht aus, dass man sich an so mancher Stelle des I. Kapitels "Enzyklopädischer Überblick" noch einen ergänzenden oder etwas differenzierenden Nebensatz gewünscht hätte. Etwa bei der Einschätzung der Mitarbeit Ostberlins am Viermächteabkommen über Berlin (S. 31), die darauf verzichtet hinzuzufügen, dass Moskau - im Unterschied zur Zusammenarbeit der westlichen Seite mit der Bundesrepublik - die DDR-Vertreter durch "Geheimdiplomatie" und "Informationsblockade" von einer Einflussnahme auf den Inhalt der Viermächte-Gespräche weitgehend ausschloss.4 Scholtyseck geht in seiner Chronik bis auf das Jahr 1945 zurück. Das kommt einem besseren Verständnis der Komplexität der internen und externen Bedingungsfaktoren, die das außenpolitische Agieren der DDR determinierten, zugute. In diesen Jahren wurden die Grundsteine gelegt, auf denen der Einfluss der Sowjetunion als Hegemonialmacht, die Blockkonfrontation im Kalten Krieg und nicht zuletzt die Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 ruhten. "Stets blieb die ostdeutsche Diktatur in vielfacher Weise von äußeren Einflüssen abhängig: in erster Linie von den Wünschen Moskaus, daneben von den Interessen der sozialistischen 'Bruderländer' und nicht zuletzt von den Notwendigkeiten, die gegenüber Westdeutschland beachtet werden mussten. Eingebettet war die DDR wie alle anderen Akteure in die Bedingungen der internationalen Politik in den Zeiten des Kalten Krieges, der Détente und schließlich des 'Zweiten Kalten Krieges'" (S. XI).

Scholtyseck untergliedert die Geschichte der DDR-Außenpolitik in sieben Perioden und verwendet damit ein differenzierteres Zeitraster als bisherige Versuche einer Periodisierung.5 Das macht die Einbettung ostdeutscher Außenpolitik in die Entwicklungsphasen der internationalen Beziehungen plastischer und bietet zugleich mehr Ansatzpunkte, die Unterschiede der innenpolitischen Komponenten, insbesondere den sich verändernden Stand der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, stärker zu beleuchten als dies die bislang vorliegende Forschung reflektierte.6

Grundfragen der DDR-Außenpolitik, die im historischen Überblick nur angedeutet werden konnten, etwa die Akzeptanz der Breshnew-Doktrin vom September 1968 durch die SED-Führung, "weil die Bestandsgarantie für das Regime um ein Vielfaches wichtiger war als die Gewährung irgendwelcher außenpolitischer Handlungsräume" (S. 27) oder die Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik Anfang der 80er-Jahre, "weil für die DDR im Zweifelsfall Herrschaftssicherung immer vor Entspannung stand" (S. 40), greift Scholtyseck im II. Kapitel wieder auf. Nach einem kurzen Überblick über Aktenlage und Literatur, der auch eine Lanze für die Veröffentlichungen aus der Zeit vor der Wende und vor der Öffnung der Archive bricht (S. 59), konzentriert sich Scholtyseck auf Grundprobleme wie Souveränität oder Abhängigkeit, innere Legitimation und internationale Anerkennung, Handlungsspielräume und Interessen, Strukturen, Kooperation und Abgrenzung, die Rolle der Ideologie und der nationalen Frage, um nur einige zu nennen. Sein kritischer und ordnender Blick auf die bislang veröffentlichte umfangreiche Literatur orientiert sich am enzyklopädischen Überblick des I. Kapitels und vertieft und erweitert dies mit der Konsequenz des Historikers, der sowohl einem ereignis- als auch einem strukturgeschichtlichen Ansatz folgt. Diese "Darstellung und Erörterung der Forschungssituation" (S. V) sortiert die Ergebnisse der Forschung zur DDR-Außenpolitik und angrenzender Bereiche sowohl chronologisch in den Ablauf der Geschichte als auch problembezogen auf die oben skizzierten Grundfragen ein, die jedoch nie isoliert, sondern ebenfalls im historischen Kontext behandelt werden.

In einem dritten Kapitel hat Scholtyseck Quellen und Literatur zusammengetragen, insgesamt 352 Titel, übersichtlich geordnet nach Sachgebieten und Zeitabschnitten.

Mit dem Abriss "Die Außenpolitik der DDR" hat Joachim Scholtyseck ein Material vorgelegt, das seine Spannung aus der Darstellung des Verlaufs der Geschichte der Außenpolitik, der sorgfältigen Einordnung des gegenwärtigen Standes der Forschung mit ihren zum Teil kontroversen Meinungen und Ergebnissen und des Hinweises auf offene Fragen (S. 139) und weiße Flecken in der Forschungslandschaft (S. 137) gewinnt. So kontrovers die Sicht der Wissenschaft auf die DDR-Außenpolitik in Teilaspekten war und ist, so kontrovers werden sich je nach Standpunkt oder Biografie Zustimmung oder Widerspruch der Leser zu diesem Band verteilen. Das dürfte die zukünftigen Debatten beleben und die weitere Forschung anregen und intensivieren. Nicht zuletzt durch das handliche Format der Reihe "Enzyklopädie deutscher Geschichte" und die benutzerfreundliche grafische Gestaltung mit breitem Rand und zahlreichen Stichworten als Orientierungshilfe wird das Buch zu einem "Arbeitsinstrument" im praktischen Sinne des Wortes, das nicht nur die mit der Materie befassten Wissenschaftler und Studenten anspricht, sondern auch einem breiten, an Zeitgeschichte interessierten Leserkreis empfohlen werden kann.

Anmerkungen:
1 Eppelmann, Rainer; Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich, Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, (= im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), Paderborn 2003.
2 Kuppe, Johannes L., Die Außenpolitik der DDR, in: Eppelmann (wie Anm. 1), S. 320.
3 Haftendorn, Helga, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung 1945 - 2000, Stuttgart, München, 2001, S. 135-172.
4 Mitdank, Joachim, Die Berlin-Politik zwischen 17. Juni 1953, dem Viermächteabkommen und der Grenzöffnung 1989. Erinnerungen eines Diplomaten, Berlin 2003, S. 53ff.
5 Hänisch, Werner; Neubert, Harald, Die internationalen Existenz- und Rahmenbedingungen und die Außenpolitik der DDR im historischen Wandel, in: DDR-Außenpolitik aus heutiger Sicht, Konferenzbericht, Berlin 1994, S. 193ff.
6 Kuppe (wie Anm. 2), S. 319.

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