H. Ottomeyer u.a. (Hgg.): Die öffentliche Tafel

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Titel
Die öffentliche Tafel. Tafelzeremoniell in Europa 1300-1900


Herausgeber
Ottomeyer, Hans; Peters, Evelyn; Völkel, Michaela
Erschienen
Wolfratshausen 2002: Edition Minerva
Anzahl Seiten
275 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Thäle, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Der zu besprechende Katalog geht auf eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums im Kronprinzenpalais vom 29. November bis zum 11. März 2002 zurück. In zwölf Beiträgen werden 600 Jahre öffentlichen Speisens facettenreich dargestellt. Im Vorwort umreißt Hans Ottomeyer das Programm und verbindet die Einzelbeiträge des Sammelbandes: Nicht die „Rekonstruktion konkreter, historisch fassbarer Situationen“ steht im Lastenheft, sondern die Fahndung nach dem „Bedeutungskern“ des Tafelzeremoniells und seine großen Entwicklungslinien zwischen Beharren und Wandel (S. 8). Ottomeyer weist dabei auf die Bedeutung von Sitzordnungen als Abbildung der Rangverhältnisse von Anwesenden hin und betont den Akt des gemeinsamen Speisens als „Friedenstechnik“ bzw. als Form des „Sich-vertragens“ (S. 4). Beim Herrscherwechsel zählte das Krönungs- wie das Huldigungsmahl zu den „integralen Bestandteilen“ des Gesamtablaufes und zielte auf die „Demonstration von Kontinuität und Legitimität von Herrschaft“ (S. 5). Öffentliches Speisen vollzog sich nicht nur vor den Augen des Hofstaates, obwohl das öffentliche Mahl häufig in Schlössern oder Residenzen stattfand. Die Höfe der Herrscher öffneten auch dem Volk ihre Türen und gestatteten ihm zumindest die Sicht auf den speisenden Herrscher, wenngleich der Zutritt zum fürstlichen Zimmer verwehrt blieb.

Das Tafelzeremoniell war eine der internationalen Sprachen der europäischen Adelsgesellschaft. Den materiellen Werkzeugen dieser Sprache – gemeint sind Löffel, Messer, Gabeln und anderes Gerät – kam als „kostbarster Besitz des Hauses“ eine herausragende Bedeutung zu (S. 6). Das Tafelsilber besaß sogar eine identifikationsstiftende Kraft, denn Essbesteck aus Silber war nie dem „individuellen Gebrauch“ unterworfen, sondern in Anschaffung und Gebrauch an die Gemeinschaft gebunden. Es diente als finanzielle Reserve des Hauses und wurde in den Notzeiten des Krieges oft zur Bezahlung von Truppen verwendet. Der symbolhaften Bedeutung dieses Edelmetalls zollt Ottomeyer mit der Bezeichnung als „Material der Geschichte“ Tribut; dass Silber in der französischen Sprache zugleich Geld („argent“) bedeutet, ist bekannt. Über das Material darf sein Gebrauch nicht vergessen werden: Die „achsensymmetrische, hierarchisch zur Mitte hin geordnete Anordnung“ des Tafelgeräts und der Speisen erscheint dem Betrachter wie die Verbildlichung eines Politikverständnisses, in dessen Zentrum die Person des ‚absolutistischen’ Fürsten stand (S. 7). Öffentliches Speisen – daran lässt die Einleitung keinen Zweifel – diente nicht nur dem leiblichen Genuss, sondern der praktischen Gestaltung von Politik, die in der Zeremonie eine ihrer wichtigsten Kommunikationsformen fand.

Michaela Völkel gibt einen Überblick zur Struktur des Tafelzeremoniells. So stellte sich die „Doppelnatur“ des Fürsten, im natürlichen und im Amtskörper (Kantorowicz) manifestiert, im öffentlichen Mahl dar: Durch die Speisung des natürlichen Körpers innerhalb der Zeremonie erhielt der Herrscher erst seinen politischen Körper (S. 11). Da der Hofstaat oft nur zum Mahl geschlossen zusammenkam, diente das Speisen aber auch in besonderer Weise der Darstellung von Rangverhältnissen: Hier ließ sich „das soziale Ordnungssystem ‚Hof‘ in symbolischer Form demonstrieren, ständig neu bestätigen und gegebenenfalls strategisch umstrukturieren“ (S. 12). Das öffentliche Mahl konnte zu fürstlichen Geburtstagen oder religiösen Festen abgehalten werden; zum festen Bestandteil wurde es bei Huldigungen, Amtseinsetzungen und Friedensschlüssen – also bei Anlässen, die die Herrschaft des Fürsten im Kern berührten (S. 13). Wer aber Ludwig XIV. beim täglichen Speisen zusehen wollte, dem boten sich keine allzu großen Hindernisse. War der französische König in Versailles, so konnte anscheinend jeder, der sich früh genug anstellte, zum Zuschauer dieser Veranstaltung werden (S. 14). Bereits ab dem 16. Jahrhundert griff man überdies auf Druckmedien zurück, die die öffentliche Speisung vervielfältigten und einem erweiterten Adressatenkreis zugänglich machten (S. 15). Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts zogen sich die Fürsten verstärkt ins ‚Private’ zurück, so dass sich auch die öffentlichen Speisungen reduzierten. Gleichzeitig ist eine „Tendenz hin zur größeren und sozial heterogenen Tischgemeinschaft“ festzustellen. Den Teilnehmern des Großunternehmens ‚öffentliche Speisung’ wurde durch die Vergabe von Ehrenämtern zur Bedienung des Fürsten ein besonderes Prestige zuerkannt. Das Prestige des Gastgebers vermittelte dagegen Art, Menge und Gestaltung des Mobiliars, des Dekors, des Essbestecks und des Geschirrs (S. 19).

Thomas Rahn berichtet über die „Herrschaft der Zeichen“. Mit dem Zeremoniell in seiner Bedeutung als Zeichensystem konnten „gesellschaftliche Ränge und Machtpositionen“, die im Raum inszeniert wurden, manchmal erst erschaffen werden. Dieses Zeichensystem ist „selbstreferenziell organisiert“ und wird durch seine Benutzer, die Mitglieder der europäischen Adelsgesellschaft“, „ständig erinnert, normiert und erneuert“ (S. 22). So wird den Höfen eine Möglichkeit gegeben, ihre Statuskonkurrenz durch zeremonielle Fragen auszudrücken. Der Konflikt um interpersonale Verkehrsformen und seine Lösung erhielt somit eine konstitutive Bedeutung für die zeitgenössischen Fragen des (Vor-)Ranges. Diese wurden oft durch eine Materialschlacht entschieden: Rahn spricht von einem „Wettrüsten“ auf dem Gebiet der Pracht und der Mode, das den Gegner finanziell ausbluten solle und kommt zu dem Ergebnis, dass „Zeremoniell und Krieg benachbarte politische Handlungsfelder [waren]“ (S. 23). Allerdings geriet das Zeremoniell in die Kritik seiner Theoretiker. So konstatierte der zeitgenössische Zeremonialwissenschaftler Julius Bernhard von Rohr einen Bedeutungsverlust verschiedener Zeremonielle, da sie nicht mehr geeignet waren, den ihnen ursprünglich innewohnenden Sinn weiter zu transportieren.

Gerd Althoff stellt in seinem Beitrag die „Rituellen Verhaltensmuster an der Tafel“ des frühen und hohen Mittelalters in den Vordergrund und beschreibt den Wandel des „frühmittelalterlichen Gelages zum höfischen Fest“ anhand seiner veränderten Funktionen. Die grundsätzliche Aufgabe der frühmittelalterlichen convivia bestand darin, der soziale Ort zu sein, an dem „vor allem die Bereitschaft zu friedlich-freundschaftlichem Miteinander [symbolisch] zum Ausdruck“ gebracht wurde (S. 32). Die herausgehobene Bedeutung des convivium als friedensstiftende symbolische Handlung speist sich aus dem Umstand, dass Institutionen und Gesetze ein gewaltfreies Miteinander gar nicht oder nur sehr eingeschränkt ermöglichen konnten. Die „gemeinschaftsstiftenden“ frühmittelalterlichen Speisungen aber bedienten sich einer Kommunikationsform, die auf Zeichen setzte und ihre Botschaften „unmissverständlich“ formulierte – und das mit der gleichen Verbindlichkeit wie „ein verbales Versprechen oder ein schriftlicher Vertrag“ (S. 32). Der Stellenwert und die Funktion des gemeinsamen Speisens veränderten sich jedoch. Die convivia wurden nun „vor allem zu Darstellungsmodi herrschaftlicher Repräsentation im Rahmen höfischer Feste“ (S. 34). „Das Mahl war nun ein zentraler, aber eben nur ein Bestandteil des höfischen Festes neben anderen“, der der Darstellung von Rang und Hierarchie diente (S. 35). Eine dauerhafte Bindung der Gäste – eines nun heterogener zusammengesetzten Interaktionskreises - wurde nicht mehr angestrebt. Das gemeinsame Speisen hatte sich als wichtige Handlungssequenz innerhalb vieler Übergangsrituale, wie Hochzeiten oder Schwertleiten, behauptet. Trotz gleich gebliebener Form kam es zu einem gravierenden Bedeutungswandel. Repräsentation und Hierarchisierung wurden zur „Hauptfunktion“ der Speisung wie auch des ganzen höfischen Festes, während die frühmittelalterlichen convivia eher egalisierende Kraft auf ihre Teilnehmer ausübten (S. 35). Die neuen Funktionen folgten der neuen Mechanik des materiellen „Überbietens und Übertrumpfens in allen Bereichen“; daran, so Althoff, habe sich „denn auch bis heute wenig geändert“ (S. 37).

Über die Darstellung des Festalltags im Burgund des 15. Jahrhunderts im Medium des Bildteppichs berichtet Birgit Franke. Die großformatigen Darstellungen verdeutlichen den hohen Stellenwert symbolischer Kommunikation in Form eines ganzen Bündels an Herrschaftszeichen und Gesten, die detailreich abgebildet werden: So wurden beispielsweise goldene Miniaturschiffe, die mit kleinen Rädern versehen waren, vor die Sitzplätze der höchsten Potentaten gestellt. Prachtentfaltung galt als Fürstentugend (S. 42) – das zeigten sowohl die abgebildeten Festbankette wie auch die wertvollen Bildteppiche selbst.

Der Johanniter- bzw. Malteserorden bekämpfte seine Feinde nicht nur, er bewirtete sie auch: Giovanni Bonello berichtet über ein gemeinsames Mahl zwischen dem Ordensgroßmeister D’Aubusson und Zizim, dem in Ungnade gefallenen und verbannten Sohn Mohammeds II. im 15. Jahrhundert auf Rhodos. In ihrer detailreichen Schilderung des „Dining in Papal Rome“ wiederum stellt Stefanie Walker eine „remarkable consistency“ im päpstlichen Tafelzeremoniell fest, was das Verhalten bei Tisch, die Ausstattung und das Dekor der Räume wie auch die Reihenfolge der Gerichte angeht (S. 82). Die Handbücher der päpstlichen Zeremonienmeister wurden bis ins 19. Jahrhundert unverändert aufgelegt. Trotz schwindender Bedeutung des Papsttums als kulturelles Vorbild insbesondere für Frankreich unterlag das Tafelwesen keinen gravierenden Veränderungen.

Das war bei den kaiserlichen Krönungsmählern jedoch anders. Patricia Stahl nimmt sich der Krönungsbankette im Frankfurter Römer an und stellt eine zunehmende Absenz der Kurfürsten an dieser Veranstaltung fest. Ihre Tische blieben häufig leer, so dass Franz I. sein öffentliches Krönungsmahl 1745 lediglich in Anwesenheit des Mainzer Kurfürsten einnahm. Die einstige Ehre, mit dem neuen Kaiser zu speisen und die Erzämter bei Tisch ausüben zu dürfen, wurde nun von den weltlichen Königswählern als Geste der Unterlegenheit angesehen. Dieser Bedeutungsverlust konnte nicht kompensiert werden, was besonders die Kritik an den Krönungszeremonien 1790 und 1792 zum Ausdruck brachte.

Die Strategie, ihre Untertanen mit pompösen Tafelzeremoniellen zu beeindrucken, verfolgten die Habsburger Monarchen. Ingrid Haslinger nennt einige Beispiele für das Abhalten einer öffentlichen Tafel, bei der die Untertanen als Zuschauer teilnehmen durften: Erbhuldigungen, Krönungen, Hochzeiten, Kindstaufen und andere Gelegenheiten boten dem Monarchen Gelegenheit, „en public“ zu speisen (S. 48). Im Rahmen von Krönungen richtete man sogar eine eigene Küche ein, um die anwesenden Untertanen mit Speisen zu versorgen. Ab 1740, insbesondere aber mit Fanz II., reduzierte das Herrscherhaus die Anlässe, öffentlich zu tafeln. An Sonn- und Feiertagen verzichtete man gänzlich darauf – unter der Herrschaft Franz‘ II. aß man die Speisen nicht einmal mehr; sie wurden lediglich präsentiert.

Viele Köche verderben nicht immer den Brei. Den Herausgebern und Autoren gelang hier die Zubereitung eines schmack- und nahrhaften Gerichtes, das durch die vielen hochwertigen Abbildungen auf überaus appetitliche Weise dargeboten wird. Ein schönes Buch, das der Faszination vormodernen Tafelns gerecht wird. Allenfalls über die „Öffentlichkeit“ der "öffentlichen“ Tafel hätte man an manchen Stellen gerne etwas mehr erfahren.

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