P. Galle: RIAS Berlin und Berliner Rundfunk

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Titel
RIAS Berlin und Berliner Rundfunk 1943-1949. Die Entwicklung ihrer Profile in Programm, Personal und Organisation vor dem Hintergrund des Kalten Krieges


Autor(en)
Galle, Petra
Reihe
Medien und Kultur
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
447 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Arnold, Lehrstuhl für Journalistik, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Schon bald nach dem Ende des zweiten Weltkriegs brachen zwischen den westlichen Siegermächten und der Sowjetunion unvereinbare ideologische Gegensätze und Interessenkonflikte auf, die dann als „Kalter Krieg“ die folgenden Jahrzehnte bestimmten. Bei der Systemauseinandersetzung spielten im besetzten Deutschland nicht zuletzt die Medien, von denen damals angenommen wurde, dass sie über ein starkes Wirkpotenzial verfügen würden, eine wichtige Rolle.

Seine Zuspitzung fand der frühe Ost/West-Konflikt in der Vier-Mächte-Stadt Berlin und hier insbesondere beim Rundfunk, dem wegen der Papierknappheit entscheidende Bedeutung zukam. In Berlin wurden das größte Funkhaus und die stärksten Sendeanlagen Deutschlands von der sowjetischen Besatzungsmacht kontrolliert, die bereits im Mai 1945 über den „Berliner Rundfunk“ erste Radiosendungen ausstrahlte. Da es den westlichen Siegermächten und insbesondere den USA nicht gelang, eine Beteiligung am „Berliner Rundfunk“ durchzusetzen, reagierte die amerikanische Militärregierung Anfang 1946 mit der Gründung des RIAS (zunächst DIAS), der im Gegensatz zu den Rundfunkstationen im westlichen Teil Deutschlands auch in den Folgejahren eine US-amerikanisch kontrollierte Einrichtung blieb. Diese beiden Sender entwickelten sich bereits frühzeitig zu den publizistischen Hauptkontrahenten im geteilten Berlin.

Die 2001 an der Berliner Humboldt-Universität vorgelegte und von Wolfgang Mühl-Benninghaus betreute Dissertation Petra Galles ist eine der ersten Arbeiten, die den Aufbau und die frühe Entwicklung von Medieneinrichtungen in Ost und West vergleichend in Beziehung setzt – hier anhand der besonders prekären Beispiele „Berliner Rundfunk“ und RIAS Berlin. Die Studie hat das Ziel, „die Anfänge der Systemkonkurrenz im Rundfunk“ in der speziellen Berliner Situation zu untersuchen und „nach den verschiedenen Einflußfaktoren auf die Entwicklung beider Rundfunkstationen“ (S. 16) zu fragen. Neben der Konkurrenzsituation werden weitere Einflüsse, wie z.B. die Rolle der Besatzungsmächte, die Verfügbarkeit personeller, finanzieller und technischer Ressourcen, die Teilverlagerung der Kompetenzen auf deutsche Strukturen und die Hörerakzeptanz in die umfassende Analyse miteinbezogen.

Als Quellen verwendet Galle die umfangreichen Bestände zu SBZ/DDR-Institutionen, die im Bundesarchiv Berlin zugänglich sind. Dies betrifft insbesondere Unterlagen zu den verschiedenen SED-Leitungsgremien sowie die Akten der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. Weitere einbezogene Materialien sind die Unterlagen der amerikanischen Militärregierung, die in mehreren deutschen Einrichtungen als Mikrofiche-Editionen zur Verfügung stehen, sowie die Bestände des deutschen Rundfunkarchivs in Babelsberg. Schließlich war es ihr auch möglich, Bestände des U.S.-State Department und des Department of War (Department of the Army) in den National Archives sowie Bestände aus Moskauer Archiven auszuwerten, namentlich einzelne Teilbestände des Zentralkomitees der KPdSU(B) im ehemaligen zentralen Parteiarchiv sowie Splitterbestände der Sowjetischen Militäradministration im Archiv des russischen Außenministeriums und im russischen Staatsarchiv.

Die mehr als 400 Seiten umfassende Studie enthält zunächst einige kurze Ausführungen zum sowjetischen und amerikanischen Modell von Massenkommunikation in Deutschland. Insbesondere die westlich-liberale und marxistisch-leninistische Auffassung von Massenkommunikation werden hier jedoch nur vereinfacht dargestellt, was letztendlich zu einem eher undifferenzierten Umgang mit dem zentralen Begriff der „Propaganda“ führt. Danach folgen drei ausführliche strukturgeschichtliche Abschnitte zum Streit um die Viermächtekontrolle über den „Berliner Rundfunk“, die institutionelle Anbindung an die Besatzungsmächte und die personalpolitische Entwicklung sowie ein umfangreicher Teil über die Programmentwicklung bei den beiden untersuchten Sendern.

Die Arbeit bietet eine ganze Reihe neuer und detaillierter Aufschlüsse über die Rolle der unterschiedlichen Einrichtungen der SMAD sowie nachgeordneter deutscher Institutionen bei der Kontrolle und Steuerung des „Berliner Rundfunks“ sowie über die häufigen Personalwechsel bei beiden Stationen, die als Ausdruck der zunehmenden ideologischen Verhärtung gewertet werden können. Die Personalwechsel betrafen nicht nur die deutschen Mitarbeiter, sondern z.T. auch das alliierte Kontroll- und Anleitungspersonal: So wurden beim RIAS 1948 linksliberale US-amerikanische Mitarbeiter durch stramme Antikommunisten ersetzt, während beim „Berliner Rundfunk“, der von Anfang an deutlich strenger kontrolliert wurde, ähnlich stringente Umbesetzungen nicht auszumachen sind.

Während bei den strukturgeschichtlichen Abschnitten das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Sendern nicht unbedingt im Mittelpunkt steht, werden in der Programmanalyse – die mangels anderer Materialien auf der Auswertung von Programmzeitschriften und Programmfahnen basiert – die gegenseitigen Einflüsse deutlicher herausgestellt. So fuhr der RIAS zu den Kommunalwahlen im Herbst 1946 als Reaktion auf das einseitige Programm des „Berliner Rundfunks“ eine betont neutrale Linie und ließ alle Parteien zu Wort kommen. Der „Berliner Rundfunk“ wiederum reagierte auf die vor allem über den RIAS transportierte antikommunistische Medienoffensive des amerikanischen Militärgouverneurs Clay Ende 1947 mit einer Verschärfung seiner Angriffe auf den Westen und der offensiven Propagierung der eigenen politischen Maßnahmen. 1948/49 versuchten dann beide Sender, durch spezielle Sendungen außerhalb der eigenen Territorien auf die Bevölkerung im jeweils anderen Besatzungsteil einzuwirken; im Ostsektor wurde dafür später sogar eine eigene Station eingerichtet, der„Deutschlandsender“. Zugleich radikalisierten sich die politischen Aussagen angesichts der Eskalation zwischen den Besatzungsmächten immer mehr.

Dem RIAS gelang es, ab Anfang 1948 wesentlich mehr Hörer in den Westsektoren anzusprechen als der „Berliner Rundfunk“. Dieser Trend verstärkte sich während der Berlin-Blockade weiter, so erreichte der RIAS im Mai 1949 91% der Radiohörer in den Westsektoren. Neben politischen Gründen mag hier entscheidend gewesen sein, dass der RIAS zunehmend das attraktivere und populärere Unterhaltungsprogramm bot, während beim „Berliner Rundfunk“ auch die Unterhaltung stark politisiert war.

Insgesamt kommt Galle zu dem Ergebnis, dass bei beiden Sendern „die Orientierung aneinander, das heißt an dem jeweiligen Feindbild, die Programmprofile und ihre politische Aussage schärfte“ (S. 402). So konnte der RIAS mit seinem zunächst liberalen Programm die harte Linie des „Berliner Rundfunks“ nicht aufweichen, sondern wurde vielmehr in der Folgezeit selbst radikaler und propagandistischer.

Die Dissertation von Petra Galle über den „Berliner Rundfunk“ und den RIAS Berlin ist eine verdienstvolle Studie, die die frühe Entwicklung des Rundfunks in den beiden Teilen Berlins miteinander vergleicht und zueinander in Beziehung setzt. Sie könnte als Grundlage und Anstoß für weitere vergleichende Studien dienen, die gerade im Hinblick auf die jeweils auf den anderen deutschen Staat zielenden Rundfunkprogramme wünschenswert wären.

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