Cover
Titel
Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe


Herausgeber
Clark, Christopher; Kaiser, Wolfram
Erschienen
Anzahl Seiten
368 p.
Preis
£ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Mergel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Der Katholizismus kann als transnationales Phänomen schlechthin gelten; umso auffälliger ist es, dass gerade die Forschung zum Verhältnis von Katholizismus und moderner Gesellschaft bisher weithin in nationaler Beschränkung verblieben ist. Das mag wohl damit zusammenhängen, dass diese Konflikte so eng an die Herausbildung der modernen Nation gebunden waren, dass sie beinahe unausweichlich in diesem Rahmen gesehen werden mussten; das gilt für Deutschland in besonderem Maße. Doch zu solchen Auseinandersetzungen kam es beileibe nicht nur hier. Der Blick der Herausgeber vom Rande Europas – aus England – war sicher hilfreich, um diese Perspektive zu erweitern und den transnationalen Charakter der europäischen „Kulturkämpfe“ des späten 19. Jahrhunderts zu beleuchten. Christopher Clark und Wolfram Kaiser haben einen Sammelband vorgelegt, der nicht nur konzeptionell interessant ist, sondern der auch auf verschiedenen Ebenen den Vergleich zieht, wie er auch die Verflechtung dieser je nationalen Kulturkämpfe beobachtet. Ein Teil der Beiträge ist auch in deutscher Übersetzung in Heft 5/6 (2002) der Zeitschrift „Comparativ“ erschienen. Unverkennbar profitiert der Zugang, den die Autoren dabei gewählt haben, von der kulturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre; denn sie stellen sich nicht die Frage nach „Modernität“, sondern behandeln die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Liberalen bzw. Antiklerikalen (die Auseinandersetzung zwischen den Konfessionen ist ein ziemlich deutsches Spezifikum) nach dem Muster eines Clash of Cultures: hier trafen verschiedene Welten aufeinander; und die einzelnen Fallbeispiele belegen eindrucksvoll nicht nur, wie weit Katholiken und Liberale in Spanien oder Belgien voneinander entfernt waren, sondern wie viel auch die Liberalen der verschiedenen Länder miteinander teilten; das Gleiche gilt, weniger überraschend, für die Katholiken.

Dementsprechend wird der Band eingeleitet durch zwei konzeptionelle Aufsätze der Herausgeber, die je eine der beiden Seiten beleuchten: Clark beschreibt die Organisierung des Katholizismus und Kaiser die Strukturen des Antiklerikalismus. Diese beiden, so argumentieren die Herausgeber, waren geschlossene Sinnwelten, wenn auch jeweils nicht ohne Spannbreite und demgemäß innere Konflikte; sie beruhten auf einer sehr weitgehend europäisierten Öffentlichkeit sowie auf der Mobilisierung des „Volkes“. Die letzteren beiden Punkte unterscheiden die Kulturkämpfe des späten 19. Jahrhunderts auch von den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche, wie sie seit langem stattfanden. Die Kulturkämpfe der zweiten Jahrhunderthälfte waren Kämpfe um Öffentlichkeit und Volk; und insofern kann man weder annehmen, dass hier eine moderne Elite gegen eine rückständige Plebs stand, noch, dass sich eine demokratische Volksbewegung gegen eine elitäre Modernisierungskamarilla wandte. Es handelte sich um zwei Denkformen, die sich in dieser Auseinandersetzung radikalisierten, und das führte auf beiden Seiten dazu, dass die Moderaten und Kompromissbereiten an den Rand gedrängt und aus dem eigenen Lager verbannt wurden.

Es gab ein ähnliches Muster all dieser Auseinandersetzungen: Sie entstanden aus entschlossenen Versuchen von Liberalen, das Bildungswesen, das Personenstandswesen und die Rolle der Geistlichen – Dimensionen, so möchte man hinzusetzen, in denen Staatsbürgerlichkeit verhandelt wurde – zu modernisieren. Dabei trafen sie auf den entschlossenen Widerstand einer durch den römischen Ultramontanisierungsschub mobilisierten, mit Kommunikationsmöglichkeiten und Argumenten ausgestatteten katholischen Subgesellschaft, die häufig durch eine rabiate klerikale Herrschaft zusammengehalten wurde. Dieser Umstand, der in den letzten Jahren ein wenig in den Hintergrund gerückt ist, tritt hier in aller Deutlichkeit wieder hervor. Ein entscheidendes Merkmal dieser Auseinandersetzungen bestand darin, dass hier verschiedene Öffentlichkeiten gegeneinander standen und um Wahrnehmung kämpften. Zumeist war es kein wirklicher Krieg, sondern eine mediale Auseinandersetzung, die mit Worten geführt wurde; aber es konnte durchaus, wie im belgischen Schulenstreit, zu gewalttätigen Demonstrationen kommen, bei denen auch Knüppel ihre Rolle spielten.

Die einzelnen Aufsätze selbst sind Länderstudien, in deren Mittelpunkt einzelne Fallbeispiele stehen: Konflikte um die nichtkonfessionelle Schule in der Bretagne, Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Antiklerikalen im spanischen Santander, die Bewegung für ein Giordano-Bruno-Denkmal in Rom oder der „Moabiter Klostersturm“ in Berlin. Bei allen Unterschieden treten doch die Ähnlichkeiten klar hervor. Die großen Unterschiede, so scheint es nach der Lektüre dieses Bandes, bestanden nicht zwischen Deutschland, Spanien oder Frankreich, sondern zwischen Stadt und Land. Während in der Stadt der liberale Antiklerikalismus sehr bald Unterstützung durch einen sozialistischen Antiklerikalismus erhielt und die Durchgriffschancen insbesondere in der alltäglichen Bildungspolitik höher waren – weil Widerspruch durch Abwanderung möglich war, sprich: Eltern ihre Kinder in nichtkonfessionelle Schulen schicken konnten -, fällt die Bilanz auf dem Lande deutlich skeptischer aus. In den katholischen Hochburgen regierte ein Klerus, der keineswegs der „bon curé“ war, sondern der auch mit körperlicher Züchtigung, öffentlicher Stigmatisierung und Verweigerung kirchlicher Dienste die Abweichler zur Raison zu bringen suchte. Besonders aufschlussreich ist hier der Aufsatz von James McMillan, der freilich mit der Bretagne ein besonders klerikales Gebiet untersucht. Wie Manuel Borutta am deutschen Beispiel, dem „Moabiter Klostersturm“ zeigt, funktionierte das Konfliktmuster in Berlin auch umgekehrt: Hier sahen sich die dominikanischen Großstadtmissionare einer medial angeheizten antiklerikalen Wut ausgesetzt, die mit traditionalen Rügemitteln wie der Katzenmusik, aber auch mit manifester Gewalt kollektive Phantasien von im Kloster eingemauerten Nonnen oder unterirdischen Gängen zwischen Mönchs- und Nonnenkloster abarbeiteten. Julio de la Cueva beschreibt am Fall Spaniens, dass in einem Land mit einem hegemonialen Katholizismus der Antiklerikalismus auch in die Provinz vordrang: in Santander tobte ein bitterer Kampf zwischen fundamentalistischen Katholiken und Antiklerikalen, antijesuitische Massendemonstrationen eingeschlossen.

Vor diesem Hintergrund ist der Verzicht auf rein katholische Länder wie Irland und Polen nicht ganz überzeugend. Zumindest wäre erklärungsbedürftig, warum es hier nicht – und in Spanien schon – zu solch scharfen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Liberalen, Antiklerikalen oder Protestanten kam. Die Herausgeber argumentieren, dass es in Irland und Polen zu keiner heterodoxen oder säkularen Herausforderung kam, weil in beiden Ländern die Konflikte mit der Kolonialmacht das Klima prägten und so die Konfession zu einem national homogenisierenden Instrument machten (S. 7f.). Dies scheint ein wenig zu harmonisch gesehen. Der Umstand, dass sich die irische Nationalbewegung über die längste Zeit des 19. Jahrhunderts als überkonfessionell verstand, aber schließlich doch dem Katholisierungsdruck nicht widerstehen konnte, weist darauf hin, dass hier die Konflikte vielleicht anders gelagert sein mochten, aber dennoch vorhanden waren. Die Konflikte zwischen (katholischem) polnischem Volk und (protestantischer) deutscher Obrigkeit in Preußisch-Polen wiesen zwar auch die Dimension einer Spannung zwischen Zentrum und kolonialisierter Peripherie auf, aber in der Bretagne dürfte man dies mit Blick auf das republikanische Paris ganz ähnlich gesehen haben.

Insofern eröffnet dieser Band, indem er viele Antworten gibt, auch eine Reihe neuer Fragen: Wo lagen die Unterschiede zwischen monokonfessionellen Ländern und solchen, in denen eine konfessionelle Konkurrenz vorhanden war? Denn in Preußen konnte offensichtlich der liberale Modernisierungsdrang sich auch noch mit religiösen Argumenten wappnen, die er in Spanien oder Frankreich nicht hatte. Es scheint, als ob das Konfliktniveau am höchsten gewesen sei in Staaten, in denen der Katholizismus keine Konkurrenz zu befürchten brauchte. Hier entwickelte sich ein Antiklerikalismus, den man so in Deutschland vielleicht bei der sozialistischen Arbeiterbewegung, nicht aber bei den liberalen Bürgern finden konnte. Anders stellte sich die Situation in den Niederlanden dar, wo es, wie Peter Jan Margry und Henk te Velde argumentieren, eine starke Präsenz frommer Protestanten gab, die mit den Katholiken manche Interessen teilten. So wurde es hier ein Geben und Nehmen: Die Katholiken akzeptierten ein Prozessionsverbot und konnten dafür ein Schulgesetz durchsetzen, das die konfessionellen Schulen privilegierte. Von dieser christlichen Demokratie an den Rand gedrängt wurden hier die Liberalen.

Doch diese mussten ja nicht notwendig Protestanten sein, genauso wie diese nicht alle liberal sein mussten. Was war also mit den vielen, die dazwischen standen? Denn wenn Els Witte über die scharfen und gewalttätigen Konflikte zwischen Liberalen und Katholiken in Belgien berichtet, dann kommt der Umstand zwar zur Sprache, wirkt sich aber konzeptionell kaum aus, dass die meisten dieser Liberalen natürlich ebenfalls katholisch waren. Nach welchen Kriterien wurde man dann „liberal“ oder „katholisch“? Hier erscheint problematisch, dass eine klare Definition von Antiklerikalismus nicht gegeben wird, dass Begriffsgeschichte und Begriffsverwendung im unklaren bleiben. Denn die meisten Liberalen waren ja nicht von vornherein gegen Geistliche, sondern insistierten lediglich auf einer (Selbst-)Beschränkung von deren Herrschaftsanspruch im Interesse einer weitgehenden Staatsbürgerlichkeit. Die Bitterkeit der Konflikte wird in ihrer Entstehungsgeschichte verdunkelt, wenn „Antiklerikal“ nicht von „Nicht-Klerikal“ unterschieden und nicht herausgearbeitet wird, dass die letztere Position sich in der zunehmenden Polemik nicht mehr behaupten konnte.

Eine weitere Frage, die zwar in den einleitenden Aufsätzen von Clark und Kaiser angeschnitten, in den Länderbeispielen aber nur am Rande eingelöst wird, ist die transnationale Vernetzung von Katholizismus auf der einen, Antiklerikalismus auf der anderen Seite, Clark diskutiert intensiv die Frage, ob die erstaunliche Homogenität der politischen Katholizismen, ihrer öffentlichen Einflussinstrumente, ihrer ikonografischen und devotionalen Accessoires mehr von unten oder mehr von oben – also von Rom – bestimmt worden sei; denn einerseits ist nicht in Abrede zu stellen, dass es in hohem Maß der Ortsklerus (und zwar gerade der provinzielle) und Laien vor Ort waren, die dem Katholizismus diesen Schwung verliehen; andererseits war der Papst als Mittelpunkt des katholischen symbolischen Universums, als Stichwortgeber wie auch als Appellationsinstanz ein sine qua non dieser Bewegung und ein übernationales Moment der Kohärenz. Es mag an der Anlage des Bandes liegen, die auf Länderstudien zielt, dass in den Beiträgen nur selten gefragt wird, inwieweit die Aktivisten der einzelnen Länder untereinander Kontakt hatten. Und eine solche transnationale Beziehungsebene muss es gegeben haben, wenn die Spanier ihre Katholikenversammlungen „mitin“ nannten, eine Verballhornung des englischen „meeting“ und unzweifelhaft ein Erbe von O’Connells irischer katholischer Bewegung, die als erste Massenversammlungen dieses Titels als politisches Instrument einsetzte (S. 199).

Auf Seiten des Antiklerikalismus wird diese transnationale Beziehungsebene ungleich deutlicher. Das mag damit zu tun haben, dass es hier Organisationen zu beobachten gibt: Die Freimaurerei, die genau wegen dieser internationalen Beziehungen jedermann verdächtig war; die internationale Freidenkerbewegung, nicht zuletzt auch die internationale sozialistische Bewegung, die in diesem Kontext nicht vorrangig diskutiert wird, die aber zweifelsohne in diesen Reigen gehört. Figuren wie Guiseppe Mazzini, Ernst Haeckel oder Ernest Renan waren internationale Stars des Antiklerikalismus. Andererseits gab es beim Antiklerikalismus auch eine systematische Grenze solcher transnationaler Beziehungen, verstand dieser sich doch gleichzeitig als der Prophet der Nationsidee und auch deshalb als ein natürlicher Feind der „Schwarzen Internationale“. Der Stellenwert transnationaler Beziehungen in dieser Spannung zum Nationalismus wird nicht recht klar.

Dennoch bleibt als ein Verdienst des Bandes festzuhalten, dass er solche Fragen überhaupt auf die Tagesordnung gebracht hat, und dass er dies konzeptionell originell tut. Transnationalität wird gemeinhin nur bei einzelnen Bewegungen, Organisationen oder Denkformen untersucht, hier wird sie relational behandelt, als Dimension eines zentralen gesellschaftlichen Konfliktes. Man wird eine solche Dimension auch bei anderen gesellschaftlichen Konflikten des 19. Jahrhunderts finden, und es wird sich herausstellen, dass vieles davon zeitgenössisch wohlbekannt war, von einer national selbstbeschränkten Geschichtswissenschaft aber wieder vergessen oder marginalisiert wurde: beim Konflikt zwischen Kapital und Arbeit (aber der Begriff des internationalen Klassenkampfes ist lange vergessen), bei der inzwischen in dieser Hinsicht stärker beachteten Geschlechterfrage, und vielleicht gab es auch eine transnationale Dimension in der Auseinandersetzung zwischen Agrar- und Industriewirtschaft?

Mit dem vorliegenden Band könnte auch die Schneise geöffnet werden, nicht nur zwischen Katholizismus und Liberalismus transnationale Dimensionen zu sehen, sondern, was überfällig wäre, generell die Diskussion über Religion und moderne Gesellschaft europäisch zu öffnen. Ein Hinweis darauf ist der Aufsatz von J.P. Parry über England, bei dem man sich fragt, wie er in diesen Band gelangt ist, denn er behandelt nur am Rande den Katholizismus, stattdessen stellt er schulpolitische Konflikte zwischen Anglikanern und Nonkonformisten in den Mittelpunkt. Wie die Herausgeber einräumen, gab es ähnliche Auseinandersetzungen auch in Skandinavien und Russland (S. 7). Insofern könnte es sein, dass die hier eröffnete Arena lediglich einen Ausschnitt aus einem ganzen Konfliktpanorama zwischen religiösen und säkularen Kulturen ganz unterschiedlicher Art darstellte, ein Panorama allerdings, das offensichtlich eine sehr europäische Angelegenheit ist.

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