M. Zuckermann (Hg.): Medien - Politik - Geschichte

Titel
Medien - Politik - Geschichte.


Herausgeber
Zuckermann, Moshe
Reihe
Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31
Erschienen
Göttingen 2003: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Bösch, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Die Medien- und Kommunikationsgeschichte gehört zweifelsohne zu den neuen Boombereichen der Geschichtswissenschaft. Entsprechende Akzente setzen derzeit nicht nur zahlreiche Konferenzen und Forschungsprojekte, sondern auch diverse Fachzeitschriften.

Das von Moshe Zuckermann herausgegebene Tel Aviver Jahrbuch versammelt nun ebenfalls unter dem etwas allgemeinen Titel „Medien-Politik-Geschichte“ zahlreiche äußerst lesenswerte Artikel zu diesem Themenfeld. Neben vorwiegend jüngeren Historikern zeichnen dabei Sozial-, Literatur- und Medienwissenschaftler als Autoren.

Die inhaltlichen Schwerpunkte des Bandes korrespondieren mit den derzeitigen Forschungsschwerpunkten in der Mediengeschichte. Zunächst fällt auf, dass sämtliche Artikel elektronische Medien untersuchen. Ähnlich wie in der Kommunikationswissenschaft finden Printmedien kaum noch Beachtung. So liegen selbst über die äußerst auflagenstarken Illustrierten und Boulevardzeitungen des 20. Jahrhunderts fast überhaupt keine historischen Studien vor.

Zudem konzentrieren sich die Beiträge nicht nur auf die Zeitgeschichte, sondern umkreisen vor allem die mediale Präsentation der Weltkriege und des Nationalsozialismus. Damit knüpfen die Beiträge wie viele mediengeschichtliche Projekte an jene Themen an, die bislang die allgemeine Zeitgeschichtsforschung dominierten. Fraglich ist, ob diese Akzente der oft betonten Eigenlogik der Medien gerecht werden.

Die inhaltliche Konsistenz des Bandes wird durch diesen engen Fokus jedoch gestärkt. Eine erste Gruppe von Aufsätzen widmet sich der Filmgeschichte. Günter Riederer bietet einführend eine kluge und kundige Reflexion über die methodischen Probleme der historischen Filmanalyse. Mit Hinweis auf Harun Farockis „Archiv filmischer Ausdrücke“ plädiert er dafür, Filmbilder zu einzelnen Themen neu zu sortieren, um so den Wandel von Sehgewohnheiten auszumachen.

Einen klassischen Zugang zum Film wählt dagegen der Artikel von Barbara Ziereis. Am Beispiel von drei Kriegsfilmen der frühen 1930er-Jahre zeigt sie, wie die Feinde zwar als Angreifer dargestellt werden, aber dennoch am Ende des Filmes durch die Differenzierung der Feindbevölkerung eine Versöhnung eröffnet wird. Obwohl Ziereis den Film als zentrales Mittel der Popularisierung von Fremd- und Eigenbildern ausmacht, bleibt allerdings offen, warum die filmische Kriegsdarstellung erst am Ende der Weimarer Republik einsetzte und welche Lesarten die Zeitgenossen bevorzugten.

Eine andere Perspektive auf den Kriegsfilm wählt Philipp von Hugo, der das Zusammenspiel von Zensur und Filmförderung in der frühen Bundesrepublik untersucht. Hugo zeichnet quellenfundiert den Ablauf von Filmverboten und „korrigierenden“ Eingriffen nach. Viele Filmmanuskripte wurden bereits vorab von diversen Institutionen geprüft und die Filminhalte daraufhin so geändert, dass das Bild der Wehrmacht nicht negativ erschien.

Nicht minder interessant sind Thomas Lindenbergers Befunde darüber, wie die DEFA-Produktionen die Bausteine des westdeutschen Heimatfilmes aufgriffen, um den Westen zu diffamieren. Um die Überlegenheit des „eigenen Guten“ über das „andere Böse“ zu zeigen, verknüpften die DDR-Filme dabei patriarchalische Geschlechterstereotype mit der Dynamik des innerdeutschen Systemkonflikts.

Eine zweite Gruppe von Artikeln widmet sich den anderen elektronischen Massenmedien der Nachkriegszeit. Ulrike Weckel zeigt durch den Vergleich der Hörspiel-, Bühnen- und Filmfassung von Borcherts „Draußen vor der Tür“, wie sich die Darstellung und Darstellbarkeit der NS-Verbrechen und der Geschlechterrollen entwickelte. So rückte in der Filmfassung das „weibliche Schicksal an der Heimatfront“ nach vorne, da die Verleiher von überwiegend weiblichen Zuschauern ausgingen.

Am Beispiel der Sendungen von Radio Bremen weist Inge Marszolek ebenfalls darauf hin, dass in den Nachkriegsjahren durchaus über die NS-Vergangenheit berichtet wurde, allerdings so gut wie nicht über die Ermordung der Juden. Uta Schwarz geht der Frage nach, wie die bundesdeutschen Wochenschauen über den weiblichen Körper die klassenlose Gesellschaft inszenierten. Anhand der damals gerne präsentierten Miss-Wahlen macht sie die Fiktion prinzipieller Chancengleichheit aus.

Jochen Hörischs Beitrag über „die Universität und das Radio“ verfehlt dagegen nicht nur das selbst gesetzte Thema, sondern fällt in seinen unzusammenhängenden Passagen hinter den Forschungsstand zurück, wenn er etwa Lübbes These vom Beschweigen der Vergangenheit beschwört. Einen soliden Überblick über den Fall Höfer, allerdings kaum mit neuen Einschätzungen und Befunden, bietet schließlich der Artikel von Michael Geisler.

Bemerkenswert sind schließlich einige Beiträge zur Darstellung der NS-Vergangenheit im Fernsehen. Wulf Kansteiners präsentiert eine quantitative Auswertung von über 1.200 Sendungen über die NS-Zeit, die das ZDF von 1963 bis 1993 sendete. Die Nazi-Verbrechen machten danach 17 Prozent der Darstellungen aus, der Zweite Weltkrieg dagegen 31 Prozent. In den 1970er-Jahren und seit dem Ende der 1980er-Jahre habe sich die Zahl der Sendungen jeweils verringert. Ebenso interessant ist Kansteiners qualitative Auswertung der Filme, die zugleich zeitgenössische Kritiken berücksichtigt. Hier kommt er zu dem (natürlich nicht ganz neuen) Schluss, dass Täter, Zeugen und Mitläufer in den Fernsehdarstellungen weitgehend ignoriert wurden und verschiedene Verbrechen wie die Euthanasie und die Misshandlung der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter kaum dargestellt wurden.

Judith Keilbach reflektiert im Anschluss daran die Rolle des Zeitzeugen in den Dokumentationen über den Nationalsozialismus. Während sie in den 1960er-Jahren noch als „Experten“ und „Beglaubiger“ auftraten, hätten ihre emotionalen Auftritte seit den 1990er-Jahren dazu geführt, dass die Unterscheidungen zwischen Tätern und Opfern verschwommen.

Der Herausgeber hat leider darauf verzichtet, dem Band eine Einleitung voranzustellen, die das Thema „Medien-Politik-Geschichte“ systematisch reflektiert. Tatsächlich lassen sich aus den vielfältigen Artikeln nur schwer generelle Ergebnisse über das Verhältnis dieser drei Pole ziehen. Fast alle Artikel gehen zumindest implizit von einer politischen Lenkung der Medien aus, verzichten aber vielfach darauf, Akteure auszumachen. Gerade die elektronischen Medien scheinen damit eine kollektive Repräsentationsform zu bilden, deren Inhalte anonym durch politische Kalküle und Erwartungen gefüllt werden. Bemerkenswert ist zudem, dass die Artikel kaum über die Folgen für die politische Kultur räsonieren, sondern wesentlich häufiger über die Folgen für die Geschlechterrollen.

Den Schwerpunkt der Medienanalysen bildet die vergleichende Betrachtung der Medieninhalte. Die Nutzung und Rezeption der Medien bleibt dagegen weitgehend eine Blindstelle, die selbstverständlich nur schwer zu behandeln ist. Trotz dieser eher grundsätzlichen Überlegungen lässt sich insgesamt festhalten, dass der Band zahlreiche wichtige Beiträge zu einem neuen Themenfeld bietet.

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