Cover
Titel
John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben


Autor(en)
Dallek, Robert
Erschienen
Anzahl Seiten
759 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Universität Tübingen

Die Kennedy-Historiografie hat in den letzten vierzig Jahren höchst unterschiedliche Bewertungen des Präsidenten vorgelegt. Die ersten Biografen Arthur M. Schlesinger, Jr. und Theodore Sorensen hatten unter Kennedy im Weißen Haus gearbeitet und legten ihre Bücher bereits kurz nach dessen Tod vor. Sie präsentierten darin einen brillanten jugendlichen Amtsinhaber, der Amerika weise geleitet habe und auch vor neuen Herausforderungen etwa im Weltall nicht zurückgeschreckt sei. Einige Jahre später setzte eine Gegenbewegung ein, die alles Verwerfliche im Leben Kennedys betonte: Er sei für das Engagement Amerikas in Vietnam verantwortlich gewesen, habe den kubanischen Präsidenten Castro mit mafiösen Mitteln aus dem Wege räumen wollen, habe die Frage der Rassenbeziehungen in Amerika vernachlässigt, ein ausschweifendes Liebesleben geführt und sei im Grunde zu krank gewesen für seine Präsidentschaft. Er sei von Schmerzmitteln und Amphetaminen abhängig gewesen, die bei zu hoher Dosierung wagemutig machen und in der Hand des Mannes, der über den Einsatz von Atomwaffen verfügt, eine Gefahr darstellen.

Von solch extremen und einseitigen Bewertungen Kennedys in die eine oder andere Richtung ist Robert Dalleks Biografie weit entfernt. Dallek, einer der profiliertesten amerikanischen Historiker der Gegenwart - Autor u.a. eines Standardwerkes zur Außenpolitik Franklin D. Roosevelts und einer zweibändigen Biografie Lyndon B. Johnsons - bemüht sich um ein ausgewogenes Bild des Präsidenten, das seine Leistungen hervorhebt, aber vor seinen Fehlern keineswegs die Augen verschließt. Die größte Leistung des Präsidenten lag für Dallek in den Bereichen Sicherheitspolitik und Beziehungen zur UdSSR. Dort habe Kennedys Wirken dem Ziel gedient, „eine amerikanische Haltung zu entkräftigen (!), die die Möglichkeit - ja sogar Wahrscheinlichkeit - eines Atomkrieges mit Moskau in Kauf nahm“ (S. 666). Kennedy habe die bisherige Konfrontationspolitik gegenüber der UdSSR aufgegeben zu Gunsten der Vision eines Friedens unter Anerkennung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen. Die „Inlandsbilanz“ von Kennedys Präsidentschaft war hingegen recht begrenzt, so Dallek. Der Präsident habe sehr lange gezögert, bis er sich dem Problem der Rassendiskriminierung angenommen habe.

Dalleks eingehendem Studium von Krankenberichten über Kennedy verdanken wir neue Kenntnisse über seinen prekären Gesundheitszustand als Schüler und Student sowie über seine späteren Behandlungen durch die Ärzte Janet Travell und Max Jacobsen („Dr. Feelgood“). Der Präsident war ein schwerkranker Mann, der sich intensiv darum bemühte, die Wahrheit über seinen Zustand vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Kennedy tat dies, weil er glaubte, dass er für die Amerikaner unwählbar wäre, wenn das ganze Ausmaß seiner Leiden bekannt würde. Aber, so Dallek im Hinblick auf die Diskussion über Kennedys Medikamentenkonsum, der Präsident war zu jedem Zeitpunkt in der Lage, sich und die Politik zu kontrollieren: „Die verschriebenen Medikamente und ein im Herbst 1961 begonnenes Trainingsprogramm, verbunden mit seiner Intelligenz, seiner historischen Kenntnis und seiner Entschlossenheit, alle präsidentiellen Herausforderungen zu meistern, ermöglichten es ihm, sich auf feinfühlige Weise auch auf drohende Katastrophen zu konzentrieren.“ (S. 659) Es gibt in der Geschichte der Außen- und Sicherheitspolitik der frühen 60er-Jahre keine Hinweise darauf, dass Entscheidungen unter dem Einfluss von Drogen getroffen bzw. notwendige Maßnahmen aus diesem Grunde unterlassen wurden.

Wenn der Präsident in seiner frühen Außenpolitik Fehler beging, so beruhten diese auf seinen eigenen Fehleinschätzungen bzw. dem Vertrauen, das er den Geheimdiensten und dem Militär entgegenbrachte. Dallek stellt die Invasion in der Schweinebucht im April 1961, die zum Sturz des kubanischen Machthabers Fidel Castros führen sollte, als Unternehmung dar, deren Erfolg von Anbeginn an zweifelhaft erscheinen musste. Einerseits hing ein Erfolg maßgeblich davon ab, dass die Nachricht vom Eintreffen einer kleinen Invasionstruppe von 1.500 Mann zu einer Volkserhebung führen würde. Andererseits hätten vor dieser Aktion im Beraterkreis Kennedys ernste Zweifel bestanden - so Dallek unter Berufung auf Arthur M. Schlesinger, Jr. - ob eine Invasion die Menschen auf Kuba so elektrisieren würde, dass sie sich im Moment der Landung gegen Castro erheben würden (S. 312). Dallek stellt Kennedy als Präsidenten dar, der trotz zahlreicher Warnungen die Operation autorisierte und im Nachhinein das Scheitern der CIA und besonders ihren Direktor Allen Dulles anlastete.

Es war jedoch gerade diese frühe Enttäuschung über die Arbeit der Geheimdienste und des Militärs, die Kennedy zu einem behutsameren Vorgehen während der Kuba-Krise von 1962 bewogen hat. Der Präsident hatte den militärischen Apparat mittlerweile besser im Griff und widersetzte sich seinen Generalstabsoffizieren, die seit der Entdeckung sowjetischer Raketen auf Kuba ein schärferes Vorgehen gegen die Insel, einschließlich einer militärischen Invasion, befürworteten. Dallek resümiert, dass Kennedys Widerstand gegen den Druck der Militäroberen im eigenen Land und seine Einsicht, dass geduldige Diplomatie und wohldosierter Druck die Sowjets davon überzeugen konnten, die Raketen abzuziehen, ein wichtiger Beitrag zur friedlichen Beilegung der Krise war (S. 522f.).

Der Amerikaner Dallek hat ein Buch für amerikanische Leser geschrieben. Das spiegelt sich deutlich in den Gewichtungen der Kapitel wider. Deutsche und europäische Probleme nehmen nur einen geringen Platz ein. Ein deutscher Leser mag sich wünschen, dass besonders über Kennedys Deutschland- und Berlinpolitik ausführlicher und unter mehreren Blickwinkeln referiert worden wäre. Der Bau der Mauer etwa wird einzig aus US-Sicht dargestellt. Die Position der Bundesregierung und der Berliner Stadtführung wird nicht erklärt, sondern erscheint als bloßes Störmanöver, auf das Kennedy „pikiert“ (S. 376) reagierte. „Was glaubt er, wer er ist,“ so Kennedys barsche Antwort auf einen Aufruf des Berliner Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt an die Adresse der USA, das Engagement für Berlin zu bekräftigen. Auch die Phase unmittelbar nach dem Bau der Mauer, eine eminent wichtige Zeit im deutsch-amerikanischen Verhältnis, wird bei Dallek auf die bloßer Erwähnung der Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie reduziert. Hier hätte ein deutscher Kennedy-Biograf (im Hinblick auf eine andere Leserschaft) andere Akzente gesetzt. Auch würde der Ausgang der Berlin-Krise dann kaum als Kennedys „erster Sieg im Kalten Krieg“ (S. 383) bezeichnet werden.

Dalleks Buch ist als Biografie eines Amerikaners über einen amerikanischen Präsidenten hervorragend. Es ist das Ergebnis intensiver Recherche und ist ausgewogen in den Bewertungen. Das Informationsbedürfnis eines deutschen bzw. europäischen Lesers befriedigt es hingegen nicht völlig.

Die deutsche Ausgabe des Buches ist gegenüber der englischen gekürzt, ohne dass es im Text ersichtlich würde, an welchen Stellen Passagen aus dem Original fortgelassen wurden. Die Übersetzung hält sich zumeist eng an den englischen Text. Ab und zu schleichen sich jedoch Missverständnisse ein, so wenn der aus dem Süden stammende Handelsminister Luther Hodges, Kennedys „southern commerce secretary“, als „Minister für den Handel im Süden“ bezeichnet wird. Ärgerlicher ist, dass das Register, ein wichtiges Hilfsmittel für die Suche nach speziellen Informationen in einem umfangreichen Text, in der deutschen Ausgabe schlechter ist als im englischen Original. Es mag noch hinzunehmen sein, dass Einträge wie „John F. Kennedy“ und „Dean Rusk“ nicht weiter aufgeschlüsselt werden. Völlig unverständlich ist es hingegen, dass auf die Einträge „Konrad Adenauer“ und „Berlin“ völlig verzichtet worden ist.

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