W. Kofler: Heldenbuch 1479

Cover
Titel
Die Heldenbuch-Inkunabel von 1479.


Herausgeber
Kofler, Walter
Erschienen
Göppingen 2003: Kümmerle Verlag
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jacob Klingner, Ältere deutsche Literatur, Freie Universität Berlin

Seit 1971 werden in der Reihe „Litterae“ 1 Abbildungen zur Überlieferung und Textgeschichte der mittelalterlichen (und teilweise auch der frühneuzeitlichen) deutschen Literatur veröffentlicht. Die Spanne reicht von überblicksartigen Abbildungen einzelner Seiten der handschriftlichen Zeugen eines Textes bis hin zum s/w-Abdruck kompletter Handschriften oder Drucke. Ziel der Reihe ist, einer breiteren, fächerübergreifenden wissenschaftlichen Öffentlichkeit einen ersten Zugang zu den Quellen auch jenseits teurer und für die meisten Werke nicht realisierbarer Faksimilia zu bieten. Mit dem hier zu besprechenden 121. Band legt Walter Kofler nun die erste CD-ROM-Publikation im Rahmen der Reihe vor. Dieser Schritt in ein neues Medium erscheint konsequent: Abbildungen der Überlieferung, zumal farbig, können dem Benutzer hier in größerer Zahl und vor allem viel preisgünstiger zur Verfügung gestellt werden. Dazu kommen die Möglichkeiten des komfortablen Imports von Daten und Bildern in eigene (akademische) Verwendungszusammenhänge.

Thema des Bandes ist der erste „Heldenbuch-Druck“, der 1479 in Straßburg von Johann Prüss verlegt wurde. Dieses „Monument der Frühdruckgeschichte“ (J. Heinzle) wurde schon 1981 im Litterae-Band 75 als s/w-Faksimile vorgelegt und eingehend kommentiert.2 Besonders reizvoll, nicht nur für Germanisten, sondern auch für Kunstgeschichtler und Buchforscher, ist die erste Heldenbuch-Inkunabel aufgrund ihrer reichen Ausstattung mit 230 Holzschnittillustrationen (gedruckt von insgesamt 156 Druckstöcken, da einige Abbildungen mehrfach verwendet wurden).

Was liefert nun Koflers CD-ROM an zusätzlichem Material? Welche neuen Forschungsperspektiven kann sein Band eröffnen? Der Untertitel „Alle Exemplare und Fragmente in 350 Abbildungen“ legt nahe, dass es Kofler vor allem um eine Gesamtdarstellung der Drucküberlieferung des Heldenbuches von 1479 geht. Besonders im Hinblick auf den Buchschmuck ist das einleuchtend: Inkunabeln verließen die Offizin als Halbfertigprodukte - Einband, Initialschmuck, Rubrizierung sowie die Kolorierung der Holzschnitte erfolgten je nach ästhetischen, handwerklichen und finanziellen Möglichkeiten der ersten Besitzer. Folglich muss, um - wie Kofler schreibt - „das ganze 'Leben' einer alten Druckausgabe“ erfassen zu können, die individuelle Ausstattung jedes einzelnen Druckexemplars betrachtet werden.

Den Hauptteil der CD-ROM, die über ein Browserprogramm sehr einfach und schnell zu navigieren ist, macht nun eine detaillierte, vor allem auch Blattbestand (Defekte) und Besitzgeschichte dokumentierende Exemplarbeschreibung zu allen neun erhaltenen Inkunabelexemplaren und den einzelnen Fragmenten aus, illustriert durch eine Zusammenstellung von Abbildungen. Diese Abbildungen umfassen jeweils den Einband, einige s/w-Fotos kompletter (Text-)Seiten, sowie Farbfotos der Holzschnitte im Fall der kolorierten Exemplare. Allerdings wird nur das kolorierte Bildprogramm des Colmarer Exemplars komplett abgebildet (quasi als Gegenstück zum Faksimile von 1981, das mit dem Darmstädter Exemplar eine unkolorierte Inkunabel zur Vorlage hatte). Für die anderen altkolorierten Exemplare wird nur eine Auswahl gezeigt.3 Ebenso exemplarisch gibt es Farbfotos von vorhandenem Initialschmuck, von Rubrizierung und Lagenbezeichnungen.

Dass eine solche Zusammenschau der Forschung sehr nützlich sein kann, wird unmittelbar am Beispiel einer ganzen Gruppe von Fragmenten deutlich, die alle im selben Stil koloriert sind. Für diese „Fragmentgruppe 1954“ (von Kofler nach dem Jahr des ersten Auftauchens der Blätter im Antiquariatshandel benannt) führt Kofler eine Reihe von Indizien an, die wahrscheinlich machen, dass es sich bei den Blättern sämtlich um die Reste des ehemalig der Regensburger Thurn- und Taxis-Bibliothek gehörenden Heldenbuchexemplars handelt. Die Mühe, die sich Kofler mit den Exemplarnachweisen einzelner Fragmentblätter gibt, zahlt sich also aus.

Für andere vorstellbare Forschungsansätze, denen der vorliegende Litterae-Band dienen könnte, ist die Materiallage leider eher dünn. Es ist nicht Kofler anzulasten, dass sich nicht für alle Exemplare aussagekräftige Informationen zu Vorbesitzern ermitteln lassen, so dass sich auch kein differenziertes Bild des zeitgenössischen Gebrauchs ergibt - man fragt sich aber, ob in diesem Fall der Schwerpunkt der CD-ROM nicht mehr in Richtung text- oder kunstgeschichtlicher Fragestellungen hätte verschoben werden sollen. In dieser Hinsicht bleibt Koflers Präsentation der erhaltenen Exemplare unbefriedigend. Mit der vorliegenden CD-ROM ist ein wirklicher Vergleich der Kolorierungsvarianten nur bruchstückhaft möglich, da von den meisten Exemplaren eben nur wenige Abbildungen aufgenommen sind. Geradezu ein Sündenfall ist es, dass den Abbildungen der Holzschnitte die entsprechenden zugehörigen Bildbeischriften fehlen - interessiert man sich für Text-Bild-Bezüge, dann ist die vorliegende CD-ROM so gut wie nutzlos, man ist hier weiterhin auf das Faksimile von 1981 angewiesen.4 Dabei scheint Kofler an anderer Stelle gerade zu versuchen, den Band durch die Anreicherung mit einer Fülle unterschiedlicher Materialien und Tabellen, deren Sinn und Verwendungszweck sich dem Benutzer nicht immer intuitiv erschließen wird, möglichst zum universalen „Steinbruch“ für Heldenbuchforscher zu machen.

Teilweise integriert Kofler leicht abgewandelte (aktualisierte oder gekürzte) Aufstellungen aus der früheren Forschung (z.B. Inhaltsübersicht, Namenregister, Aufstellung der Druckvarianten 5). Teilweise aber finden sich auch neuartige Materialien, wie eine Bildübersicht der Holzschnitte in Thumbnailform (mit Angabe, für welche Bildnummern der jeweilige Druckstock verwendet wurde) oder ein tabellarischer Vergleich der Kolorierungspraxis. Der ebenfalls beigefügte Exemplarnachweis für alle folgenden Druckausgaben des Straßburger Heldenbuches (fünf weitere Ausgaben bis 1590) geht über das in Titel und Untertitel gegebene Thema des Bandes hinaus und basiert auf einem online frei verfügbaren und an anderer Stelle bereits vorgestellten Internet-Projekt Walter Koflers.6 Auch ein Kapitel, in dem Kofler die direkte Abhängigkeit der in der Wiener Handschrift Cod. 2959 überlieferten „Laurin“-Fassung vom Heldenbuch-Druck von 1479 plausibel macht, sowie einige knappe Bemerkungen zu möglichen Vorlagen des Bildprogramms weisen eigentlich auf vom Hauptteil der CD-ROM nicht berührte Felder: auf die der Text- wie auch der Bildgeschichte der Heldenbuch-Drucke. Es nicht bei diesen „Beigaben“ zu belassen und noch konsequenter in diese Richtungen voranzuschreiten, hätte eine echte, für die gesamte Buchreihe möglicherweise programmatische Weiterentwicklung der durch den Litterae-Band 75 gebotenen Ansätze bedeuten können.7

So bleibt ein zwiespältiger Gesamteindruck: Die Buchreihe „Litterae“ kann durch den Wechsel in das Medium der CD-ROM nur gewinnen. Dem vorliegenden ersten Versuch fehlt allerdings eine klare Linie. Anders als der Titel suggeriert findet man hier ein Sammelsurium zum Gesamtkomplex „gedrucktes Heldenbuch“ mit sehr heterogener Strukturierung der Daten - was einen ersten Überblick über das gebotene Material und die daran anzubringenden Fragestellungen zunächst erschwert.8 Kofler verlässt damit einerseits die Pfade der ansonsten recht spartanischen Litterae-Bände, bleibt aber auf halbem Weg zu einer neuartigen Abbildungssammlung, die text- und kunstgeschichtlichen Fragestellungen dienstbar wäre, stehen. Nutzbar und nützlich ist Koflers CD-ROM eher als Ergänzung zum bereits vorliegenden Faksimile und wird wohl nur einen kleineren Kreis bereits eingeweihter Heldenbuchforscher mit dem einen oder anderen Fund- und Bruchstück glücklich machen können.

Anmerkungen:
1 Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher, Cornelius Sommer; Göppingen.
2 Heldenbuch. Nach dem ältesten Druck in Abbildung hrsg. von Joachim Heinzle, Bd. I: Abbildungsband, Göppingen 1981 (Litterae 75/I); Bd. II: Kommentarband, Göppingen 1987 (Litterae 75/II).
3 Gezeigt werden 229 kolorierte Holzschnitte aus dem Colmarer, 13 aus dem Göttinger Exemplar, hinzu kommen 12 bzw. 5 Holzschnittabbildungen aus den nur sporadisch kolorierten Exemplaren in Hildesheim und Paris und eine Reihe von Holzschnitten aus Einzelblättern (insgesamt 53 Fotos).
4 Vorbildlich in dieser Hinsicht ist das Online-Angebot der Bayerischen Staatsbibliothek im Rahmen der „Datenbank Druckgraphische Buchillustration des 15. Jahrhunderts“. Hier werden unter anderem auch alle (altkolorierten) Holzschnitte des Münchner Exemplars der zweiten, Augsburger Heldenbuchausgabe (Johann Schönsperger, 1491) präsentiert - getreue, wenn auch spiegelverkehrte Nachschnitte des Straßburger Illustrationszyklus. Vgl. http://mdz.bib-bvb.de/digbib/inkunabeln/inkill/@Generic__BookView;cs=default;ts=default;lang=de?DwebQuery=heldenbuch (dieser und folgende Links geprüft am 6.1.2004).
5 vgl. Heldenbuch. Nach dem ältesten Druck in Abbildung hrsg. von Joachim Heinzle, Bd. II: Kommentarband, Göppingen 1987 (Litterae 75/II), S. 9-144 (Inhaltsresümee mit beschreibendem Katalog der Holzschnitte), S. 145-161 (Namenregister), S. 168-169 (Druckvarianten).
6 „Alle bekannten Exemplare der Druckausgaben des Straßburger Heldenbuchs (1479-1590)“ vgl. http://www.geocities.com/Athens/Academy/4876/heldenbuch_exemplare.html. Bereits 2001 erfolgte eine Vorstellung dieses Projekts in der Zeitschrift für deutsches Altertum 130 (2001) S. 376 („Mittelalter-Philologie im Internet“), vgl. http://www.uni-marburg.de/hosting/zfda/maphil005_kofler.html.
7 Zur Entwicklung der Heldenbuch-Illustrationen ist im Kommentarband von 1987 auf S. 245-277 durch Norbert H. Ott schon Grundlegendes gesagt, was verdient hätte, mit den neuen Möglichkeiten der Farbfotodigitalisierung und Aufbereitung auf CD-ROM bebildert zu werden.
8 Hilfreich ist hier die „Textversion“ als pdf-Datei, die neben der HTML-Aufbereitung auf der CD-ROM angeboten wird, wenngleich beide Versionen, den medialen Bedingungen entsprechend, nicht 1:1 miteinander vergleichbar sind.

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