D. Kimmich u.a. (Hgg.): Universität ohne Zukunft?

Cover
Titel
Universität ohne Zukunft?.


Herausgeber
Kimmich, Dorothee; Thumfart, Alexander
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 10,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Mehring, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Gerade, im Januar 2004, rückt die SPD mit einem neuen atemberaubenden Vorschlag heraus, mit dem – kultursemantisch als „Weimarer Leitlinien“ aufgeladenen - Plan der Gründung von „Eliteuniversitäten nach amerikanischem Muster“, der wohl vor allem auf die Einführung von Studiengebühren zielt. Das Volk wird sturmreif geschossen. Erst redet man die deutschen Universitäten und ihre Wissenschaftler, unter Missachtung jedes Vertrauensschutzes, schlecht, dann verkauft man private Finanzierung als den Zauberstab, der alles verwandeln soll. Die Lektüre von „Forschung und Lehre“, dem Organ des Hochschulverbandes, ist dagegen in diesen Zeiten ein Antidot. Ehrwürdige Wissenschaftler, denen es nicht an der Wiege gesungen war, treten aus ihrer Reserve heraus und zeichnen die Konsequenzen für die Universitäten. Sie tun das, scheint es, nicht gerne. Doch die „Selbstbehauptung“ der Universität tut heute not. Es ist Ehrensache, wenigstens mit offenem Visier unterzugehen. Die beste Waffe der Universitäten ist das Wort. Die Ehre ist gerettet, wenn die Wissenschaft dem Regierungsdiskurs mit treffenden Analysen und Vorschlägen entgegentritt. Sie sollte sich deshalb an der „Reformdebatte“ auch intensiv beteiligen. Ein bei Suhrkamp erschienener Sammelband tut das.

Die Herausgeber Dorothee Kimmich und Alexander Thumfart konstatieren in analytischer Sondierung der Debatte zunächst eine fundamentale Krise und Infragestellung der alten „Autonomie“ der Universität und „Umstellung der normativen Ausrichtung und Beurteilungskriterien“ auf „Nachfrageorientierung“ (S. 27). Die Rolle der Geisteswissenschaften wird ihnen dann zum Prüfstein der heutigen „Idee der Universität“. Dabei ergreifen sie für die Geisteswissenschaften Partei und verteidigen deren Bildungsfunktion: „Die Geisteswissenschaften verhindern, dass Universitäten zu Betrieben werden.“ (S. 30) Die meisten Beiträge des Bandes folgen dieser Richtung. Dieter Langewiesche verteidigt zwar nicht den heutigen Fächerkanon und Bestand, argumentiert aber mit Odo Marquard für „Vielfalt“ unter Verweis auf die „erstaunliche berufliche Offenheit unserer geisteswissenschaftlichen Absolventen“ (S. 47). Klaus Landfried betont ebenfalls die „Zukunft“ der alten Universität unter Hinweis auf eine polykompetente Verwendbarkeit der geisteswissenschaftlichen Absolventen, die vermutlich in den kommenden Jahren aber immer weniger nachgefragt werden wird. Dan Diner feiert dann die Fülle möglicher neuer Forschungsthemen. Hauke Brunkhorst lässt sich nicht auf euphemistische Reformrhetorik ein, sondern hält dagegen und verteidigt den „produktiven Darwinismus“ der demokratischen „Massenuniversität“ als Form der Erfüllung aufgeklärter Ideale von der Bildungs- und Forschungsuniversität. Er argumentiert für die überlieferte normative Orientierung an der Wissenschaft als Lebensform. Die „geisteswissenschaftliche“ Kompensationstheorie dagegen verteidigt die alte Bildungsidee nur mit dem Arsenal der Gegner: mit dem Hinweis auf eine generalistische Verwendbarkeit ihrer Abgänger. Das Argument ist ziemlich schwach. Es ist oft nicht einmal ausgemacht, ob die Absolventen trotz oder wegen ihres geisteswissenschaftlichen Studiums unterkommen. Jedenfalls arbeiten sie jenseits der Universität kaum noch als Wissenschaftler in ihrem Fach. Beide Argumentationen aber richten sich deutlich gegen eine Reduktion der Universitäten zum Ausbildungsbetrieb. In der Tat: Das soll die Wirtschaft selbst machen (und bezahlen), weil sie es besser kann. Nicht die Bildungsfunktion, sondern die Ausbildungsfunktion der Universitäten ist bei der Dynamik der Berufswelt heute überholt.

Frank Meier und Uwe Schimank erörtern Konsequenzen der Einführung des „Management-Modells“ der Steuerung für die Geisteswissenschaften. Deren geläufige „Verfahren und Formeln zur Leistungsermittlung“ in der „Ressourcenkonkurrenz“, wie etwa Drittmittelwerbung, seien auf die Geisteswissenschaften kaum übertragbar, weshalb sie sich stärker um eine Operationalisierung ihres Beitrags bemühen sollten, bevor sie am fremden Leisten gemessen werden. Walter Erharts sehr lesenswerter Beitrag räumt dann zunächst mit – auch bei Kompensationstheoretikern anklingenden - Illusionen über die „Ruinen“ der traditionellen Universität auf und skizziert dann die „Managerin“ und den „Mönch“ als idealtypische Leitbilder der Reaktion, die zusammen erst ein Überleben in neu gestuften Studiengängen mit einem „neuen kulturwissenschaftlichen Grundstudium“ (S. 139) ermöglichen. Hier deutet sich eine neue Rechtfertigung der Geisteswissenschaften an, die über die kompensationstheoretische Verteidigung der Bildungsidee hinausgeht und ihnen neue Aufgaben jenseits unspezifischer „formaler Bildung“ zuweist. Albrecht Koschorke bietet dann eine leicht satirische Abrechnung mit dem gegenwärtigen Betrieb. Als „Grundparadox“ der jüngsten Entwicklungen stellt er heraus, dass Innovation nicht evaluierbar sei, weshalb der gegenwärtige Trend zur zentralisierten Wissenschaftsförderung nur in einen neuen Konformismus münde (S. 151). Kaschorke empfiehlt dagegen eine „Strategie der Deflation“ (S. 156) von akademischer Betriebsamkeit.

Dieter Herz berichtet anschließend instruktiv vom „Reformkonzept der Universität Erfurt“, das u.a. ein Studium Fundamentale innerhalb des BA-Studiengangs vorsieht und so auch den Geisteswissenschaft neue Aufgaben einräumt. Max Kaase stellt dann die International University Bremen in ihrer Gründungsgeschichte, ihren Leitlinien und ihrer Finanzierung vor. Ansgar Nünning und Roy Sommer werben in eingehender Bestandsaufnahme der „Defizite und Desiderate der deutschen Doktorandenausbildung“ für ihr Giessener Graduiertenkolleg als Antwort. Diese drei Beiträge zeigen, dass es tatsächlich interessante Reformansätze und Experimente mit neuen Perspektiven auch für Geisteswissenschaftler gibt.

Zum Abschluss plädiert Ernst Peter Fischer für mehr Anstrengungen insbesondere der Naturwissenschaften zur Vermittlung ihrer Einsichten in die Öffentlichkeit und schlägt die Einrichtung eines „Lehrstuhls für Wissenschaftsgestaltung“ vor. Detlev Schöttker schließlich blickt auf die jüngst vergangenen goldenen Zeiten des FAZ-Feuilletons als Refugium hoch begabter, doch universitär entorteter Geisteswissenschaftler zurück.

Der Titel des Sammelbandes ist etwas forsch. Es geht nur um die Zukunft der Geisteswissenschaften, an der, nach Auffassung der Herausgeber, aber die Idee der Universität insgesamt hängt. Philosophie ist freilich keine historisch-philologische Geisteswissenschaft. Die alte Idee einer philosophisch integrierten Forschungsuniversität ist deshalb auch kompensationstheoretisch nicht adäquat zu fassen. Eine „philosophische“ Ausrichtung der Universität hat noch andere rechtfertigende Gründe als die erörterten. „Bildung“ ist nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Ziel. Universitäten steigern die Standards des humanen Selbstverständnisses von Gesellschaften und „kultivieren“ so das Leben. Sie rechtfertigen auch dann ihre staatliche Finanzierung als „öffentliches Gut“, wenn ihre Abgänger davon beruflich nicht profitieren. Diese transindividuelle Rechtfertigung der Universität als Bildungseinrichtung wird heute kaum noch verstanden und klingt auch im Sammelband kaum an. Seine Lektüre lohnt dennoch sehr. Denn der Band markiert ein Ende aller Unklarheiten über den epochalen Wandel der heutigen Universität. Er macht klar, dass die Epoche Humboldts, der alten „Forschungsuniversität“, heute wohl vorbei ist. Die Transformation der Universitäten von Bildungs- in Ausbildungsstätten und auch der Ausstieg des Staates aus der öffentlichen Förderung ist mittlerweile derart fortgeschritten, dass man mit den jüngsten, von SPD/Grünen beschlossenen Entwicklungen ein Ende der universitätsgeschichtlichen Epoche datieren muss, die, so Brunkhorst, von der preußischen „Eliteuniversität“ zur „Massenuniversität“ reichte. Der Band markiert aber nicht nur diesen Wandel, sondern bietet darüber hinaus auch theoretische und institutionelle Ansätze möglicher Reformen. Er zeigt das offene Visier der Wissenschaft, die viel Kritik an ihrer „Reformunfähigkeit“ widerlegen kann und als Scheingefecht entlarvt. Er ist ein Teil der Ehrenrettung, die heute ansteht. In traditionalen Gesellschaften war es bisweilen üblich, dass ein Kämpfer seinen tapferen Gegner dadurch ehrte, dass er sich nach errungenem Triumpf entleibte. Den Totengräber der ehrwürdig überkommenen Forschungsuniversität aber fehlt schon zumeist das akademische Format, sich ihre Leiche anzuschauen und ihre Tat zu verstehen. Sie sollten den Band lesen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension