A. Görgen, Rechtssprache in der Frühen Neuzeit

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Titel
Rechtssprache in der Frühen Neuzeit. Eine vergleichende Untersuchung der Fremdwortverwendung in den Gesetzen des 16. und 17. Jahrhunderts


Autor(en)
Görgen, Andreas
Reihe
Rechtshistorische Reihe 253
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl H. L. Welker, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte, Universität Osnabrück

Die rechtshistorische Germanistik besitzt ein sprachgeschichtliches Selbstverständnis: Das deutsch aufgezeichnete Recht unterscheidet sich vom rezipierten durch eine eigenständige juristische Fachsprache. Fragwürdig erwies sich diese Annahme bereits im Hinblick auf die so genannten Germanenrechte. Nun weckt Andreas Görgen zudem Zweifel an den Grundannahmen eines Teils der rechtshistorischen Lehre mit einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung frühneuzeitlicher Rechtstexte. Trotz typografischer Hervorhebung fremdsprachiger Termini habe es im 16. und 17. Jahrhundert keinen festen Bestand juristischer Fachwörter gegeben. Es sei vielmehr ein Integrationsprozess zu beobachten, der z.T. mit einem Bedeutungswandel lateinischer und französischer Vokabeln einherging. Eine klare Trennlinie zwischen deutschem und römischem Recht habe es folglich nicht gegeben.

Der Autor, dessen in Tübingen bei Jan Schröder entstandene Dissertation hier vorgestellt wird, ergänzte sein Studium am Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn durch rechtslinguistische Arbeiten bei Friedrich Müller in Heidelberg. Darüber hinaus sammelte er praktische Erfahrungen mit einer fremden juristischen Fachsprache in Straßburg und Paris.

Görgen argumentiert zweigleisig und kombiniert historische und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse. Als Quellen verwendet er Rechtsordnungen aus Trier, Köln und Jülich-Kleve-Berg. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil seiner Arbeit benennt Görgen die äußeren Bedingungen der Ausprägung frühneuzeitlicher Gesetzessprache, im Zweiten fasst er seine rechtsbegrifflichen Analysen mit statistischen Mitteln zusammen. Hinzu kommt eine CD-ROM mit der Auswertung der Quellentexte in einem umfangreichen Rechtswörterbuch.

Ausgehend von der Reichskammergerichtsordnung von 1495 unterstreicht Görgen das Interesse von Territorialherren und Ständen an einer Aufzeichnung des Landesrechts. Was zunächst lediglich zu Beweiszwecken und zur Abwehr des subsidiär anzuwendenden römischen Rechts gedacht war, führte in der Folge - in der Geschichte der Gesetzesbindung - zur Verschriftlichung und Fixierung des Rechts, schließlich zur Verwissenschaftlichung und „Textpflege“. Zu Beginn gab es weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch Deduzierbarkeit. Das Recht verstand sich als rhetorische Art oraler Auseinandersetzung, nicht als System.

„Begriffscluster“ erläuterten den Inhalt des Gemeinten, nicht Definitionen – die sprichwörtlich „periculosa“ waren. Mit dem Aufzeichnen von Recht allerdings setzte eine Institutionalisierung fachsprachliche Verständigung ein. An ihr beteiligte sich zunächst eine schmale Schicht Halbgelehrter. So richtete sich die Trierer Untergerichtsordnung von 1537 an „arme eynfeltige unverständige Urteilsprecher“. Solche Ansätze zu einer Professionalisierung und Schulung zu effizienter Rechtsdurchsetzung gingen mit der Überwindung regionaler Sprachgewohnheiten einher. Bereits die Anwendung vor dem Reichskammergericht setzte Allgemeinverständlichkeit voraus. Hinzu kommt im 16. Jahrhundert die humanistische Suche nach verbindlichen, interpretierbaren Texten. Die Sprache wurde darüber zum sinnstiftenden Medium. Lateinische Ausdrücke fanden in schriftlichen Aufzeichnungen dort Eingang, wo lokale Ausdrücke der Schriftsprache nicht zur Verfügung standen. Die damit geschaffene Hochsprache war – wie Görgen darlegt – von Anfang an eine mehr oder minder künstliche Mischsprache. In ihr „fremde Brocken“ (Eberhard Frhr. von Künßberg) zu isolieren oder gar Defizite der zeitgenössischen Rechtssprache zu unterstellen (Karl Siegfried Bader), geht an der Sache vorbei.

Dessen ungeachtet entwickelte sich bereits im 16. Jahrhundert ein Gefühl für die Fremdheit bestimmter Begriffe. Sie galten als „schwere Wörter“ und erst im 17. Jahrhundert unter Sprachpuristen als grundsätzlich „vermeidbar“. Dazwischen aber hatten fremdsprachige Einsprengsel durchaus einen modischen Schick. Gerade die juristische Fachsprache kennt Fälle der Relatinisierung. Im Verhältnis zur Allgemeinsprache war aber das Ausmaß der Verwendung der in Schwabacher gesetzten Begriffe nicht ungewöhnlich. In Görgens Untersuchungszeitraum stieg die relative Zahl entlehnter Rechtswörter kaum. Während im 17. Jahrhundert einerseits eine zunehmende Einbürgerung von Fachbegriffen eintrat, sanken andererseits die Übersetzungshilfen.

Görgens Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zum Problem der Entstehung von Gesetzessprache. Gerade in Anbetracht der Suche nach einer gemeineuropäischen Verständigung stimmt der Hinweis auf eine eigenständige sprachgeschichtliche Entwicklung optimistisch. Sie produzierte zwar nicht das nationale Recht, wie es die rechtshistorische Germanistik unter romantischem Vorzeichen vermutete, erwies sich aber als hinreichend flexibel, um einer Rationalisierung des Rechts keine Hindernisse entgegenzusetzen. Nicht eine ‚reine’ oder ‚gereinigte’ Volkssprache bildet damit die Grundlage des Rechtsstaats in Deutschland, sondern eine durch Lehnwörter angereicherte. Görgen zieht keine Schlüsse aus diesem Befund. Der Modellcharakter seiner Untersuchung legt sie jedoch nahe. Alles in allem bietet die Dissertation ein Beispiel für gelungene wissenschaftliche Interdisziplinarität.

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