L. Passerini (Hg.): Images and Myths of Europe

Cover
Titel
Figures d'Europe/Images and Myths of Europe.


Herausgeber
Passerini, Luisa
Reihe
Multiple Europes 22
Erschienen
Anzahl Seiten
183 S.
Preis
€ 28,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Schmale, Institut für Geschichte, Universität Wien

Der Band über Bilder und Mythen von Europa dokumentiert die Mehrzahl der Vorträge, die 2002 auf einer Tagung am European University Institute in Florenz gehalten wurden. Das Buch ist in drei Teile gegliedert: „Europa braucht Mythen“ (Luisa Passerini, Stuart Hall, Hartmut Kaelble); „Europäische Symbolik“ (Jacques-René Rabier, Michael Rice, Esteban Buch, Yves Hersant, Darby Lewes); „Der Euro, ein neues Symbol“ (Jean-Michel Servet, Richard Waswo, Suzanne Shanahan).

Im einleitenden Kapitel befasst sich Passerini mit dem Symbolischen als Ordnungsbegriff. Darunter subsumiert sie Narrative sowie mentale und visuelle Bilder, wie sie sich in Mythen und Symbolen wieder fänden, die die Künste und Medien herstellten. Die Untersuchung von Narrativen und Bildern helfe bei der Enthierarchisierung des historischen Blicks. Beispiele für hierarchische Europaperspektiven sind für Passerini Unterscheidungen zwischen Zentrum und Peripherie, Ost und West, mediterranem Raum und Nordeuropa etc. (Bezüglich der in der Forschung häufig benutzten Figur von Zentrum und Peripherie sowie der Räume Nordeuropa und Mittelmeerraum kann jedoch bezweifelt werden, dass es sich dabei automatisch um Europa-interne Hierarchisierungen handelt.) Die Untersuchung von Mythen und Symbolen sei eminent wichtig, da diese oft eine emotionale Basis von Identitäten bildeten. Damit lenkt Passerini den Blick auf die Individuen, ihre Gefühle und Verhaltensweisen, die nicht anders als die historischen Narrative Europa konstituieren. Schließlich wird der Mythos von Europa und dem Stier ins Spiel gebracht. Passerinis Bemerkung, dass im Mythos Männer nicht präsent seien, überrascht – weniger deshalb, weil der Stier Zeus ist, sondern weil er männliche Eigenschaften repräsentiert und weil die Ikonografie des Europamythos seit der Antike weitere männliche Gestalten wie Chronos und Hermes kennt, deren Göttlichkeit keineswegs Männlichkeitsbotschaften im Mythos ausschließt.

Stuart Hall setzt sich mit „Europa und seinen Mythen“ auseinander. Kritisch diskutiert er den Platz, der der griechischen Kultur als Ursprung Europas eingeräumt werde. Faktisch sei dies nicht zutreffend, aber als Mythos höchst wirkungsvoll. Im Kern geht es Hall jedoch um den Mythos von der europäischen Geschichte, die ihre Abhängigkeit vom „Außen“ und den „Andern“ verleugne. Hartmut Kaelble befasst sich systematisch mit der Frage, was als europäische Symbolik nach 1945 zu gelten habe. Neben der Europahymne und -flagge, den beiden Europatagen, der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Euro etc. seien Symbole auch auf der Ebene von Vereinigungen, Städten und Bürgern zu suchen. Vor allem dem künftigen European Citizenship misst er einen hohen symbolischen Stellenwert bei. Kaelble liefert im Prinzip ein Raster für die systematische Erforschung europäischer Symbolik nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Beitrag ist der einzige, in dem Literatur aus vier Wissenschaftssprachen berücksichtigt wurde.

Jacques-René Rabier gibt einen kurzen Überblick zu Rezeptionen des Europa-Mythos, der nichts Neues bietet und Bekanntes erstaunlich vereinfacht. Immerhin erwähnt er einige Briefmarken-Beispiele und jene neueren Münzen, die das Mythos-Motiv aufgegriffen haben: die zypriotische 50 Cent-Münze und die griechische Zwei-Euro-Münze. Auf die Verwendung des Europa-Mythos während der Werbekampagnen zur Einführung des Euro geht Rabier nicht ein. Michael Rice führt ganz in die Frühzeit des Mythos zurück und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Stiermotiv. Im Wesentlichen resümiert er sein einschlägiges Buch (The Power of the Bull, London 1998). Immerhin kommt auf diese Weise die politische Dimension des Mythos ins Spiel, die von den anderen AutorInnen nicht thematisiert bzw. nicht erkannt wird (S. 85): „The presence of the bull indicated the beginning of ordered government in Mediterranean lands and hence in the continent as a whole.“ Esteban Buch, Autor einer „politischen Geschichte der Neunten Symphonie von Beethoven“, setzt sich in einem erhellenden Beitrag mit der Entstehung der so genannten Europahymne auseinander, der konzertanten Fassung eines Teils der „Ode an die Freude“ aus dem vierten Satz von Beethovens Neunter Symphonie. Buch geht besonders der Frage nach, warum ausgerechnet das ehemalige NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan vom Europarat mit der musikalischen Einrichtung der Hymne beauftragt wurde. Yves Hersant handelt auf sechseinhalb Seiten die Entstehungsgeschichte der europäischen Flagge ab und geht kurz, aber nur am französischen Beispiel, auf die (Miss-)Interpretation der Flagge als Anlehnung an christlich-religiöse Inhalte und Mariensymboliken ein. Die maßgebliche Dissertation von Markus Göldner1 hätte wenigstens in den Fußnoten erwähnt werden können. Darby Lewes beendet diesen zweiten Buchabschnitt mit einem Artikel über die weibliche Form Europas, wobei sich die Autorin der Rezeption der einschlägigen Forschungsliteratur vollständig enthält. Auch eine quellenkritische Behandlung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kartografie, die den Kontinent Europa als Frau beschrieb, scheint für Lewes nicht erforderlich gewesen zu sein. Stringent ist hingegen ihr Ansatz, die weiblichen Europadarstellungen körperlich und sexuell zu interpretieren und auf den männlichen Blick der Frühen Neuzeit sowie des 19. Jahrhunderts zu beziehen.

Der dritte Teil ist dank der gründlichen Beiträge von Jean-Michel Servet und Suzanne Shanahan eigentlich der originellste. Anders als die offizielle EU-Kampagne für den Euro, die Vereinfachungen beim innereuropäischen Geldtransfer, bei Reisen in der Euro-Zone usw. in den Vordergrund stellte und damit, so Servet, in erster Linie auf die Minderheit der regelmäßig in Europa mobilen EuropäerInnen abzielte, versucht Servet die Auswirkungen des Euro auf die Menschen nachzuvollziehen, die im Wesentlichen ihren lokalen und regionalen Alltagszusammenhängen verpflichtet bleiben. Der Aufsatz testet gewissermaßen ein Untersuchungsraster, das folgende Punkte beinhaltet: Geld stellt Bezüge zum Selbst, zu den Anderen, zum Kollektiv her. Diese Bezüge haben auf verschiedenen Ebenen Auswirkungen, die miteinander verschränkt sind – Organisation und Funktionsgrundlagen der angesprochenen Bezüge; Solidarität und Dynamik der sozialen Beziehungen; Integration in das Kollektiv mittels Anerkennung einer Wertehierarchie (die durch das Geld ausgedrückt wird). Was aus all diesem im Hinblick auf den Euro wird, ist noch offen. Servet sieht im Euro ein großes Identitätspotenzial, das auch ein Mythenbildungspotenzial sei. Richard Waswo, der sich an den Geldtheorien von Marx und Simmel orientiert, kommt zu ähnlichen Schlüssen wie Servet. Er sieht im Euro ein zentrales Mittel, über das europäische Einheit hergestellt werden könne. Das klingt zwar banal, ist es aber nicht, denn die Einheit muss durch einen sozialen Konsens erzeugt werden. Wie die Beispiele England und Dänemark zeigen, existiert dieser europäische soziale Konsens noch nicht.

Abschließend analysiert Shanahan eingehend die Frage des Verhältnisses von europäischer Identität und Euro. Die offizielle EU-Kampagne für den Euro habe suggeriert, dass eine europäische Identität existiere und diese aus einer Reihe allgemeiner „Güter“ und Werte bestehe, die sich in den Schlagworten „Offenheit“ und „Gemeinschaft“ zusammenfassen ließen. Eben diese beiden Schlagworte illustrieren die Euro-Geldscheine. Die Euro-Debatte verdeutliche, so Shanahan, dass Identitäten wohl vor allem in der Artikulation gemeinsamer Hoffnungen und Zielsetzungen bestünden. Europa zum Thema zu machen, wie im Fall des Euro, sei bereits ein weiteres Stück der Identitätswerdung.

Ein Gesamturteil über den Sammelband abzugeben fällt nicht leicht. Manche der AutorInnen resümieren lediglich sich selbst und haben sich bei der Druckfassung ihrer Tagungsvorträge wenig Mühe gegeben. Wer die Europaforschung ein wenig kennt, langweilt sich bei manchen Artikeln; andere setzen zumindest einige inhaltliche Akzente oder systematisieren ein Forschungsfeld, wie es Kaelble und die drei letzten Aufsätze zum Euro tun. Die meisten Beiträge beziehen sich auf Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und in erster Linie auf das EU-Europa bzw. noch begrenzter auf Westeuropa. Ostmittel- und Südosteuropa (mit Ausnahme Griechenlands) kommen praktisch nicht vor. Keine der angelegten Betrachtungsachsen wird inhaltlich vollständig, räumlich und zeitlich ausgreifend gefüllt. Schwer erklärbar ist, warum mit Ausnahme von Rice niemand die politische Dimension von Mythen untersucht, obwohl die Forschungsgrundlagen vorhanden gewesen wären.2 Doch fehlt die Rezeption der politischen Mythenforschung nahezu vollständig. Ähnliches ist in Bezug auf den viel benutzten Begriff der europäischen Identität anzumerken. Positiv sei hervorgehoben, dass in dem Band eine Vielzahl von Medien und Bedeutungsträgern zur Sprache kommen. Gerade eine ausführlichere Befassung mit Musik und Film als Mediatoren von Europabewusstsein könnte der weiteren Forschung Impulse vermitteln.

Anmerkungen:
1 Göldner, Markus, Politische Symbole der europäischen Integration. Fahne, Hymne, Hauptstadt, Paß, Briefmarke, Auszeichnungen, Frankfurt am Main 1988.
2 Vgl. etwa Völker-Rasor, Anette; Schmale, Wolfgang (Hgg.), MythenMächte – Mythen als Argument, Berlin 1998.

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