S. Conrad u.a. (Hgg.): Jenseits des Eurozentrismus

Titel
Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften


Herausgeber
Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Simo, Fakultät für Humanwissenschaften, Universität Yaoundé I

Das von Sebastian Conrad und Shalini Randeria herausgegebene Buch ist ein anspruchsvoller Versuch, den postkolonialen Diskurs nicht nur zu dokumentieren, sondern auch zu würdigen, und die Möglichkeit aufzuzeigen, die seine Perspektiven für die deutsche Geschichts- und Kulturwissenschaft bieten. So werden einige bekannte, den postkolonialen Diskurs begründende Beiträge wie Steven Feiermans „Afrika in der Geschichte. Das Ende der universalen Erzählungen“, Timothy Mitchells „Die Welt als Ausstellung“, Fernando Coronils „Jenseits des Okzidentalismus“, Stuart Halls „Wann gab es das ‚Postkoloniale’“ und Depesh Chakratbartys „Europa provinzialisieren“, um nur einige Titel zu nennen, dem Fachpublikum in einer deutschen Übersetzung zugänglich gemacht.

Diese Beiträge dokumentieren eine wissenschaftliche Praxis, die transnationale Perspektiven über Fächergrenzen hinweg entwickelt. Es handelt sich um Ansätze aus der Geschichtswissenschaft, aus der Anthropologie, aus der Politologie, aus der Soziologie und aus Kulturwissenschaften/Indologie, vergleichende Literaturwissenschaft usw., die nicht nur Produkte von Forschungen über verschiedene Schauplätze in der Welt präsentieren, sondern sich auch mit Problemen der Epistemologie, der Repräsentationen, der Verbindung zwischen Wissen und Macht, der Identitätskonstitutionen und -konstruktionen usw. befassen. Diese Beiträge schreiben sich also in einen postkolonialen Geist ein, der von der Verwobenheit der europäischen Geschichte mit der außereuropäischen ausgeht und den Imperialismus als den gemeinsamen Rahmen der wechselseitigen Konstitution von Metropole und Kolonien begreift.

Der postkoloniale Diskurs hat einige wichtige Thesen entwickelt, die die traditionelle Geschichtsschreibung nicht mehr ignorieren kann. Die europäische Moderne ist kaum mehr denkbar ohne Kolonialismus und Imperialismus, in deren Prozess sie sich bestimmte, die Welt zu verändern versuchte und es auch tat, aber sich dabei erst konstituierte.

In einer ausführlichen Einleitung versuchen die Herausgeber, diesen Diskurs zu würdigen und verweisen dabei auf andere Ansätze von Universal- und Kulturhistorikern wie Wallerstein und Eisenstadt, die genau wie die postkolonialen Kritiker Diffusions- und Einflussthesen durch eine relationale Betrachtungsweise ersetzen, die es ermöglichen soll, eine Pluralisierung der Entwicklungslinien der Moderne zu konstatieren. Die Herausgeber arbeiten dann sehr systematisch die Kategorien und Perspektiven heraus, die vom postkolonialen Diskurs entwickelt wurden und die von den deutschen Historikern aufgegriffen und fruchtbar gemacht werden sollen. So z.B. die Kritik des Eurozentrismus, der Geschichtsschreibung als nationale Teleologie und der dichotomischen Betrachtungsweise der Welt sowie die Begriffe „entangled histories“, „shared histories“, Hybridität, „travelling cultures“, „subaltern cultures“ usw.

Als Ergänzung zu dieser Einleitung oder als Nachwort kann der Beitrag von Andreas Eckert und Albert Wirz von der Humboldt-Universität zu Berlin gelesen werden. Unter dem Titel „Wir nicht, die anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus“ setzen sich die zwei Historiker mit der Marginalisierung der Kolonialismusforschung in Deutschland auseinander. Sie führen diese Marginalisierung auf die „weit verbreitete Neigung zurück, Kolonialismus und Kolonialherrschaft gleichzusetzen und somit Deutschland einen Platz am Rande kolonialer Verwicklungen zuzuweisen“ (S. 374).

Die klare Unterscheidung zwischen kolonialer Herrschaft, die in der Tat in Deutschland nicht lange währte, und Kolonialismus, der eher auf eine Geisteshaltung verweist, die lange vor der Kolonialherrschaft und danach durchaus das deutsche Denken und Handeln prägte, ermöglicht es den beiden Wissenschaftlern, genau nachzuweisen, inwiefern postkoloniale Ansätze gerade für die Geschichtsschreibung Deutschlands wichtig sein können. So identifizieren sie Themen und Fragestellungen, deren Erforschung zum Teil schon durchgeführt wurde, aber auch noch durchzuführen ist und die belegen soll, wie Deutschland sich seit dem 18. Jahrhundert bis heute in Gedanken und Strukturen bewegt, die in der Logik des europäischen kolonialen Projektes eingeschrieben sind.

An diesem so anregenden Buch kann nur bemängelt werden, dass zwar aus der Auseinandersetzung mit dem postkolonialen Diskurs klare Konsequenzen für eine Geschichtsschreibung Europas und Deutschlands und die Analyse ihrer Kultur gezogen werden, dass aber kaum auf die sich aus diesem Diskurs ergebenden Perspektiven für eine Beschäftigung mit den außereuropäischen Geschichten und Kulturen eingegangen wird. Die von E. Saïd entwickelte kontrapunktische Vorgehensweise macht deutlich, dass auch Fragestellungen und Forschungsthemen in der Metropole aus der Auseinandersetzung mit Prozessen und Einstellungen in der Peripherie resultieren. Gewiss, der postkoloniale Diskurs dokumentiert solche Prozesse und Einstellungen, aber er macht ein Nachdenken über Afrikanismus und Orientalismus in den deutschen Universitäten nicht überflüssig.

Das Buch ist Teil eines von Wolf Lepenies geleiteten Projektes, das sich mit der Trias „Arbeit-Wissen-Bildung“ beschäftigt. Das Projekt versteht sich als Versuch, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die sich in der postsozialistischen Gegenwart ergeben, nämlich der Erschütterung vieler kultureller Selbstverständlichkeiten, der Entstehung von Strukturproblemen, die ein Überdenken der Aufklärung als westliches, als europäisches Projekt notwendig machten. Die Herausgeber des Buches zeigen, so meine ich, sehr überzeugend, dass bei einer solchen Auseinandersetzung postkoloniale Kategorien von großer Bedeutung sein können.

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