M. Wilde: Hexenprozesse in Kursachsen

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Titel
Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen.


Autor(en)
Wilde, Manfred
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
734 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Ludwig, Technische Universität Dresden

Mit der hier vorzustellenden Arbeit, einer Chemnitzer Habilitation, liegt die erste umfassende Regionalstudie zu Zauberei- und Hexenprozessen in Kursachsen vor. Manfred Wildes grundlegendes Anliegen ist es dabei, den „Forschungsgegenstand als geschichtlichen Entwicklungsprozess und nicht als Phänomen“ zu begreifen (S. 1). Die Untersuchungszeit erstreckt sich dementsprechend auf die Zeit vom 14. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Als Begrenzung des Untersuchungsgebietes ist die territoriale Ausdehnung Kursachsens von 1750 als Rahmen über die gesamte Zeit angelegt, da die Entwicklung innerhalb eines fest umrissenen Raumes, unabhängig von der zum Teil wechselnden administrativen Zugehörigkeit, betrachtet werden soll (S. 5).

Nach einleitenden Bemerkungen zu Aufgabenstellung, Forschungsstand und Quellenlage (S. 1-14) werden zunächst gesetzliche Grundlagen, Fragen des Strafprozesses und landesherrliche Judikaturinstitutionen vorgestellt (S. 15-87). Später treten noch Betrachtungen zur Personengruppe der mittleren gerichtlichen Ebene - v.a. Amtschösser, aber auch Richter und Schöffen der regionalen Gerichte und Scharfrichter - hinzu (S. 284-290; S. 314-326). Auf die im Vergleich zum erbländischen Teil Kursachsens abweichenden Bedingungen der Gerichtsverfassung kommt Wilde im neunten Kapitel zu sprechen (S. 371-409). Als wesentlich für die Entwicklung der Gesetzgebung hebt der Autor die Sanktionierung des Teufelspaktes an sich, also auch ohne Schädigung Dritter, als todeswürdiges Delikt hervor. Nach der württembergischen Landesordnung von 1567 war diese Festlegung eine der frühesten im deutschsprachigen Raum (S. 31). Die restriktive Gesetzgebung ging mit einem weitgehend formalisierten Strafprozess einher; grundsätzliche Aufweichungen der Formalien, wie etwa fortgesetzte Tortur, waren die Ausnahme (S. 49-51). Die landesherrlichen Spruchbehörden, allen voran der Leipziger Schöffenstuhl, waren in den meisten Fällen in die Rechtsfindung eingebunden. Ob ein Zusammenhang zwischen der zentralisierten Gerichtsbarkeit in Kursachsen und der insgesamt zu verzeichnenden geringen Verfolgung bestand, lässt der Autor allerdings offen.

Nach dem dritten Kapitel, in dem Wilde die Ausgangsbedingungen der Hexenverfolgung zu klären sucht (S. 88-141), widmet er sich in den folgenden vier Kapiteln der Zeit ab dem 16. Jahrhundert bis zur Aufklärung. In den Kapiteln vier und sieben werden vornehmlich quantitative Fragestellungen bearbeitet, darin eingebettet die Bereiche Schuldzuweisungen und Hexendeutungsmuster betrachtet. Für den gesamten Zeitraum kann Wilde 905 Fälle nachweisen, in denen Hexerei- oder Zaubereivorwürfe Bestandteil bzw. alleinige Ursache einer Anklage waren. Dabei lassen sich zeitliche Spitzen um 1540-50, 1610-20 und 1660-70 ausmachen, was sich nur zum Teil „mit den Wellen der gesamteuropäischen Hexenverfolgung“ deckt (S. 158). Im Vergleich zu Gebieten wie Thüringen oder Süddeutschland kommt Wilde zum Schluss, dass Kursachsen nicht nur in Bezug auf die Gesamtzahl, sondern auch in Bezug auf die vollstreckten Todesurteile zu den verfolgungsärmeren Territorien Deutschlands zu zählen ist (S. 152, 174f.).

Eine flächendeckende Verfolgung von Zauberei und Hexerei ist nicht nachweisbar (S.158f.). Divergenzen sind vor allem zwischen dem Restkurfürstentum und den drei sächsischen Sekundogenituren nach 1657 auszumachen (S. 160-163): Im Gegensatz zum Restkurfürstentum, wo die Zahl der geführten Prozesse nach 1657 relativ konstant blieb, sind für die Sekundogenituren verstärkte Verfolgungsaktivitäten festzustellen. Einzelne Schwerpunkte der Verfolgung bringt Wilde dabei in einen Zusammenhang mit dem Wirken lokaler Amtsträger (S. 160f.).Völlig geklärt scheint dies damit aber nicht. So verweist der Autor selbst darauf, dass sich etwa das Gebiet der Grafschaft Henneberg zu einer „Kernzone der europäischen Hexenverfolgung entwickeln konnte“ (S. 399). Für die Untersuchungszeit wurden für diese kleine Enklave im ernestinischen Gebiet insgesamt 251 Verfahren festgestellt, fast ein Drittel aller Fälle (S. 409). Davon endeten 164 tödlich (Todesurteile und in der Haft bzw. unter der Folter verstorben), ein Anteil von 65,3 % (S. 409). Dies steht im starken Kontrast zu den Ergebnissen für die anderen Regionen Kursachsens: Unabhängig vom Gerichtstyp wurde hier „nur“ bei ca. einem Drittel der Fälle ein Todesurteil ausgesprochen (S. 173). Welchen Anteil allerdings die Henneberger Daten an dieser Gesamtbilanz haben, wird nicht spezifiziert. Insgesamt ist für den Bereich der Grafschaft Henneberg jedenfalls festzustellen, dass hier eine grundlegend andere Entwicklung aufscheint, die nicht zuletzt mit der Bedeutung der Spruchbehörden in Jena und später auch Coburg für dieses Gebiet zusammenhing (S. 447f.). Wilde verweist darauf, dass in diesen Spruchbehörden gerade für die Zeit nach 1660 im Gegensatz zu Leipzig oder Wittenberg ein anhaltender restriktiver Umgang mit der Deliktgruppe um Hexerei und Zauberei ausgemacht werden kann (S. 409).

Einen quantitativen Vergleich zwischen den regionalen Gerichten nimmt Wilde - mit dem Verweis darauf, dass die Bevölkerungsdichte herangezogen werden müsste - bewusst nicht vor (S. 159). Die Aufzählung der Anzahl der Prozesse für die 93 Ämter ist der Lesbarkeit indes abträglich, zumal eine Differenzierung der Angaben hinsichtlich der städtischen und der Patrimonialgerichte fehlt (S. 158f.).Hinsichtlich der Sozialverhältnisse der Angeklagten, die in 215 Fällen feststellbar sind, kann für Kursachsen keine schichtenspezifische Verfolgung ausgemacht werden (S. 306, 308). Etwas anders lag die Sache bei den Urteilen. Hier konnte Wilde eine vergleichsweise härtere Bestrafung für Personen mit schlechtem sozialen Status feststellen (ebd., allerdings ohne Nennung konkreter Zahlen) Auch für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird eine Verschiebung hin zur sozialen Unterschicht konstatiert (S. 296, erneut ohne Nennung konkreter Zahlen). Bemerkenswert ist, dass allein 22 Anklagen Scharfrichter, Abdecker und Totengräber betrafen (S. 306). Ein Zusammenhang mit der Durchsetzung von Glaubenslehren oder mit Ausgrenzungsbestrebungen gegenüber Sorben konnte hingegen nicht festgestellt werden: nur jeweils zwei Prozesse betrafen Juden, Katholiken oder Sorben (S. 307). Der mit 73,3 % hohe Anteil von Frauen unter den DelinquentInnen verwundert nicht. 256 Frauen, bei denen sich der Familienstand ermitteln ließ, waren nachweislich verheiratet, lediglich 97 verwitwet. 1 Das Bild von der „vornehmlich von der Verfolgung betroffenen ‚armen alten Witwe’ “ bestätigt sich in den Ergebnissen für Kursachsen also nicht (S. 310), zu relativieren ist dies jedoch wiederum hinsichtlich der ausgesprochenen Todesurteile (S. 455).

In den Kapiteln zu „Schuldzuweisung als soziales Problem“ und „Hexendeutungsmuster und Ausformung“ wird an Hand von einzelnen Fällen eine große Bandbreite von Fragestellungen bearbeitet. Wilde „testet“ in diesen Kapiteln Ergebnisse der Forschung, wenn er etwa als Ursachen für die Entstehung von Schuldzuweisungen Umwelteinflüsse und Krankheiten, Nachbarschaftsstreitigkeiten und Gotteslästerung thematisiert. Alle Bereiche werden weitgehend separat untersucht. Es wird deutlich, dass die Vielfalt das Geschehen beherrschte und sich die Rückführung des Gesamtphänomens auf einzelne Erklärungsmuster verbietet. So resümiert Wilde etwa bei der Frage nach dem Einfluss von Klimaveränderungen: „Wenn auch die folgenden Jahre (nach 1582) bis zur Jahrhundertwende immer wieder von Witterungsunbilden, Ertragseinbußen und dadurch hohen Getreidepreisen begleitet waren, so lässt sich kein signifikanter Anstieg der diesbezüglichen Zaubereischuldzuweisungen feststellen“ (S. 197). Bei der Beschäftigung mit Hexendeutungsmustern und deren Ausformungen gelingt es Wilde, für Kursachsen die in der Forschung benannten Phänomene, wie beispielsweise Bosheitszauber, Hexentränke, Tierverwandlungen, Teufelsbuhlschaft, Hexentänze oder auch die Beschreibung von magischen Wesen zu illustrieren. Trotz der vergleichsweise geringeren Verfolgung war also der in dieser Zeit gängige Katalog an Vorstellungen in Bezug auf Hexerei und Zauberei durchaus präsent. Dass der Teufelsbuhlschaft (S. 267-269) und dem Hexentanz (274-278) verhältnismäßig wenig Raum geschenkt wird, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass in Kursachsen zwar relativ früh eine scharfe Sanktionierung des Teufelspaktes zu verzeichnen ist, er in der Praxis aber keine herausragende Rolle spielte.

Abschließend behandelt Wilde das Ende der Hexenverfolgung in der Zeit der Aufklärung, die sich mit ihren veränderten Vorstellungen in Bezug auf Hexerei und Zauberei um 1710 durchzusetzen begann (S. 441). Anhand von rechtlichen und medizinischen Arbeiten aus diesem Zeitraum und gestützt durch Fallbeispiele kann Wilde hier eine allmähliche Entwicklung herausarbeiten, die sich zunächst nicht in geringeren Fallzahlen, sondern in einer milderen Urteilspraxis niederschlug. Todesurteile wurden nun in der Regel nur noch bei einer Kombination des Hexereidelikts mit anderen peinlichen Delikten ausgesprochen, wie schwerem Diebstahl oder Mord (S. 437f.).

Insgesamt kommt Wilde für Kursachsen zu dem Ergebnis, dass die Ausprägungen des Phänomens der Hexerei und Zauberei und auch die Ursachen für die Verfolgung, trotz der relativ geringen Verfolgungsrate, ausgesprochen vielfältig waren. Eine stärkere Gewichtung und Abwägung der einzelnen Aspekte und ihre Bedeutung im Rahmen eines überregionalen Vergleichs hätte diesem Ergebnis indes mehr Gewicht verliehen. Insgesamt wäre im Anschluss an Wildes Ergebnisse zu diskutieren, wie sehr „Muster“ aus Regionen starker Hexenverfolgungen für ein Gebiet mit relativ geringer Verfolgung greifen. Offen bleibt letztlich auch die Frage nach den Ursachen für die geringen Verfolgungsaktivitäten in Kursachsen. Lediglich im Rahmen der Betrachtungen zur Gerichtsverfassung der Ämter in der ehemaligen Grafschaft Henneberg verweist Wilde auf folgenden Zusammenhang: „Die Frage der Übernahme der Kosten für Gerichtsgebühren und Hinrichtungen hatte im Vergleich zu Regionen im erbländischen Teil Kursachsens in den hennebergischen Ämtern eine grundsätzliche Bedeutung. Nur wegen der Möglichkeit der Abwälzung dieser Kosten auf die Familien der Verurteilten selbst kam es zu den überdurchschnittlich hohen Verfolgungszahlen. Hätte, wie in großen Teilen Kursachsens üblich, die Dorf- oder Stadtgemeinde oder das landesherrliche Amt dafür aufkommen müssen, so wäre die Toleranz der Bevölkerung diesem Problem gegenüber nicht möglich gewesen.“ (S. 401) Wertvoll ist allerdings die im Anhang abgedruckte „Übersicht der bekannten Hexenprozesse in Kursachsen“ (S. 457-657), die für alle erhobenen Fälle Eckdaten zu den Angeklagten, zum Prozessverlauf und zum Gerichtsort enthält sowie mit Quellen- bzw. Literaturangabe versehen ist und quasi als „Repertorium“ anschließenden Forschungen den Weg ebnen kann.

Anmerkung:
1 Nach Wilde entsprach das einem Prozentsatz von 27,5 %, wobei er als Bezugsgröße die Summe von verheirateten und verwitweten Frauen wählt: also 353 (S. 309). Die später erwähnten 40 ledigen Frauen und 12 Mädchen wurden nicht in die Berechnung einbezogen (S. 310).