C. Dams: Staatsschutz in der Weimarer Republik

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Titel
Staatsschutz in der Weimarer Republik. Die Überwachung und Bekämpfung der NSDAP durch die preußische politische Polizei von 1928 bis 1932


Autor(en)
Dams, Carsten
Erschienen
Anzahl Seiten
273 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Stelbrink, Soest

Die politische Polizei der Weimarer Republik, zumal der polizeiliche Kampf gegen die NSDAP, war bislang ein Stiefkind der Zeitgeschichtsforschung. Das jahrzehntelang vorherrschende Urteil der Historiker, das den Untergang der Demokratie nicht zuletzt einer „Selbstpreisgabe“ 1 zuschrieb, ließ eine solche Untersuchung offenbar nicht als vordringlich erscheinen. Entsprechend negativ waren die Urteile in den wenigen einschlägigen Untersuchungen: Christoph Graf etwa konstatierte, dass die zuständigen Beamten des Polizeipräsidiums in Berlin „der Republik großenteils wenn nicht ablehnend, so doch zumindest skeptisch gegenüber[standen] [...] Für eine effiziente Bekämpfung des Nationalsozialismus“ bestanden in seiner Sicht „objektive und subjektive Hindernisse.“ 2 In Ergänzung dazu schrieb Martin Faatz 1995 den bayerischen Staatsschützern eine überwiegend obrigkeitsstaatliche Orientierung zu.3

Mittlerweile ist die These von der „Selbstpreisgabe“ der Demokratie jedoch ins Gerede gekommen. Pyta etwa wies mit Recht darauf hin, dass „die Republikaner [...] nicht kampflos kapitulieren [wollten]. Wo Sozialdemokraten über die Machtmittel der Exekutive geboten [...], zeigten sie sich entschlossen, diese Instrumente auch nachdrücklich [...] einzusetzen“.4 Allerdings hätten sich zentrale staatliche Institutionen, nicht zuletzt Teile der preußischen Verwaltung, diesem Abwehrkampf verweigert. Aufgrund dieses Befundes stellt sich erneut die Frage nach der politischen Polizei als Instrument der Weimarer Koalition in Preußen. Wollte und konnte sie eine effektive Waffe der preußischen Regierung sein? Wie gestaltete sich die polizeiliche Abwehrarbeit gegen den Nationalsozialismus? An diesem Punkt setzt die hier vorzustellende Dissertation von Carsten Dams an, die im Jahre 2001 an der Universität Duisburg angenommen wurde.

Die Arbeit basiert im Wesentlichen auf den Akten des preußischen Innenministeriums sowie der Ober-, Regierungs- und Polizeipräsidien in fünf ausgewählten Staatsarchiven Nord- und Westdeutschlands. Sie umfasst damit sowohl ländliche Gebiete als auch städtische Ballungsräume und berücksichtigt gleichermaßen Hochburgen und Regionen mit schwachen Wahlergebnissen der NSDAP. Die damit bedauerlicherweise vorgenommene Selbstbeschränkung der Untersuchung auf die preußischen Westprovinzen bleibt ohne nähere Erläuterung.

Dams wendet sich zunächst den – positiv eingeschätzten – politischen und juristischen Rahmenbedingungen für die Arbeit des preußischen Staatsschutzes zu. Mittels einer „Hochrechnung“ (S. 49), die aus punktuellen Stärkemeldungen einzelner Polizeipräsidien auf die Gesamtstärke der politischen Polizei schließt, kommt Dams dann allerdings zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass „die personelle Ausstattung der politischen Polizei [...] keine extensive Beobachtungstätigkeit“ (S. 50) erlaubt habe. Die Staatsschützer seien vielmehr „chronisch unterbesetzt“ (S. 52) gewesen. Positiv urteilt Dams dagegen über Ausbildungsgrad und – in Abgrenzung von bisherigen negativen Urteilen – politische Loyalität der Beamten. Insbesondere die Kriminalkommissare im Dienst der politischen Polizei waren nach seinen Schlussfolgerungen nicht nur eine „fachliche“, sondern vielfach auch eine „republikanische Elite“ (S. 65). Für eine die Zäsur 1918/19 überschreitende personelle Kontinuität in den Reihen der politischen Polizei findet Dams anders als Graf 5 nur „wenige Beispiele“ (S. 57).

Der eigentliche Kern des ganzen Buches thematisiert die konkrete Tätigkeit der politischen Polizei gegen die NSDAP. Im Einzelnen werden in vier aufeinander folgenden Kapiteln mit teilweise hohem empirischen Aufwand die Maßnahmen gegen das öffentliche Veranstaltungswesen der Partei, die Disziplinierung der SA, die pressepolizeilichen Maßnahmen sowie die nachrichtendienstliche Tätigkeit der preußischen Staatsschützer gegen die NSDAP untersucht. Das Ergebnis dieser Untersuchungen fällt für die politische Polizei relativ günstig aus: Im Rahmen ihrer beschränkten rechtlichen und personellen Möglichkeiten ging die politische Polizei „alles in allem [...] tatkräftig gegen die nationalsozialistische Veranstaltungspropaganda vor“ (S. 81). Allerdings konnte man gegen die Veranstaltungsflut einer legalen Massenpartei in einem Rechtsstaat, dessen Justiz es überdies oft an Entschlossenheit gegenüber nationalsozialistischen Gesetzesbrechern fehlen ließ, kaum mehr bewirken als „mehr oder weniger schmerzhafte Nadelstiche“ (S. 81). Die angestrebte Überwachung und Disziplinierung der SA misslang im Wesentlichen, weil die Polizei dabei durch Politik und Justiz im Stich gelassen wurde. Dagegen folgert Dams aus der Vielzahl der – in den Anhängen 2 und 3 seines Buches akribisch nachgewiesenen – Verbote von NS-Zeitungen und Flugblättern, dass die politische Polizei bei pressepolizeilichen Verstößen der Nationalsozialisten „energisch“ vorging und ihren „juristischen Spielraum weitgehend“ ausnützte (S. 106). Gleiches gilt auch für die weitgehende nachrichtendienstliche Unterwanderung der NSDAP und SA mit angeworbenen, teils hochrangigen V-Leuten, die wertvolles Material liefern konnten.

Aufschlussreich sind auch Dams` Ausführungen über die Folgen von „Preußenschlag“ und „Machtergreifung“ für den Staatsschutz: Unter der Kommissariatsregierung v. Papen/ Bracht kam es zwar nur zu „vergleichsweise geringen personellen Veränderungen“, trotzdem aber zu einem weitgehenden „Wandel in der Arbeit der politischen Polizei“ (S. 169), so dass die „Bekämpfung der NSDAP in Preußen de facto am 20. Juli 1932 endete“ (S. 172). Ein anderes Bild bietet sich für die Zeit nach dem 30. Januar 1933. Entgegen den Ergebnissen von Graf 6 kommt Dams an Hand einiger regionaler Beispiele zu dem Schluss, dass zwischen der politischen Polizei der Ära v. Papen und der späteren Gestapo die personelle Diskontinuität eindeutig überwog.

Abschließend bleibt Folgendes festzuhalten: Manche Ausführungen – so etwa über Vorgeschichte, Durchführung und Nutzen des SA-Verbotes vom April 1932 sowie über die Vorgeschichte des Staatsstreiches vom 20. Juli 1932 – haben nur einen beschränkten Neuigkeitswert und treffen streng genommen nicht immer das Untersuchungsthema. Andere Kapitel dagegen erweitern in Ergänzung zu Pyta 7 den bisherigen Kenntnisstand deutlich und regen überdies zu weiteren Forschungen an, die vom Autor allein nicht geleistet werden konnten. In diesem Zusammenhang wäre etwa zu betonen, dass die von Dams belegte Vielzahl von Zeitungs- und Flugblattverboten allenfalls stichhaltige Indizien für die hohe Intensität der NSDAP-Bekämpfung darstellen können. Ein ungleich aussagekräftigerer Befund über die Verbotspraxis – vor allem über das, was eben nicht verboten wurde – wäre wohl durch eine systematische Auswertung einzelner Organe der NS-Presse über einen längeren Zeitraum hinweg zu erwarten. Dabei könnten vermutlich auch interessante Differenzierungen über die Verbotspraxis in verschiedenen Polizeipräsidien stärker herausgearbeitet werden. Inwieweit unterschied sich etwa die Zusammensetzung und die Arbeit der politischen Polizei unter dem rechtsstehenden Polizeipräsidenten Melcher in Essen von der unter dem sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Lübbring in Dortmund? Im Übrigen bedürfen die preußischen Polizeipräsidenten der Weimarer Republik dringend einer genaueren Untersuchung als bisher erfolgt. Auch über die – von Dams im Anhang 1 vorgelegten – Biografien und politischen Orientierungen der Staatsschutz-Mitarbeiter im engeren Sinne sowie die Frage der personellen Kontinuität bzw. Diskontinuität zwischen politischer Polizei und Gestapo wird man bei hartnäckiger Quellenrecherche noch zu vertiefenden Ergebnissen gelangen können. Insgesamt wird zu überprüfen sein, ob Dams die Arbeit der preußischen Staatsschützer nicht doch zu günstig beurteilt. Ungeachtet der Einschränkungen überwiegt jedoch das Positive: Dams hat eine lesenswerte und anregende Untersuchung vorgelegt.

Anmerkungen:
1 Zit. n. dem Titel von Erdmann, Karl Dietrich; Schulze, Hagen (Hgg.), Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980.
2 Zit. n. Graf, Christoph, Kontinuitäten und Brüche. Von der Politischen Polizei der Weimarer Republik zur Geheimen Staatspolizei, in: Paul, Gerhard; Mallmann, Klaus-Michael (Hgg.), Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1995, S. 73-83, hier S. 73, 79. Vgl. auch Grafs Habilitationsschrift: Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur, Berlin 1983.
3 Faatz, Martin, Vom Staatsschutz zum Gestapo-Terror. Politische Polizei in Bayern in der Endphase der Weimarer Republik und in der Anfangsphase der nationalsozialistischen Diktatur, Würzburg 1995, S. 143f., 377-380.
4 Zit. n. Pyta, Wolfram, Gegen Hitler und für die Republik, Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit der NSDAP in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1989, S. 510.
5 Siehe Graf, Kontinuitäten (wie Anm. 2), S. 73.
6 Ebd., S. 79f.
7 Siehe Pyta (wie Anm. 4), S. 265-390.

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