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Titel
Wege nach Rom. Annäherung aus zehn Jahrhunderten


Autor(en)
Esch, Arnold
Erschienen
München 2003: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Strothmann, Bochum-Wattenscheid

Jeder, der die eigenen unveröffentlichten Arbeiten sichtet, kommt gewiss auf den Gedanken, diese noch zu einem Buch zusammenzuführen, wie vermutlich auch Arnold Esch, der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Herausgekommen ist ein Band mit zum Teil bisher unveröffentlichten Beiträgen, die unter dem Titel „Wege nach Rom“ zusammengefasst wurden. Der Titel bezeichnet eine eigene Herangehensweise an die Geschichte Roms, die sich in allen der hier versammelten Beiträge erkennen lässt. Es ist Esch ein Anliegen, die Begegnung von Fremden (meistens solcher aus den Gegenden nördlich der Alpen) mit der Stadt und ihren Bewohnern zu zeigen, dieses eigenartige Gefühl von Vertrautheit, ja Heimat, zu beschreiben, das sich beim Besuch Roms einstellt, und zugleich die Schwierigkeiten im Umgang mit den Bewohnern der Stadt zu schildern, für die Rom eine Selbstverständlichkeit darstellt, die oft das heimelige Gefühl der Fremden nicht verstehen oder nur nicht gelten lassen. Die Überwindung solcher Schwierigkeiten ist eine der Aufgaben eines deutschen Auslandsinstitutes; und es ist auch ein wesentliches Anliegen des Verfassers der vorliegenden Beiträge zu einigen der letzten zehn Jahrhunderte.

Arnold Esch steigt in das Unternehmen ein mit der Perspektive des Pilgers, seines Weges nach Rom, das seit dem späten Mittelalter auch mit Hilfe topografischer Karten erreicht werden konnte, mit den Schwierigkeiten der Reise, mit dem Wohnen in der Stadt der Sehnsüchte, das durch deutsche Hotels und Sprachführer erleichtert werden konnte. („Deutsche Pilger unterwegs im mittelalterlichen Rom“, Erstveröffentlichung).

Es sind die römischen Hotels, denen der zweite Beitrag gilt. Die Beherbergung des Kaisers Friedrich III. und seines Gefolges anlässlich eines kaiserlichen Besuches im Jahr 1468 auf Kosten der apostolischen Kammer ist anhand von Rechnungsbüchern gut dokumentiert und zeigt die Lage einiger zum Teil heute noch bestehender römischer Hotels, die Kosten für den Aufenthalt mit Pferd und ohne Pferd in der verschiedenen Unterkünften, und zeigt auch, dass zahlreiche Hoteliers deutscher Herkunft waren. Es hatte sich also der große Besucherstrom aus dem Norden als Marktlücke erwiesen, gerade für deutschsprachige Unternehmer („Preise, Kapazität und Lage römischer Hotels im späten Mittelalter“, Zweitveröffentlichung).

„Ein Gang durch das Rom der Hochrenaissance“ (Zweitveröffentlichung, überarbeitet) folgt dem Weg einer Volkszählung aus dem Winter 1526/27, kurz vor dem Sacco di Roma, in dem Söldner des Kaisers Karl V. außer Kontrolle gerieten und mehrere Wochen lang die Stadt plünderten und verwüsteten. Der Weg der Zählung führt den Leser durch mehrere Regionen der Stadt, zu Bankhäusern, Adelspalästen und zu den Wohnungen von Handwerkern, Kaufleuten und Kardinälen. Besonders hebt Esch dabei die Zugehörigen fremder Nationen hervor, die als fremd zu bezeichnen vermutlich unangemessen wäre, darunter wieder zahlreiche Hoteliers. Der Weg führt zu den verschiedensten Berufen und ihrer jeweiligen Verteilung über die Stadt, erschließt aber zugleich auch ein Stück römischer Topografie abseits der Wege der Besucher römischer Antike, aber mittendrin in den topografischen Veränderungen der Renaissance. Es ist ein Rom, das vom Konsum lebt, kein nennenswerter Export zeichnet die Stadt aus; und das schlägt sich auch in den angetroffenen Berufen nieder.

Der einzige Beitrag, dessen Schwerpunkt vor dem späten Mittelalter liegt, ist eine topografische Studie zum Tod des Kaisers Otto III., der aus Rom vor den Römern gewichen, von Krankheit gezeichnet, im Castel Paterno im nördlichen Latium einundzwanzigjährig verstarb. Mit ihm starb eine vielleicht utopische Hoffnung, nämlich Rom erneut zum Sitz des Kaisers zu machen („Tod vor Rom“, Erstveröffentlichung). Arnold Esch nimmt die Rahmenhandlung zum Anlass, über die Auswertung von Luftbildern des zweiten Weltkrieges den letzten Weg des noch lebenden Kaiser - der tote Kaiser wird noch nach Aachen gebracht werden - zu verfolgen und den Verlauf der Straßen, seine Änderungen seit der Antike nachzuvollziehen und zu begründen. Im Hinblick auf die Antikerezeption des Kaisers sucht Esch einen vermittelnden Standpunkt zwischen der Annahme, Otto habe das antik-pagane Rom erneuern wollen (Esch spricht davon, „isoliert heidnisch-humanistische Elemente“ zu suchen) und der modernen Auffassung, es sei ihm nur um den Schutz und die Erneuerung des Papsttums gegangen, wobei die erste Annahme so kaum vertreten wird, denn von Humanismus kann für das noch frühe Mittelalter gar nicht die Rede sein. Esch ist absolut zuzustimmen, wenn er davor warnt, „mittelalterlich [...] einzuebnen“ (S. 67f.).

In dem Beitrag „Rom und Bursfelde“ (Zweitveröffentlichung, überarbeitet) untersucht Arnold Esch die Wege, auf denen das kleine Kloster Bursfelde in den Blick der römischen Zentrale gelangte. Dabei zeigt er die Abgelegenheit des niedersächsischen Raumes im Blick der Kurie, die einhergeht mit einer Abgelegenheit dieses Raumes für den internationalen Geldverkehr. Der Hinweis auf die Bedeutung sichtbaren Geldes, das aus dem Land heraus nach Rom geschafft wird, weil eine bargeldlose Überweisung erst weiter westlich möglich war, überzeugt. Esch weist nämlich darauf hin, dass in diesem Raum alle durch die römische Kirche eingezogenen Gelder sichtbar transportiert werden mussten, während in den meisten anderen Regionen Europas das eingesammelte Geld niemals in größerer Menge sichtbar wurde, und so das Gefühl der Benachteilung in diesem Raum sich leicht Bahn brach. Bursfelde jedenfalls erscheint erst mit der Bursfelder Reform in den vatikanischen Archivalien. Komplementär zur Schilderung der verschlungenen Wege zu den kirchlichen Entscheidungsträgern in Rom beschreibt Esch die relative Distanz des - durchaus frommen - norddeutschen Raumes zur römischen Zentrale.

Romerfahrungen vom Ende des 18. Jahrhunderts sind das Thema eines Beitrages, der das Dreiecksverhältnis von Aufklärung, Antikerezeption und römischer Gegenwart beschreibt. Die unterschiedlichen Reaktionen verschiedener Gelehrter auf den Charakter des noch provinziellen Rom sind allesamt geleitet von einem Gefühl der Fremdheit stadtrömischer Gegenwart. Während Winckelmann und Goethe sich auf das Fremde einlassen und auch dabei Sehnsüchte erfüllt sehen, kann etwa Wilhelm von Humboldt der Stadt allenfalls gemischte Gefühle entgegenbringen („Rom-Erfahrung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert“, Zweitveröffentlichung).

„Die Gründung deutscher Forschungsinstitute in Rom 1870-1914“ (Zweitveröffentlichung) scheint einen ihrer wesentlichen Gründe in der Änderung der geschichtswissenschaftlichen Herangehensweise gehabt zu haben, weg von Geschichtserzählung, hin zur systematischen Erschließung der Geschichte, die ihr Vorbild in der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung fand. Hinzu kam die deutsche Reichsgründung mit ihrer Nationalisierung auch der Wissenschaft und - kaum minder - die Gründung des italienischen Staates sowie kurz danach die Öffnung des Vatikanischen Archivs (1880/81). Die Geschichte der z.T. deutschen Institute in Rom ist auch eine Geschichte der Konkurrenz, was noch in den betont versöhnlichen Worten des letzten Direktors des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Arnold Esch, sichtbar wird.

In „Italien von unten erlebt“ (Zweitveröffentlichung, gekürzt) geht Esch den peniblen Aufzeichnungen des „Deutschen Evangelischen Comités zu Rom“ nach, die Auskunft geben über Hilfesuchende verschiedenster Berufe und über die schließlich gewährte, meist materielle Hilfe. Der Beitrag sagt nicht nur etwas aus über die zahlreichen Deutschen in Rom, die niemals berühmt wurden, die, etwa von existentieller Sorge getrieben, um Hilfe baten, sondern auch über Mentalitäten und die Differenz zwischen arrivierten Akademikern, die die Befragung durchführten und ihre Bewertung notierten, und den gesellschaftlichen Verlierern. Da sind es die Strategien der Hilfesuchenden, die nicht immer offen und ehrlich Auskunft gaben, um bestimmte Hilfen zu erlangen, und die nach der gründlichen Befragung mitunter mehr Frustration als Dankbarkeit empfanden. Und zudem zeigen die Bewertungen der Bittsteller eine bürgerliche Sicht auf den bloßen Menschen, der ohne Bildung und Besitz daherkommt, wie sie einiges aussagt über die deutsche Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg. Esch zeigt darüber hinaus, wie effizient geholfen werden konnte, und dass dies nahezu ohne Rücksicht auf die Konfession geschah.

„Römische Landschaften im Caffé Greco“ (Zweitveröffentlichung, überarbeitet) zeigt einmal mehr die profunden Kenntnisse des Autors und seine besondere Vorliebe für Topografie. Der Beitrag aber hätte nicht unbedingt in den Band gestellt werden müssen, vielleicht auch, weil wohl nicht jeder der Ansicht seines Autors folgen können wird, dass es von Bedeutung sei, ob ein zweitklassiges Gemälde nun einen Ort in der Campagna oder innerhalb der Mauern der Stadt darstellt, es sei denn, es ginge um die Verbesserung der Kenntnis von stadtrömischer Topografie mit Hilfe der Malerei. Arnold Esch geht es hierbei - wie auch an anderen Stellen des Buches - um die Erkenntnis, dass es innerhalb der aurelianischen Mauer bis weit in die Neuzeit hinein ländliche Regionen gab.

Mit einem „Dank an Rom“ (Zweitveröffentlichung) beschließt Arnold Esch seinen Band über das fremd-vertraute Rom. Die römische Geschichte aller Epochen und die provinzielle Stadt der Gegenwart mit ihren leibhaftigen Bewohnern finden ihren Frieden in der Haltung von Ferdinand Gregorovius, der trotz aller Widersprüche zwischen der Romidee des Fremden und der römischen Wirklichkeit ihren Zusammenhang begreift und würdigt. Das dem Fremden vertraute Rom, dasjenige nämlich der Topografie von Altertümern und Kirchen ist dem Römer selbstverständlich, wie die Romidee der Fremden ihm unverständlich sein mag. Aber es gibt ein gemeinsames Rom von Römern und Fremden. Die anfängliche Vertrautheit ist nicht bloß scheinbar. Das ist die Botschaft dieses Buches, das auch „Wege zu Rom“ statt „Wege nach Rom“ hätte heißen können.

Die Beiträge sind mit den wichtigsten Fußnoten versehen, am Schluss des Bandes mit Verweis auf Seitenzahlen, die auch die neuere Literatur in Auswahl enthalten. Obwohl es sich bei den meisten Beiträgen mitnichten um Erstveröffentlichungen handelt und manchen der Beiträge ihr ursprünglicher Zweck durchaus anzumerken ist, außerdem zwangsläufig so das Buch nicht frei von Redundanzen ist, ist Arnold Esch ein lesenswertes Buch gelungen, das vor allem durch großes erzählerisches Vermögen und Gelehrtheit besticht.

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