H.C. Löhr: Der Kampf um das Volkseigentum

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Titel
Der Kampf um das Volkseigentum. Eine Studie zur Privatisierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern durch die Treuhandanstalt (1990-1994)


Autor(en)
Löhr, Hanns Christian
Reihe
Zeitgeschichtliche Forschungen 13
Erschienen
Anzahl Seiten
205 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Neu, Institut für Soziologie, Universität Rostock

1. Zum Hintergrund

Mitte der 1990er-Jahre ist die Umwandlung der DDR-Landwirtschaft von der Peripherie der Transformationsforschung in Zentrumsnähe gerückt. Entdeckten doch die Sozialwissenschaftler in der Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft einen „Sonderfall“, eine „Abweichung“ von dem sonst so erfolgreichen „Institutionentransfer“ (Lehmbruch). 1 Denn das ursprüngliche Transformationsziel, die sozialistische DDR-Landwirtschaft in bäuerliche Familienbetriebe nach westeuropäischem Vorbild zu überführen, war weitgehend fehl geschlagen. Bis heute dominieren in Ostdeutschland gemeinschaftlich produzierende landwirtschaftliche Großbetriebe (insbesondere in den Rechtsformen der eingetragenen Genossenschaft und der GmbH) im Gegensatz zur kleinteilig strukturierten familienbäuerlichen Landwirtschaft in Westdeutschland.

Mittlerweile ist fast ganz in Vergessenheit geraten, dass die DDR-Landwirtschaft nicht nur aus 3.844 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) mit genossenschaftlichem Eigentum an den Produktionsmitteln bestand, sondern, dass darüber hinaus 515 Volkseigene Güter (VEG) und das staatliche Eigentum an Boden, das immerhin gut ein Drittel der gesamten Landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) der DDR ausmachte, existierten.

Entsprechend der unterschiedlichen Eigentumsformen hat sich auch die Transformation der DDR-Landwirtschaft „zweigleisig“ abgespielt. Das genossenschaftliche Eigentum der LPG unterstand, da es sich um individuell zurechenbares Eigentum handelte, nicht der Verfügungsgewalt der Treuhand, sondern der Verfügungsgewalt der Genossenschaftsmitglieder. Dies ermöglichte den Genossenschaftsmitgliedern, über ihre betriebliche Zukunft – im Rahmen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes – selbst zu entscheiden und damit letztendlich auch an einer gemeinschaftlich organisierten großbetrieblichen Landbewirtschaftung festzuhalten. Diese Handlungsspielräume standen den VEG nicht zur Verfügung, denn die staatlichen Güter und Flächen wurden, wie die staatlichen Betriebe, der Treuhand zur Privatisierung übertragen.

2. Eine Studie zur Privatisierung der DDR-Landwirtschaft

An dieser Stelle setzt die Studie von Hanns C. Löhr „Der Kampf um das Volkseigentum“ ein. Allerdings handelt es sich nicht um eine agrarwissenschaftliche Arbeit i.e.S., sondern vielmehr um einen Beitrag zur zeitgeschichtlichen Forschung, in dessen Mittelpunkt der Prozess der Privatisierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern durch die Treuhandanstalt (THA) zwischen 1990-1994 steht. Auf der Grundlage teilweise erstmals ausgewerteter THA-Akten zeichnet Löhr in elf Kapiteln „das Privatisierungsgeschäft der Treuhand“ nach und zeigt, „unter welchen äußeren Bedingungen die Anstalt ihren landwirtschaftlichen Besitz verkaufte und verpachtete“ (S. 12). Nach einer kurzen Einführung (Kapitel I-III) steuert Löhr zügig auf die Privatisierungsarbeit der THA und die damit verbundenen Probleme mit Alteigentümern und ostdeutschen Landwirten zu (Kapitel IV-VII). Ergänzt wird diese Darstellung durch eine Abhandlung zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (Kapitel VIII) sowie eine Analyse der Arbeit des Untersuchungsausschusses THA (Kapitel IX). In den abschließenden Kapiteln X und XI werden die letzten Aufgaben und Ergebnisse der THA kritisch bilanziert.

3. Aus dem Inhalt

Die dritte Durchführungsverordnung für das Treuhandgesetz, das am 29. August 1990 noch von der Regierung de Mazière verabschiedet wurde, ermöglichte es, dass die Treuhandanstalt die 515 VEG mit einer Gesamtfläche von 0,424 Millionen Hektar, rund 500 Holz- und Sägewerke, 200 Baumschulen und Plantagen, 15 Binnenfischereibetriebe, 400 Betriebe der Lebensmittelindustrie sowie über 600 technische Werkstätten übernahm. Hinzu kamen rund 2 Millionen Hektar Holz und 1,62 Millionen Hektar Land, das von den LPGen bewirtschaftet wurde (S. 38). Diese 1,62 Millionen Hektar entstammte dem staatlichen Bodenfond, der u.a. aus den Flächen der zwischen 1945-1949 enteigneten „Junker“ (Landwirte mit einem Landbesitz von über 100 Hektar) und „aktiven Nationalsozialisten“ entstanden war. Zum staatlichen Bodeneigentum gehörten aber auch Flächen, die bereits in der NS-Zeit oder nach 1949 enteignet oder beschlagnahmt worden waren. Auch die Höfe und das Land derjenigen, die nicht zuletzt aus Furcht vor der Kollektivierung in den 1950er-Jahren in den Westen geflohen waren, fielen an den ostdeutschen Staat (S. 21).

Die Privatisierung der VEG und des staatlichen Bodens bargen besonderen Zündstoff. Wünschten die ostdeutschen Landwirte und ihre Interessenvertreter zumindest einen weitgehenden Erhalt des status quo in Bezug auf die Pachtflächen, besser noch, gleichberechtigte Partner in den Verkaufsverhandlungen zu sein, so traten die Alteigentümer vehement für die Rückgabe ihres zwischen 1945 und 1949 enteigneten „Hab und Gutes“ ein. Allerdings trat mit dem Einigungsvertrag, der am 1. September 1990 unterschrieben wurde, auch das „Vermögensgesetz“ in Kraft, das die Rückgabe und Entschädigung von vor 1945 und nach 1949 auf dem Gebiet der DDR enteigneten Eigentums regelte. Ausgeschlossen von Rückgabe und Entschädigung blieben Enteignungen, die sich auf „besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage“ vollzogen hatten. Dies bedeutet für die Opfer der Bodenreform einen (endgültigen) Verlust ihres Anspruch auf die enteigneten Flächen (S. 32f.). Die Alteigentümer sind bis heute nicht bereit, diese Entscheidung, die 1991 auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, zu akzeptieren. Einen Einblick in das öffentlichkeitswirksame Auftreten der Alteigentümer gab zuletzt der kürzlich erschienene Spiegelartikel „Endloser Schlamassel“ und die Leserbriefe in der folgenden Ausgabe. 2

Hanns C. Löhr schildert nun detailgenau, wie sich in den Jahren nach der Wende die einseitig zu Gunsten der Alteigentümer ausgelegte Politik, eine Politik der Wiedergutmachung, ganz langsam unter dem Gegendruck der ostdeutschen Länder zu Gunsten der LPG-Nachfolgegesellschaften verschob. Im April 1993 übernahm die Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) die Aufgabe der Verwertung der Flächen aus dem ehemaligen Bodenfonds, die THA kümmerte sich ab diesem Zeitpunkt nur noch um den Verkauf der VEG und den dazugehörigen Flächen. Anfänglich war lediglich an einen Verkauf des durch die BVVG verwalteten Landes gedacht. Da die ostdeutschen Betriebe – Einzelunternehmer wie Nachfolgegesellschaften – aber nicht über genügend Kapital verfügten, um den Verkaufspreis aufbringen zu können, schlugen die Regierungen der neuen Länder und die SPD-Bundestagsfraktion vor und setzten sich damit auch durch, vor den Verkauf der Bodenstücke eine Verpachtungsphase zu schieben, so dass hier auch die ostdeutschen Betriebe mitbieten konnten (S. 87ff.). Nach langwierigen politischen Grabenkämpfen wurde im so genannten Bohl-Papier schließlich vereinbart, dass die rund 850.000 Hektar aus dem Bodenfond, die 1992 noch „verwertet“ werden mussten, in drei Schritten privatisiert werden sollten: Verpachtung auf zwölf Jahre, Veräußerung durch ein Landerwerbs- und Siedlungsprogramm und Verwertung der Restflächen. Jetzt waren neben den Bodenreformopfern auch „LPG-Aussteiger“ und ostdeutsche Hofgründer in der Lage, bevorzugt Land zu pachten. Sie sollten bei gleichem Betriebskonzept vor den Genossenschaften und auswärtigen Bewerbern berücksichtigt werden. Der Erfolg der neuen Länder ging soweit, dass in Streitfällen die BVVG jetzt Rücksprache mit den Ländern nehmen musste (S. 99). Das Bohl-Papier wurde folgend auch auf die VEG angewendet. Dies bedeutete aber, dass die bisherige Privatisierungspraxis weitgehend gestoppt wurde und es zu einer Aufteilung und Neuordnung der Gutsflächen, zu so genannten „Losen“ kam, die im Anschluss verpachtet oder verkauft werden sollten. Die Privatisierung der Güter durch das Losverfahren kam nie wirklich in Schwung, so dass sie am 6. Mai 1994 durch das Bundesfinanzministerium gestoppt wurde (S. 118ff.). Ende des Jahres 1994 wurden alle verbliebenen Aufgaben der THA im Bereich Landwirtschaft an die BVVG übertragen.

Wie sieht es nun mit den Ergebnissen der Privatisierung der Landwirtschaft durch die THA aus? Bis zum Ende 1994 hatte die THA im Bereich VEG 800 Kaufverträge abgeschlossen und 371 Mal langfristig Flächen verpachtet. Auf der Basis von 753 Kaufverträgen zeigt sich, dass 567 Käufer aus den neuen Bundesländern, 171 Käufer aus Westdeutschland und 15 Käufer aus dem Ausland kamen. Löhr vermutet, dass sich hinter vielen der ostdeutschen Erwerber westdeutsche Firmen verbergen, denn insgesamt kauften in nur 13 Fällen ehemalige Mitarbeiter ihren früheren volkseigenen Betrieb (S. 164f.). „Entgegen dem ursprünglichen Kurs der Treuhand, die Opfer der Bodenreform zu bevorzugen, profitierten die Alteigentümer unter dem Strich nicht besonders bei der Verpachtung“ (S. 165). Wurden bei Verpachtung der Flächen der ehemaligen VEG durch die Treuhand noch 40 Prozent an Wiedereinrichter ohne Restitutionsansprüche (Bodenreformopfer) und nur 11 Prozent an LPG-Nachfolgebetriebe verpachtet, so gingen bei den BVVG-Flächen bereits 53 Prozent an juristische Personen und nur rund 10 Prozent an Bodenreformopfer. „Betrachtet man die Verkäufe und Verpachtungen von Treuhand und BVVG zusammen, zeigt sich, dass bis Ende 1994 ostdeutsche Bewerber trotz der anfänglichen Bevorzugung der Alteigentümer am meisten Land erhielten“ (S. 167).

Ganz im Sinne der These des Sonderwegs der Transformation der ostdeutschen Landwirtschaft – die allerdings im Text selbst gar nicht erwähnt wird – zeigt sich auch die Privatisierung der ostdeutschen Landwirtschaft. Während sich die Privatisierung der Industrie durch die THA weitgehend „reibungslos“ gestaltete, stieß sie doch in der Landwirtschaft an ihre Grenzen. „Widerständige“ ostdeutsche Bauern und Politiker stemmten sich gegen die westdeutschen Interessen und gewannen so den „Kampf um das Volkseigentum“. „Aufgrund der politischen Unterstützung, die ostdeutsche Bauern nach 1990 von den Regierungen der neuen Bundesländer und der Bundes-SPD erhielten, konnten sie den Kampf um das Volkseigentum zu ihren Gunsten entscheiden. In der Landwirtschaft waren damit die ostdeutschen Nutzer vor den neuen Kapitalgebern aus dem Westen die eigentlichen Gewinner der Wiedervereinigung. Die nach der Vereinigung von Bonn favorisierte Politik, im Osten die Genossenschaften und Staatsgüter durch bäuerliche Familienbetriebe zu ersetzten, scheiterte.“ (S. 191f.)

4. Zusammenfassende Bewertung

Zusammenfassend lässt sich sagen: „Der Kampf um das Volkseigentum“ von Hanns C. Löhr ist nicht unbedingt geeignet für Einsteiger in die Thematik „Agrartransformation in Ostdeutschland“. Dies liegt vor allem daran, dass die (unkundige) Leserschaft so gut wie keine Einführung in die Eigenheiten der DDR-Landwirtschaft und die daraus abgeleiteten Transformationsspezifika erhält. Es wird ein breites Vorwissen vorausgesetzt, um die teilweise sehr komplexen und verwirrenden „Kämpfe“ der einzelnen Parteien richtig einordnen zu können. Eine Einbindung der Ergebnisse in die allgemeine (soziologische) Transformationsforschung hätte der Studie gut getan. Trotzdem: Hans C. Löhr hat mit seiner Studie zur Privatisierungspraxis der THA einen spannenden Ablaufplan der Ereignisse bis 1994 vorgelegt, der in dieser Weise bisher fehlte und eine lesenswerte Quelle für alle an der Transformation der ostdeutschen Landwirtschaft Interessierten sein wird.

1 Vgl. z.B.: Clasen, Ralf ; John, Ilka, Der Agrarsektor. Sonderfall der sektoralen Transformation? in: Wiesenthal, Helmut (Hg.), Einheit als Privileg. Vergleichende Perspektiven auf die Transformation Ostdeutschlands, Frankfurt am Main 1996, S. 188-263; Vgl. auch Lehmbruch, Gerhard; Mayer, Jörg, Kollektivwirtschaften im Anpassungsprozeß. Der Agrarsektor, in: Czada, Roland; Lehmbruch, Gerhard (Hgg.), Transformationspfade in Ostdeutschland. Beiträge zur sektoralen Vereinigungspolitik, Frankfurt am Main 1996, S. 333-364.
2 DER SPIEGEL: Endloser Schlamassel, Heft 35/2003, S. 63.

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