Titel
Die Semmeringerbahn. Der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt


Autor(en)
Dinhobl, Günter
Reihe
Österreich Archiv, Schriftenreihe des Instituts für Österreichkunde
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
229 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olivia van Riesen, Lehrstuhl für Politische Wissenschaft, Technische Universität München

Die Semmeringbahn, erbaut 1848 bis 1854 unter der Leitung von Carl Ritter von Ghega, überquerte als erste Hochgebirgseisenbahn der Welt die Alpen und ermöglichte den durchgängigen Lokomotivbetrieb zwischen Wien und dem Seehafen Triest. Mit dem Bau dieser Eisenbahnstrecke, die bis zu 898 m über den Meeresspiegel hinaufführt, wurde die Technik im Bereich der Streckenführung, des Brückenbaus, des Tunnelbaus und des Lokomotivbaus entscheidend weiterentwickelt. In acht Kapiteln zeichnet Günter Dinhobl die Geschichte des Baus der Semmeringbahn, ihre Entwicklung bis zum heutigen Tag sowie eine detaillierte Streckenbeschreibung nach. Abgerundet und ergänzt wird der Text durch einen ausführlichen Anhang, ein Literatur- und Abbildungsverzeichnis, ein Namensregister und ein topografisches Register. Des weiteren enthält das Buch eigene Fotos Dinhobls, auf welchen u.a. die Tunneleingänge der Semmeringbahn abgelichtet sind.

Den Schwerpunkt der Arbeit bildet der Bau der Semmeringbahn in ihren einzelnen Teilen. Ausführlich dargestellt werden die technischen Besonderheiten des Oberbaus, des Tunnel- und Brückenbaus und des Lokomotivbetriebs. Dinhobl bettet seine technische Baugeschichte der Semmeringbahn in die politische Geschichte ein, wodurch sich das Buch auch an Leserinnen und Leser wendet, die nicht dem Kreis der an reiner Technikgeschichte Interessierten zugerechnet werden können.

Dinhobl stellt sich den Anspruch, historiografische Fehler in der Literatur über den Bau der Semmeringbahn zu korrigieren. Eine systematische Diskussion des Forschungsstandes erfolgt jedoch nicht. Das mag auch daran liegen, dass Eisenbahngeschichte oft entweder technischen Fachpublikationen vorbehalten ist, die sich an Ingenieure wenden oder in populärwissenschaftlichen Darstellungen auftaucht, die vor allem Eisenbahnfans interessieren.1

In Kapitel 2 „Der Eisenbahnbau bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts“ rekapituliert Dinhobl den Stand der Technik vor Baubeginn der Semmeringbahn. Interessant ist hierbei, dass man sich in Österreich nicht nur an die Vorgaben aus England hielt, dem Land, in dem die Eisenbahn erfunden wurde, sondern bereits in den 1840er-Jahren auch die Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten von Amerika rezipierte. So war es möglich, konkurrierende technische Standards sowohl bei der Trassierung als auch bei Brücken und Tunneln sowie beim Einsatz der Betriebsmittel gegeneinander abzuwägen. Während man in England die Trassen möglichst gerade baute und Radien von weniger als 1500 Fuß (ca. 460m) für nicht praktikabel deklarierte, erprobte man in den USA Krümmungen bis zu 820 Fuß (250m) (vgl. S. 19f.). Ähnlich verhielt es sich bei den Neigungen. „Auf Grund der Lieferschwierigkeiten von Eisenbahnmaterial aus dem fernen England entwickelte sich in Nordamerika sehr rasch ein neues Trassierungssystem: Merkmale dieses amerikanischen Trassierungssystems waren neben den markant stärkeren Krümmungen [...] die deutlich größeren Neigungen [...]“ (S. 23). Auch der Brücken- und Tunnelbau für Eisenbahnen waren noch nicht ausgereift. Bei den Betriebsmitteln koexistierten Dampflokomotiven neben Seilebenen und atmosphärischen Bahnen, wobei die herrschende Meinung damals den Lokomotivbetrieb für starke Neigungen, Kälte und Schnee als ungeeignet ansah.

Auf die Abhandlung der technischen Schwierigkeiten zu Beginn des Eisenbahnzeitalters folgen in Kapitel 3 „Biographische Notizen zu Carl Ritter von Ghega“, dem Erbauer der Semmeringbahn. In diesem Kapitel zeichnet Dinhobl in erster Linie nach, wie Ghega sich die technischen Kenntnisse über den Bahnbau aneignete. Dieser Diplom-Ingenieur und Doktor der Mathematik, der seine ersten beruflichen Erfahrungen im Straßenbau gesammelt hatte, unternahm vor und während seiner Tätigkeit im Eisenbahnbau zwei Studienreisen u.a. nach England und Nordamerika, in denen er die dortigen Eisenbahnen besichtigte. Dinhobl greift auf die detaillierten Veröffentlichungen Ghegas zurück, die er im gesamten Buch immer wieder als Quelle heranzieht. Dinhobl ist es dabei, wie er im Vorwort seines Buches schreibt, ein Anliegen, die verbreitete Beurteilung Ghegas als „geniale[n] Einzelgängers aus dem Reich der Technik“ zu relativieren und seine Einbindung im österreichischen Staatsdienst „in eine Organisation mit zahlreichen anderen Eisenbahnbau-Experten“ zu verdeutlichen (S. 9). Dennoch ist erkennbar, welchen entscheidenden Einfluss Ghega auf die Weiterentwicklung der Bahnbautechnik durch seine Berechnungen und den Bau der Hochgebirgsbahn über den Semmering nach seinen Vorstellungen gegen die damals von den österreichischen Eisenbahn-Ingenieuren vehement vorgetragenen Einwände und Bedenken hatte. Dies zieht sich auch wie ein Leitmotiv durch das folgende Kapitel 4 „Baugeschichte der Semmering-Eisenbahn“. Nach einem Überblick über den Kenntnisstand Ghegas vor Baubeginn und der Beschreibung des Baus zweier Bahnlinien (Wien – Gloggnitz und Mürzzuschlag – Graz), die später durch die Semmeringstrecke verbunden wurden, erläutert Dinhobl die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die schließlich den Ausschlag für den Bau einer Eisenbahnstrecke über den Semmering gaben. Besonderes Gewicht erhielten hierbei die ökonomischen Interessen des Landesfürsten der Steiermark, Erzherzog Johann, der sich für eine Bahnverbindung zwischen Wien und Triest durch sein Gebiet zur Förderung der Eisenindustrie einsetzte (vgl. S. 67). Die Semmering-Variante, für die 1842 die Entscheidung fiel, wurde im Rahmen des staatlichen Bahnbaus verwirklicht, der Ende 1841 ins Leben gerufen wurde. 1844 waren Ghegas Bauplanungen fertig, doch erst 1848 wurde die Baugenehmigung erteilt, nachdem aufgrund der revolutionären Unruhen dringend Beschäftigungsmaßnahmen für die revoltierenden Arbeiter gesucht wurden. Dinhobl hebt hervor, dass der Bau der Semmeringbahn auch im internationalen Zusammenhang zu sehen ist. In Europa projektierte und baute man in den 1840er Jahren mehrere Nord-Süd-Verbindungen, wobei Österreich durch den Bau der Semmeringbahn die Bedeutung des Hafens Triest gegenüber dem Hafen Genua stärken wollte (vgl. S. 81).

Im Folgenden bietet das Buch zunächst einen gerafften Überblick über den Fortgang der Bauarbeiten und die Fertigstellung 1854, bevor in einzelnen Unterkapiteln ausführlich auf den Bau des Haupttunnels, die Trassierungs- und Messtechnik sowie den Oberbau eingegangen wird. Der Architektur an der Bahnstrecke ist ebenfalls ein eigenes Unterkapitel gewidmet.

In Kapitel 5 „Lokomotiventwicklungen für die Semmeringstrecke“ beschreibt Dinhobl, wie es gelang, die gesamte Strecke ausschließlich mit Adhäsionsbahnen zu betreiben, was für die starken Neigungen und Krümmungen ein Novum darstellte. Ein Ausschreibungswettbewerb für spezielle Semmering-Lokomotiven zeigte, dass alle vier entwickelten Typen die Anforderungen der Ausschreibung erfüllten, jedoch technische Mängel aufwiesen, die es notwendig machten, einen neuen Auftrag auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse zu vergeben. In die Serienproduktion ging schließlich die Engerth-Lokomotive, die nach einem Umbau in den 1860er-Jahren fünfzig Jahre im Einsatz blieb (vgl. S. 131). „Die technikhistorische Bedeutung des Lokomotivwettbewerbs am Semmering liegt einerseits in der Beweisführung der Leistungsfähigkeit gegenüber dem umständlichen Seilebenen-Betrieb und andererseits in der international weit reichenden Wirkung in der Geschichte der Dampflokomotiv-Konstruktionen.“ (S. 132)

Das sechste Kapitel ordnet die Semmeringbahn in die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehenden Gebirgsbahnen ein und unterstreicht den Pionierstatus der Semmeringbahn hinsichtlich erreichter Höhe, Länge und maximaler Neigung. Mit diesem Kapitel ist die Baugeschichte abgeschlossen. Im siebten Kapitel springt Dinhobl aus dem 19. Jahrhundert in die heutige Zeit und erläutert die schließlich erfolgreichen Bemühungen um eine Aufnahme der Semmeringbahn in das Weltkulturerbe der UNESCO. Auch damit erreichte die Strecke einen Pionierstatus: Sie wurde 1999 die erste Eisenbahn der Welt, die als Weltkulturerbe anerkannt wurde. Dinhobl hat für sein Buch die Dokumentation, die der Nominierung zugrunde lag, überarbeitet und ergänzt.

Statt eines Schlusses bietet Dinhobl im achten Kapitel eine umfassende Beschreibung der einzelnen Streckenabschnitte der Semmeringbahn unter besonderer Berücksichtigung der Architektur. Hierbei wird die Entwicklung der Strecke bis in die 1990er-Jahre knapp nachgezeichnet. Der Anhang bietet darüber hinaus eine tabellarische Zusammenstellung technischer Daten zur Semmeringbahn.

Dinhobl lässt seine Bewunderung für dieses Bauwerk und sein Engagement für den Erhalt des ursprünglichen Zustands der Semmeringbahn im Text deutlich erkennen, tut dies jedoch in einem angenehm sachlichen und schlichten Stil. Insgesamt liegt ein fundiertes Werk vor, das dem Anspruch des Untertitels „Der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt“ voll gerecht wird.

Anmerkung:
1 Ohne Quellenangaben im Text, aber umfassend zur technischen Geschichte des Eisenbahnwesens: Rossberg, Ralf Roman, Geschichte der Eisenbahn, Künzelsau 1977.

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