H.-E. Volkmann: Ökonomie und Expansion

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Titel
Ökonomie und Expansion. Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik


Autor(en)
Volkmann, Hans-Erich
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte 58 (hrsg.v. Bernhard Chiari)
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 446 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Buggeln, Universität Bremen

Mit dem Erscheinen des Buches „Ökonomie und Expansion” in dem maßgebliche Aufsätze von Hans-Erich Volkmann versammelt sind, wird auch der Abschluss einer Ära markiert: Volkmann verlässt als letzter Historiker aus der Generation das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA), die dessen weltweiten Ruf begründet und den ersten Band der bedeutenden Reihe „Das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg” verfasst hatten. Trotz dieser Leistungen muss aber auch gefragt werden, welcher Gewinn in der Publikation von Aufsätzen, die überwiegend vor mehr als zwanzig Jahren veröffentlicht wurden, liegt. Zuvor sollen anhand der beiden ersten Beiträge des Bandes Überlegungen angestellt werden, inwieweit das Ausscheiden der älteren Generation aus dem MGFA auch einen inhaltlichen Bruch oder zumindest eine Veränderung zur Folge haben.

Rolf-Dieter Müller, in gewisser Weise Volkmanns Nachfolger als Fachmann für die Schnittstelle von Wirtschafts- und Militärgeschichte, bezieht in seinem, den Band einleitenden Beitrag, z.T. deutlich andere Positionen als Volkmann in seinen neuesten Überlegungen, die den älteren Aufsätzen vorangestellt sind. Eine wesentliche Differenz zeigt sich bei der Einschätzung der Verdienste der DDR-Geschichtswissenschaft bei der Erforschung des Nationalsozialismus. Volkmann schreibt: „Historiker der DDR haben auf der Grundlage ihrer Monopolkapitalismusthese [...] als erste die Strategie einer Autarkie im Großraum als Kalkül nationalsozialistischer Expansionspolitik erkannt.” (S. 35) Zudem gesteht er der Arbeit von Dietrich Eichholtz zu, dass sie als einzige zumindest ansatzweise „eine Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches unter Einbeziehung der politischen Implikationen” (S. 39) leistet. Müller vermag hingegen keine positiven Leistungen der DDR-Historiker zu vermerken und spricht von „marxistischen und pseudosozialistischen Verschwörungstheorien” (S. 9). Er selbst scheint in der Gedankenwelt der Blockkonfrontation verankert zu sein, wenn er die Auseinandersetzungen in der Geschichtswissenschaft beschreibt, wie einst das Gegeneinanderstellen sportlicher Leistungen der beiden deutschen Staaten: „Sie [die westdeutsche Geschichtsschreibung, M.B.] überrundete mit ihren Forschungsergebnissen rasch die DDR-Historiographie.” (S. 3f.) Neben der Wortwahl scheint auch die Generalität der Aussage zweifelhaft. Müller spart auch nicht mit Eigenlob. Er spricht davon, dass die Ansätze Volkmanns im Band V des Weltkriegswerkes, in dem er selbst den Beitrag zur Rüstungswirtschaft geschrieben hat, weiterentwickelt wurden (S. 11). Volkmann hingegen scheint dies anders zu beurteilen: „Die grundlegenden Studien von Rolf-Dieter Müller [...] sind weitgehend rüstungswirtschaftlich orientiert und folgen nur noch sporadisch der in Bd. 1 des Weltkriegswerkes zunächst vorgezeichneten gesamtwirtschaftlichen Perspektive.” (S. 39, Fn. 66)

Eben diese gesamtwirtschaftliche Perspektive ist es, die Volkmanns Artikel auch mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung noch lesenswert machen. Die Anregungen Fritz Fischers ermöglichten ihm die Frage nach den Verbindungen des Nationalsozialismus mit den deutschen Eliten. In der Herausarbeitung der Interessensidentitäten, insbesondere zwischen der nationalsozialistischen Spitze und den deutschen Wirtschaftsvertretern, liegt zweifelsohne eines der größten Verdienste Volkmanns. Er betont, dass der Staatsinterventionismus der NS-Regierung keineswegs im Widerspruch zur Unternehmermentalität stand, sondern im Zuge der Weltwirtschaftskrise zunehmend auf Zustimmung in der Unternehmerschaft wie auch der Wirtschaftswissenschaft stieß. Als zentrales Scharnier zwischen Partei und Wirtschaftseliten erwies sich die expansive Großraumpolitik, auf die sich die Mehrzahl der Beteiligten einigen konnte. Schon vor Kriegsausbruch wurden an den Universitäten und den Konzernen Stäbe eingerichtet, die die Pläne für die künftige deutsche Großraumwirtschaft ausarbeiteten.

Den Versuchen der Umsetzung der Pläne nach der Eroberung der Vorherrschaft in Europa ist der größte Teil der Beiträge gewidmet. In vielen der Texte zeigt sich, wie die deutschen Pläne sich vor Ort mitunter hart an der Realität stießen. So zeigt Volkmann in seinem Beitrag über das Wartheland, dass sich wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Zielvorstellungen z.T. widersprachen. Im Aufsatz „NS-Außenhandel im ‚geschlossenen‘ Kriegswirtschaftsraum (1939-1941)” scheint auf, wie sich die Bemühungen, die Währungen der besetzten Länder nicht in die Hyperinflation zu treiben, an dem unstillbaren Ressourcenbedarf der deutschen Kriegswirtschaft reiben. Hier zeigt sich aber auch, dass viele der hier aufgestellten Thesen inzwischen überholt sind: So lässt sich beispielsweise die von Volkmann benannte positive Begründung für die Einführung des Zentralclearings kaum halten.

Ein Grund für manche Schieflage ist, dass Volkmanns Artikel im Wesentlichen auf die Bestände des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (WiRüAmt) des Oberkommandos der Wehrmacht sowie auf Dokumenteneditionen basieren. Die Bestände der zentralen Reichsministerien wurden dagegen häufig nur insoweit einbezogen, wie sie in Dokumenteneditionen publiziert waren. So wurden vielfach Quellen nicht genutzt, die eine differenziertere Sicht auf die Ereignisse ermöglicht hätten. Zweifelsohne ist es aber andererseits ein großer Verdienst, den für die Erforschung der Kriegswirtschaft bedeutsamen Bestand des WiRüAmtes in vielen Bereichen erstmalig erschlossen zu haben.

In seinen Forschungen stieß Volkmann auch zunehmend auf die Kollaboration der Eliten der besetzten, wie z.T. auch der neutralen Länder, mit dem siegreichen Nationalsozialismus. Der bis heute mangelhaften Aufarbeitung der Kollaboration wie das Fehlen einer umfassenden Erforschung der europäischen Wirtschaftsgeschichte unter dem Hakenkreuz widmet Volkmann in seinem einleitenden Beitrag großen Raum. Nicht zu Unrecht spricht er davon, dass diese Themen nach 1945 lange tabuisiert wurden. Ein Grund hierfür ist die immer wieder vorgetragene Behauptung, die europäische Integration wäre eine Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus. Nicht wenige der Protagonisten der europäischen Zusammenarbeit waren jedoch auf die ein oder andere Weise in das Projekt des deutschen Großwirtschaftsraums involviert gewesen. Volkmann illustriert dies vor allem an deutschen Wirtschafts- und Finanzfunktionären wie Karl Blessing, Otmar Emminger, Otto Pfleiderer und Andreas Predöhl und kommt zu dem Ergebnis: „[Es] waren die Politiker von vorgestern, nämlich der Weimarer Generation, welche die europäische Fahne ausrollten und die Bedingungen aushandelten, unter denen die Völker Europas sich versammelten. Und es waren zum Gutteil die Ökonomen von gestern, also der Zeit des Dritten Reiches, welche die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ein gemeinsames Europa schufen.” (S. 44)

Auf der anderen Seite stellt Volkmann fest, „daß Europa im Gedankengebäude oppositioneller Eliten kein sichtbarer Platz eingeräumt wurde” (S. 43). Hierbei bezieht er sich jedoch vor allem auf Ludwig Erhard und dessen späteren Widerstand gegen die europäische Integration. Die einseitige Bezugnahme ist problematisch. Neuere Untersuchungen machen die umstandslose Einordnung Erhards in die Gegner des Nationalsozialismus fraglich, des weiteren fördert ein Blick in andere Kreise des Widerstands zweifelsohne Europa-Pläne zu Tage. Leider sind zudem die Schriften zu Erhard nicht die einzigen Forschungen der letzten Jahre, die Volkmann in seinem einleitenden Aufsatz nicht einbezieht. Auch die umfangreichen Ergebnisse der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz und das zur Beurteilung der französischen Wirtschaftskollaboration unverzichtbare Werk von Annie Lacroix-Riz wurden z.B. nicht rezipiert.

Trotz dieser Einschränkungen fällt das Gesamtfazit positiv aus. Der Band versammelt die verstreuten Aufsätze Volkmanns, die bei ihrem Erscheinen in vielerlei Hinsicht grundlegend waren und ermöglicht so den einfachen Zugriff auf ein für das Studium der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik nach wie vor hilfreiches Wissen. Die Aufsätze wirken heute noch vielfach anregend und nicht wenige der Erkenntnisse haben nach wie vor bestand. Andere müssen aufgrund neuerer Forschung revidiert oder zumindest differenziert werden. Dies zeigt im positiven Sinne, dass die Anregungen Volkmanns vielfach aufgenommen wurden.

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