V. Wacker: Die alliierte Besetzung Frankreichs

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Titel
Die alliierte Besetzung Frankreichs in den Jahren 1814 bis 1818.


Autor(en)
Wacker, Volker
Erschienen
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 86,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Höpel, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Dass die nationale Konstituierung von Deutschland und Frankreich gerade im Gegensatz zueinander stattgefunden hat, wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch verschiedene Arbeiten deutlich gemacht. Gerade die Rolle der Feindschaft bei der Entstehung der Nationen rückte dabei verstärkt ins Blickfeld. Dieter Langewiesche brachte das auf die griffige Formel vom Krieg als dem Vater des Nationalstaates. Die Dissertation von Volker Wacker über die militärische Besetzung Frankreichs durch Einheiten der antinapoleonischen Koalition schließt an solche Überlegungen an. Ausgehend von einer Analyse der Besetzung fragt der Autor, ob die Erinnerungen an die Erfahrungen mit den preußischen Truppen das französische Deutschland- und Preußenbild negativ und lang anhaltend beeinflusst haben.

Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut und behandelt in drei Teilen die Kriegs- und Waffenstillstandsbesetzung im Jahr 1814, die Waffenstillstandsbesetzung 1815 und die Kontrollbesetzung 1815-1818. In einem Epilog geht Wacker der Frage nach, ob das französische Feindbild Preußen/Deutschland von 1870/71 bereits auf ältere Negativerlebnisse und vor allem auf die Besatzungszeit in den Jahren 1814 bis 1818 zurückzuführen sei.

Wacker unterscheidet drei Typen der Besetzung: die kriegerische, die Waffenstillstands- und die vertragliche Friedensbesetzung, wobei der Unterschied vor allem im Grad der rechtlichen Regulierung liegt, der bei der kriegerischen am geringsten, bei der Friedensbesetzung am höchsten ist.

Der Autor zeichnet jeweils die historischen Ereignisse, welche die Besetzungen begleiten, die Organisation des Besatzungssystems und die Reaktionen der französischen Bevölkerung und der Behörden nach. Die Alliierten hatten sich bereits 1814 auf eine gemeinsame Besatzungspolitik geeinigt, die allerdings im Zuge der praktischen Besetzung zunehmend an einzelstaatliche Interessen stieß. Die 1814 vorgesehenen und dann auch installierten alliierten Zivilgouverneure, die dem Zentraldepartement Steins, eine dem direkten Einfluss der einzelnen Regierungen entzogene Einzelbehörde, unterstanden, wurden so von preußischen und bayrischen Truppen kaum bis gar nicht respektiert. 1815 verzichtete man dann gänzlich auf eine überstaatliche Besatzungsbehörde. Ziel der Besatzung war vor allem die Versorgung der alliierten Invasionstruppen über Steuerkonfiskationen, Requisitionen und Verkauf von französischem Staatseigentum.

Die Wirksamkeit der Zivilgouverneure wurde 1814 weiterhin durch die allgemeine militärische Situation beeinträchtigt. Die Alliierten konnten nur einige Gebiete tatsächlich dauerhaft unter ihre Kontrolle bringen. In anderen blieben befestigte Orte in der Hand der Franzosen, kam es zu Kampfhandlungen mit den agilen französischen Truppen unter Napoleons Kommando oder gar zu Guerillaaktionen von Bürgern und Bauern. Da die aus dem Land durch die Zivilgouvernements gezogenen Mittel nicht zur Versorgung der alliierten Truppen ausreichten, versorgten sich diese notgedrungen selbstständig aus dem Land, was mitunter zu Plünderungen und Brandschatzungen führte. Das heizte wiederum den Widerstand in der Bevölkerung an. Da die Alliierten aber an einer raschen Stabilisierung des in Frankreich installierten Regimes Interesse hatten, stellten die Besatzungsbehörden schon bald nach dem Waffenstillstand ihre Tätigkeit ein und übergaben den französischen Behörden sämtliche Hoheitsrechte.

1815 endete der Krieg nach der Schlacht von Waterloo und der Kapitulation von Paris und Lyon im Juli 1815 rasch. Die daran anschließende Waffenstillstandsbesetzung, die bis zum Friedensvertrag vom November 1815 andauerte, fiel für Frankreich weitaus härter als noch 1814 aus. Nach Kriegsende wurde insgesamt zwei Drittel des französischen Territoriums von über einer Million alliierter Soldaten besetzt. Auch die Entschädigungsforderungen fielen um ein Vielfaches höher aus als im Jahr 1814, da sich die Alliierten von der Restaurationsmonarchie allein keine genügende Friedensgarantie mehr versprachen und Frankreich dauerhaft schwächen wollten. Wacker geht auf die Unterschiede in der Besatzungspolitik und der Praxis der Besatzung ein, die zwischen den einzelnen Siegermächten bestanden. Während Wellington für England eine Politik betrieb, die nicht gegen die Interessen Ludwigs XVIII. und seiner Regierung vorging, hielten die drei Kontinentalmächte Preußen, Österreich und Russland hingegen auch nach der erneuten Restauration der Bourbonen an einer Form der Besetzung fest, die kriegstypische Züge aufwies.

Frankreich wurde unter Verletzung des offiziellen Bündnisstatus’ von Ludwig XVIII. selbst nach der Restauration als feindliches Land behandelt. Insbesondere Preußen zeichnete sich durch eine besonders hemmungslose Ausbeutung des besetzten Landes aus. Blücher und Gneisenau erscheinen als Exponenten einer Politik, die vor allem Rachegelüsten folgte und den geschlagenen Gegner erniedrigen wollte. Auch wenn sie in einigen Punkten vom preußischen König und der Staatsregierung zurückgerufen wurden, zögerten sie nicht, geforderte Gelder durch Zwangsmaßnahmen wie die Deportation und Verhaftung von Präfekten und Notabeln durchzusetzen. Preußen beschlagnahmte auch länger als Österreich und Russland die eingehenden französischen Steuermittel, fügte sich aber letztlich den anderen Partnern der Allianz, die schließlich die von Wellington angeregte diplomatische Verhandlung der Entschädigungsforderungen befürworteten. Aber auch diese Lösung bedeutete für Frankreich erhebliche Lasten. Frankreich musste sich seine Souveränitätsrechte buchstäblich zurückkaufen. Die Alliierten nutzten ihre Militärpräsenz obendrein dazu, Frankreich zu harten Friedensbedingungen zu zwingen.

Auch wenn der Autor darauf hinweist, dass Preußen seine Ziele besonders nachdrücklich mit direkten Mitteln der Requisition und des Zwangs durchzusetzen trachtete, nuanciert er doch frühere Urteile französischer Historiker, die stark von nationalistischen Feindbildern gegenüber Preußen/Deutschland geprägt waren. Er weist darauf hin, dass alle Siegermächte in den Besitz von Entschädigungen zu gelangen suchten, dass allerdings England von Anfang an den indirekten Weg über Verhandlungen bevorzugte, auf den Russland, Österreich und Preußen erst allmählich einschwenkten.

Die Friedenskontrollbesetzung der östlichen französischen Departements vom November 1815 bis zum Abzug der Truppen 1818 wurde dann wieder durch ein gemischtes alliiertes Korps von 150.000 unter Wellingtons Befehl durchgeführt. Die Alliierten verfolgten damit das Ziel, die in Frankreich geschaffene Ordnung zu sichern; eine mögliche erneute Bedrohung durch Frankreich auszuschalten und zugleich die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen Frankreichs abzusichern. Die französische Regierung unter Richelieu hatte sich von Beginn an zur strikten Einhaltung des Friedensvertrages entschlossen, um das Besatzungsregime, das ihre Souveränität in Frage stellte und von Frankreich finanziert werden musste, möglichst rasch zu beenden. Tatsächlich gelang dies mit der vorzeitigen Beendigung der Okkupation im Jahr 1818. Entscheidend hierfür waren neben der Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen Frankreichs die Überzeugung, dass eine weitere Besatzung die Lage in Frankreich eher destabilisieren könnte. Da Frankreich weiterhin als potenzielle Gefahr wahrgenommen wurde, ergriffen die Alliierten verschiedene Maßnahmen, um den Verlust des Kontrollmittels Besetzung zu kompensieren. Sie erneuerten auf dem Kongress in Aachen im November 1818 ihr antifranzösisches Bündnis und setzten den Ausbau des Festungssystems im niederländischen und preußischen Grenzgebiet fort. Lediglich Preußen, dass Frankreichs Streben nach Wiedererringung der natürlichen Grenzen fürchtete, plädierte für eine fortgesetzte Kontrollbesetzung der östlichen Departements, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Die Besatzungspraxis der Preußen bestätigte bereits zuvor bestehende Bilder über den Deutschen und, so Wacker, verankerten diese längerfristig und nachdrücklich im Gedächtnis der Franzosen. Auch die Preußen selbst fühlten sich in ihrer Besatzungszone nicht sicher, wie der Autor mit zahlreichen Nachweisen belegt. Dagegen besaßen die Engländer einen relativ guten Ruf, auch wenn Wellington kaum Sympathien genoss, insbesondere nachdem er die Rückführung der geraubten Kunstschätze aus dem Louvre forciert hatte. Sie vermieden jegliche Maßnahmen, welche die Bevölkerung gegen sie aufgebracht haben könnte (Truppeneinquartierungen z.B.). Aber auch Russen und Österreicher zogen sich keinen so dezidierten Hass wie die Preußen zu. Wacker konstatiert aber insgesamt eine Ablehnung der Alliierten, da diese die ungeliebten Bourbonen wieder auf den Thron zurückgebracht hatten. Dadurch wurde die ideologisch motivierte Wahrnehmung der Revolutionszeit reaktualisiert, die sich gegen alle Feinde der Freiheit und der Selbstbestimmung des französischen Volkes richtete.

Wacker macht den Begriff des Barbaren als einen wichtigen Topos des propagandistischen Diskurses der Anhänger von Revolution und Kaiserreich aus, der durch die Besatzung durch Russen 1814 und Preußen 1815 konkretisiert wurde und für die französische Selbsteinschätzung bis 1870/71 wichtig blieb. Die gemeinsame Ablehnung von Bourbonen und Alliierten zeige sich auch bei spontanen Protesten der französischen Bevölkerung, die allerdings zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines allgemeinen Aufstandes heraufbeschworen. Die negativen Erfahrungen mit den preußischen Besatzern im Jahr 1815 prägten auch die Beziehungen zwischen Franzosen und Preußen zwischen 1815 und 1818, selbst wenn es zu keinen Ausschreitungen mehr kam und die preußischen Truppen ein korrektes Verhalten an den Tag legten.

Abschließend geht Wacker der These nach, die Besatzungszeit wäre für ein negatives Preußen- und Deutschlandbild im Frankreich des 19. Jahrhunderts verantwortlich gewesen. Der Autor kann auf eine ganze Reihe von Dokumenten verweisen, die diese These stützen. Im Gegensatz zu Deutschland, dessen Nationalidentität sich massiv in Abgrenzung zu Frankreich vollzog, wäre aber die Besetzung Frankreichs durch die Alliierten für die Formierung der nationalen Identität der Franzosen nicht konstitutiv. Preußen war nur eine Macht unter den Siegern und Besatzern, was eine andere Konstellation als 1870/71 darstellte, wo es zum Hauptfeind wurde. Außerdem, so der Autor, verblasste hinter einem im stärker werden den Napoleonkult, der die Siege und den Ruhm der Revolutions- und Kaiserzeit hervorhob, immer mehr die negative Erinnerung an die Demütigungen von 1814-1818. Als Feindbild fungierte vielmehr die anti-revolutionäre und anti-französische Allianz der Monarchen.

Als eine der wenigen im Gedächtnis bewahrten Demütigungen blieb die Rückführung der Kunstschätze aus dem Louvre im Gedächtnis lebendig. Wacker kann das u.a. anhand einer interessanten Quellengattung, den Liedern des von den 1820er bis 1850er Jahren sehr populären Pierre-Jean de Béranger, belegen. Wacker schließt in seiner Argumentation damit an die Thesen Jeismanns an, der davon ausgeht, dass sich die französische Identität nach 1792 vor allem vor dem Hintergrund eines politischen Feindbildes, der adlig-monarchischen Verschwörung, herausbildete. Erst ab 1870/71 setzt sich ein nationales Feindbild an dessen Stelle. Der seit 1792 entstehende Barbarenbegriff wurde dabei unterschiedlich semantisch gefüllt. Die französische Wahrnehmung der preußischen Truppen 1815 hätte nach 1870 die Entstehung eines nationalen Feindbildes in Frankreich zwar unterstützt, sie war aber nicht dessen direkter Ausgangspunkt. Wacker unterlegt dies mit dem Hinweis, dass das eigentliche Deutschland- und Preußenbild in Frankreich bis 1870 vor allem von Madame de Staëls „De l’Allemagne“ geprägt blieb und das Verhalten der preußischen Truppen im Jahr 1815 im historisch-politischen Diskurs der französischen Eliten so gut wie nicht thematisiert wurde.

Insgesamt handelt es sich um eine detailreiche Darstellung, welche die Besetzung Frankreichs durch die antinapoleonische Allianz 1814 und 1815-1818 insgesamt in den Blick nimmt und einige grobe Einschätzungen der bisherigen Forschung nuanciert. In der zentralen Frage nach der Wirkung der Besetzung für das französische Preußen- und Deutschlandbild bleibt die Arbeit aber zu sehr der Argumentation von Michael Jeismann verpflichtet, der bei dem Zuge der französischen Nationenbildung seit 1789 und des eine Rolle spielenden französischen Feindbildes von einem Phasenmodell ausgeht. Nun haben aber bereits andere Studien gezeigt, dass es in Krisensituationen durchaus zu einem Umschlag vom politischen zum nationalen Feindbild kommen kann, so in Frankreich zum Zeitpunkt des preußisch-österreichischen Vorrückens 1793. Wacker teilt eine Reihe interessanter Beobachtungen und Quellenfunde mit, zum Beispiel zum negativen Blücherbild in der französischen Armee, vergibt aber die Möglichkeiten einer weitergehenden Analyse, indem er die Interpretation Jeismanns einfach übernimmt.

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