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Titel
Elektronische Monumenta Germaniae Historica 3 (MGH-3).


Herausgeber
Monumenta Germaniae Historica
Erschienen
Turnhout 2002: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 1400,00 + VAT
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dedo-Alexander Müller, Georg-August-Universität Göttingen

"Nicht jeder, nicht einmal jeder historisch Gebildete dürfte wissen, was die Monumenta Germaniae Historica sind."1 Diese Behauptung stellte Horst Fuhrmann 1994 in seinem Vortrag zum 175-jährigen Bestehen der MGH auf. Man kann die Herausgabe der elektronischen MGH als Versuch ansehen, sie einem Millionenpublikum über den modernen Datenverkehr zugänglich zu machen. Doch ist die CD-ROM kein elektronisches Buch, das die gedruckte Form, die in mehreren Hundert Bänden erschienen ist und mehrere Bücherregale füllt, in Form von platzsparenden CD-ROMs ersetzen könnte.

Mit Verspätung ist im Frühjahr 2002 endlich die dritte Lieferung der eMGH erschienen. Probleme bei der elektronischen Einlesung der teilweise aus dem 19. Jahrhundert stammenden Druckbilder hatte die Herausgabe immer wieder verzögert.2 Nun liegen in der neuesten Lieferung vor allem die SS rer. Germ. (38 Bände), aber auch 13 von 15 Bänden der Auctores Antiquissimi, die SS rer. Mer. vollständig, 2 der 8 Quart-Bände der SS in folio, 3 der mittlerweile 19 Bände der SS rer. Germ (NS), die Capitulariensammlung des Ansegis, ein Großteil der Concilia, sowie weitere Ergänzungen bereits erschienener Reihen vor.3

Ähnlich wie bei den bereits erschienenen Lieferungen ist die Benutzersoftware 4 besonders einfach gehalten, so dass das Programm mit minimalen Hardwarevoraussetzungen auskommt und schnell und einfach zu installieren und zu bedienen ist. Der Benutzer kann zwischen vier Sprachen wählen. Allerdings sind Teile der Benutzeroberfläche auf Latein, was einerseits zu begrüßen ist, da Kenntnisse in dieser Sprache ohnehin Voraussetzung für die Arbeit mit den MGH sind. Andererseits fragt man sich, weshalb nicht gleich die gesamte Nutzeroberfläche auf Latein geschrieben wurde oder zumindest als Option mit unter Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch aufgenommen wurde.

Die Software ermöglicht es, belegte Formen einzeln oder im Zusammenhang abzufragen, wobei die gesamte Datenbank oder auch jeder beliebige Teilbereich durchsucht werden kann. Nach Eingabe eines Suchbegriffs in dem Kartenreiter "Inquisitio" wird eine Anzahl an Sätzen (sententiae) ausgegeben, die Antwort auf die Suchabfrage geben. Vor jeder Sententia wird eine zitierfähige Stellenangabe geliefert. Von den Sätzen aus kann der vollständige Text (textus) des betreffenden Werkes eingesehen werden. In einem weiteren Kartenreiter (Memento) finden sich zusätzliche bibliografische Angaben.

Das Problem der unterschiedlichen Schreibweise mittellateinischer Wörter ist dadurch gelöst worden, dass man Suchwörter im "formarum examen" auf ihre Schreibweise hin überprüfen kann. Durch Boolesche Operatoren kann der geübte Benutzer überdies mehrere Formen gleichzeitig abfragen. Auch das Formulieren komplexer Suchstrategien ist möglich, sofern man Vorkenntnisse im Umgang mit modernen Datenbanken besitzt oder sich diese im deutsch-englischen Benutzerhandbuch anliest. Auch kann die Suche auf bestimmte Series, Collectiones, Autoren oder Titel eingeschränkt werden.

Die Übertragung der Antworten auf Datenträger (Papier oder digitale Formen) ist dabei jederzeit mit gewissen Einschränkungen möglich. So können maximal 30 Sätze ausgegeben werden, was einen Ausdruck größerer Textpassagen unmöglich macht. Auch die Weiterverarbeitung längerer Texte in Textverarbeitungsprogrammen ist damit nur unter Einschränkungen möglich.

An einem Beispiel soll die Arbeit mit der CD-ROM verdeutlicht werden: Möchte man sich über die Verwendung des Wortes "fredum" (Friedensgeld, Strafbuße) in den Diplomen Kaiser Ludwigs II. informieren, so führt die Eingabe von "Diplomata Ludovici II" in das Auctor-Feld und von "fred*" in das Formae-Feld zu insgesamt 11 Suchergebnissen.

Nach Hinzufügen von "+exig*" in das Formae-Feld kann man erkennen, dass "fredum" in den Diplomen Ludwigs II. immer zusammen mit einer Form von exigere (erheben, einfordern), also in der Bedeutung von "Friedensgeld einfordern" vorkommt.

Doch das Beispiel zeigt zugleich die Grenzen der CD-ROM auf: bei der Erstellung des elektronischen Textes hat man sich auf die Erfassung des Editionstextes beschränkt und den kritischen Apparat beiseite gelassen. Alternative Lesarten, die oftmals durch einen Editor nie abschließend für alle Zeit ausgeschlossen werden können, erscheinen bei der Suchabfrage somit nicht, wodurch einem die langwierige Suche am Bücherregal unter Umständen doch nicht erspart bleibt. In der Tat findet sich "freda exigenda" noch in einer weiteren Urkunde Ludwigs II. (D Lu II. 14 von 854), die aufgrund der geschilderten Zusammenhänge nicht in der Ergebnisliste erscheint. Konrad Wanner hatte sich nämlich bei seiner Rekonstruktion des verlorenen Originaltextes dafür entschieden, statt "freda" das Wort "fodrum" aus einer der Nachurkunden zu übernehmen. Eine Suchabfrage mit der CD-ROM belegt hingegen, dass es sich bei diesem Wort um eine Singularität in den Urkunden Ludwigs II. handelt.5

Letztlich auch dadurch, dass man überdies auf die Erfassung der Kopfregesten und Anmerkungen, eben auf alles, was die MGH-Edition so lesenswert macht, verzichtet hat, muss der Benutzer unbedingt die gefundenen Stellen in der Print-Ausgabe am Bücherregal einsehen, schon um sie historisch-kritisch werten zu können, sich also auf mögliche Verunechtungen und Ähnliches hinweisen zu lassen. Die Abfrage am Bildschirm kann und soll also nur eine exakt bezeichnete Textstelle auswerfen, jedoch die Konsultation der gedruckten Ausgabe keinesfalls überflüssig machen.6

Die CD liefert keinen Ersatz für die historisch-kritische Print-Ausgabe der MGH. Vielmehr werden die Chancen genutzt, die allein durch den Einsatz von Computern gegenüber der Buchausgabe geboten werden. Dies ist vor allem die Möglichkeit, Stellen und Vorlagen bestimmter Ausdrücke oder Wörter im Corpus der MGH zu finden, eine Aufgabe, die vor allem für denjenigen von großer Wichtigkeit ist, der sich mit dem Mittelalter beschäftigt.7 Was früher nur durch Konsultation gedruckter Konkordanzen und mit erheblicher Kenntnis der Texte und ihrer möglichen Vorlagen nach zum Teil tagelanger Suche möglich war, ist nun innerhalb weniger Sekunden auch für ungeübte oder fachlich wenig versierte Benutzer möglich, wodurch sich der Kreis der Anwender der MGH und damit auch ihr durch Horst Fuhrmann bemängelter eingeschränkter Bekanntheitsgrad erheblich erweitern sollte. Die eMGH sind also eine sinnvolle Ergänzung zur gedruckten Form der MGH: ohne diese wäre die CD-ROM für den wissenschaftlichen Einsatz nahezu wertlos, mit ihr zusammen bildet sie ein nützliches Instrument für die historische Forschung.

Anmerkungen:
1 Fuhrmann, H, Gelehrtenleben. Über die Monumenta Germaniae Historica und ihre Mitarbeiter, in: DA 50 (1994), S. 1-31.
2 Schieffer, Rudolf, Monumenta Germaniae Historica. Bericht über das Jahr 2000/2001, in: DA 57 (2001), S. XI.
3 Ergänzt wurden die Reihen der ordines de celebrando concilio, constitutiones et acta publica, fontes iuris germanici antiqui, Urkunden der Karolinger, Briefe der deutschen Kaiserzeit, epistolae selectae und die Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters. Den genauen Inhalt findet man unter http://www.mgh.de/emgh
4 Es ist im Wesentlichen dieselbe Software, die auch bei anderen Produkten aus dem Hause Brepols verwendet wird, z.B. bei der Library of Latin Texts 5, die E. Wirbelauer mit ähnlicher Kritik am Fehlen der Lesarten rezensiert hat:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-112 (Anm. der Redaktion).
5 Damit soll jedoch die Lesart Wanners nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Zum fodrum allgemein C. Brühl, Fodrum, gistum, servitium regis, Köln 1968.
6 Unlängst hat Rudolf Schieffer die Möglichkeiten einer Nutzung des Computers zur zusätzlichen Texterschließung und zum Textvergleich hervorgehoben, wodurch jedoch die "editorische Bewertung und Erläuterung" am jeweiligen Band nicht überflüssig werde (Die Erschließung des Mittelalters am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica, in: L. Gall, Quelleneditionen und kein ende? (HZ, Beiheft 28), München 1999, S. 13). Das Konzept der eMGH bewegt sich also innerhalb des durch ihn vorgegebenen Rahmens.
7 H. Fuhrmann, Gelehrtenleben (wie Anm. 1) S. 29.

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