C. C. Frick: Dressing Renaissance Florence

Cover
Titel
Dressing Renaissance Florence. Families, Fortunes and fine Clothing


Autor(en)
Frick, Carole Collier
Erschienen
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
$45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Lüttenberg, Fakultät für Geschichte, Universität Bielefeld

Was für ein verführerisches Projekt: Eine der interessantesten und am besten dokumentierten Stadtgesellschaften des ausgehenden Mittelalters - Florenz im 15. Jahrhundert – nur durch die Analyse der Kleidungsgewohnheiten besser zu verstehen. Carole Collier Frick hat ihre 1995 vollendete Dissertation zu einem Buch mit diesem Anspruch umgearbeitet und führt die Leser in zehn Kapiteln von der Sozialgeschichte der Florentiner Schneider (Kap. 1-3) über die Rolle der Kleidung für die Finanz- und Heiratsplanungen der wohlhabenden Familien (Kap. 4-7) bis zur - im weitesten Sinne - politischen Bedeutung der Frauen- und Männerkleidung für die Stadtgesellschaft (Kap. 8-10).

Ihren genuin sozialgeschichtlichen Ansatz stützt Frick sowohl auf Schriftquellen (Gesetzessammlungen, Zunftmatrikel, Inventare und die außerordentlich ergiebigen ricordanze - Haushalts- bzw. Tagebücher, in denen die Anfertigung von repräsentativer Frauenkleidung zum Teil minutiös geplant und beschrieben wird) als auch auf künstlerische Dokumente (Tafel- und Alfrescomalerei). Die ersten drei Kapitel führen in die rechtlichen und sozialen Bedingungen der Lebenswelt derjenigen ein, die für die Schaffung der elaborierten Kleidung der Florentiner Oberschicht sorgten. Frick stellt breit - vielleicht etwas zu breit - den Platz der Schneider im Gefüge der politisch einflussreichen Gruppierungen dar: Weil sie im Zunftsystem fast immer zu der einflusslosen Gruppe der Gebrauchtkleiderhändler (arte dei rigattieri) gehörten und nicht zur beherrschenden Zunft der Seidenhändler (arte della seta), blieben sie ohne institutionalisierte politische Artikulationsmöglichkeit. Auf der anderen Seite konnten sie unter Umständen allein durch ihre Tätigkeit Zugang zu einflussreichen Familien wie den Medici und den Tornabuoni haben, und mancher von ihnen - Frick erläutert zwei Beispiele näher - gehörte anscheinend zu einem der konkurrierenden Klientel- und Patronagesysteme. Dass auch Angehörige niederer und niedrigster sozialer Gruppierungen in solche Netze eingebunden waren, ist für vormoderne Gemeinwesen kein wirklich überraschendes Ergebnis - so dass sich die Frage aufdrängt, ob die Analyse der politischen Stellung der Schneider in Florenz für das Verständnis der politischen Rolle der Kleidung in der Stadt wirklich erheblich ist.

Im zweiten Teil Ihrer Untersuchung, in dem sich Frick den Konsumenten der prächtigen Textilprodukte zuwendet, ist die Fokussierung auf das Wesentliche erheblich besser gelungen. Es ist sehr zu begrüßen, dass sie mithilfe der ricordanze nicht nur nachweist, welch große Aufmerksamkeit die Produktion von Kleidung seitens der Familienoberhäupter genoss (Kap. 6: The Making of Wedding Gowns), sondern auch die Gründe für diese Aufmerksamkeit analysiert (Kap. 5: Family Fortunes in Clothes). So ergibt die detaillierte Untersuchung der Kosten bzw. des Werts der Repräsentationskleidung, dass die Kleidungsstücke manchmal bis zu 40% des Gesamtvermögens ausmachten (Inventar der Familie Pucci von 1449). Aufmerksam folgt Frick den einzelnen Etappen der Herstellung eines Hochzeitskleids und arbeitet dabei dessen hohe symbolisch-politische Bedeutung für die Ehre beider an der Hochzeit beteiligten Familien heraus. Da das Hochzeitskleid vom zukünftigen Bräutigam gestellt und gestaltet wurde, hing nicht so sehr die Ehre der Brautfamilie, sondern vielmehr diejenige seiner Familie von der verschwenderischen Ausstattung des Kleides ab; er war für die gelungene Erscheinung der Braut im Übergangsmoment der Verheiratung verantwortlich. Es gelingt der Autorin auf eindrucksvolle Weise, die Bedeutung der materiellen Kultur und insbesondere der Kleidung für die Heiratsverbindungen der Florentiner Oberschicht aufzuzeigen und vor allem dank der Ausführlichkeit der ricordanze nachzuweisen, dass die beträchtlichen Mittel, die in die Hochzeitskleidung flossen und die hohe Aufmerksamkeit, die den Details der Gestaltung gewidmet wurde, letztlich mit der zentralen Funktion der Ehrwahrung zu begründen sind. In diesem Teil ist der Ansatz, einen Aspekt der Florentiner Sozialgeschichte mithilfe der Kleidung neu zu beleuchten und „große“ Zusammenhänge durch die Betrachtung vermeintlicher Details zu erläutern, voll und ganz gelungen.

Problematisch ist jedoch, dass wichtige Beiträge der Sekundärliteratur zu einzelnen Fragen nicht berücksichtigt wurden. Die Autorin macht zu Recht auf die großen Probleme aufmerksam, die die Forschung mit der Identifikation der Namen von historischen Geweben und Kleidungsstücken hat, Probleme, die noch zunehmen, wenn man diese Namen mit Abbildungen von Realien in Beziehung setzen will. Dass vor diesem Hintergrund die breite deutschsprachige Literatur zur mittelalterlichen Sachkultur – verwiesen sei hier nur auf die Veröffentlichungen des österreichischen Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in Krems – ebenso wie die französische Forschung 1 unrezipiert bleiben, ist bedauerlich. Ähnliches könnte man auch zur Frage der Beteiligung von Frauen an der Kleiderproduktion, zum Beispiel bei der sozialen und symbolischen Bedeutung des Stickens (S. 42f.) sagen, wo die kultur- und memorialgeschichtliche Dimension dieser Tätigkeit deutlicher hätte werden können.2 Bei der Erörterung der Aufwandsgesetze in Kap. 9 (s.u.) finden die aktuellen Arbeiten von Muzzarelli keine Erwähnung.3 Der Rezensent hat sich auch mit dem metaphernverliebten Stil der Autorin nicht anfreunden können. „Clothing the city“, „tailoring family honor“, „muddy[ing] the sartorial message“ und ähnliche Wortspiele tragen nicht zur Klarheit bei, sondern mystifizieren.

Im dritten und letzten Abschnitt der Untersuchung geht es unter dem Titel „Fashion and the Commune“ um die Kleider selbst, um Kleiderordnungen und um die Rolle gemalter Kleidung bei der Repräsentation der Stadtgemeinschaft und ihrer Mitglieder, also um politische Fragen im engeren Sinn. Fricks Bezugnahme auf die aus Roland Barthes‘ Système de la mode (1967) entlehnte Einteilung in eine technische, eine verbale und eine ikonische Erscheinungsform der Kleidung, mit der die Autorin die Kapiteleinteilung des Abschnitts begründet, wirkt dabei allerdings übergestülpt und wird im Laufe des Abschnitts auch nicht weiter verarbeitet. Im Kapitel über die Kleidung geht Frick auf zahlreiche Aspekte der Männer-, Frauen- und Kinderkleidung ein (z.B. Größe und Proportionen, Materialien, Farben und ihre symbolische Bedeutung) und gibt auf diese Weise einen guten, manchmal aber etwas schematischen und in seinen Deutungen zu spekulativen Überblick über die Kleidung im spätmittelalterlichen Florenz, den man im übrigen gerne schon früher gelesen hätte - handelt es sich doch um Dimensionen, die die zentrale Bedeutung der Kleidung im Florenz des 15. Jahrhunderts erst deutlich werden lassen.

Das Kapitel über die Kleiderordnungen führt die außerordentliche Dichte der städtischen Verordnungstätigkeit auf diesem Gebiet vor Augen und macht damit klar, welch hohen Stellenwert die Kleidung für das Ordnungsbewusstsein nicht nur der politisch Verantwortlichen, sondern der ganzen Bevölkerung hatte. Dies wird auch durch die nicht unerheblichen Anstrengungen zur Überwachung der Ordnungen deutlich, die bis zur Beauftragung besonderer Amtsträger, der ufficiali delle donne, reichten. Im letzten Kapitel geht es unter dem Titel „Visualizing the Republic in Art“ um die Bedeutung gemalter Kleidung. Frick weist hier völlig zu Recht auf das Problem hin, dass die florentinische Quattrocentomalerei – wie die künstlerische Produktion anderer Provenienz auch – von der Forschung wegen ihres ‚Realismus‘ nach wie vor als Indiz für die ‚tatsächliche‘ Kleidung der Stadtbewohner angeführt wird. Anhand zweier großer Freskenzyklen von Domenico Ghirlandaio mit den Porträts der führenden Familien Sassetti und Tornabuoni will sie diese Betrachtungsweise in Frage stellen, indem sie die narrativen Mittel und rhetorischen Strategien der Darstellungen hinsichtlich der Rolle der gemalten Kleidung herausarbeitet. Das gelingt im Wesentlichen, vor allem im Hinblick auf die geschlechtergeschichtliche Deutung der einheitlich nüchternen Gestaltung der Männerkleidung und der differenzierten Darstellung der Frauenkleidung, je nachdem, ob es sich um junge und unverheiratete oder ältere Frauen handelte.

Fricks Kritik hinsichtlich der ‚Realismusgläubigkeit‘ der Forschung bei der Auswertung bildlicher Quellen muss man vorbehaltlos zustimmen, und man kann auch mit der Durchführung ihrer Analyse einverstanden sein. Warum die Autorin diesen Punkt aber nicht schon in den vorauf gegangenen Kapiteln beherzigt hat, in denen sie systematisch Kunstwerke als bloße Illustration für das tatsächliche Aussehen dieses oder jenes Kleidungsstücks anführt, bleibt dem Rezensenten unverständlich: Diese Sorglosigkeit lässt ihre berechtigte Kritik aus dem letzten Kapitel doch gänzlich unglaubwürdig werden. Man fragt sich angesichts eines so eklatanten Widerspruches und der übrigen Mängel, ob die Autorin ihre Energie bei der Überarbeitung der Dissertation nicht besser auf die Stringenz ihrer Argumentation verwandt hätte als auf das fraglos ansprechende Layout des Buches. So drängt sich als Gesamturteil auf: Hoch gezielt, aber nicht getroffen.

Anmerkungen:
1 V.a. Gérard-Marchant, Laurence, Compter et nommer l’étoffe à Florence au Trecento (1343), Médiévales 29 (1995), S. 87-104.
2 Signori, Gabriela (Hg.), Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern. Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte mittelalterlicher Frauenklöster, Bielefeld 2000.
3 Muzzarelli, Maria Giuseppina, Gli inganni delle apparenze. Disciplina di vesti ed ornamenti alla fine del medioevo, Turin 1996; Dies., Guardaroba medievale. Vesti e società dal XIII al XVI secolo, Bologna 1999.

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