I. Crusius, H. Flachenecker (Hgg.): Studien zum Prämonstratenserorden

Cover
Titel
Studien zum Prämonstratenserorden.


Herausgeber
Crusius, Irene; Flachenecker, Helmut
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 185 / Studien zur Germania sacra 25
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
712 S., Ill., Kt.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Der anzuzeigende Band enthält 20 Beiträge zur Geschichte des Prämonstratenserordens. Er steht im Zusammenhang mit dem Germania-Sacra-Projekt zur Erforschung der Kirche im Alten Reich beim Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. Hintergrund ist das mittlerweile verstärkte Bemühen der Germania Sacra um die einzelnen Stifte und Klöster der Prämonstratenser, die im Reich zwar den größten kanonikalen Religiosenverband stellten, von der wissenschaftlichen Forschung aber bislang nicht in einem ihrer Bedeutung entsprechenden Maße berücksichtigt wurden. Obwohl der Titel des Bandes eine breit angelegte Themenvielfalt verspricht, sind die meisten Artikel der mittelalterlichen Geschichte zuzuschlagen.

Als Präludium stellt Irene Crusius das Forschungsfeld Prämonstratenser aus dem Blickwinkel der Germania Sacra vor. Der Beitrag ist konzis und informativ geschrieben. Er stellt die Eigenart der Prämonstratenser heraus, ein Orden mit gemeinsamer Verfassung zu sein und gleichzeitig in den einzelnen Stiften sehr unterschiedliche Verwirklichungen des Prämonstratenser-Ideals ausgebildet zu haben. Die übrigen Beiträge des Bandes gliedern sich in drei Teile.

Der erste Teil behandelt Anfänge und Selbstverständnis der Prämonstratenser. Unter weitgehender Aussparung der Person des Ordensstifters Norbert von Xanten, dem kein eigener Aufsatz gewidmet ist, werden in den Beiträgen von Kaspar Elm, Wolfgang Bockhorst und Walter Bomm die Anfänge der Prämonstratenser beleuchtet. Elm stellt Wirken und Person des Hugo von Fosses als Nachfolger Norberts und eigentlicher Organisator des Ordens dar. Der Beitrag zeichnet sich durch eine intensive Berücksichtigung der einschlägigen Literatur aus. Bockhorst behandelt die erste deutsche Gründung der Prämonstratenser in Cappenberg. Ein eigener Abschnitt ist Gottfried von Cappenberg gewidmet. Die Cappenberger Gründung ist in gewisser Hinsicht typisch für die frühe Zeit der Prämonstratenser: Niederlassungen entstanden aus umgewandeltem adeligen Besitz. Der sehr ausführliche Beitrag Bomms wendet sich ebenfalls den frühen Gründungen des Ordens zu, setzt aber seinen Schwerpunkt bei prämonstratensischen Kathedralkapiteln. Er zeichnet anhand der epistola apologetica des Anselm von Havelberg das Selbstverständnis der kanonikalen Lebensform im 12. Jahrhundert in Abgrenzung zum Mönchtum nach und stellt ihren Platz in der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung der Zeit dar. Bruno Krings widmet seine Ausführungen den Prämonstratenserinnen und bietet einen guten Einstieg in dieses Thema. Er behandelt vor allem die Frühzeit. Norberts Gründung stand Männern und Frauen gleichermaßen offen. Viele, wenn nicht die allermeisten Klöster der Prämonstratenser waren ursprünglich Doppelklöster. In der Folgezeit verselbständigten sich die weiblichen Konvente mehr oder weniger. Bemerkenswert ist, dass sich im Gegensatz zu anderen Orden eine weibliche Linie bei den Prämonstratensern nicht leicht etablieren konnte. Oftmals gab es Widerstände gegen die Schwestern.

Peter Landau und Gert Melville wenden sich dem Begriff des ordo zu. Landau betrachtet – leider ohne konkreten Prämonstratenser-Bezug – die Seite der mittelalterlichen Kanonistik und stellt heraus, dass der Begriff ordo für einen klösterlichen Lebensverband erst im Dekretalenrecht Papst Alexanders III. aufkommt. Auf die Besonderheiten der Prämonstratenser geht Melville in seinem umfangreichen Beitrag zur Semantik von ordo im Religiosentum der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein. Zunächst erläutert er das Aufkommen des Ordens als eines besonderen Religiosenverbandes mit Eigenrecht, Generalkapitel und Eigenvisitation durch die Zisterzienser. Ordo war damit nicht bloß eine Lebensform, sondern eine institutionelle Größe. Melville untersucht mehrere Rechtsquellen mit dem Ergebnis, dass erstmals in einer Urkunde Papst Lucius’ II. vom 19. Mai 1144 an Abt Hugo I. von Prémontré der Begriff ordo eindeutig im Sinne von Orden als einer Organisations- und nicht nur einer Lebensform für die Prämonstratenser verwendet wird. Vor dem Hintergrund der Ausführungen Landaus freilich, der den körperschaftlichen ordo-Begriff im kanonistischen Sprachgebrauch erst bei Papst Alexander III. verortet, gibt es hier wohl noch Diskussionsbedarf, wenngleich Melvilles Ausführungen gut fundiert sind. Die in den ordo-Beiträgen aufgeworfene Frage nach der Ordensidentität greift Jörg Oberste auf, der den Konflikt zwischen uniformitas und diversitas als Grundproblem des ersten prämonstratensischen Jahrhunderts darstellt. Den ersten Teil des Bandes beschließen Ausführungen von Joachim F. Angerer, der sich mit Musik und Liturgie der frühen Prämonstratenser beschäftigt. Dieses Thema ist insoweit bedeutsam, als sich in der prämonstratensischen Liturgie bis auf den heutigen Tag ein besonderes Eigengut der römischen Liturgie bewahrt hat; teilweise wird sogar von einem eigenen prämonstratensischen Ritus gesprochen.

Der zweite Abschnitt des Bandes ist mit „Ausbreitung und Entwicklung“ überschrieben. Hier finden sich Untersuchungen zu einzelnen Stiften und Ländern. Ivan Hlavácek stellt die Entwicklung in Böhmen vor. Dabei geht er kursorisch auf die bömisch-mährischen Prämonstratenserstiftungen ein, von denen Strahov und Tepl die bedeutendsten sind. Marek Derwesch behandelt die Klöster der polnischen Zirkarie im Mittelalter. Der Beitrag enthält eine ausführliche, fast 18-seitige Bibliografie zum Prämonstratenserorden in Polen im Allgemeinen und zu den einzelnen Klöstern im Speziellen. Die Niederlassungen der Prämonstratenser im nördlichen Rheinland sind Thema des Beitrages von Ludger Horstkötter. Er betrachtet den Ablauf des klösterlichen Lebens in der Zeit zwischen 1450 und 1500 vor allem in der Abtei Hamborn sowie in den Prämonstratenserinnen-Klöstern. Johannes M. Tuzar und Martin Krenn mustern die niederösterreichischen Stifte Altenburg und Pernegg aus Sicht der mittelalterlichen Bauarchäologie. Alois Schmid beschreibt die Seelsorge in den Stiften Windberg und Speinshart. Dabei geht er mit Schwerpunkt in Windberg auch auf die Bedeutung der Bibliothek ein. Ingrid Joester beschäftigt sich mit dem Alltagsleben der Abtei Steinfeld im 18. Jahrhundert, ausgehend von einem Rechnungsbuch über die Jahre 1702-1799. So erfährt man etwas über den Bestand an Obstbäumen, aber auch über die wirtschaftliche Bedeutung der Hermann-Josef-Verehrung. Ein ausklappbarer zeitgenössischer Stich illustriert den Beitrag anschaulich. Robert Münster untersucht ebenfalls das 18. Jahrhundert, speziell die Musikpflege in den süddeutschen Stiften. Der Beitrag schließt mit einer nach Stiften geordneten Liste von 28 Komponisten aus dem Orden.

Allgemeiner gehalten sind die Beiträge von Franz J. Felten über das Verhältnis von Kurie und Ordensreform bei den Prämonstratensern und von Ingrid Ehlers-Kisseler über das Pitanz- und Pfründenwesen in den prämonstratensischen Stiften. Felten untersucht nach einer ausführlichen Darstellung der derzeit nicht befriedigenden Forschungslage, wie die römische Kurie Reformbestrebungen im Orden unterstützt hat. Er zeigt auf, dass nicht selten der Anstoß für ein Tätigwerden der Kurie aus dem Orden selbst kam. Feltens Aufsatz reicht bis zum Erlass der Statuten des Ordens von 1505, die nach einer Umarbeitung in den Jahren 1627-1630 bis ins 20. Jahrhundert in Kraft blieben. Der Beitrag von Ehlers-Kisseler bietet eine quellenreiche Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den mittelalterlichen Prämonstratenserklöstern im Rheinland und in Westfalen. Sie zeigt auf, wie nach anfänglicher Gütergemeinschaft die einzelnen Klosterinsassen zu wirtschaftlich selbständigen Subjekten wurden, mit eigenem Vermögen und eigenen Einnahmen.

Der dritte Abschnitt des Bandes, zugleich der kürzeste, betrachtet die „Prämonstratenser nach der Säkularisation“. Karel Dolista behandelt die Entwicklung in Tschechien in der Zeit vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Andreas E. Kovács schließlich stellt die Geschichte des Ordens in Ungarn von 1919 bis zum Jahr 2000 dar.

Die drei Teile des Bandes zeigen ein unterschiedliches Bild. Während der erste Teil fast schon eine systematische Darstellung der frühren Prämonstratensergeschichte bietet, deckt der zweite Teil die Epoche bis zur Säkularisation in beispielhaften Einzeluntersuchungen ab, die vom Gesamtbild der Ordensgeschichte her als repräsentative Schlaglichter bezeichnet werden können. Alle wichtigen Aspekte wie Seelsorge, Alltagsleben im Kloster und Stellung des Ordens in Kirche und Gesellschaft finden Beachtung. Der letzte Teil ist dagegen hoch fragmentarisch. Er rundet die Darstellung zwar in die Gegenwart hinein ab, hinterlässt aber den unguten Eindruck von Zufälligkeit, denn Tschechien und Ungarn sind für die Geschichte des gesamten Ordens nach der Säkularisation nicht repräsentativ. Dolistas Beitrag kann aber als Weiterführung der Abhandlung von Hlavácek gelesen werden, so dass sich für den böhmischen Bereich ein vom Mittelalter bis zur Gegenwart durchgängiges Bild ergibt.

Die Autoren des Bandes sind durchweg anerkannte Fachleute. Ein Mitarbeiterverzeichnis fehlt jedoch. Der Band bietet, von der frühen Zeit vielleicht abgesehen, keine geschlossene und systematische Darstellung der prämonstratensischen Ordensgeschichte. Vor allem für die Neuzeit sind hier die Lücken zu groß. Gleichwohl ist der Band ein wichtiger Markstein und Ausgangspunkt in der sich mehr und mehr entfaltenden deutschen Prämonstratenserforschung. Er kann allen Interessierten ohne Einschränkung empfohlen werden. Eine noch ausstehende Gesamtgeschichte des Ordens ersetzt er nicht, bietet hierfür aber viel Material, das durch ein mehr als 40 Seiten umfassendes Register vorbildlich erschlossen ist. Die Beiträge verarbeiten zudem durchgängig viel Literatur, auch ausländische, so dass dem Band ein hoher bibliografischer Wert zukommt und er schon deshalb in keiner (ordens-)historischen Bibliothek fehlen sollte.

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