Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter

Titel
Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil II: Biographien


Autor(en)
Jahns, Sigrid
Reihe
Quellen u. Forsch. z. höchst. Gerichtsbark. i. Alten Reich 26,2
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
2 Bde., 1470 S.
Preis
119,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Jörn, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Als das Alte Reich 1806 zerbrach, hatte es mehr als 300 Jahre bestanden. 1495 hatte es sich, quasi als Gründungsgeschenk, ein höchstes, ständisch verfasstes Gericht gegeben, das mit ihm unterging – das Reichskammergericht. Dieses höchste Reichsgericht, das neben dem Reichshofrat und teilweise in Konkurrenz zu ihm agierte, blieb von der Forschung über viele Jahrzehnte unterbelichtet. Obwohl die Studie Rudolf Smends aus dem Jahre 1911 1 seit langem in Teilen als überholt galt, dauerte es bis zum Beginn der 1970er Jahre, bis das Reichskammergericht von der rechtshistorischen und historischen Forschung wiederentdeckt wurde. Wichtige Grundlagen für den seither einsetzenden Erkenntnisschub wurden durch die nach einheitlichen Grundsätzen vorgenommene Verzeichnung der in zahlreichen Staats-, Landes- und Stadtarchiven verstreut lagernden Prozessakten des Reichskammergerichts gelegt. Seitdem die Inventare zu diesen Beständen sukzessive erscheinen, konnten – auch durch die engagierte Arbeit der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung in Wetzlar gefördert – zahlreiche interessante Ergebnisse zu allen Bereichen der Geschichte dieses Gerichts veröffentlicht werden. Fragen nach der verfassungsmäßigen Stellung des Gerichts im Alten Reich und in Europa, seiner Finanzierung, der statistischen Auswertung der Gerichtstätigkeit, der Nutzung des Gerichts durch einzelne Territorien und Regionen, der Visitation oder zu einzelnen Prozessarten sind nur ein Teil des umfangreichen Forschungskatalogs, der im vergangenen Vierteljahrhundert bearbeitet wurde2.

Einzelstudien, u.a. zu den Präsentati eines Reichsstandes auf ein Assessorat, den Prokuratoren oder den Boten, beschäftigten sich auch immer wieder mit dem Personal des Reichskammergerichts. Sie wurden inspiriert und wesentlich beeinflusst durch die im Wintersemester 1990/1991 in Gießen als Habilitationsschrift angenommene umfangreiche Arbeit von Sigrid Jahns zu den Richtern am Reichskammergericht. Verschiedene Faktoren haben die Veröffentlichung dieses Werkes lange verzögert. Die Neugier der Forschung war jedoch durch zahlreiche Einzelstudien und Vorträge geweckt worden, in denen die Autorin faszinierende Einblicke in das von ihr ausgewertete Material gewährt hatte. Mehr als ein Jahrzehnt nach Annahme ihrer Habilitationsschrift hat Sigrid Jahns nun zunächst die 128 Biografien der Assessoren und Präsentati auf ein Assessorat zwischen 1740 und 1806 in zwei umfangreichen Bänden vorgelegt. Auf diesen 5 ½ Jahrzehnten lag der Schwerpunkt ihrer Untersuchung, für den ersten, noch ausstehenden Teil ihres Werkes verspricht sie jedoch eine über diesen Zeitraum hinausgehende und den eigentlichen Bezug zum Titel des Buches herstellende Analyse des Spruchkörpers dieses Gerichts. In diesem Zusammenhang darf man auf Thesen zur ständisch geprägten Personalpolitik am Reichskammergericht, auf Analysen zu einzelnen Präsentationsberechtigungen und zu den Auseinandersetzungen zwischen den Ständen innerhalb der Reichskreise sowie auf auswertende Kapitel zu den Themen Ausbildung, Vor- und Nachkarriere, sozialer Stand und territoriale Herkunft sowie zu zahlreichen weiteren Fragen gespannt sein.

Den vorliegenden Teil II ihres Werkes eröffnet Jahns mit knappen Vorbemerkungen zu den Biografien. Sie stellt zunächst den erfassten Personenkreis vor und erläutert dann das Schema der Biografien. Behandelt werden alle Personen, die zwischen dem 1. Januar 1740 und dem 6. August 1806 am Reichskammergericht als Assessor amtierten (S: 92) oder auf ein Assessorat präsentiert wurden und den offiziellen Status eines Präsentatus erreichten (S. 36). Mit der Wahl dieser Stichdaten gerät jedoch die Berufungspolitik der Präsentationsberechtigten auch über den genannten Kernzeitraum hinaus in den Blick. So schwor Georg Melchior von Ludolf bereits im Jahre 1711 auf, diente aber bis zu seinem Tode am 1. Februar 1740 in Wetzlar.

Jahns ordnet die 128 Assessoren und Präsentati entlang der 28 Präsentationsberechtigungen des 18. Jahrhunderts. Sie beginnt mit den ranghöchsten, den von Kurmainz präsentierten Juristen, und schließt mit dem 1782 berufenen einzigen Assessor der zwischen Ober- und Niedersächsischem Kreis alternierenden evangelischen Kreispräsentation. Die Informationen zu den höchsten Juristen bereitet die Autorin nach einem einheitlichen Schema auf. Im Kopf der Biografie werden zunächst der Nachname mit eventuellen Schreibvarianten sowie die Vornamen genannt. Es folgen soweit vorhanden Adelstitel, juristische Graduierungen und Güterbesitz sowie die Position des Betreffenden am Reichskammergericht (Assessor bzw. Präsentatus) mit entsprechender Angabe der Amtszeit. In den folgenden neun Abschnitten werden Lebensdaten, Angaben zur Familie, Ausbildung/akademischer Grad, Karriere vor und eventuell nach der Präsentation, Präsentation zum Assessor, weitere Präsentation, Bewerbungen auf andere hohe Posten, Würdigung und Schriften vorgestellt.

Innerhalb dieses Rasters gibt es vielfältige Unterteilungen: In den „Lebensdaten“ werden Geburts- oder Sterbeort, die historischen Territorien und die Konfession genannt. Die Angaben zur Familie gliedern sich – ohne Wiederholungen in jedem Fall ausschließen zu können – in fünf Gruppen: eigene Familie (Eltern und Großeltern, deren Güterbesitz und akademische Grade, Karrieren und Standeserhöhungen), Standeserhöhungen (des Präsentierten bzw. von dessen Ahnen), Ehefrau(en) (persönliche Angaben über die Frauen, deren Eltern, Heiratsdatum und –ort sowie über weitere Verwandte der Ehefrau, falls diese für das Sozialprofil wichtig sind), Kinder (persönliche Angaben über die Kinder in der Reihenfolge ihres Alters, Karriere, Heiraten, Standeserhöhungen) und Sozialprofil (Zusammenfassung und Interpretation der in den anderen Familien-Rubriken gesammelten Informationen unter den Fragestellungen Charakter und Faktoren des sozialen Aufstiegs, geografische Herkunft und Mobilität, Akademisierungsprozess in der Familie, Adelslegenden, Karriere- und Heiratsverhalten sowie Klientelverhältnisse). Die Rubrik „Ausbildung/akademischer Grad“ stellt die Informationen zu Studium, Graduierung und juristischen Praktika an den obersten Reichsgerichten bereit.

Der Abschnitt „Karriere vor und nach der Präsentation an das Reichskammergericht“ nennt in chronologischer Reihenfolge die Karrierestationen der Juristen bis zum Zeitpunkt der Präsentation. Für diejenigen Männer, die nicht auf das Assessorat gelangten bzw. es aus unterschiedlichen Gründen wieder verließen, wird außerdem die Nachkarriere vorgestellt. Im Punkt „Präsentation zum RKG-Assessor“ werden die eigentliche Präsentationsgeschichte und die Karriere am Reichskammergericht dargestellt. Zunächst wird der unmittelbare Vorgänger des Präsentierten auf dem Assessorat mit Amtszeiten genannt. Es folgen – soweit vorhanden – gescheiterte Präsentationen zur Neubesetzung des Amtes, die Angabe des Präsentationsberechtigten, das Datum des Präsentationsschreibens, die Daten der Zulassung und Ablegung von General- und Spezialexamen sowie zur Proberelation und deren Zensur. Daran schließen sich die Daten der Resignation oder Rejektion bzw. der Rezeption, Vokation und Aufschwörung an. Angaben über Amtsdauer, Grund der Beendigung des Dienstes und Nachfolger im Amt vervollständigen diesen Bereich, der durch einen Kommentar abgerundet wird.

Diese fünf regulären Rubriken werden fallweise durch vier weitere Bereiche ergänzt: Wechselte ein Assessor auf ein ranghöheres Assessorat oder erhielt er nach erfolgloser Präsentation eine erneute Chance wird dies im Punkt „Weitere Präsentation zum RKG-Assessor“ vermerkt. Unter dem Stichwort „Bewerbungen auf andere hohe Posten“ werden erfolglose Bewerbungen auf andere hohe Ämter genannt, um die Karrierehoffnungen der Assessoren zu kennzeichnen. Die Rubrik „Würdigung“ wird nur bei Assessoren ausgefüllt, die sich als Kameralschriftsteller, bei der Revision der Kammergerichtsordnung oder in der Praktikantenausbildung besonders ausgezeichnet haben. Teilweise zusammengelegt wurde dieses Stichwort mit dem Punkt „Schriften“, in denen die Titel der von einem Assessor oder einem Präsentierten verfassten Werke verzeichnet wurden. Soweit vorhanden wird auf Werkverzeichnisse in Nachschlagewerken hingewiesen.

Allein das skizzierte Programm lässt erahnen, welcher Schatz von Informationen auf diesen 1.466 Seiten versammelt ist. Ihren besonderen Wert erhalten diese durch die sehr kritische Auseinandersetzung der Autorin mit Quellen und Literatur. Bis zum Jahre 2002 hat sie die relevante Literatur nachgetragen und kritisch ausgewertet. Um die Informationsfülle zu erschließen, hat die Verfasserin keine Mühe gescheut. Neben der sachlichen Gliederung der Biografien in die einzelnen Präsentationsberechtigungen hat sie ein ausführliches Sachregister erarbeitet, das auf die Nummer der Biografie verweist. Stichworte wie „Kritik wegen zu hohen Alters eines Präs.“, „Resignation des Assessorats vor Ablauf des Sexenniums“, „Anhebung der Vorkarriere durch Präsentationshof, um möglichen Einwänden des Kameralkollegiums vorzubeugen“, „Diskussion über zum Assessorat qualifizierende Vorkarriere“ oder „Tod als Präs. während der Wartezeit bis zur Zensur der Proberelation“ sind nur einige der Kategorien, die das opus magnum sehr gut erschließen und die Vorfreude auf den auswertenden Teil der Arbeit erhöhen.

Gute Dienste bei der Erschließung der vielfältigen Informationen leistet auch die beiliegende CD-Rom, auf der alle Biografien noch einmal im PDF-Format der Druckfassung abgelegt sind. Die CD gestattet auch den Verzicht auf einen klassischen Index, der Orte oder Personen verzeichnet. Schnell und sicher lassen sich die entsprechenden Buchseiten im elektronischen Dokument finden. Außerdem gibt es eine Datei, die eine Wortliste enthält und bei Markierung eines Wortes zu den entsprechenden Seiten springt. Für diese Datei hätte man sich allerdings eine sorgfältigere redaktionelle Überarbeitung gewünscht: Buchstabenfolgen wie „abgest“, „abhand“, „abl“, „la“ wird niemand suchen. Offenbar wurde die Wortliste maschinell erstellt und hat hierbei auch abgetrennte Silben aufgenommen.

Derartige Petitessen können das Werk, das in einer Tiefe und Gründlichkeit Einblick in eine wichtige Gruppe höchster Entscheidungsträger im Alten Reich gewährt, wie man sie vielleicht nie wieder erhalten wird, natürlich nicht schmälern. Die Fachwelt ist nun auf den Auswertungsband sehr gespannt. Es bleibt nur zu hoffen, dass er bald erscheint, um der Forschung zum Personal des Reichskammergerichts und anderen Gerichten einen weiteren kräftigen Schub zu verleihen.

1 Smend, Rudolf, Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung, (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit IV, 3), Weimar 1911.
2 Publiziert wurden die meisten der einschlägigen Forschungsergebnisse in den „Quellen und Darstellungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich“ im Böhlau-Verlag.

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