I.-S. Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht

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Titel
Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961


Autor(en)
Kowalczuk, Ilko-Sascha
Reihe
Forschungen zur DDR-Gesellschaft
Erschienen
Anzahl Seiten
608 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Herder Institut, Philipps-Universität Marburg

In Ilko-Sascha Kowalczuks Studie zur Hochschulpolitik in der frühen DDR wird die staatssozialistische Diktatur auf deutschem Boden als großes social engineering dargestellt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Versuch des SED-Regimes, die Universitäten zu unterwerfen und in ihnen eine neue, unbedingt systemloyale Elite heranzuziehen. Mit seiner Dissertation liefert Kowalczuk einen gewichtigen Beitrag zur Frage der Stellung von Hochschulen und akademischen Eliten in der kommunistischen Diktatur – ein dynamisches Forschungsfeld, das hier nur umrissen werden kann: Während John Connelly in vergleichender Perspektive die Sowjetisierung der ostmitteleuropäischen Universitäten untersuchte und Ralph Jessen die Entwicklung der Hochschullehrerschaft in der DDR analysierte, wählte Kowalczuk ähnlich wie Igal Halfin in seiner Studie über die frühe Sowjetunion einen Zugriff über den Begriff der „Intelligenz“.1 Die Durchherrschung der traditionell autonomen wissenschaftlichen Sphäre und die Erziehung einer neuen gesellschaftlichen Elite – einer „sozialistischen Intelligenz“ - wird hier als ein zentrales Projekt der kommunistischen Partei-Herrschaft begriffen und im Hinblick auf die Transformation der Institutionen, die Politik des Partei-Staates gegenüber Studierenden und Lehrenden untersucht. Im Fokus steht auch das Widerstandspotential der „Intelligenz“ und ihre Rolle in den Krisen von 1953, 1956 und 1961. Dabei bedient sich der Verfasser sowohl der quantifizierenden Methoden der historischen Sozialwissenschaft als auch zahlreicher Fallstudien aus verschiedensten Hochschulen und Fakultäten, die diese Untersuchung anschaulich machen.

Eingangs erläutert Ilko-Sascha Kowalczuk den Zustand der Universitäten auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die sowjetischen Besatzungsbehörden und ihre deutschen Satrapen standen vor dem Dilemma, gleichzeitig wiedereröffnen, umgestalten und entnazifizieren zu wollen. Wo eine vollständige Entnazifizierung nicht möglich war, wurden vereinzelt auch Institute und Fakultäten geschlossen. Parallel entstand seit Ende der vierziger Jahre ein neues sozialistisches Bildungssystem mit eigenen Parteihochschulen und „Arbeiter- und Bauern-Fakultäten“. Die SED setze sukzessive Russischunterricht, ein obligatorisches „gesellschaftswissenschaftliches Studium“ und militarisierten Sportunterricht für Studierende durch – Sowjetisierung in Reinkultur. Als gravierendsten Eingriff in die Struktur der traditionellen Universität bewertet Kowalczuk die Etablierung von SED-Hochschulgruppen in den Fakultäten, über die nun die Staatspartei beträchtlichen Einfluss auf alle Interna nehmen konnte. Trotz des permanenten Ideologisierungsdrucks seitens des Partei-Staates bewiesen die akademischen Institutionen ein erstaunliches Beharrungsvermögen und einzelne Akteure einen ausgeprägten Eigen-Sinn; hier verdeutlicht die Studie, wie sehr die SED auf die zeitweilige Kooperation bürgerlicher Eliten angewiesen war und wie wenig es ihr gelang, in kurzer Frist eine breite Basis loyaler Anhänger unter den Studierenden zu gewinnen.

Trotz der knappen Ressourcen stellte die SED seit den fünfziger Jahren beträchtliche Mittel für den Ausbau der Hochschullandschaft zur Verfügung. Dies zeigte sich einerseits in der Schaffung neuer Institute, andererseits aber auch in Sozialleistungen für die akademische Elite. Auch im sozialistischen Staat blieben wissenschaftliche Spezialisten zunächst stark privilegiert; ihre hohen Gehälter sollten vor 1961 die Abwanderung von Spitzenkräften in die Bundesrepublik stoppen. Trotz materieller Absicherung zogen zahlreiche Wissenschaftler die Flucht aus einem Klima des Dogmatismus und der Denunziation der Anpassung vor: Sie verließen eine Misstrauensgesellschaft, die vor den Toren der Universität nicht Halt machte. Deutlich intervenierte die SED auch bei der sozialen Zusammensetzung der Studierenden. Die neue Intelligenz sollte sich aus jungen Arbeiter- bzw. Bauernkindern rekrutieren, bei denen das Regime aufgrund ihrer sozialen Herkunft auf höhere politische Loyalität hoffte. Die bewusste Steuerung der Zulassung zum Studium führte zunächst auch zu einem starken Anstieg des Anteils von Arbeiterkindern an den Hochschulen. Ab Ende der fünfziger Jahre sank jedoch der Anteil der Studierenden aus unteren Gesellschaftsschichten erneut und die lange Phase der Selbstrekrutierung der DDR-Eliten setzte langsam ein. Unabhängig von sozialer Herkunft der Studierenden manifestierte sich im Alltag an den Instituten und Fakultäten der SBZ/DDR der Widerwille und teilweise auch Widerstand gegen die Zumutungen der SED-(Hochschul)politik. Viele Studenten erkannten den autoritären Charakter und das totalitäre Potential der kommunistischen Diktatur und protestierten gegen die emanzipationsfeindliche, restriktive Herrschaftspraxis. Letztlich blieb die Hochschulpolitik wie das staatssozialistische System insgesamt patriarchalisch geprägt; dies schlug sich u.a. auch darin nieder, dass das Studium von Frauen kaum gefördert wurde.

Abschließend diskutiert Ilko-Sascha Kowalczuk das Verhalten der „Intelligenz“ während des Juniaufstandes 1953, in der Entstalinisierungskrise 1956 und beim Bau der Berliner Mauer 1961. Hier vertritt er die These, dass sich große Teile der Eliten 1953 und 1961 passiv verhielten. Die Monate nach dem 20. Parteitag der KPdSU hingegen stellten nach Kowalczuk eine Phase der internen Diskussion innerhalb der sozialistischen Elite und auch innerhalb der SED um eine Reform des stalinistischen Systems dar. Die Kosten gesellschaftlicher Krisen und politischer Resistenz in der Diktatur werden ebenfalls klar herausgearbeitet: Auf jede Krise reagierte der Partei-Staat mit einer weiteren Säuberungswelle.

Auf breiter Quellenbasis verdeutlicht die Studie Intentionen, Praxis und Grenzen des kommunistischen social engineering am Beispiel der Hochschulpolitik. Innerhalb des Untersuchungszeitraums stieß die SED auf deutliche Schwierigkeiten bei ihrem Versuch der ad hoc-Elitenbildung. Dennoch gelang es der Staatspartei in den vierzig Jahren ihrer Herrschaft, die Universitäten weitgehend zu unterwerfen, was nicht zuletzt dazu führte, dass Hochschulen und Studenten im Umbruch von 1989/90 kaum eine Rolle spielten. Nach den Kämpfen der frühen Jahre herrschte Ruhe an der „Hochschulfront“.

Anmerkung:
1 Vgl. Connelly, John, Capitve University. The Sovietization of East German, Czech, and Polish Higher Education, Chapel Hill 2000; Jessen, Ralph, Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die Hochschullehrerschaft in der Ära Ulbricht, Göttingen 1999; Halfin, Igal, From Darkness to Light. Class, Consciousness and Salvation in Revolutionary Russia, Pittsburgh 2000.

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