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Titel
Ars belli. Deutsche taktische und kriegstechnische Bilderhandschriften und Traktate im 15. und 16. Jahrhundert


Autor(en)
Leng, Rainer
Reihe
Imagines medii aevi 12
Erschienen
Wiesbaden 2002: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
2 Bde., 1042 S.
Preis
€ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Lübbers, Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaft, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Gerade das mittelalterliche Kriegswesen hat in letzter Zeit verstärkt Beachtung gefunden.1 So war beispielsweise zwischen 1994 und 2000 in Würzburg eine Forschergruppe damit befasst, „Das Bild des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit“ zu erforschen.2 Daneben sind auch von einem anderen Projekt an der Universität Regensburg, das - ebenfalls durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert - „Formen und Funktionen des Krieges im Mittelalter“ zum Inhalt hat, weitere Impulse in diese Richtung zu erwarten.3 Die hier im Druck vorliegende Würzburger Habilitationsschrift von 2000, hervorgegangen aus der genannten Würzburger Forschergruppe, behandelt Quellen, die bislang kaum Berücksichtigung gefunden haben: kriegstechnische und kriegstaktische Traktate und Bilderhandschriften, die im Zuge der sich verändernden Kriegsführung seit dem 14. Jahrhundert als eine neue Quellengattung entstanden. Die systematische Erfassung und umfassende Beschreibung dieser genuin spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen – seit langem ein Desiderat der Forschung – ist Inhalt dieser stark interdisziplinär ausgerichteten Studie. In die Untersuchung miteinbezogen wurden „alle Codices des 15. und des 16. Jahrhunderts, die sich in Wort oder Bild monographisch oder zumindest in größeren selbstständigen Zusammenhängen in übergreifender Art und Weise, ohne Bindung an Einzelkonflikte, mit der Technik, Organisation und Taktik des Krieges beschäftigen“ (S. 10). Ausgenommen hiervon sind die (zahlenmäßig geringen) in nichtdeutschen Bibliotheken aufbewahrten Handschriften sowie Handschriften in Privatbesitz (S. 18). Ferner ließ Leng die umfangreichen Überlieferungsträger des Bellifortis, des ‚Feuerwerkbuchs von 1420’ sowie des ‚Kriegsbuchs’ des Philipp von Seldeneck in der eigentlichen Untersuchung aus arbeitsökonomischen Gründen unberücksichtigt. Für die beiden erstgenannten, gerade für das 15. Jahrhundert überaus wichtige Werke, wurden allerdings Bestandslisten angefertigt, was der Benutzer des Handschriftenkatalogs dankbar zur Kenntnis nimmt.

Lengs Studie ist in zwei große Teile untergliedert. Band 1 widmet sich der Aufarbeitung der Textgattung; abgerundet wird dieser Band durch ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Register, das auch die behandelten Handschriften mit erfasst, sowie durch die Beigabe von 34 hochwertigen Farbtafeln mit bislang überwiegend unpublizierten Abbildungen. Band 2 enthält den Katalog der Untersuchung, auch hier beschließt ein ausführlicher Index neben einem Incipit-Verzeichnis das Buch.

Im ersten Band der Studie folgt nach methodischen Überlegungen und Erläuterungen ein Forschungsüberblick zu dieser Quellengruppe, der im Prinzip allerdings nur den Mangel verwalten und damit das fast vollständige Fehlen von Forschung hierzu feststellen kann. Hieran schließt sich ein ausführliches Kapitel über antike und mittelalterliche Kriegslehren an (S. 51-83), in welchem vor allem die Frage nach den Vorbildern dieser Quellen im Vordergrund steht. Doch muss Leng an dieser Stelle feststellen, dass von „der außerordentlich lebendigen Beschäftigung mit der Kriegswissenschaft in der Antike [...] so gut wie keine schriftlichen Hinterlassenschaften ins Mittelalter“ gelangten (S. 60). Ähnlich fällt auch das Urteil über die mittelalterliche gelehrte Literatur aus: „Bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts gab es durch das ganze Mittelalter hindurch nicht ein einziges Werk, das sich selbstständig mit der Technik und Taktik im Krieg befasste.“ (S. 83) Um daher verstehen zu können, wie es zur Entstehung dieser Quellengattung kommen konnte, analysiert Rainer Leng die Voraussetzungen, unter denen sich kriegstechnische und –taktische Schriften entwickelten. Vor allem in großen technischen und sozialgeschichtlichen Veränderungen des Spätmittelalters ist – so das Ergebnis des Verfassers – der Grund hierfür zu suchen.

Mit dem fünften Kapitel der Studie beginnt die eigentliche Untersuchung der Überlieferungsträger, in deren Vordergrund Konrad Kyesers Bellifortis zu stehen hat. Dieser knüpfte an die spärliche Tradition der antiken Beschäftigung mit Kriegswissenschaft an, welche sich bis in das Mittelalter fortsetzen konnte. Parallel hierzu entstanden die ersten Büchsenmeisterbücher, die jedoch auf einer völlig anderen Tradition fußten, nämlich auf schlichten Notizen, Pulverrezepten usw. Die Büchsenmeisterbücher pflegten also keineswegs eine literarische Tradition, sondern hatten konkrete, praktische Aufgaben zu erfüllen. Prominentester Vertreter dieser Gattung des 15. Jahrhunderts ist das ‚Feuerwerkbuch von 1420’. Vor allem die Entwicklungen im Heerwesen zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung kriegstechnischer und –taktischer Schriften. Nun traten neben Abhandlungen über die Organisation von Söldnerheeren, Festungsbau etc. vor allem auch Spezialabhandlungen, beispielsweise über Kampfwagen durch Berthold Holzschuher oder über mathematische Methoden zur Berechnung von Schlachtreihen durch Zacharias Lochner hervor. Erstaunlich mutet die konservative Haltung innerhalb dieser Gattung an, die selbst im 16. Jahrhundert noch hauptsächlich auf Handschriften vertraute und nur zögerlich dem Druck den Vorzug gab.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Entstehung dieser Quellengattung durch die technischen Neuerungen des 15. Jahrhunderts hervorgerufen und dann weiterentwickelt wurden. Daneben traten taktische Schriften, ebenfalls als Reaktion auf Neuerungen im Kriegswesen, nämlich die Ablösung der adeligen Ritterheere durch Söldnerheere.

Der zweite Band des Werkes beinhaltet einen Katalog der Handschriften mit einer ausführlichen, den Erfordernissen heutiger Forschung entsprechenden Beschreibungen. Dieser Katalog stellt erstmals und umfassend sämtliche Handschriften dieser Gattung dar, ein Novum, erfolgt die Bearbeitung von Handschriftenkatalogen gewöhnlich innerhalb von Bibliotheken oder gar nur zu einzelnen Beständen. Etwa 300 Codices sind hier erfasst worden, angeordnet nach den verwahrenden Bibliotheken. Zum Teil handelt es sich hier um bislang unbekannte Handschriften, die erstmals erschlossen worden sind. Dieser mit großem Gewinn zu benutzende Katalog stellt ein für die Geschichte der Kriegstechnik unersetzliches und zuverlässiges Nachschlagewerk zur Verfügung, das die Forschung auf diesem Gebiet enorm erleichtern wird.

Rainer Leng hat in seiner sehr gut lesbaren Studie die Genese einer Quellengattung untersucht, die bislang in der Forschung nur eine untergeordnete Rolle spielte. Hierbei bediente er sich – durchaus nicht selbstverständlich – interdisziplinärer Methoden. Man ist gar versucht von einer Art „Wattenbach“ der kriegstechnischen Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts zu sprechen. Es ist zu wünschen, dass dieses Opus magnum die Forschung zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Kriegswissenschaft befruchten wird.

Anmerkungen:
1 Rösener, Werner (Hg.), Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000.
2 Vgl. beispielsweise Brunner, Horst (Hg.), Der Krieg im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Gründe, Beweggründe, Bilder, Bräuche, Recht, Wiesbaden 1999.
3 Vgl. Kortüm, Hans-Hennig (Hg.), Krieg im Mittelalter, Berlin 2001.

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