M. Kukowski: Die Chemnitzer Auto Union AG

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Titel
Die Chemnitzer Auto Union AG und die "Demokratisierung" der Wirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1948.


Autor(en)
Kukowski, Martin
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 15
Erschienen
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
221 S.
Preis
€ 41,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Fraunholz, Institut für Geschichte der Technik und der Technikwissenschaften, Technische Universität Dresden

Die 1932 durch den Zusammenschluss der wichtigsten sächsischen Autobauer, DKW, Horch, Audi und Wanderer, entstandene Auto Union AG entwickelte sich im Zeichen der vier Ringe in den 1930er Jahren rasch zum nach Opel zweitgrößten Automobilproduzenten in Deutschland. Das Chemnitzer Unternehmen erreichte einen Marktanteil von rund 25 Prozent, war Branchenführer bei Kleinwagen, Luxuskarossen und Motorrädern. 1938 belief sich der Umsatz auf 275 Millionen Reichsmark, 59.000 Motorräder und 67.000 Autos verließen die sieben Werke in diesem Jahr. Nach Kriegsende wurde die Auto Union zu einer Keimzelle des Automobilbaus in der DDR: In ihren ehemaligen Werken baute der VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau den Trabant. Das Motorradwerk Zschopau stellte mit der MZ ebenfalls ein begehrtes Produkt her, während Barkas nicht nur die DDR mit Lastwagen versorgte. Aber auch die bis heute produzierende, westdeutsche Audi AG kann sich auf diese sächsischen Vorfahren berufen.

Eben jenes Unternehmen hat Martin Kukowski, der bereits die archivalische Hinterlassenschaft der Auto Union geordnet und erschlossen hat 1, mit der Erforschung der Abwicklung seines Chemnitzer Vorläufers beauftragt. Entstanden ist dabei eine quellengesättigte Mikrostudie, in welcher der Prozess der Sozialisierung in der SBZ am Beispiel des größten sächsischen Industrieunternehmens detailliert beschrieben wird. Den Kern der Untersuchung bildet die Auswertung des Auto Union-Bestandes im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz, weshalb neben organisatorischen Entwicklungen vor allem die innerbetriebliche Wahrnehmung der Wirtschaftspolitik von Besatzungsmacht und sächsischer Wirtschaftsverwaltung im Vordergrund steht. Damit stellt die vorliegende Arbeit eine sinnvolle Ergänzung zur Habilitationsschrift von Winfrid Halder dar, der in seiner ähnlich detailreichen Studie die sächsische Wirtschaftspolitik unter Fritz Selbmann im gleichen Zeitraum unter die Lupe genommen hat.2

Die Auseinandersetzung mit neueren unternehmensgeschichtlichen Ansätzen oder aktuellen theoretischen Konzepten sowie die Explizierung von Thesen und deren empirische Überprüfung sind nicht Martin Kukowskis Sache. Einzig ein kritischer Verweis auf methodische Probleme der Oral History findet sich in dieser Hinsicht in der Einleitung. Als Ziel der dichten Unternehmensgeschichte, die in ihrem Hauptteil einen Zeitraum von nur drei Jahren fokussiert, wird das Nachzeichnen des tatsächlichen Ablaufs der Sozialisierung sowie ihrer Wahrnehmung durch Betriebsleitungen und Belegschaften formuliert (vgl. S. 10). Dementsprechend bleibt die Studie über lange Strecken deskriptiv, wobei die Einbettung in weitere historische Kontexte oft zu kurz kommt. Theoretisch fundierte Interpretationen fehlen fast völlig. Martin Kukowski geht in traditioneller Manier chronologisch vor: Auf die Einleitung folgt eine konzise Darstellung der Auto Union-Geschichte von den ersten Bemühungen zur Fusion 1931 bis zum Kriegsende, von Kukowski stets als „Zusammenbruch“ bezeichnet. Die Kapitel 3 bis 5, welche die Nachkriegsgeschichte der Auto Union bis zur Handelsregisterlöschung im August 1948 verfolgen, bilden den „mikrogeschichtlichen Kernbereich“ der Untersuchung, in dem die „Bewältigung von Umbruch und Mangel auf Unternehmensebene“ (S. 12) im Zentrum des Interesses steht. Eine Ergebniszusammenfassung sowie ausführliche Personen-, Orts- und Firmenregister, welche die Arbeit mustergültig erschließen, runden die Darstellung ab.

Ähnlich wie im Fall von Daimler und Benz einige Jahre zuvor 3, erfolgte die Fusion von DKW, Audi, Horch und der Kraftfahrzeugabteilung der Wanderer-Werke zur Auto Union AG 1932 auf Bankeninitiative. Den durch die Weltwirtschaftskrise geschwächten Unternehmen wurde auf diese Weise die Fortexistenz gesichert. Auch der sächsische Staat hatte ein eminentes Interesse am Gedeihen des neuen Konzerns, befanden sich doch von Beginn an etwa 80 Prozent der Aktien in seinem Besitz. Nach anfänglichen Verlusten profitierte die Auto Union vom allgemeinen Branchenaufschwung und konnte ein überdurchschnittliches Wachstum realisieren. Zwischen 8,6 und 21,6 Prozent des Gesamtumsatzes entfielen in den Jahren 1934 bis 1939 auf Behördenlieferungen (S. 29). Martin Kukowski kann aber plausibel machen, dass der Aufschwung des Unternehmens keineswegs wesentlich durch Rüstungslieferungen induziert wurde, sondern vielmehr auf ein marktgerechtes Typenprogramm zurückzuführen war. Die wichtigsten Wachstumssegmente bildeten Kleinmotorräder und die leichten Wagen von DKW. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen der Automobilbranche engagierte sich die Auto Union in der Zwischenkriegszeit nicht im LKW- und Flugzeugmotorenbau, 1938 waren noch 84 Prozent der Produktion ziviler Natur. Nach Kriegsbeginn erfolgte die Produktionsumstellung zum Rüstungskonzern freilich sehr rasch auf Eigeninitiative der Unternehmensleitung noch vor der straffen Einbindung in die Speerschen Rüstungsringe. Die 1941 zu 40 Prozent aus Zwangsarbeitern bestehende Belegschaft fertigte nun Wehrmachtsmotorräder, Flakgeschütze, Kübelwagen, Torpedos, Panzermotoren sowie Maschinengewehre und war mit der LKW-Endmontage befasst. Obwohl man sich gewünscht hätte, in diesem Abschnitt mehr über den Arbeitsalltag der Zwangsarbeiter zu erfahren, kann dieser Auftragsarbeit keinesfalls eine apologetische Absicht unterstellt werden. Martin Kukowski macht sehr deutlich, dass in der ersten Kriegshälfte durchaus Spielräume für das Management bestanden, der Rüstungsdienst aber als „nationale Pflichterfüllung“ verstanden und jede Gewinnchance „ohne Skrupel“ genutzt wurde. Legitimierungsversuche aus der Nachkriegszeit brandmarkt er als „aufgesetzte Opferhaltung“ (S. 37f.).

Nach Flucht der durch Parteimitgliedschaft und Wehrwirtschaftsführer-Titel belasteten Vorstände in die amerikanische Besatzungszone übernahmen bei Einmarsch der Roten Armee zunächst mit vormaligen Abteilungsleitern Leute aus der zweiten Reihe das Ruder in Chemnitz. Ein vorläufiger Betriebsausschuss unter KPD-Führung wirkte an den Planungen zur Umstrukturierung des Konzerns mit, wobei dem Beispiel Carl-Zeiss-Jena folgend auch die Gründung einer Stiftung erwogen wurde. Die kommunistischen Betriebsausschüsse favorisierten jedoch zunächst, wie die Unternehmensleitung und im Gegensatz zur Dresdener Zentrale unter Selbmann, der derartige Experimente für „sozialdemokratische Luftschlösser“ (S. 197) hielt, eine genossenschaftliche Lösung. Sehr früh begann man mit detaillierten Produktionsplanungen und wollte die erfolgreichen Vorkriegsmodelle neu auflegen, um die von 47.000 Mitarbeitern (1944) auf 5.000 Köpfe geschrumpfte Belegschaft in Lohn und Brot zu halten. Die in Aussicht gestellte Lieferung von Stationärmotoren und Motorrädern an die Rote Armee kann nach Martin Kukowski auch als Scheinauftrag zum Zwecke der Maschinenerfassung interpretiert werden: Bereits Ende Juni 1945 begann die Demontage, in deren Verlauf, wie der Autor errechnet, die Auto Union etwa 90 Prozent ihrer Maschinen verlor. Da die verbleibenden Produktionsanlagen größtenteils veraltet waren, bedeutete dies eine „weitgehende Vernichtung fabrikatorischer Substanz“ (S. 61). Sehr deutlich wird, wie abhängig der erfolgreiche Wiederaufbau vom Wohlwollen der Siegermächte war. Das positive Gegenbeispiel hat Heidrun Edelmann kürzlich in ihrer biografischen Studie zu Heinrich Nordhoff gezeigt, der als Leiter des Volkswagenwerkes die Unterstützung der britischen Militäradministration fand.4

Im Oktober 1945 beschlagnahmte die sächsische Landesregierung die Produktionsstätten der Auto Union und übertrug sie einer vormalig zum Konzern gehörigen GmbH, die von der Landesbank erworben und in Sächsisches Aufbauwerk (SAW) umbenannt wurde. Der Rumpfbetrieb Auto Union in Liquidation bestand als kaufmännische Abwicklungsgesellschaft zur formaljuristischen Absicherung gegen Altschulden weiter. Außerdem hielt man über diese Schiene die Kontakte zu den Unternehmensteilen und neuen Organisationsansätzen in den westlichen Besatzungszonen aufrecht. Das mit der SAW-Gründung bezweckte Entschuldungsmanöver war erfolgreich und auch produktionsmäßige Fortschritte konnten verbucht werden. Füllprogramme, welche die Herstellung von Haushaltsartikeln vorsahen, bestanden zwar noch bis 1948, doch schmiedete man bereits wieder verschiedene LKW-Projekte, bediente Aufträge der Besatzungsmacht, stellte einige Musterfahrzeuge her und fand vor allem Beschäftigung in Reparatur und Ersatzteilversorgung. Trotz brennender Alltagsnöte, der Demotivierung durch die geforderten Reparationsleistungen und offensichtlichen Desintegrationstendenzen erkennt Martin Kukowski bei Teilen der Belegschaft eine „sozialistische Aufbaueuphorie“ in dem sich als Avantgarde verstehenden Musterbetrieb (S. 126). Allerdings wurde diese Phase durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen zentralen und örtlichen SMAD-Stellen überschattet, die zuweilen eine umgetaufte Fortführung des alten Auto Union-Konzerns befürchteten. Diese Bedenken konnten erst durch die endgültige Überführung in einen sozialistischen Staatsbetrieb zerstreut werden, die nach Zerschlagung der Genossenschaftspläne auch von den zunehmend politisierten Belegschaften gewünscht wurde.

Als Ergebnis des Volksentscheides über die Enteignung der Kriegsverbrecher vom Juni 1946 gingen etwa 2000 Betriebe in das Eigentum Sachsens über. Vor allem Schlüsselbetriebe wurden in die aus 65 Einzelverwaltungen bestehende, landesweite sächsische Industrieverwaltung (IV) überführt und dort zur Durchsetzung staatskapitalistischer Autarkiebestrebungen zentraler Lenkung unterworfen. Das SAW brachte man widerrechtlich in die neue Organisation ein, da es erst nach Kriegsende entstanden war, und ordnete es der IV-19 zu, in der es 85 Prozent der Belegschaft stellte. Die vormaligen SAW-Direktoren übernahmen die entsprechenden Posten in der neuen Industrieverwaltung. Nach Angliederung der übrigen mit Fahrzeugbau befassten Betriebe Sachsens wurde die IV Fahrzeugbau im Mai 1948 zum zonenweiten Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) ausgeweitet, „der inoffizielle Auto-Union-Nachfolger zum Fahrzeugbau-Monopolisten der SBZ bzw. DDR“ gemacht (S. 178). Die Auto Union AG lebte noch einige Zeit als Abwicklungsabteilung von IV-19 fort, ehe sie im Sommer 1948 gelöscht wurde, was einer Verabschiedung vom Alleinvertretungsanspruch entsprach. IFA-Chef Hensel siedelte indes nach Ingolstadt über, wo eine neue Auto Union GmbH als Keimzelle der Audi AG entstand.

Sieht man von der altertümlich wirkenden Verwendung des Pluralis majestatis ab, versteht es Martin Kukowski gekonnt, die teilweise etwas sperrige, von wirtschaftsrechtlichen Fragen geprägte Thematik sprachlich zu vermitteln. Eindeutig im Zentrum der Untersuchung steht die Perspektive der Unternehmensleitungen in ihrem „Spagat zwischen Wiederaufbauerfordernissen und Reparationsverpflichtungen“ (Klappentext), während die Wahrnehmung des Umbruchs durch die Belegschaft, trotz gegenteiliger Beteuerung, weniger stark belichtet wird. Auch ist der Verdacht nicht ganz unberechtigt, dass sich der Automobilhistoriker oder Auto Union-Enthusiast an der detaillierten Darstellung nicht realisierter Produktionspläne und an den zahlreichen, verwirrenden Typenkürzeln berauschen könnte, während der Allgemein-Historiker auf die präzise Ergebniszusammenfassung des Schlussteils zurückgreift. Trotz dieser Einwände bleibt aber festzuhalten, dass Martin Kukowski eine fundierte und bestens dokumentierte Darstellung der Anfänge des Automobilbaus in der SBZ gelungen ist, die zahlreiche Hinweise auf Wurzeln der strukturellen Innovationsschwäche dieses Sektors in der späteren DDR liefert. Damit ergänzt die Arbeit die wesentlich analytischer ausgerichtete Untersuchung von Bauer 5, aber auch die zahlreichen, einer traditionelleren Technik- und Unternehmensgeschichte verpflichteten Publikationen von Kirchberg 6, denen sie näher steht.

Anmerkungen:
1 Kukowski, Martin (Bearbeiter), Findbuch zum Bestand der Auto Union AG im Staatsarchiv Chemnitz (= Veröffentlichungen der sächsischen Archivverwaltung, Bd. 1.1-1.2), Halle 2000.
2 Halder, Winfrid, „Modell für Deutschland“. Wirtschaftspolitik in Sachsen 1945-1948, Paderborn 2001.
3 vgl. hierzu Thieme, Carsten, Krisenbewältigung durch Kooperation? Fusionsprozeß und Marktordnungsversuche bei Daimler-Benz 1924-1932, in: Boch, Rudolf (Hg.), Geschichte und Zukunft der deutschen Automobilindustrie, Stuttgart 2001, S. 85-108.
4 Edelmann, Heidrun, Heinz Nordhoff und Volkswagen, Ein deutscher Unternehmer im amerikanischen Jahrhundert, Göttingen 2003.
5 Bauer, Reinhold, Pkw-Bau in der DDR, Zur Innovationsschwäche von Zentralverwaltungswirtschaften, Frankfurt am Main 1999.
6 Zuletzt: Kirchberg, Peter, Plaste, Blech und Planwirtschaft, Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR, Berlin 2000.

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