G. Faßbeck: Leben am See Gennesaret

Cover
Titel
Leben am See Gennesaret. Kulturgeschichtliche Entdeckungen in einer biblischen Region


Herausgeber
Faßbeck, Gabriele; Fortner, Sandra; Rottloff, Andrea; Zangenberg, Jürgen
Reihe
Zaberns Bildbände zur Archäologie. Antike Welt, Sondernummer
Erschienen
Mainz am Rhein 2003: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 41,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Omerzu, Fachbereich Evangelische Theologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der anzuzeigende Band bietet durch insgesamt 30 reich bebilderte Beiträge ein anschauliches Panorama vom Leben am See Gennesaret vom Paläolithikum bis zur Gegenwart, wobei zwar ein deutlicher Schwerpunkt auf die "biblischen" Epochen von der Eisenzeit bis zum Ende des zweiten Tempels gelegt ist, es jedoch ein ausdrückliches Anliegen der Herausgeberinnen und des Herausgebers ist, "den bisher zu wenig beachteten Epochen und Themen den gebührenden Raum zu bieten" (S. 3). Der Herausgeberkreis repräsentiert mit Gabriele Faßbeck, Sandra Fortner, Andrea Rottloff und Jürgen Zangenberg die "Internationalität und Interdisziplinarität" (S. 3) der AutorInnen des Gesamtwerkes, durch welche ungeachtet der archäologischen Reihe, in die der Band Aufnahme gefunden hat, eine umfassende und aktuelle kulturgeschichtliche Perspektive auf eine Region eröffnet wird, die zumindest im deutschsprachigen Raum in dieser Vielfalt zuvor nicht erschlossen wurde.

Da die Einzelbeiträge in ihrer Anlage sehr verschieden sind, dürfte dieser Band für ganz unterschiedliche Leser von Interesse sein: Teilweise bietet er eine Zusammenfassung langjähriger Forschungen oder führt allgemeinverständlich in Sachverhalte oder geschichtliche Zusammenhänge ein. Die sich manchmal zwischen einzelnen Beiträgen überschneidenden historischen Abrisse hätten vielleicht besser einmalig einführend und zusammenhängend dargestellt werden können, um Redundanzen zu vermeiden; die vorliegende Anlage bietet allerdings den Vorteil, dass man das Buch auch nur in Auszügen rezipieren kann. Teilweise wird jedoch auch bislang unpubliziertes Material präsentiert und ausgewertet. Zuweilen setzen die Autoren dabei gute Vorkenntnisse in der Sache voraus. Einige Beiträge richten sich so mehr an eine allgemein gebildete Leserschaft, andere hingegen auch oder vornehmlich an Fachkolleginnen und -kollegen. Durchweg bieten die Aufsätze jedoch auf wissenschaftlichem Niveau Einblick in sonst oft zu wenig beachtete Fragestellungen und Zusammenhänge. Eine gewisse "Vielstimmigkeit" (S. 3) der Interpretationen, die im Einzelfall vornehmlich vom Fachpublikum wahrgenommen werden dürfte, wurde von den HerausgeberInnen bewusst in Kauf genommen (S. 3). Sie weist u.a. die Aktualität des vorliegenden Bandes aus, insofern dieser damit in vielen Fällen von einer noch offenen Diskussion zeugt, die sich über die Literaturangaben bzw. den Anmerkungsapparat erschließen lässt.

Der Bildband ist in vier chronologisch geordnete Blöcke untergliedert: Der erste Abschnitt "Die Region am See als natürlicher Lebensraum und die frühen Kulturen" wird durch einen kurzen Überblick von Gabriele Faßbeck (S. 4) eingeleitet und umfasst vier Beiträge: John F. Shroder beschreibt die "Geomorphologie des Gebietes um den See Gennesaret" (S. 5-7). Daran anschließend wird in drei Darstellungen die Bedeutung des levantinischen Korridors bzw. des See Gennesaret für die Menschheitsentwicklung von der Altsteinzeit bis zur Bronzezeit beleuchtet (Sabine Gaudzinski, Älter als der Neandertaler - Die Levante als Heimat des frühen Menschen, S. 8-10; Yosef Garfinkel und Michele Miller, Die ersten Bauern am See Gennesaret - Das Neolithikum, S. 11-17; Wolfgang Zwickel, Städte, Gräber, Handelsrouten - Die Bronzezeit am See Gennesaret, S. 18-24). Henriette Manhart und Angela von den Driesch sind in der Auswertung ihrer archäozoologischen Untersuchungen (Bronze- und eisenzeitliche Tierwelt nach den Knochenfunden vom Tell el-Oreme am See Gennesaret und ihre kulturhistorische Bedeutung, S. 25-30) erfreulich zurückhaltend: Zwar weise das gefundene Knochenmaterial auf eine "unterschiedliche ethnische Zugehörigkeit der Bewohner des Tells in der mittleren bis späten Bronzezeit und in der Eisenzeit" (S. 30) sowie auf "unterschiedliche tierwirtschaftliche Verhältnisse der Siedler der Eisenzeit I und II" (S. 30) hin, doch erlaube der geringe Anteil von Schweineknochen unter den Funden keine direkten Rückschlüsse auf die ideologische Motivation oder soziale Identität der Bewohner des Sees, sondern habe wahrscheinlich wirtschaftliche Gründe aufgrund der geringeren Haltbarkeit von Schweinefleisch (S. 30).

Der nächste Großabschnitt "Kanaanäer, Aramäer und Israeliten - Das Leben am See in der Eisenzeit" (eingeleitet von Jürgen Zangenberg, S. 31f.) widmet sich in jeweils drei Beiträgen den Hauptorten jener Epoche, Tell el Oreme/Kinneret und et-Tell/Betsaida, und deren Bewohnern. Einleitend bietet Volkmar Fritz einen Überblick über die Geschichte Kinnerets (Kinneret - Übersicht über die Stadtgeschichte aufgrund von Ausgrabungen und Schriftquellen, S. 33-42), dessen Besiedlung im Zuge der assyrischen Eroberungen um 700 v.Chr. endgültig aufgegeben worden zu sein scheint. "Nur der Name Kinneret blieb in den Quellen erhalten, doch wurde die Benennung der fruchtbaren Ebene im Süden des Hügels wohl in hellenistischer Zeit durch den ähnlich klingenden Namen Ginnosar/Gennesaret ersetzt, der schließlich auch für den See übernommen wurde" (S. 42). Walter Dietrich und Stefan Münger erwägen im Anschluss, ob Kinneret in der Eisenzeit I regionales Zentrum eines aramäischen Stammes (Geschur) war (Zentrum und Peripherie - Die früheisenzeitliche Stadt Kinneret und ihr regionaler Kontext, S. 43-46). Aus dem gleichen Zeitraum gibt es Funde, die auf die Praxis häuslicher Religion hinweisen (Gabriele Faßbeck, Stefan Münger; Swantje Röhl, Gotteshaus und Hausgott - Ausgewählte Hinweise auf möglichen Hauskult im antiken Kinneret, S. 47-51).

Auch der Abschnitt zu et-Tell/Betsaida wird mit einem Überblicksartikel eingeführt (Rami Arav, Betsaida - Geschichte und materielle Kultur einer Stadt im Königreich Geschur, S. 52-65). Et-Tell ("der Hügel") liegt heute etwa 2 Kilometer vom See Gennesaret entfernt, der jedoch zur Zeit der Gründung der Stadt im 10. Jahrhundert nah an die Siedlung heranreichte (vgl. Abb. 165), die wie Kinneret während der assyrischen Eroberung Galiläas zerstört wurde. Die veränderte Uferlinie erschwerte lange Zeit die Identifikation mit der hellenistischen Siedlung Betsaida, die auch heute nicht ganz unangefochten ist.1 Strittig bleibt auch die Frage der Zugehörigkeit et-Tells zum aramäischen Königreich Geschur.2 Von der eisenzeitlichen Siedlung sind u.a. noch eine Palastanlage im Stil eines so genannten "Bît Hilani" (vgl. Abb. 101 a/b, 102) sowie zwei Befestigungsanlagen erhalten. Das Stadttor von et-Tell, ein bis zu einer Höhe von 3 Metern erhaltenes Vierkammertor aus dem 9. Jahrhundert, ist eines der größten und besterhaltenen unter den eisenzeitlichen Funden der Levante und bezeugt außerdem in herausragender Weise den für diese Epoche typischen "Kult am Tor", dem die folgenden beiden Beiträge von Carl Savage (Niedergebrannt - Die Funde aus Kammer 4 des eisenzeitlichen Stadttores von Betsaida, S. 66-69) sowie Monika Bernett und Othmar Keel (Der Kult am Stadttor von Betsaida, S. 70-76) gewidmet sind. Abschließend gibt Michael Weigl einen geschichtlichen Überblick über das Schicksal Galiläas in der assyrischen und babylonisch-persischen Zeit, aus der wir zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur sporadische Zeugnisse über die Besiedlung der Region besitzen, und leitet damit zur hellenistisch-römischen Epoche über (Der Ausgang der Eisenzeit - Von der assyrischen Eroberung zum Ende der Perserzeit, S. 77-79).

Der Komplex "Das Land am See Gennesaret in hellenistisch-römischer Zeit" (wiederum eingeleitet von Jürgen Zangenberg, S. 80) ist einerseits nach schriftlichen und archäologischen Zeugnissen untergliedert und enthält andererseits verschiedene thematische Beiträge zum Problemkreis des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Unter den schriftlichen Quellen über das Leben am See Gennesaret in dieser Epoche sind die Werke des jüdischen Historikers Flavius Josephus sicher die wichtigsten, ihrer Darstellung wird daher zu Recht auch etwas mehr Raum gewährt als der des Neuen Testaments und des rabbinischen Schrifttums, die ebenfalls recht knapp skizziert werden (Jürgen Zangenberg, Neues aus dem Neuen Testament? - Das Land um den See aus der Perspektive neutestamentlicher Literatur, S. 81; Monika Bernett, Flavius Josephus - Historiker jüdischer Geschichte, Prophet und involvierter Zeitzeuge des jüdischen Aufstandes 66-73/74 n.Chr., S. 82-85; Friedrich Schipper, Das Zeitalter der Weisen - die Sammlung des rabbinischen Schriftgutes, S. 85).

Die Auswertung dieser Quellen erfolgt implizit bei der Besprechung der einzelnen Ortslagen. Diese Beiträge sind weitaus informativer; vorgestellt werden im einzelnen Tiberias (Sandra Fortner, Tiberias - Eine Stadt zu Ehren des Kaisers, S. 86-92), Magdala (Jürgen Zangenberg, Magdala - Reich an Fisch und reich durch Fisch, S. 93-98), Kapernaum (Jürgen Zangenberg, Kapernaum - Zu Besuch in Jesu "eigener Stadt", S. 99-103), Betsaida (Sandra Fortner, Betsaida/Iulias in hellenistisch-römischer Zeit - von der komé zur pólis des Philippus, S. 104-109), Gamla (Andrea Rottloff, Gamla - Das Masada des Nordens?, S. 110-116) sowie Hippos und Gadara (Jürgen Zangenberg und Peter Busch, Hippos und Gadara - Ein Hauch von Welt am See, S. 117-129). Die Darstellungen umfassen in der Regel eine Übersicht über die verschiedenen Siedlungsepochen der Orte und sind meistens mit entsprechenden Skizzen, Lageplänen der Siedlung oder Grundrissen von Gebäuden sowie mit Abbildungen der wichtigsten Funde illustriert. Die meisten dieser Orte haben im Zuge der jüdischen Kolonisation Galiläas seit Beginn des 1. Jahrhunderts v.Chr. und erneut im Laufe der Romanisierung der Region am Anfang des 2. Jahrhunderts n.Chr. nachhaltige Veränderungen erfahren, wobei "das Gebiet um den See - im Unterschied etwa zu Untergaliläa - doch ein gewisses eigenes kulturelles Profil behalten zu haben" (S. 80) scheint.

Im kulturgeschichtlichen Teil der Darstellung dieser Epoche erörtern Sandra Fortner und Andrea Rottloff zunächst die Bedeutung der Region um den See als Wirtschaftsstandort am Kreuzungspunkt wichtiger Handelsrouten (Fisch, Flachs und Öl. Wirtschaftliches Leben und Handel rund um den See Gennesaret in hellenistisch-römischer Zeit, S. 130-137). Im Anschluss widmen sich dieselben Autorinnen den Kleinfunden aus dem Ort Betsaida, die das Alltagsleben erhellen (Signale aus der Vergangenheit - Die Rekonstruktion des täglichen Lebens am See in hellenistisch-römischer Zeit am Beispiel der archäologischen Funde aus Betsaida, S. 138-146). Unter dem Titel "[...] ein Schiff wird kommen [...] Die Bergung und Restaurierung eines 2000 Jahre alten Bootes am See Gennesaret" (S. 147-152) zeichnet Orna Cohen den spektakulären Fund und die aufwendige Konservierung des so genannten "Jesus-Bootes" (S. 148) nach, einem im Jahr 1986 in der Nähe des Kibbuz Ginnosar in sehr gutem Zustand gefundenen Fischerboot aus frührömischer Zeit. Dieser Fund bestätigt die Bedeutung der Fischerei für die Region in dieser Epoche, die auch Josephus und das Neue Testament bezeugen.

Peter Busch, Gabriele Faßbeck und Jürgen Zangenberg fragen sodann nach der Beziehung "zwischen den speziellen Bedingungen der Geographie Galiläas, den Lebensbedingungen seiner Bewohner und dem Tun und Lehren Jesu" (S. 153) ("Er predigte in ihren Dörfern und Synagogen" - Die archäologische Forschung am See Gennesaret und die frühe Jesusbewegung, S. 153-163). Sie kommen dabei zu dem berechtigten Schluss, dass im "Bewußtmachen der Komplexität der damaligen Welt um den See [...] auch weiterhin das große Potential der Archäologie als Korrektiv und Gesprächspartner für Textwissenschaftler" (S. 163) liegt. Im Anschluss widmet Heinz-Wolfgang Kuhn unter dem Titel "Betsaida und das Neue Testament" (S. 164-167) dieser Ortslage innerhalb dieser Epoche den dritten Beitrag, was zwangsläufig zu (vermeidbaren) Wiederholungen führt.

Der letzte Großabschnitt spannt unter der Überschrift "Rabbis, Pilgerströme und Beduinen - Galiläa von der Spätantike bis ins 21. Jahrhundert" einen Bogen bis in die Gegenwart. Andrea Rottloff weist bereits in der Einleitung darauf hin, dass in Galiläa (nicht unmittelbar im Gebiet um den See Gennesaret) "zum ersten Mal in der Geschichte der religiöse Brennpunkt der drei Weltreligionen im Heiligen Land faßbar" (S. 168) wird, was die ersten beiden Beiträge beleuchten: Friedrich Schipper untersucht "Jüdisches Leben in Galiläa (70-429 n.Chr.)" (S. 169-172), wohingegen Rainer Riesner die Spuren der ersten christlichen Pilger verfolgt (Heptapegon und Kapernaum - Zwei byzantinische Pilgerstätten am See Gennesaret, S. 173-180). Während diese beiden Beiträge keine neuen Quellen erschließen, betritt Andrea Rottloff mit ihrer Untersuchung über die Bestattungskultur der Beduinen forschungsgeschichtliches Neuland (Ein Bestattungsplatz der Tellawije-Beduinen auf dem Tell von Betsaida am Nordrand des Sees Gennesaret, S. 181-186). Die Grabbeigaben der Beduinen, die zu den ärmeren Bevölkerungsschichten Galiläas gehört haben, sind ihrer Ansicht nach in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren (S. 186). Den Abschluss der Sammlung bildet ein Beitrag derselben Autorin über Galiläa als Ziel christlicher Reisender bis in die Gegenwart hinein (Pilger, Kreuzfahrer und Touristen - Galiläa als Reiseziel von der Spätantike bis in die heutige Zeit, S. 187-195).

Der Band wird abgerundet durch eine ausführliche Zeittafel (S. 196f.), in der allerdings die Eisen- und Perserzeit im Verhältnis zu den nachfolgenden Epochen sowie angesichts ihres Stellenwertes innerhalb der vorangehenden Darstellung zu kurz kommen, und ein Glossar archäologischer und historischer Fachtermini (S. 198f.). Im Anhang werden zunächst Abkürzungen und häufig zitierte Literatur aufgeführt (S. 200), dann die Bibliografien (S. 200-205) und im Anschluss die Anmerkungen zu den Einzelbeiträgen (S. 205-209) geboten. Diese enthalten oftmals wertvolle Zusatzinformationen, sind aber durch die Trennung nicht nur von den Darstellungen, sondern auch von den Literaturangaben etwas mühsam zu erschließen.

Insgesamt dürfte dieser Bildband Fachleuten im Detail Neues bieten oder neue Fragestellungen erschließen, aber auch für interessierte Laien mit Gewinn zu lesen sein, nicht zuletzt, weil hier erstmals die Region um den See in so umfassender und vielfältiger Weise in den Blick genommen wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Beitrag von Kuhn, Heinz-Wolfgang, Betsaida und das Neue Testament, S. 164-167.
2 Vgl. die Beiträge von Dietrich, Walter; Münger, Stefan, Zentrum und Peripherie - Die früheisenzeitliche Stadt Kinneret und ihr regionaler Kontext, S. 43-46, bzw. von Arav, Rami, Betsaida - Geschichte und materielle Kultur einer Stadt im Königreich Geschur, S. 52-65.

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