M. Agethen u.a. (Hgg.): Der missbrauchte Antifaschismus

Cover
Titel
Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken


Herausgeber
Agethen, Manfred; Jesse, Eckhard; Neubert, Ehrhart
Erschienen
Freiburg 2002: Herder Verlag
Anzahl Seiten
446 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Moller, Forschungsgruppe "Vergleichende Tradierungsforschung", Universität Witten/Herdecke und Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Es gibt wohl kaum einen Begriff, der in der deutsch-deutschen Öffentlichkeit so umstritten ist wie der des Antifaschismus. Dabei wurde die gleich nach dem Mauerfall einsetzende umfassende politisch-publizistische Delegitimierung des Antifaschismus in den letzten Jahren um differenzierte Studien ergänzt, die nicht allein auf eine Abrechnung abzielten, sondern für eine Schärfung des Blicks auf den Antifaschismus eintraten.1 Der vorliegende Sammelband bewegt sich zwischen beiden Polen, und auch wenn die Intention der Herausgeber vor allem auf eine politische Absage zielt, so lassen sich doch nicht alle Beiträge bruchlos dem Plädoyer der Herausgeber zuordnen.

Der politisch ambitionierte, im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene und mit einem Geleitwort von Wolfgang Schäuble versehene Band versteht sich als „ein bewusst ‚farbiges’ Buch […], das ein spannendes und erneut aktuelles Thema aus der Sicht von gestandenen und jungen Wissenschaftlern sowie politischen Publizisten unbehindert durch akademische Konventionen erörtert“ (S. 17f.).

Der Band besteht aus 35 Beiträgen und gliedert sich nach einführenden Worten und begrifflich-historischen Annäherungen in drei Hauptschwerpunkte. 15 Beiträge widmen sich „Instrumentalisierung und Missbrauch des Antifaschismus-Begriffs durch die SED“, während sich acht Beiträge auf den „’Antifaschismus’ und die westdeutsche Linke“ sowie abschließend sechs Texte auf den „Antifaschismus in neuem Gewand“ beziehen (d.h. sich mit dem Verhältnis von PDS und Antifaschismus auseinandersetzen).

Der erste Abschnitt über die Instrumentalisierung des Antifaschismus in der DDR ist – gemessen an der Gesamtqualität des Bandes – der inhaltlich gehaltvollste Teil. Die Beiträge thematisieren unterschiedliche Ebenen von antifaschistischer Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in der DDR und bieten dabei auch dem von den Herausgebern anvisierten nicht-akademischen Publikum einen guten Einstieg (so vor allem die Beiträge von Herfried Münkler zum Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR, von Manfred Agethen zur Gedenkstättenpolitik und von Anne Kober zum Antifaschismus im DDR-Film). Auch die biografisch gesättigten Erfahrungsberichte eröffnen dem Leser neben Altbekanntem (so etwa der von Annette Simon zuerst 1993 publizierte Beitrag zum Antifaschismus als Loyalitätsfalle) neue spannende Einblicke (wie der Bericht von Bernd Eisenfeld über den Rechtsextremismus in der DDR). Überflüssig bis ärgerlich muten allerdings einige aus FAZ und WELT wieder abgedruckte Artikel an, die recht stereotyp jede Diskussion über den Antifaschismus mit altbekannten Formeln und Klischees zu erledigen suchen. Dass in der DDR der Faschismus gemäß der Komintern-Formel aus den 1930er-Jahren als die „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ kanonisiert wurde, wird dem Leser nicht nur in diesen Beiträgen, sondern auch in zahlreichen weiteren geradezu gebetsmühlenartig vor Augen geführt.

Was die Herausgeber mit ihrer Ankündigung meinen, dass das Thema „Antifaschismus“ auch „unbehindert durch akademische Konventionen erörtert“ werden soll, erfährt der Leser im zweiten Hauptschwerpunkt über den „’Antifaschismus’ und die westdeutsche Linke“.

Anders als die zum Teil quellengesättigten und mit Literaturverweisen gespickten Beiträge des ersten Abschnitts kommen die Autoren, die sich mit der bundesrepublikanischen Instrumentalisierung des Antifaschismus beschäftigen, ohne jede Fußnote oder weiteren Verweis aus. Das mag zum einen darin begründet liegen, dass es sich bei den Beiträgen mehrheitlich um wiederabgedruckte Zeitungsartikel handelt, resultiert jedoch mehr noch aus dem Umstand, dass es sich vorrangig um Polemiken handelt, in denen mit den „’Blockwarten’ der politischen Korrektheit“, „negativen Nationalisten“ und „Gespensterjägern“ abgerechnet wird. Den meisten Autoren gelingt es nicht, die Funktion des antifaschistischen Deutungsmusters für die bundesrepublikanische Linke genauer herauszuarbeiten, weil sie es analytisch nicht durchdringen. So wundert es auch nicht, wenn davor gewarnt wird, dass „sich gerade auch Kommunisten mit besonderer Vorliebe als Antifaschisten ausgaben und heute noch ausgeben“ (S. 325). Positiv sticht in diesem zweiten Teil des Bandes einzig der – im Stil des Verfassungsschutzberichts gehaltene – Beitrag von Patrick Moreau, Rita Schorpp-Grabiak und Bettina Blank heraus, der sich der „West-PDS als Gravitationsfeld eines linksextremistischen Pluralismus“ widmet. Bei dem in Hinblick auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen der West-PDS aufschlussreichen Text kommt allerdings der inhaltliche Zusammenhang mit dem Thema Antifaschismus etwas zu kurz.

In den Beiträgen des letzten Abschnitts geht es schließlich um den Nachweis, dass eine kritische Auseinandersetzung der PDS mit dem Antifaschismus bis heute unterblieben sei. Durch diese unhinterfragte ideologische Altlast sei die PDS auch weiterhin fest in den Grundlagen stalinistischen Denkens verwurzelt, und der Antifaschismus fungiere gemeinhin als zweischneidiges Schwert: zur Verunglimpfung der bundesrepublikanischen Demokratie einerseits wie zur Rehabilitierung der sozialistischen Diktatur andererseits. Doch leider ist es auch hier so, dass die notwendige schonungslose Bilanz der Genese des Antifaschismus und seiner politischen Instrumentalisierung analytisch nicht tiefer greifen kann, weil sie in der Polemik stecken bleibt.

„Der missbrauchte Antifaschismus“ gewährt dem Leser im ersten Teil interessante Einblicke in das hochkomplexe und breit gefächerte Thema des DDR-Antifaschismus, enttäuscht insgesamt aber durch seine mangelnde Differenzierung in den Abschnitten, die sich dem Antifaschismus der bundesrepublikanischen Linken und der PDS widmen.

Anmerkung:
1 Vgl. beispielhaft Leo, Annette; Reif-Spirek, Peter (Hgg.), Helden, Täter und Verräter. Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 1999; dies. (Hgg.), Vielstimmiges Schweigen. Neue Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 2001 (hier besonders den einführenden Forschungsüberblick von Jürgen Danyel mit weiterer Literatur, S. 7-21) sowie neuerdings Barck, Simone, Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre, Köln 2003.

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