St. Moritz: Grüss Gott und Heil Hitler!

Cover
Titel
Grüss Gott und Heil Hitler!. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich


Autor(en)
Moritz, Stefan
Erschienen
Wien 2002: Picus Verlag
Anzahl Seiten
318 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Forstner, Erzbischöfliches Archiv München

"Lesen wir etwas in den österreichischen Zeitungen, so ist es entweder katholisch oder nationalsozialistisch, das ist dann, müssen wir sagen, das Österreichische [...]."1 Mit überspitzten literarischen Polemiken wie dieser, die ein unmittelbares Nahverhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus suggerierten, brachte der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard Mitte der Achtziger Jahre die österreichische Öffentlichkeit gegen sich auf, "eine Erregung", die im tumultösen Skandal um die Uraufführung des Stückes "Heldenplatz" am Wiener Burgtheater 1988 kulminierte.

Was bei Bernhard Bestandteil seiner "Dramaturgie der Übertreibungskunst" 2, also legitimes künstlerisches Ausdrucksmittel war, hält mit Stefan Moritz Monografie über die Katholische Kirche im nationalsozialistischen Österreich Einzug in den historischen Diskurs. Zentrale These des Buchs "Grüß Gott und Heil Hitler" ist die behauptete "Übereinstimmung von Katholizismus und Nationalsozialismus in wesentlichen ideologischen Fragen" (S. 12), die darin gipfelte, dass die katholische Kirche nach dem Zerbrechen des christlichen Ständestaates im Nationalsozialismus einen "neuen Bündnispartner" gefunden habe (S. 59) und deshalb auch "einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Umsetzung des organisierten Massenmords" (S. 198) geleistet habe - so Moritz. Diese These erscheint noch überraschender durch den Umstand, dass Moritz katholischer Theologe ist. Wie darf dies verstanden werden?

Moritz Buch ist im Wesentlichen chronologisch aufgebaut und sehr kleinzellig gegliedert, wobei die Einzelfallschilderungen meist lose, ohne durch einen methodischen Faden verbunden zu sein, aneinandergereiht sind. Nach dem Abschnitt "Annäherungen" über den so genannten Anschluss und einem Rückblick auf die politischen Entwicklungen in Österreich vor 1938, widmet sich Moritz im "Abgrenzung der Gebiete" genannten Kapitel vor allem den (gescheiterten) Bemühungen der Kirche um einen dem Konkordat vergleichbaren Vertrag für die ehemals österreichischen Gebieten des Deutschen Reichs (S. 61-78). Im Kapitel "Alltag mit dem Hakenkreuz" stellt Moritz seine Sicht auf das Verhältnis der Kirche und ihrer Bischöfe und Priester zum NS-Staat dar, das er als beständiges Bemühen seitens der Kirche und ihrer Glieder um "Einigung" und "wahre Volksgemeinschaft" charakterisiert (S. 79-110). Übereinstimmungen sieht er im folgenden Kapitel (S. 111-133) dabei nicht nur in einer formalen Identität der gemeinsamen Feindbilder Juden und Bolschewisten, sondern auch in der Form der Begründung dieses Feindbildes. Für Moritz stimmt der "katholische Antisemitismus" mit dem nationalsozialistischen im Wesentlichen überein; den Begriff Antijudaismus lehnt er ab. (S. 116) Identisches sieht Moritz auch in der Kriegsideologie, was vor allem anhand der Felder, Propaganda, "Kriegstheologie" (worunter er vor allem die verschiedenen Formen der praktisch-seelsorglichen Entwicklungen angesichts der Herauforderungen des Krieges versteht), kirchlicher Diplomatie im Krieg und Militärseelsorge exemplifiziert werden soll.(S. 135-185) Den Höhepunkt seines dramaturgischen Konzepts erreicht Moritz beim Thema Massenmord und Judenvernichtung, wobei er Goldhagen noch zu übertreffen sucht: Im Sinne seines Konzepts der ideologischen Parallelität habe die Kirche nicht bewusst weggesehen, vielmehr herrschte "stillschweigende Zustimmung" (S. 187) vor, als Juden, Kommunisten, Roma und Sinti, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und andere physisch vernichtet wurden.

Fast wie ein harmloser Nachklang, gewissermaßen das Satyrspiel, erschiene da fast der Umgang des katholischen Theologen Moritz mit der Thematik Kirche im Nachkriegsösterreich (S. 211ff.), wobei hier die bekannten Stereotypen wiederholt werden, ohne dass etwa nach Motivlagen gefragt wird. Doch damit nicht genug: Fast en passant wird auch ein Mann wie Kardinal Franz König, der wie kein anderer bis heute das "System Kirche" (in der Terminologie Moritz´ also das nationalsozialistische System) verkörpere (S. 252ff., 261f.) zum NS-Sympathisanten gemacht. Besteht das "Nationalsozialistische" in der Kirche also nach 1945 fort? Wer als unbedarfter Geist Moritz Buch liest, dem wird dieser Schluss nahegelegt.

Moritz stützt sich in seinen Argumentationen weitgehend auf die Präsentation zeitgenössischer Periodika wie Amts- und Pfarrblätter und die katholische Publizistik sowie auf überwiegend ungedruckte Quellen aus staatlichen und kirchlichen Archiven. Mangelnden Fleiß im Aufspüren von Archivalien wird man ihm kaum vorwerfen können. Die Fülle der präsentierten Originalquellen suggeriert Authenzität. Die Qualität historischer Arbeit misst sich aber bekanntlich nicht nur an der Frage, welche Quellen herangezogen werden, sondern vor allem daran, wie mit dem zur Verfügung stehenden Material umgegangen wird. Eine Fülle von Moritz Argumentationen entbehren einer wissenschaftlichen Grundlage, Reflexionen auf eine methodische Grundlage und das Hinterfragen der eigenen Thesen und Fragestellungen sucht man ohnehin vergebens.

So wird etwa behauptet, "die Kirche hätte mit den Pfarrblättern ein Mittel zur Verfügung gehabt, die Katholiken über die Ziele und Absichten der Nationalsozialisten zu informieren", was sie nicht getan hätte. (S. 107) Muss da erwähnt werden, dass bereits der Versuch der Veröffentlichung einer abweichenden Meinung die sofortige Verhaftung der Redakteure und die Beschlagnahmung von Pfarrblatt und Druckmaschinen zur Folge gehabt hätte? Hingegen räumt Moritz überraschenderweise sogar ein, dass vor 1938 viele Pfarrer in ihren Pfarrblättern kritische Artikel zum Nationalsozialismus veröffentlichten, doch wird anschließend im Kapitel über die "Annäherung" bemerkt: "Diese Kritik verstummte im Jahr 1938 [nach dem 12. März!, A.d.V.] fast gänzlich." (S. 92) Warum? Natürlich weil die Pfarrer nun begeisterte Nationalsozialisten wurden - so Moritz! Dass die Verursacher systemkritischer Äußerungen - darunter viele katholische Priester - zu Tausenden in die Konzentrationslager verschleppt wurden, bleibt unerwähnt.

Weiter im Text: Die Behauptung, die Kirche habe sich durch das Ausstellen von Abstammungsnachweisen nicht nur "bereitwillig" als "Buchhalter der Vernichtung" (S. 199) - eine für St. Moritz typische, effekthascherische verbale Zuspitzung ohne inhaltlichen Hintergrund - betätigt, sondern sich dadurch auch noch bereichert (da für die Inanspruchnahme von Matrikelbüchern Gebühren fällig werden) ist nicht nur schlichtweg vollkommen unverständlich, sie ist faktisch falsch und nur dem oberflächlichen Effekt geschuldet. Zudem sei ergänzt: Das Nichtvorliegen eines Abstammungsnachweises war im Dritten Reich zu keiner Zeit beweiskräftiges Faktum für eine jüdische Abstammung, da er vielfach aufgrund der Quellenlage einfach nicht zu erbringen war. Man behalf sich dann etwa mit physignomischen Gutachten, die anhand von Fotografien der Vorfahren vom Reichssippenamt durchgeführt wurden, oder ähnlichen "wissenschaftlichen" Phantastereien.

Anderes wird von Moritz - bewusst oder unbewusst - unterschlagen, ins Gegenteil verkehrt oder zeugt von fundamentaler Unkenntnis der Fakten. So seien die gegen den Bolschewismus gerichteten lehramtlichen Dokumente eine indirekte Unterstützung der Nationalsozialisten gewesen (S. 182ff.). Dass viele dieser Hirtenbriefe den Nationalsozialisten aber kaum gefielen wird von Moritz unterschlagen - etwa das "Hirtenwort über die Abwehr des Bolschewismus", das wegen der dort auch enthaltenen Kritik am Nationalsozialismus in Presse und Rundfunk nicht veröffentlicht werden durfte 3 - oder die Enzyklika "Divini redemptoris" (bei Moritz als quasi pronationalsozialistisches Dokument angeprangert und in einem Atemzug mit den Deportationszügen genannt!), in der noch vor der Menschenrechtserklärung der UN kirchlicherseits ein allgemeiner Menschenrechtskatalog formuliert wurde (der eben nicht nur für Katholiken gilt) und die deshalb in der Soziallehre der Kirche bis heute als Meilenstein gilt, über den man keineswegs schamhaft hinwegzublicken braucht. Kurz gesagt, es gibt bei Moritz nur eine leitende Fragestellung: Wie schaffe ich Belege für die These vom Nationalkatholisozialismus.

Doch sind Überlegungen wie diese, ebenso wie die Feststellung, dass es sich bei Moritz´ Buch um eine Ansammlung von bewussten oder unbewussten Irrtümern, Verallgemeinerungen, Fehl- und Falscheinschätzungen, Gemeinplätzen und Übertreibungen handelt, wenig geeignet, dem Autor gerecht zu werden. Moritz ist kein Historiker - seine Argumentation verläuft im Wesentlichen ahistorisch - er ist auch kein literarischer Übertreibungskünstler wie der eingangs genannte Thomas Bernhard, sondern Theologe. Obwohl nie ausgesprochen, wird im gesamten Buch Moritz´ Idealbild der Kirche im Nationalsozialismus deutlich. Diese theoretische Konstruktion von Kirche bildet den Maßstab, an dem die "reale Kirche" - die nun aber auch wiederum eine Konstruktion, diesmal aber ein von einem historischen Laien aus dem historischen Material gebasteltes Gegenbild ist - sich messen lassen muss. Die Moritz´sche Konstruktion von Kirche kreist um den Gedanken des Martyriums, die Selbstpreisgabe, das Selbstopfer. Männer wie Pater Franz Reinisch (S. 155), die ihre radikal kompromisslose Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus mit dem Tod bezahlten, geben die Idealfolie ab, sie sind das Gegenbild zur Vorstellung des obrigkeitsorientierten "Systems Kirche" (S. 157ff.), an dem Moritz sich abarbeitet.

Folglich müssen sich alle Handlungen der geschichtlichen Institution Kirche an diesem nie offen gelegten Idealkonstrukt der Märtyrerkirche messen lassen. Den Widerspruch, der durch diese wohl auch theologisch kaum haltbare Forderung des Martyriums zur Hauptaufgabe der Kirche gemäß ihrem eigenen Selbstverständnis erzeugt wird, nämlich jedem Katholiken die maximal mögliche seelsorgliche Fürsorge angedeihen zu lassen und die regelmäßige Versorgung mit den Sakramenten, vor allem der Eucharistie, sicherzustellen - was Moritz bezeichnenderweise als Degradierung des Einzelnen zum seelsorglichen Objekt versteht -, bleibt freilich unauflösbar.

Inwieweit ein solcher Ansatz theologisch fruchtbar sein mag, kann der Rezensent nicht entscheiden, es ist auch nicht seine Aufgabe. Moritz nahm für sich nicht in Anspruch, einen theologischen Traktat zu Fragen des Martyriums in der Moderne zu verfassen - sonst würde das Buch hier kaum besprochen werden - sondern eine zeitgeschichtliche Abhandlung. Diesen Anspruch aber kann man, da Moritz den grundlegenden Maßstäben historischen Arbeitens nicht zu genügen vermag, wohl nur als gescheitert betrachten.

Anmerkungen:
1 Bernhard, Thomas, Auslöschung. Ein Zerfall, Frankfurt am Main 1986, S. 292.
2 Vgl. Korte, Hermann, Dramaturgie der Übertreibungskunst - Thomas Bernhards Roman "Auslöschung. Ein Zerfall", in: Text und Kritik 43 (1991), S. 88-103.
3 Vgl. hierzu: Hecker, Hans-Joachim, Hirtenwort gegen den Bolschewismus entspricht nicht Hitlers Vorstellungen, in: Kardinal Michael von Faulhaber. 1869 bis 1952 (Ausstellungskatalog), München 2002, S. 305ff.
Der Rezensent ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat München. Diese Rezension spiegelt seine private Auffassung wider und ist keine öffentliche Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariats München.

Der Rezensent ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat München. Diese Rezension spiegelt seine private Auffassung wider und ist keine öffentliche Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariats München.

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