F. Wolff: Glasnost erst kurz vor Sendeschluss

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Titel
Glasnost erst kurz vor Sendeschluss. Die letzten Jahre des DDR-Fernsehens (1985-1989/90)


Autor(en)
Wolff, Franca
Reihe
Medien in Geschichte und Gegenwart 18
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Classen, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Das Buch von Franca Wolff, das auf ihrer kommunikationswissenschaftlichen Mainzer Dissertationsschrift beruht, widmet sich einem bisher noch wenig erforschten Gegenstand. Anders als das Herrschaftssystem im engeren Sinne haben die Massenmedien und insbesondere das Fernsehen der DDR nach 1990 nur wenig Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Publizistik gefunden. Erst durch das noch laufende, interdisziplinär und institutionell übergreifend angelegte DFG-Projekt zur Erforschung der Programmgeschichte des DDR-Fernsehens dürfte sich dies zumindest für diesen Bereich in absehbarer Zeit ändern.1

Die schon deshalb verdienstvolle Untersuchung konzentriert sich auf die Endphase der DDR, auf die Jahre 1985 bis 1989, mithin jene Zeit, als der politische Kurs der DDR-Führung in Gegensatz zu Gorbatschows Reformbestrebungen geriet. Die Phase der Transformation des Mediums während und nach der Wende vom Herbst 1989 bis zur Abwicklung des Deutschen Fernsehfunks Ende 1991 wird abschließend in einem kurzen Ausblick behandelt.2 Bereits zu Anfang wird deutlich, dass die Autorin nicht der Versuchung zahlreicher Nachwende-Publikationen unterliegt, das Fernsehen auf den Aspekt der politischen Instrumentalisierung durch die Partei zu reduzieren. Vielmehr wird zu recht auch unter den Bedingungen der Diktatur ein komplexes Verhältnis von Medium und Gesellschaft unterstellt, das von zahlreichen Ambivalenzen geprägt war, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen politischen Ansprüchen, medialen Eigendynamiken, dem Eigensinn der Mitarbeiter und den Nutzungspräferenzen der Rezipienten ergaben (S. 12f.).

Ausgangspunkt der Untersuchung sind die Legitimationsprobleme, die für die DDR-Spitze aus der Distanzierung von der Sowjetunion resultierten, nachdem deren Vorbildcharakter zuvor jahrzehntelang gebetsmühlenartig proklamiert worden war. In dieser schwierigen Situation haben die Medien, so Wolff, vor der „nahezu unlösbaren“ Aufgabe gestanden, einerseits den politischen Kurs der SED zu verteidigen, die innenpolitischen Veränderungen in den reformorientierten Ostblockstaaten auszublenden und dennoch umfassend zu informieren und das steigende politische Interesse in der Bevölkerung zu befriedigen. Ob „diese journalistische Gratwanderung gelingen konnte“, will sie am Beispiel des Fernsehens untersuchen (S. 17). Aber, so wäre kritisch anzumerken, ist diese Frage tatsächlich offen? Und ist sie geeignet, das Interesse einer mehr als 300 Seiten starken Untersuchung hinreichend zu charakterisieren?

Hier bleiben Zweifel, und der systemtheoretische Ansatz in der Tradition Talcott Parsons, den Wolff im zweiten Kapitel vorstellt, ist nicht unbedingt geeignet, sie zu zerstreuen. Zwar schafft er eine gewisse Distanz und hilft so, wohlfeile ex-post-Urteile zu vermeiden. Aber insgesamt richtet sich das Interesse systemtheoretischer Ansätze auf funktionale Differenzierungsprozesse moderner Gesellschaften und steht damit in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu der Entdifferenzierung, die mit dem kommunistischen Projekt der Etablierung einer homogenen, konfliktfreien Gesellschaft einherging. Dem Phänomen einer „durchherrschten Gesellschaft“ (Alf Lüdtke), in der auch die Fernsehredakteure oftmals in gleichem Maße Herrschaft ausübten, wie sie selbst Beherrschte waren, kommt man damit jedenfalls kaum näher.

In den folgenden zwei Kapiteln wird der politische und historische Hintergrund der DDR in den achtziger Jahren dargestellt. Diese – zum Teil ziemlich weit ausholenden – Abschnitte sind weitgehend verzichtbar, weil dort nichts steht, was unbedingt zum Verständnis der empirischen Teile notwendig wäre. Dass hier bisweilen ein recht unkritisches Gorbatschow-Bild zum Ausdruck kommt, das gerade auch mit dem Umgang mit dem Fernsehen in der Sowjetunion während seiner Amtszeit schwer vereinbar sein dürfte, sei zusätzlich kritisch angemerkt. 3 Erst der fünfte Abschnitt widmet sich wieder dem eigentlichen Gegenstand, dem Fernsehen in der DDR. Im Wesentlichen gestützt auf Sekundärliteratur wird hier ein historischer Abriss der Entwicklung von den Anfängen 1952 bis Ende 1989 geboten.

Wenn nach knapp 150 Seiten der empirische Teil des Buches beginnt, mag sich bei manchem Leser schon leichte Ungeduld eingestellt haben. Ausdauer wird jedoch belohnt, denn die nun folgenden zwei Kapitel, die auf den umfangreichen, bisher nicht ausgewerteten Quellenbeständen des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) und der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) beruhen, liefern interessante Befunde. In zwei Abschnitten nähert sich Franca Wolff der Entwicklung des ostdeutschen Fernsehens zwischen 1985 und dem Spätsommer 1989: Zunächst steht die Entwicklung des Programms im Mittelpunkt, dann wird stärker auf die Akteure und die innerinstitutionellen Entwicklungen eingegangen. Während sich fernsehintern etwa ab 1986/87 Unmut und Frustration über die fehlende Flexibilität der SED-Führung zu artikulieren begannen, schlug sich dies im Programm nicht nieder. Hier blieb alles wie gehabt.

Versuche, Fehlentwicklungen offen zu thematisieren, wurden gnadenlos abgebügelt: Wegen kritischer Töne des Mehrteilers „Einzug ins Paradies“ (1985) überzog die Parteileitung die verantwortlichen Dramaturgen mit ebenso harscher wie unfreiwillig komischer Kritik: „Was einige Wahrheitsfanatiker da als Wirklichkeit ansehen, weil sie im Alltag auf diese oder jene Unzulänglichkeit stoßen, ist nicht die Wahrheit, sondern es sind Rückstände zur Wirklichkeit“ (S. 219). Unter diesen Bedingungen verwundert es wenig, dass sich die Zuschauer in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in immer stärkerem Maße von den Programmangeboten des DDR-Fernsehens abwandten.

Während die publizistischen Angebote, allen voran die „Aktuelle Kamera“ bis zum Herbst 1989 mustergültig und scheinbar unbeirrt den politischen Vorgaben folgten, offenbaren die internen Auseinandersetzungen die tiefe Entfremdung zwischen den politisch Verantwortlichen beim Fernsehen und den künstlerischen Eliten. Die Fernsehdramatik müsse endlich aufhören, „ein Faktor zu sein, der den ganzen Betriebsablauf [...] immer wieder stört“, so ein internes Leitungspapier von 1986 (S. 226). Heiner Müller wurde vom staatlichen Komitee für Fernsehen 1988 gar „bis auf weiteres im Fernsehen nicht für sendbar [gehalten], unabhängig davon, was er sagt“ (S. 195).

Vor diesem Hintergrund wirkt es beinahe tragisch, dass es den publizistischen Formaten ab November 1989 fast schlagartig gelang, sich den neuen Verhältnissen anzupassen und den Vertrauensverlust zu überwinden, während die naturgemäß schwerfälligeren dramaturgischen Abteilungen endgültig ins Abseits gerieten. Solche internen Spannungslinien und Paradoxien aufgezeigt und mit eindrucksvollen Quellenfunden belegt zu haben, darin liegt die größte Leistung des Buches.

Am Ende der Untersuchung steht der ziemlich pauschale Befund, das Fernsehen habe sich für die Stabilität des Landes als disfunktional erwiesen, weil es den Kommunikationsbedürfnissen der Gesellschaft nicht hinreichend entsprochen habe, sondern stattdessen in kontraproduktivem Übermaß gesellschaftliche Integration und Sozialisation betrieben habe. Lediglich den Unterhaltungsbedürfnissen sei das Medium in den 80er Jahren einigermaßen adäquat nachgekommen (S. 291ff.). Das ist für Kenner der Materie (eingeschlossen ehemalige Zuschauer) nicht eben ein aufregendes Ergebnis. Der systemtheoretisch-funktionalistische Ansatz erweist sich hier als zu abstrakt und ahistorisch, er blendet die kommunikationspolitischen Axiome der Partei und ihren ideologischen Hintergrund vollkommen aus. Nur so ist es zu erklären, dass Wolff sich dem schlichten, aus wissenschaftlicher Perspektive wenig produktiven Standpunkt Stefan Pannens anschließt, Gesellschaft und Journalismus in der DDR seien „nach vollkommen falschen Prinzipien organisiert“5 gewesen (S. 297).

Freilich ist dies eher eine Ausnahme in dem ansonsten erfreulich unpolemischen, stets um Distanz bemühten Buch. Es leistet so einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte über die DDR-Medien und liefert manch neue Innensicht. Gleichwohl darf gemutmaßt werden, dass der Ertrag noch ungleich größer hätte ausfallen können, wenn Fragestellung und Theorie sich stärker an den Problemhorizonten der zeitgeschichtlichen DDR-Forschung orientiert hätten und die eigentliche empirische Untersuchung mehr im Mittelpunkt gestanden hätte.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Selbstdarstellung des Projektverbundes unter www.ddr-fernsehen.de.
2 Vgl. dazu ausführlicher: Schuhbauer, Thomas, Umbruch im Fernsehen, Fernsehen im Umbruch. Die Rolle des DDR Fernsehens in der Revolution und im Prozess der deutschen Vereinigung 1989-1990 am Beispiel des Jugendmagazins „Elf 99“, Berlin 2001; vgl. auch die Rezension von Zoppel, Christina unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ZG-2002-105.
3 Vgl. hierzu Müller, Monika, Zwischen Zäsur und Zensur. Das sowjetische Fernsehen unter Gorbatschow, Opladen 2001.
[4] Vgl. die einschlägige Darstellung Hoffs, Peter, in: Hickethier, Knut, Geschichte des Deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998, S. 95-109; S. 181-197; S. 383-413.
5 Vgl. Pannen, Stefan, Die Weiterleiter. Funktion und Selbstverständnis ostdeutscher Journalisten, Köln 1992.

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