C. Hesse u.a. (Hgg.): Personen der Geschichte

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Titel
Personen der Geschichte - Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer C. Schwinges


Herausgeber
Hesse, Christian; Immenhauser; Beat
Erschienen
Basel 2003: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
500 S.
Preis
€ 40,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Irrgang, Friedrich-Meinecke Institut, Freie Universität Berlin

Die Festschriftkultur erfreut sich einer außerordentlichen Beliebtheit. Zum runden Geburtstag oder zur Emeritierung eines verdienten Wissenschaftlers überreichen Schüler, Kollegen und Weggefährten dem Jubilar einen bunten Strauß wissenschaftlicher Erträge aus eigenem Anbau und danken dem zu Ehrenden dafür, dass er einst das Samenkorn der Anregung gepflanzt und einen Schülerkreis gepflegt hat, der in kritischem Diskurs und kreativem Dialog miteinander forscht und gedeiht. Es lässt sich jedoch auch nicht leugnen, dass der Charakter von Festschriften aufgrund inflationärer Produktivität erodiert wird und damit der wissenschaftliche Wert verkümmert. Waren Festschriften früher oftmals nur kleine Hefte mit allerdings gewichtigen und kohärenten Forschungsbeiträgen1, so werden in jüngerer Zeit eklektische, nicht selten mehrbändige Opera mit leider zum Teil zweifelhaftem Niveau vorgelegt: „Recycling-Wissenschaft“, Festschriften als „Weichschriften“? Konstruktive und innovative Forschungsdiskussionen finden nur selten in einer Festschrift statt, sie werden in profilierten Tagungsbänden und Zeitschriften geführt. Hingegen steht das „Herrscherlob“ im Zentrum der Festschriften und weniger der „kritische fachwissenschaftliche Diskurs“2 entlang der Thesen des Geehrten. Unverzichtbare Requisiten einer Festschrift sind ein signiertes Foto, das Schriftenverzeichnis und die Tabula gratulatoria. Überflüssig sind Festschriften deswegen nicht. Trotz aller Disparität sind sie Fundgruben, die manche Entdeckung bereithalten und das Profil einer Gelehrtenpersönlichkeit in seinen Bezügen sichtbar machen.

Die Festschrift, die Rainer Christoph Schwinges hier dargereicht worden ist, versammelt 26 Beiträge zu seinen Forschungsgebieten. Diese sind in vier thematische Abschnitte gegliedert und weisen als roten Faden die prosopographische Methode auf, die Rainer Christoph Schwinges selber in seinen zahlreichen einschlägigen Forschungsprojekten zur Universitäts- und Migrationsgeschichte verfeinert hat.

Das erste Kapitel widmet sich dem Themenkomplex „Bern, sein Umland und die Eidgenossenschaft“. Seit Schwinges an der Universität Bern lehrt, hat er sich immer wieder mit Fragen zur Schweizerischen Geschichte befasst. Hier wird das zeitliche Panorama vom 13. bis zum 19. Jahrhundert zu verschiedenen kirchen-, stadt- und rechtsgeschichtlichen Aspekten entfaltet: die Berner Ratsgeschlechter im 13. Jahrhundert (Roland Gerber), die Aufstände 1513 in Bern, Solothurn und Luzern (Hans Braun), das Augustinerinnenkloster von Interlaken (Barbara Studer), die Berner Chronik des Conrad Justinger (Werner Meyer), Kriegsverbrechen im Spätmittelalter (Oliver Landolt) sowie Schweizer in Rom 1820-1870 (Arnold und Doris Esch). Eine besonders schaurig-spannende Lektüre bietet der Beitrag von Guy P. Marchal über Foltermethoden mit Todesfolge am Beispiel des Berner Altvenners Caspar Hetzel.

Die sechs Beiträge, die anschließend unter dem Oberthema „die Stadt und ihre Bürger“ gebündelt sind, knüpfen an das laufende Neubürger-Projekt von Schwinges an. Kristina Isacson und Bruno Koch stellen mit dem Züricher Glückshafenrodel eine originelle Quelle vor, anhand derer Wanderungsbewegungen im spätmittelalterlichen Zürich quantifizierbar werden. Wichtige auch begriffliche Erkenntnisse liefert ferner der Aufsatz von Peter Blickle zum „Pfarrkirchenbürger“. Ansonsten ist das thematische Spektrum sehr breit gefächert: städtische Anleihen und Renten (Hans-Jörg Gilomen), die Stadtschreiber von Königgrätz 1580-1620 (Bela Marani-Moravová), die spätmittelalterlichen Selbstzeugnisse von Eheleuten (Urs Martin Zahnd) und der Dominikaner und Züricher Bürgersohn Johannes Meyer (Carl Pfaff).

Der dritte Abschnitt konzentriert sich endlich auf das große Identifikationsthema von Schwinges, die Frequenz und die Gruppenverbindungen an mittelalterlichen Universitäten. Mit seiner Gießener Habilitationsschrift von 1986 3 und den damit in Zusammenhang stehenden Veröffentlichungen begann in der deutschen Universitätsgeschichte jene methodische Wende zur Erforschung des Universitätsbesuchs, der sozialen und regionalen Herkunft von Studenten, der sozialen Differenzierung der Fakultäten und der Wechselwirkungen zwischen Studium und Gesellschaft. Sein eigener großer Lehrer Peter Moraw macht den Anfang und entwirft ein Profil des deutschen und europäischen Gelehrten im Mittelalter. Ludwig Schmugge konturiert die Bedeutung der Pönitentiarie, des Pfründenmarktes und des Dispensrechts für den mittelalterlichen Universitätsbesuch. Sehr aufschlussreich sind die Ausführungen von Rainer A. Müller über das Promotionswesen an deutschen Universitäten der Frühmoderne. Es ist ein lehrreicher Beitrag zur einem weitgehend unerforscht gebliebenen Themenkomplex, dessen Ergebnis, dass die akademisch gebildeten bürgerlichen Gelehrten im 17. Jahrhundert schlechtere Karriereaussichten hatten als die sozial privilegierten Gebildeten, fast aktuelle Assoziationen weckt. Die übrigen universitätsgeschichtlichen Beiträge beschäftigen sich mit der Universität Erfurt (Christian Hesse), mit Studenten aus St. Gallen (Beat Immenhauser), Tätigkeitsfeldern von Juristen (Jürg Schmutz) sowie dem Humboldtschen Universitätsmodell als Wegbereiter der modernen Forschungsuniversität im Vergleich zur französischen Wissenschaftsidee (Walter Rüegg).

Mit dem vierten und letzten Abschnitt der Festschrift, „Christen und Andersgläubige“, schließt sich der Kreis der tour d’horizon zu den großen Forschungsinteressen von Schwinges, die 1977 mit einer Studie zum Toleranzbegriff bei Wilhelm von Tyrus ihren Anfang nahmen.4 Hier stehen nun in losem Zusammenhang Fragen des Kulturtransfers zwischen Christen und Muslimen im 12. Jahrhundert (Pedro Zwahlen), die Funktion von Bildung als Kreuzzugsvorbereitung (Hans-Joachim Schmidt), Konzepte des bellum iustum (Heinz E. Herzig) und das Luccheser System der Kreuzzugsfinanzierung (Andreas Meyer) zur Diskussion. Aber auch die Rezeption der mythischen Überhöhung des Ortes Montségur in den Pyrenäen (Katharina Simon-Muscheid), der als Stützpunkt der Albigenser und Symbol für die Zerschlagung der katharischen Kirche traurige Berühmtheit erlangt hat, sowie eine archäologische Betrachtung der Karolingerpfalz Karnburg (Hans-Dietrich Kahl) gehören dazu. Gerade der letztgenannte Aufsatz vermag den Bezug zum Kapitelthema nicht recht herzustellen und leistet dem oft erhobenen Vorwurf, Festschriften seien assoziativ, Vorschub.

Einen Beitrag zur „explorativen Fortentwicklung der Festschrifttradition“ 5 hat auch diese Festschrift nicht geleistet, gleichwohl viele Aufsätze auf hohem Niveau eine spannende Lektüre bieten. Ein bahnbrechender Festschriftaufsatz 6 ist jedoch nicht darunter. Es bleibt zu postulieren: Wenn Festschriften eine geeignete Diskursform sein sollen, muss eine konsequente Abkehr vom verwässernden Publikationswahn beschritten werden hin zu einer strengen Auswahl der Beiträger und Themen, wie es bei Zeitschriften und Tagungsbänden üblich ist. Erst dann wird der Weg frei zu einer systematischen, konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk und den interpretativen Methoden des Jubilars.

Anmerkungen:
1 Vgl. stellvertretend Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner, Göttingen 1963; Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Tübingen 1950.
2 Einleitung in Burschel, Peter (Hg.), Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 2002, S. 10.
3 Schwinges, Rainer Christoph, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986.
4 Schwinges, Rainer Christoph, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus, Stuttgart 1977.
5 Wie Anm. 2, S. 11.
6 Vgl. Seibt, Ferdinand, Von Prag bis Rostock. Die Gründung der Universitäten im Mittelalter, in: Festschrift für Walter Schlesinger 1, Köln 1973, S. 406-426; Moraw, Peter, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Bestmann, Uwe; Irsigler, Franz; Schneider, Jürgen (Hgg.), Hochfinanz – Wirtschaftsräume – Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer 2., Trier 1987, S. 583-622.

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